Samstag, 6. März 2010

Der letzte stationierte Kantonspolizist

Zwischen 1911 und 1985 war in Weiach ein Polizeisoldat stationiert. 1985 wurde der Posten Weiach geschlossen und nach Stadel verlegt.

Das nachfolgende Interview mit René Rüegg, dem letzten in Weiach stationierten Kantonspolizisten, wurde von Regula Brandenberger im Februar 1984 geführt und in den Mitteilungen für die Gemeinde Weiach vom März 1984 in der Reihe «Unter uns...» abgedruckt.

«René Rüegg
Kantonspolizist, Weiach


R.B. - Herr Rüegg, Sie sind der Amtsnachfolger von Herrn Schuhmacher. Seit wann sind Sie nun in Weiach?

R.R. - Am 1. April 1984 sind es vier Jahre; ich habe also bereits die Hälfte meiner Stationszeit erreicht.

R.B. - Sie sind Kantonspolizist, also vom Kanton angestellt; Staatsbeamter wie Pfarrer und Lehrer. Wie heisst aber Ihre genaue Gradbezeichnung?

R.R. - Ich bin stationierter Kantonspolizist im Rang eines Detektiv-Korporals; ich gehöre also zur Gattung der nichtuniformierten Polizeibeamten.

R.B. - Was gehört geografisch alles zu Ihrem Einzugsgebiet oder Betreuungsbereich?

R.R. - Das Gebiet umfasst die Gemeinden Bachs, Neerach, Stadel und Weiach mit ca. 4000 Einwohnern. Meine Aufgaben sind in erster Linie kriminalpolizeilicher Art, in zweiter Linie gemeindepolizeilicher Art. Der Standort des Postens ist für das Einzugsgebiet an sich etwas unglücklich; regionale Ueberlegungen waren aber bei der Standortwahl ausschlaggebend: Weiach hat, bis weit hinauf in andern Bezirken, den einzigen Posten direkt an der Grenze.

R.B. - Wie steht es mit Ihrem Lohn? Und mit dem Haus, das Sie bewohnen?

R.R. - Den Lohn erhalte ich vom Kanton, dazu von den Gemeinden Entschädigungen für die Nebenaufgaben. - Das Haus mit Dienstwohnung und Posten gehört der Kant. Liegenschaftenverwaltung; wir bezahlen aber Mietzins, so selbstverständlich wie andere auch.

R.B. - Welche Ausbildung, welche Voraussetzungen braucht es, um Polizeibeamter zu werden?

R.R. - Voraussetzungen, um zu einer Aufnahmeprüfung zugelassen zu werden sind:
  • Schweizerbürger, im Alter zwischen 20 und 30 Jahre
  • abgeschlossene Berufslehre
  • bestandene Militärrekrutenschule
  • guter Leumund
  • charakterliche und körperliche Voraussetzungen
Das Polizeikommando behält sich aber nach der Prüfung die endgültige Auswahl vor. - Ich selbst absolvierte die Polizeirekrutenschule nach abgeschlossenem eidg. Diplom als Förster; dann folgten zwei Jahre Bereitschaftsdienst, anschliessend drei weitere Jahre als Sekretär bei einem Untersuchungrichter.

Von dort weg standen zwei Wege offen: als uniformierter Verkehrspolizist, oder als Kriminalbeamter. Ich habe letzteres vorgezogen.

>R.B. - Wie wird denn ein solcher Posten besetzt? Werden Sie einfach abgeordnet, oder haben Sie auch etwas dazu zu sagen?

R.R. - Man kann sich bewerben um freie Stellen, die im internen Mitteilungsblatt ausgeschrieben sind; das Polizeikommando (Personaldienst) prüft die Bewerbungen und entscheidet gemäss Qualifikationen.

R.B. - Wie steht es mit Ihren Dienstzeiten?

R.R. - Ich bin gleichzeitig in zwei Organisationen eingeteilt:
a) Vorrangig: bezirksinterne, feste Dienstliste,
b) nach Bedarf: kantonale, sicherheitspolizeiliche Dienstliste.
Bei kantonalen Problemen (Katastrophen, Demonstrationen, Be- und Ueberwachungsaufgaben) gehen die Aufgebote des Polizeikommandos vor, sofern die Bereitschaft im Bezirk gewährleistet ist.

Zu a) (bezirksinterne Dienstliste) ein Beispiel:
Mo, Di: normaler Bürodienst: 07.30-12.00, 14.00 - 18.00
Mi: Frühdienst 04.00 - 12.00
Do, Fr: normaler Bürodienst: 07.30-12.00, 14.00 - 18.00
Sa/So: Tag u. Nachtdienst 06.00 durchgehend - 06.00
davon nachts mind. 4 h auf Patrouille. Dazwischen kann man ev. schlafen, wenn nichts los ist...
So/Mo: Pikettdienst 06.00 - 06.00
In der anschl. Woche dann zwei Freitage. Pro Monat in der Regel ein Dienstwochenende.

R.B. - Es kommt vor, dass während Ihrer "normalen" Bürozeit ein Anruf umgeleitet wird nach Zürich. Weshalb?

R.R. - Da ich Einzelstationierter bin, muss je nach den eingehenden Meldungen ich natürlich ausrücken. Für dringende Fälle bin ich aber immer über Tel. 117, und von dort via Funk erreichbar.

R.B. - Das wären sozusagen Ihre "normalen" Arbeitsgebiete, Aufgabenkreise. Dazu kommen noch vielfältige Sonderaufgaben, beispielsweise im Zusammenhang mit der Seuchenpolizei: Thema Tollwut.

