Die Denkmalpflege-Expertin Erika Tanner hat 1998 ein Gutachten, sowie 2005 einen Buchbeitrag verfasst, die die Botschaft transportieren, in unserer Ortschaft sei bereits im 17. Jahrhundert (d.h. vor dem Bau der Kirche) eine fortifikatorisch ausgebaute Anlage vorhanden gewesen. Sie stützt sich dabei (laut ihren eigenen Quellenangaben) auf Walter Zollingers blaues Büchlein von 1972, die bekannte «Chronik Weiach» (Rückentitel, vgl. Literatur unten).
Dort drin liest man: «Im März 1656 kam wohl der «Badener Frieden» zustande, in welchem unter den beiden Konfessionen gegenseitiges Dulden erhandelt werden konnte. Das Misstrauen aber blieb bestehn. So war es vollauf berechtigt gewesen, dass man schon in früheren unsicheren Zeiten unseren Friedhof zu einem «militärischen Stützpunkt» ausgebaut hatte, mit starkem Mauerwerk und Schiessscharten.» (Zollinger 1972, S. 40)
Zuviel hineininterpretiert
Durch den Kontext kann leicht der Eindruck entstehen, der Autor beziehe sich mit den «früheren unsicheren Zeiten» auf Jahre vor dem 1. Villmergerkrieg (1656), wobei die gesamte Zeit der Spannungen ab der Reformation ins Blickfeld geraten kann. Und zwar auch dann, wenn Zollinger – wie anzunehmen ist – hier eigentlich die Zeit kurz vor und nach dem Bau der neuen Kirche (1706) im Auge hatte, die zum 2. Villmergerkrieg (1712) führte.
Das «wohl» drückt im Zusammenhang mit dem Frieden von Baden nicht eine Vermutung aus, sondern wird im Sinne eines «zwar» verwendet, wie der nachfolgende Satz (das Misstrauen aber sei geblieben) zeigt.
Der dritte Satz dieses Zitats wurde in der 3. Auflage des Zollinger'schen Büchleins zwecks Präzisierung umformuliert:
«So war es verständlich, dass der Friedhof beim Bau der neuen Kirche gleich zu einem «militärischen Stützpunkt» ausgebaut wurde, mit starkem Mauerwerk und Schiessscharten, die bis heute erhalten sind.» (Brandenberger 2003, S. 31)
In späteren Auflagen ist dieser dritte Satz ganz weggefallen, weil damit der falsche Eindruck erweckt werden kann, auch die Mauer zwischen Altem Gemeindehaus und Kirche sei ein Original aus der Bauzeit. Diese stammt jedoch aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, mutmasslich errichtet 1859, nach dem Bau des Alten Gemeindehauses im Jahre 1857.
Auf Friedrich Vogels Pfaden
Dändliker und viele weitere (in seinen ersten Arbeiten auch Brandenberger 2000, vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 4) haben implizit ganz selbstverständlich angenommen, dass es sich bei dem «Pfarrhaus von 1591», ob angekauft oder neu gebaut, nur um das heutige Pfarrhaus im Bühl handeln könne, und ein Zusammenhang mit den innereidgenössischen Spannungen nach den konfessionellen Separatbündnissen bestehe (vgl. WeiachBlog Nr. 1466).
Ohne die drei entscheidenden Mosaiksteine, die uns heute zur Interpretation zur Verfügung stehen, namentlich
1) die dendrochronologische Dachbalkendatierung auf 1564 samt Befund, dass sie nie anderswo verwendet worden sein dürften,
2) der Pfarrhausbrand von 1658, sowie
3) die mutmassliche Wirtschaftsstärke des Verkäufers des Pfarrhauses im Jahr 1591, der mit einem Wortführer der Weiacher Kleinbauern und Taglöhner (sog. Tauner) identifiziert wird
– ohne diese Kombination an Bausteinen (vgl. WeiachBlog Nr. 1464 für ausführlichere Darstellung) konnte man vor dem 1. Weltkrieg selbst dann in guten Treuen Dändliker folgen, das Pfarrhaus sei 1591 samt Befestigungsmauer gebaut worden, wenn man damals schon um den entsprechenden Ratsmanual-Eintrag wusste (Kauf eines Hauses im Jahre 1591, um dem Pfarrer einen Wohnsitz zu verschaffen; nach Weiach übermittelt in den 1930ern durch Staatsarchivar Largiadèr).
