Sonntag, 24. August 2008

Wenn der Steuervogt mit dem Bruttoeinkommen rechnet

Wer beim Ausfüllen seiner Steuererklärung über die Steuervögte schimpft - was bei nicht von der Sozialhilfe Abhängigen ab und zu vorkommen soll - der mag durchaus recht haben, wenn er findet, er müsse viel zu viel bezahlen.

Trotzdem geht es ihm besser als unseren Vorfahren zu Zeiten des Ancien Régime, die noch den Zehnten abliefern mussten. Warum?

Steuern zahlen ohne Abzugsmöglichkeiten

Nun: der Zehnten war auf dem Bruttoertrag geschuldet. Da konnten also keine Berufsauslagen geltend gemacht oder Vorinvestitionen und gar Verluste abgezogen werden. Von dem, was die Felder hergaben, kassierten die Trager zuhanden der Zehntenherren noch auf dem Feld 10 Prozent ein - in guten wie in schlechten Jahren. Ein Vergleich mit der Quellensteuer ist nicht ganz abwegig.

Welche fatalen Folgen diese «Besteuerung an der Quelle» für die Bauern hatte, erklärt der bekannte Klima-Historiker Christian Pfister, Professor an der Universität Bern:

«Je geringer die Erträge sind, desto schwerer fallen die für die Aussaat benötigten Mengen ins Gewicht. Für den Preis ist nicht die Bruttoernte massgebend, das, was auf dem Felde eingeerntet oder verzehntet wird, sondern das, was letztlich für den menschlichen Konsum zur Verfügung steht. Es darf nicht übersehen werden, dass ein Teil des Ernteguts für die neue Aussaat beiseite gelegt werden musste.»

Risiko für Missernten voll zu Lasten des Bauern

«Gehen wir von einem stark vereinfachten Modellfall aus: Ein Bauer hat 200 kg Saatkorn ausgesät und erntet bei einer Normalernte für jedes Korn 5 Körner ein. Seine Bruttoernte beträgt also 1000 kg. Von diesen braucht er 200 kg als Saatgetreide für die nächste Aussaat. Für den Zehnten und für den Konsum stehen also nur 800 kg zur Verfügung.

Bei einer Missernte sinkt der Ertragsfaktor auf angenommene 1:3. Die Missernte beträgt somit brutto 600 kg; gegenüber der Normalernte beträgt die Einbusse 40 Prozent. In diesem Falle fällt der Anteil des Saatgutes aber stärker ins Gewicht: Auch von der Missernte müssen nämlich unverändert 200 kg für die nächste Aussaat beiseite gelegt werden. Die Missernte ist deshalb netto 50 Prozent geringer als die Normalernte, und deshalb steigen die Getreidepreise stärker an, als es dem Verhältnis der Bruttoerträge entspricht. Zudem wurde der Zehnte vor Abzug des Saatgetreides erhoben. Er richtete sich nach dem Bruttoertrag. Der Bauer hatte den grösseren Anteil des Saatguts im Falle einer Missernte allein zu tragen, und dieser verkörperte erst noch einen höheren Marktwert.
»

Explosion der Lebensmittelpreise

Mit anderen Worten: wer sonst schon wenig hatte, der geriet in Jahren mit grossen Ernteausfällen erst recht in Not. Das wird deutlich wenn man die Folgen betrachtet, wie sie von Klaus Koniarek, einem deutschen Privatgelehrten, zusammengestellt worden sind:

«Es gibt Erhebungen darüber, wie drastisch Preiserhöhungen nach Mißernten waren: Wurde eine Ernte eingefahren, die 20% unter dem Durchschnittsertrag lag, stiegen die Preise für Nahrungsmittel etwa um 80%. War die Ernte (zum Beispiel durch Kriegs- oder Unwettereinwirkung) um 50% niedriger, stiegen die Preise um bis zu 450%.»

