Die bedingungslose Kapitulation Deutschlands wurde am 7. Mai 1945 um 02:41 Uhr MEZ im Hauptquartier der Alliierten (Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force, SHAEF) in Reims, Frankreich, durch Generaloberst Jodl im Namen des Oberkommandos der Wehrmacht unterzeichnet.
Eine zweite Unterzeichnung, die oft als formelle Bestätigung gilt, fand am 8. Mai 1945 um 23:01 Uhr MEZ in Berlin-Karlshorst statt. Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel und die Oberbefehlshaber der Kriegsmarine und der Luftwaffe setzten dort in Anwesenheit sowjetischer, britischer, amerikanischer und französischer Offiziere ihre Unterschrift auf die Urkunde. Auf exakt diese Minute war der in Reims vereinbarte Waffenstillstand festgesetzt worden und trat damit offiziell in Kraft.
Wieso feiert Russland am 9. Mai und der Westen am 8. Mai?
Da in Deutschland die Sommerzeit galt, ist dieser Unterzeichnungszeitpunkt eigentlich der 9. Mai um 00:01 Uhr MESZ. In Washington D.C. und London schrieb man noch den 8. Mai, den man daher den Victory in Europe Day (VE Day) nennt. Dass in Deutschland des Kriegsendes dennoch am 8. Mai gedacht wird, das hat wohl mit der Westbindung zu tun.
In Moskau hingegen war zu diesem Zeitpunkt wie im gerade kapitulierenden Dritten Reich ebenfalls bereits der 9. Mai, was auch erklärt, weshalb die Russische Föderation ihre Siegesparade zum 80. Jahrestag heute (und nicht gestern) durchführt.
Die Schweizer Glocken läuteten am 8. Mai
In der Schweiz gilt der 8. Mai als Tag des Kriegsendes. Warum, das erklärt eine Tweetserie des Staatsarchivs des Kantons Zürich, die vor 5 Jahren publiziert wurde:
«#75jahrekriegsende im Kt. Zürich: Am 8. Mai 1945 trifft um 10:41 Uhr im Kaspar-Escher-Haus das Telegramm ein mit der offiziellen Nachricht vom Kriegsende und Anordnung Glockengeläut um 20 Uhr (StAZH N 619.6). Der Regierungsrat lässt die Glocken bereits um 11 Uhr läuten. #histCH» (Tweet; Original nicht mehr abrufbar)
Zur Feier des Tages machte die Bundesverwaltung am Nachmittag dieses 8. Mai 1945 den Laden dicht. Und die Zürcher liessen gleich zweimal die Glocken läuten. Einmal kurz vor Mittag und einmal – wie bundesrätlich angeregt – abends um acht Uhr.
Wie die St. Galler den Bundesrat auf die Spur brachten
Diese Entwicklung kam nicht aus heiterem Himmel. Die Spatzen pfiffen es von den Dächern. Aber wann genau der Waffenstillstand sein würde, das wusste man natürlich genausowenig, wie man das heutzutage im Ukrainekrieg wissen kann.
Wie man sich vorbereitet hat, das zeigt ein weiterer Beitrag des StAZH auf:
«#75jahrekriegsende im Kanton Zürich: Am 1. Mai 1945 regt der Bundesrat bei den Kantonen ein Glockengeläut an, sobald die Nachricht vom Kriegsende eintrifft. Am 3. Mai beschliesst der Regierungsrat in diesem Sinn und informiert die Gemeinden. (StAZH N 619.6) #kriegsende #histCh» (Tweet; Original nicht mehr abrufbar)
DER SCHWEIZERISCHE BUNDESRAT
Bern, den 1. Mai 1945.
An die Kantonsregierungen.
Getreue, liebe Eidgenossen,
Gegenwärtig erwartet die Welt jeden Augenblick die Nachricht vom Ende des Krieges, oder jedenfalls vom Abschluss eines Waffenstillstandes auf unserm Kontinent.
Im Hinblick auf dieses Ereignis hat die Regierung des Kantons St. Gallen soeben ein Kreisschreiten an die Kirchenverwaltung ihrer Pfarrgemeinden abgehen lassen, worin diese aufgefordert werden, bei diesem Anlass die Kirchenglocken läuten zu lassen. Dies soll das erste Dankgebet an den Allmächtigen sein dafür, dass er der Welt den langersehnten Frieden wiedergegeben hat, aber auch dafür, dass unser Land von Kriege verschont geblieben ist.