Befestigtes Pfarrhaus schon vor 1706
Berücksichtigt man die beiden oben diskutierten Umstände (Zollingers Textumfeld und Vogels Pfade) wird auch klarer, wie Erika Tanner in ihrem Gutachten zur Pfarrscheune bzw. ihr späterer Beitrag im 16. Bericht der Zürcher Denkmalpflege zu folgendem chronologischen Eintrag kam:
«1656: 1. Villmergerkrieg: Unruhen und Gefechte auch in der Umgebung des "befestigten Ortes" Weiach, denn die Zürcher Truppen besetzen u.a. die Ortschaften Rheinau, Kaiserstuhl, Zurzach und Klingnau. [...] (Zollinger, S. 41)» (Gutachten Nr. 19-1998, Erläuternder Bericht, Baugeschichte, S. 4-5)
Tanner erwähnt hier als Quelle ausschliesslich Zollinger, was den Eindruck erweckt, es handle sich beim Ausdruck «befestigter Ort» um ein Zitat. Ob sie diese Formulierung aus einem anderen Werk übernommen, aber nicht referenziert hat, ist zurzeit nicht eruierbar.
Die Autorin geht somit implizit davon aus, dass schon das heutige Pfarrhaus als solches (bereits vor der 1706 erfolgten Verlegung von Kirche und Friedhof ins Büel) ein fortifikatorisch gehärteter Ort war.
In der gedruckten Fassung gehen dann durch Verdichtung weitere wichtige Informationen verloren, die noch haben erahnen lassen, wie die Autoren zu ihrer Vermutung gekommen sind:
«1656 Im 1. Villmergerkrieg finden Unruhen und Gefechte auch in der Umgebung des "befestigten Ortes" Weiach statt.» (Zürcher Denkmalpflege, 16. Bericht 2001-2002. Zürich u. Egg 2005, S. 215)
Verstärkt wird der Eindruck des Lesers noch, indem Tanner (oder ihre Koautorenschaft) gleich im Anschluss ein «Vgl. 1712» setzt und in diesem weiter unten stehenden Eintrag (wo von der Einquartierung von Artillerie im 2. Villmergerkrieg die Rede ist) ausdrücklich der «befestigte Kirchhof Weiach» erwähnt wird.
Vor 1706 war aber höchstens der Pfarrhof mit einer festen Mauer umgeben, d.h. Pfarrhaus und Pfarrscheune. Die Kirche und der Friedhof befanden sich bis dahin noch im Oberdorf.
Quellen und Literatur
- Zollinger, W.: Weiach 1271-1971. Aus der Vergangenheit des Dorfes Weiach. Rückentitel "Chronik Weiach", 1. Aufl. Weiach 1972, S. 40-41.
- Denkmalpflege-Kommission des Kantons Zürich (Hrsg.): Gutachten Nr. 19-1998. Weiach, Im Bühl, Pfarrscheune und Schopf Vers.-Nr. 243 sowie militärische Befestigungsmauer. Zürich, 6. März 1999.
- Brandenberger, U.: Weiach – Aus der Geschichte eines Unterländer Dorfes. Dritte, überarbeitete Auflage von Walter Zollingers «Weiach. 1271-1971. Aus der Vergangenheit des Dorfes Weiach». Weiach 2003, S. 31.
- E.T./T.M.: Weiach, Pfarrscheune. In: Zürcher Denkmalpflege (Hrsg.), 16. Bericht 2001-2002, Zürich/Egg 2005, S. 214-217.
- Brandenberger, U.: Weiacher Pfarrhaus 1591 erbaut? Vier Gegenargumente. WeiachBlog Nr. 1464, 11. Januar 2020.
- Brandenberger, U.: Das Weiacher Pfarrhaus in der gedruckten Literatur – ein Überblick. WeiachBlog Nr. 1466, 19. Januar 2020.
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