Das traf natürlich Handwerker genauso brutal wie Kleinbauern. Solche Aussichten wie gerade skizziert, brachten die Wohlhabenden wie den Staat in Versuchung, denn, so Pfister:

«Wer in Notjahren Getreide zu verkaufen hatte, sei es aus dem Ertrag seiner Eigenwirtschaft, sei es aus Naturalabgaben, zog daraus einen entsprechend höheren Gewinn.»

Spekulationsverbot - trotzdem riesige Vermögensumverteilung

Die Obrigkeiten versuchten daher, wenigstens den sogenannten «Fürkauf» zu verhindern. Sie verboten also die Spekulation mit Getreide, wobei auch der Einkauf direkt bei wohlhabenden Grossbauern oder Zehntenbezügern untersagt war.

Man ist versucht, die Parallele zu den aktuellen Nahrungsmittelproblemen in unserer heutigen Welt zu ziehen, wenn man bei Pfister etwas weiter unten liest:

«Jede Teuerung war mit einer massiven Umverteilung von Volksvermögen von den Getreidekäufern zu den Verkäufern verbunden. Der Ökonom Samuel Engel schätzte, dass im Kanton Bern im Falle einer Missernte 5 Prozent der Bevölkerung Getreide verkaufen konnten, 10 Prozent sich selbst versorgten und 85 Prozent ihr Brot kaufen mussten.»

Der Berner Samuel Engel lebte in der Endphase dieses ungerechten Bruttoeinkommens-Steuersystems. Pfister fand Engels Schätzung in seinem «Essai sur la manière la plus sûre d’établir un système de police des grains» aus dem Jahre 1772. Darin ging es um die «gute policey», also die gute Ordnung der Verhältnisse im Getreidehandel.

Wie wichtig diese war, ist etwa daran zu erkennen, dass auf alten Speichern Inschriften zu finden sind, die das Baujahr nicht erwähnen, dafür aber den Getreidepreis nennen.

Gäbe es den Brauch heute noch, so müsste man ein im Frühling 2008 gebautes Haus mit dem Spruch versehen: «Dies Haus ward gebaut, als der Barrel Öl 130 Dollar galt».

Quellen

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Besser als heute? Ich würde meine aktuelle Besteuerung mit x verschiedenen Steuern und sonstigen Zwangsabgaben sofort gegen eine 10%-Steuer auf meinem Bruttoeinkommen eintauschen … 

Wiachiana-Verlag hat gesagt…

Im Bezug auf die direkten Steuern schon, da ist die Gerechtigkeit dank Abzugsmöglichkeit wohl besser. Die indirekten Steuern dagegen belasten alle gleich stark, ob arm oder wohlhabend.

Für Angestellte mag die Rechnung des obigen Anonymus ja aufgehen - aber auch nur wenn sie durch die Progression in hohe Bereiche des Grenzsteuersatzes hineinkommen.

Für die Leute mit sehr kleinen Einkommen am Rande des Existenzminimums (wo zu Zeiten des Ancien Régime die Mehrzahl lebte) ist die Steuerlast heute wesentlich weniger drückend.

Die armen Kerle sind heute de facto-Kleinunternehmer im unteren Mittelstand, die ihre Berufsauslagen von ihren Arbeitgebern nicht bezahlt bekommen, sie aber auch bei den Steuern nicht abziehen dürfen, weil sie angestellt sind und daher nach OR der Arbeitgeber zu zahlen hätte.

Anonym hat gesagt…

Die effektive Steuerlast, inklusive aller indirekter Steuern und Abgaben, ist sehr schwer durchschaubar. Unter diesem Gesichtspunkt bin ich ein Befürworter einer "Flat Tax". Schliesslich wird Kostentransparenz auch in anderen Bereichen verlangt, oder?

Wiachiana-Verlag hat gesagt…

Es wäre schon nicht schlecht wenn die Steuererklärung auf einem Bierdeckel Platz hätte. Die Frage ist nur: wie gleicht man Ungerechtigkeiten aus? Dieser Ausgleich müsste über einen anderen Mechanismus erfolgen. Sonst werden die Verlierer in diesem Prozess zur Gefahr für den sozialen Frieden im Land.