Wir beehren uns, Ihnen eine Kopie dieses Kreisschreibens zukommen zu lassen in der Annahme, dass es Ihnen vielleicht recht ist, von dessen Inhalt Kenntnis zu erhalten. Wir würden es begrüssen, wenn Sie sich dieser Initiative des Kantons St. Gallen anschliessen wollten und das Glockengeläute im ganzen Schweizerlande stattfände.
Wir werden die Kantonsregierungen telegraphisch vom Kriegsende benachrichtigen, sobald uns die offizielle Kunde hiervon zur Kenntnis gekommen sein wird.
Ausserdem steht der Bundesrat mit den Kirchen unseres Landes in Verbindung um die Veranstaltung eines Gottesdienstes am ersten Sonntag nach dem Abbruch der Feindseligkeiten in die Wege zu leiten, - Das Nähere werden Sie zweifellos von den zuständigen kirchlichen Behörden vernehmen.
Wir benützen auch diesen Anlass, um Sie, getreue, liebe Eidgenossen samt uns, dem Machtschutze Gottes zu empfehlen.
IM NAMEN DES BUNDESRATES:
Der Bundespräsident:
[sig.] von Steiger
Der Bundeskanzler:
[sig.] Leimgruber
1 Beilage.
Die Direktion des Innern bereitete den Regierungsratbeschluss vor
Wie im StAZH-Tweet erwähnt, ging die Zürcher Regierung daraufhin ans Werk, beauftragte die Direktion des Innern einen Antrag zu verfassen (Abbildung der Vorlage unten) und verabschiedete diesen am 3. Mai:
Gestützt auf Kreisschreiben des Bundesrates vom 1. und 2. Mai 1945 an die Kantonsregierungen und auf Antrag der Direktionen des Innern und der Polizei beschließt der Regierungsrat:
I. Kreisschreiben an die Gemeinderäte des Kantons Zürich:
Die Welt erwartet jeden Augenblick die Nachricht vom Ende des europäischen Krieges. Der Bundesrat wird die Kantonsregierungen telegrafisch benachrichtigen, sobald er die offizielle Meldung vom Kriegsende besitzt.
Der Regierungsrat hat heute beschlossen, die Kunde vom Kriegsende sofort telegrafisch oder telefonisch an die Gemeinden weiterzugeben und dafür zu sorgen, daß dieses einmalige weltbewegende Geschehen durch ein halbstündiges Glockengeläute gefeiert wird. Jeder von uns wird in dieser Stunde dem Allmächtigen danken, daß er unser Heimatland vom Kriege verschont und der Welt den langersehnten Frieden wiedergegeben hat.
Wir ersuchen die Gemeinderäte nach Eintreffen der Nachricht vom Kriegsende, nach unsern telegrafischen oder telefonischen Weisungen, während einer halben Stunde die Glocken sämtlicher in ihrer Gemeinde liegenden Kirchen läuten zu lassen.
Der Bundesrat hält dafür, daß eine Beflaggung von Gebäuden und Kirchen zur Feier des Kriegsendes unterbleiben sollte, da es sich für das Schweizervolk nicht um eine Siegesfeier handelt. Wir teilen diese Auffassung und geben sie als Wunsch an die Gemeinden weiter. Wir sind überzeugt, daß das Zürchervolk in seiner großen Mehrheit die Feier des Tages des Kriegsendes würdig zu begehen wünscht und erwarten daher auch, daß Gesuchen um Verlängerung der Polizeistunde oder um Tanzbewilligungen, wie sie bereits vereinzelt gestellt wurden, an diesem Tage nicht entsprochen werde.
II. Zuschrift an den Kirchenrat des Kantons Zürich, sowie an die Kirchenpflegen der Christkatholischen Kirchgemeinde Zürich und der römisch-katholischen Kirchgemeinden Dietikon, Winterthur und Rheinau:
Mit Kreisschreiben vom 2. Mai 1945 hat der Bundesrat den Kantonsregierungen mitgeteilt, am Tage der offiziellen Nachricht vom Kriegsende sollten in der ganzen Schweiz zur gleichen Zeit, d. h. von 20 Uhr bis 20.15 Uhr, die Glocken geläutet werden.
Außerdem steht der Bundesrat mit den Kirchen unseres Landes in Verbindung, um die Veranstaltung eines Dankgottesdienstes am ersten Sonntag nach dem Abbruch der Feindseligkeiten in die Wege zu leiten.
Der Regierungsrat hat heute beschlossen, die offizielle Kunde vom Kriegsende, die den Kantonsregierungen vom Bundesrat telegrafisch übermittelt wird, sofort telegrafisch oder telefonisch an die Gemeinden weiterzugeben und die Gemeinderäte einzuladen, dafür zu sorgen, daß unsere Bevölkerung durch ein halbstündiges feierliches Glockengeläute von diesem einmaligen weltbewegenden Geschehen Kenntnis erhält.
