Naivität als Lebensprinzip
Solche vor allem im linken Spektrum vorherrschende Blauäugigkeit erstaunt mich immer wieder. Braucht man doch nur Zeitungen aufzuschlagen, um jeden Tag Beispiele für eskalierende krisenhafte Entwicklungen zuhauf zu finden - direkt vor unserer Haustüre im Global Village.
Der Georgienkrieg ist lediglich die neueste Eskalationsstufe, die mit sichtbaren konventionellen Mitteln (Panzervorstösse, Luftangriffe, etc.) durchgeführt wurde. Eine weitere ist die Stationierung von US-amerikanischen Raketen in Polen. Und Monate zuvor war es die Anerkennung des Kosovo als unabhängiger Staat. Von den Hungerrevolten in verschiedenen Staaten der Welt ganz zu schweigen.
Mit dem offenen Feuer gespielt wird seit Jahren - und das, obwohl überall Pulverfässer herumstehen, die jederzeit in die Luft fliegen können. Also - wo ist der angebliche Frieden? Der Kalte Krieg war nie beendet. Man hat ihn nur mit etwas anderen Mitteln weitergeführt. Und wundert sich, dass die russische Seite jetzt wieder Altbekanntes aus dem Arsenal genommen und zum Einsatz gebracht hat.
Es ist wirklich blauäugig, zumal die Nachrichtendienste schon seit langem auf die entsprechenden Vorbereitungen hinweisen und man sich an einer Hand ausrechnen konnte, wofür die hohen Gewinne der russischen Öl- und Gasindustrie eben auch verwendet werden: zur Aufrüstung mit modernstem Kriegsmaterial. Die in Georgien aufmarschierten nagelneuen T-90 mit Reaktivpanzerung sind nicht einfach vom Himmel gefallen.
War - know it when you see it
Ein offener militärischer Schlagabtausch (wie jüngst in Georgien) ist nur ein Aspekt der Bedrohung. In unserer zunehmend komplexeren Welt ist immer häufiger das festzustellen, was die Chinesische Volksarmee «Unrestricted Warfare» nennt. Qiao Liang und Wang Xiangsui führen im gleichnamigen, bereits 1999 publizierten Werk aus: «regardless of the form the violence takes, war is war, and a change in the external appearance does not keep any war from abiding by the principles of war».
Und sie halten weiter fest: «there is nothing in the world today that cannot become a weapon, and this requires that our understanding of weapons must have an awareness that breaks through all boundaries.»
Mit anderen Worten: Angriffe auf unser Bankensystem (d'Amato, Bankgeheimnis, etc.), langsame physische Unterwanderung unseres Landes mittels fünfter Kolonnen jeglicher Art, Cyber-Attacken gegen Privatpersonen, gegen die Verwaltung und gegen Sicherheitskräfte, wie gegen Estland im Frühling 2007. Das alles gehört zu diesem Kriegsspektrum. Und diese Aktivitäten sind häufiger denn je. Denn spioniert wird jederzeit. Gerade dann, wenn angeblich Friede herrscht.
Zur Ablenkung auf die Armee eindreschen
Umso bedenklicher, wenn Zeitungen und Politiker nun seit Monaten ein scheinheiliges Gezeter inszenieren: die Schweizer Armee verlottere, sie könne ihre Aufträge nicht mehr erfüllen, die Planer im VBS hätten falsche Milchbüchleinrechnungen gemacht etc. pp. Scheinheilig ist das deshalb, weil etliche Politiker und Medienschaffende an diesem Debakel selber schuld sind.
Roger de Weck sieht es in seinem Kommentar in der heutigen SonntagsZeitung völlig richtig, wenn er einleitend schreibt: «Die Schweizer Armee wird von denjenigen kritisiert, die ihre Probleme verursacht haben.»
Fakt ist: eine unheilige Allianz von ganz links bis ganz rechts ist seit Jahren auf dem besten Weg, die Ziele der GSoA in die Tat umzusetzen: eine Schweiz, die um ein überlebenswichtiges Mittel der Sicherheitpolitik beraubt ist.
- Die Wirtschaft ist seit längerem kaum mehr bereit, sich ihr sicheres Umfeld etwas kosten zu lassen und schielt nur noch auf die Segnungen der Globalisierung.
- Die Sozialdemokraten wollen Friedenssoldaten ins Ausland schicken - nur kosten soll es bitte nichts.
- Und die SVP ist kategorisch gegen Auslandengagements jeder Art und schiesst daneben Giftpfeile auf ihren abtrünnigen Bundesrat, Verteidigungsminister Samuel Schmid.
Niemand ist also bereit, die nötigen Geldmittel und personellen Ressourcen zur Verfügung zu stellen, weil man sich nicht darauf einigen kann, wo die Bedrohung liegt (manche verneinen gar rundweg, dass es überhaupt eine gibt).
Zur Ablenkung vom Versagen der Schwatzbude im Bundeshaus werden dann Angriffe auf die Armeeführung inszeniert. Was wiederum ausländischen Mächten in die Hände arbeitet, welche seit Jahren nur ein Ziel verfolgen: die Schweiz für ihre Zwecke zu manipulieren. Das sind keine Volksvertreter, sondern Landesverräter.
Die Situation ist völlig verfahren und erinnert fatal an die Jahre vor dem Einmarsch der französischen Truppen im Jahre 1798 oder dem Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939. Eine dekadente Elite in Wirtschaft und Politik will die Zeichen der Zeit nicht sehen, setzt den nationalen Zusammenhalt und damit die nationale Sicherheit aufs Spiel und lässt es auf diese Weise zu, dass unser ganzes Land auf die schiefe Bahn gerät. Damit sind sie zwar in Europa in bester Gesellschaft, aber das sollte uns nicht daran hindern, endlich hinzugehen und das Steuer herumzureissen.
Es braucht wieder eine schlagkräftige Gesamtverteidigung
Man kann es drehen und wenden wie man will: es braucht endlich eine Koalition der nationalen Restauration, es braucht wieder eine glaubwürdige Landesverteidigung in einem umfassenden Sinne, eine Gesamtverteidigungskonzeption wie wir sie einmal hatten. Nur so können wir eine adäquate Antwort auf die Herausforderung «Unrestricted Warfare» geben.
Das funktioniert aber nicht, wenn man der Armee erst 4 Milliarden Budget zuspricht und dann ein unverändertes Aufträge-Portfolio mit immer weniger Geld umgesetzt sehen will - mittlerweile sind es bald nur noch 3 Milliarden Franken pro Jahr, Betriebskosten und Investitionen inklusive. Ehrlicherweise müsste man dann auch das Auftragsspektrum neu definieren. Dazu ist aber unser Parlament zu zersplittert.
Wie die neue Gesamtverteidigung auch immer aussieht: zum Billigtarif geht es nicht. Oder in den Worten von de Weck: «Das ist [..] kein Spar-, sondern ein teures Investitionsprogramm.» Korrekt. Mit dem Wiederaufbau der Verteidigungsfähigkeit der Schweiz muss JETZT begonnen werden. Viel Zeit haben wir nicht mehr. Nutzen wir sie.
Quellen
- Qiao Liang und Wang Xiangsui: Unrestricted Warfare (Beijing, PLA Literature and Arts Publishing House, 1999) http://www.c4i.org/unrestricted.pdf
- de Weck, R.: Hau den Sämi. Kommentar. In: SonntagsZeitung, 31. August 2008 - S. 5