R.R. - Im Rahmen der grossangelegten Tollwut-Impfaktion (präparierte Hühnerköpfe für die Füchse) benötigte man viele tollwutgeimpfte Personen; von den 16 Polizisten im Bezirk war ich der einzige, der geimpft war und somit eingezogen wurde.

R.B. - Wie steht es mit Beförderungen? Mit Weiterbildungsmöglichkeiten?

R.R. - Beförderungen: Sie erfolgen nach einem genauen Schema. Ausschlaggebend ist das Dienstalter, wobei man innert einer Anzahl Jahren befördert werden kann. Bei guter Qualifikation wird man in den ersten Jahren befördert, bei schlechten Leistungen erst gegen Ende der Laufzeit.

Aufstiegsmöglichkeiten bestehen, wenn man sich (zur nötigen Diensterfahrung) noch in internen und öffentlichen Kursen das zusätzliche Wissen aneignet. Für Einzelstationierte auf Aussenposten ist dies aber sozusagen unmöglich, da die Dienstzeiten unweigerlich kollidieren müssen mit landläufigen Kurszeiten.

R.B. - In Gesprächen geschieht es ab und zu, dass Grenzwache, Zoll, Militär und Polizei in einem Atemzug genannt werden. Besteht hier ein Zusammenhang?

R.R. - Nein, ein direkter Zusammenhang besteht nicht. Alle Zoll- und Grenzbeamten sind Angestellte des Bundes; sie werden auch vom Bund ausgebildet. Gegenseitig wird nur Amts- und Rechtshilfe geleistet. Zudem: 10% der Mannschaft im Auszug muss für die HePo
[Heerespolizei] zur Verfügung stehen.

R.B. - Wie steht es mit Ihrer Freizeit, mit den Ferien?

R.R. - Da der Wohnort zugleich der Arbeitsort ist, bin ich eigentlich immer erreichbar; auch meine Frau muss oft zur Verfügung stehen als Bindeglied zwischen der Bevölkerung, dem einzelnen Bürger und mir: Auf Aussenposten bleibt also für die Freizeit viel weniger Spielraum als in der Stadt. Wir haben unsere 4 Wochen Ferien, dazu einige Ruhetage als Kompensation für Ueberzeit. Umd die freien Tage richtig geniessen zu können, fahren wir deshalb vielfach weg.

R.B. - Dass die Grenzen in Bezug auf abendliche Freizeitgestaltung relativ eng gesetzt sind, ist aus den bisherigen Antworten klar ersichtlich. Wie steht es denn mit der Uebernahme von zusätzlichen Aemtern, von Behördentätigkeit?

R.R. - Sofern es den Dienstbetrieb nicht berührt, wird es begrüsst und gestattet, ist aber von einer Bewilligung abhängig. Auch wenn die Ehefrau sich einem Nebenverdienst widmen will, braucht sie dazu eine Bewilligung vom Polizeikommando.

R.B. - Von Amtes wegen sind Sie gezwungen, sich ständig mit Negativem zu befassen. Ist das nicht sehr belastend?

R.R. - Sicher! Aber das gehört eben zum Beruf, zu unseren Pflichten. Das macht aber auch die Arbeit spannend und interessant, diese ständige Ungewissheit dessen, was auf uns zukommt.

R.B. - Es scheint, dass bei Ihrem Beruf die negativen Seiten überwiegen und ein nicht sonderlich attraktives Bild hinterlassen:
- strenge, straffe, militärische Organisation
- wenig, und "schwierige" Freizeit
- ständige Beschäftigung mit Negativem
- Stationswechselzwang: Problem des Verwurzelns
Was zählt denn noch zu den positiven Seiten?

R.R. - Erstens, wie schon erwähnt: keine Gefahr der Routine, das ständige Leben in Ungewissheit. Dazu (allerdings selbstverständlich im Rahmen der Gesetze und Dienstvorschriften) die relativ selbständige Arbeit, der persönliche Ermessensspielraum. Zweitens ergeben sich oft aus primär negativen Vorfällen später positive Beziehungen.

R.B. - Nun noch eine Frage an Ihre Frau! Was empfinden Sie, Frau Rüegg, als besonders belastend am Beruf Ihres Mannes?

A.R. - Sicher einmal die lange Dienstzeit; anstatt 44 Std / Woche können daraus ohne weiteres 60-70 Std werden! Unter Umständen kann zur Belastung werden, dass der Posten in der eigenen Wohnung ist. Ferner sind Stress-Situationen wie die Zürcher Demonstrationen auch für die Familie ein Stress (-- 8 Wochenenden hintereinander!) Die grösste Belastung, aber auch die wichtigste Aufgabe für die Polizisten-Ehefrau ist der gelobte Amtseid, die Schweigepflicht des Gatten: er darf nichts sagen, muss sozusagen alles selber verarbeiten und sie soll ihm dabei helfen, ihn unterstützen.

R.B. - Herr Rüegg, welches Ziel sehen Sie für sich in der nächsten Zukunft?

R.R. - Meinen Beruf nach bestem Wissen und Gewissen zu erfüllen, weiterhin einen guten Kontakt zu pflegen mit der Bevölkerung und in der Dorfgemeinschaft mitzumachen, soweit es der Dienst erlaubt.

Anschliessend noch einige Auszüge aus der Statistik 1981:
Verhaftungen 25
Anzeigen gegen Leib u. Leben 2
Anzeigen gegen das Vermögen 86
Meldungen für Verwaltungen 188
Verzeigungen 134
Leumunds-/Führungsberichte 60
Verwaltungs/Gerichtspol. Aufträge 285
Nachtdienste 43
Verkehrsunfälle 43

Weiach, 21. Februar 1984
R. Brandenberger
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Quelle

  • Brandenberger, R.: Unter uns... René Rüegg, Kantonspolizist, Weiach. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, März 1984 – S. 28-31.

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