Das vom Bundesrat gewünschte Abendgeläute von 20 Uhr bis 20.15 Uhr soll dadurch nicht ersetzt werden. Soweit uns bekannt ist, gedenken die Kirchgemeinden des Kantons Zürich am Abend des gleichen Tages einen Dankgottesdienst zu veranstalten, womit das auf 20 Uhr bis 20.15 Uhr angesetzte allgemeine Glockengeläute mit dem Einläuten dieses Gottesdienstes zusammenfallen würde. Der Regierungsrat begrüßt diese Anordnung und ersucht Sie, wenn immer möglich zu erreichen, daß auf diesem Wege in allen zürcherischen Gemeinden auch das Abendgeläute stattfindet.
III. Mitteilung an die Direktionen des Regierungsrates, sowie an die Staatskanzlei.
Eine halbe Stunde von Hand läuten. Kraftakt für den Frieden
Via den Gemeinderat oder den Kirchenrat haben dann auch der Weiacher Pfarrer und die Kirchenpflege davon erfahren, sodass sie ihren Sigristen Albert Erb-Saller hoffentlich frühzeitig instruieren konnten. Ob er sich für die doch recht strapaziöse Halbstunden-Aktion Unterstützung durch Dritte organisiert hat ist nicht bekannt, darf aber angenommen werden. Bislang ist zumindest dem Autor dieser Zeilen nicht bekannt, ob in Weiach nur abends um 20 Uhr oder auch schon um 11 Uhr geläutet wurde.
Auch Mina Moser (1911-2017), die älteste Weiacherin aller Zeiten, hat diesen Tag nie vergessen, wie sie dem Zürcher Unterländer in einem Interview erklärte:
«Am 8. Mai 1945», sagt sie, ohne auch nur einen Augenblick nachdenken zu müssen. «Wer das miterlebt hat, wird die Erleichterung bei dieser Nachricht nie vergessen.» Für sie war es damals eine besonders schöne Woche: Nur vier Tage später feierte sie Hochzeit.» (Kron 2008)
Die Blick-Journalistin Rebecca Wyss erläuterte vor fünf Jahren, was sich im Land auf den Strassen und in den Regierungsstuben dann abgespielt hat: «Ein Aufatmen ging auch durch die Schweiz. Kirchenglocken läuteten, Läden blieben «wegen Friedens geschlossen», der Unterricht fiel aus – überhaupt mochte kaum jemand an Arbeit denken. In den Städten wälzten sich Menschenmassen durch die Strassen, ein Meer von Alliierten-Fähnchen tat sich auf.»
Und weiter: «In der Schweiz festete die Bevölkerung bis in die Nacht hinein. Dem Bundesrat gefiel das nicht», heisst es da. Er dürfte nicht gerade erfreut gewesen sein. Denn wie oben in den offiziellen Schreiben und Beschlüssen ausgeführt hielt es man es für angezeigt, sich als Neutraler eben nicht zu den Siegern zu stellen.
Quellen und Literatur
- In der Klasse N 619 sind die Akten der Direktion des Innern des Jahres 1945 abgelegt. Das Dossier, in dem die StAZH-Mitarbeiter obiges Material gefunden haben, würde einen rein vom Titel her nicht auf Idee bringen, dort zu suchen: E Verschiedenes; F Stiftungen; G Statistisches Büro, Statistik; H Staatsarchiv; J Gebäudeversicherung, 1945; Signatur: StAZH N 619.6.
- Friedensfeier. Beschluss des Regierungsrats des Kantons Zürich vom 3. Mai 1945. Signatur: StAZH MM 3.70 RRB 1945/1124.
- Friedensfeier. Kreisschreiben des Bundesrates vom 2. Mai 1945 und Mitteilung des Regierungsrates betreffend Glockengeläute in allen Gemeinden am Tage der offiziellen Nachricht vom Kriegsende. Enthält nur: Regierungsratsbeschluss Nr. 1124/1945. Signatur: StAZH Z 42.9591.
- Kron, B.: Als die US-Luftwaffe Weiach beschoss. In: Tages-Anzeiger, 21. August 2008 – S. 54 Unterland [Damals war der letzte Bund des TA regionalisiert].
- Brandenberger, U. In memoriam Mina Moser-Nepfer, 12.3.1911-27.7.2017. WeiachBlog Nr. 1349, 31. August 2017.
- Wyss, R.: Als die Schweiz aufatmen konnte. So endete der Zweite Weltkrieg bei uns. In: Blick Online, 5. Mai 2020 (mit Bildstrecke!).
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