Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Wer je als Soldat Dienst bei der Schweizer Armee (oder irgendeiner Armee!) geleistet hat, der kennt das: Da muss man immer wieder Wache schieben. Und das ist sterbenslangweilig. Trotzdem darf man nicht tagträumen oder gar einschlafen. Denn man ist ja gerade deshalb auf Posten, damit die eigenen Leute nicht plötzlich überrumpelt werden.
In den ersten Wochen des Zweiten Weltkriegs (gezählt ab dem Beginn des Polenfeldzugs am 1. September 1939) war nicht nur das Wacheschieben eintönig. Auch der sonstige Alltag stand dem in nichts nach: Stellungen ausbauen, Exerzieren, Schiessübungen. Und Wachtdienst. Tag für Tag. Das war's.
Kreativität im Militär-Alltag
In einer solchen Umgebung wird auch das Einfangen einer ausgebüxten Sau Mitte Oktober 1939 zum Ereignis, das photographisch und dichterisch (vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 96, S. 370, s. Quellen unten) Eingang ins Tagebuch finden kann. Dieses musste der Kommandant ohnehin führen. Befehl von oben.
Auf den Seiten, die den Tagesablauf der Woche vor diesem Söili-Jagd-Eintrag dokumentieren, findet sich in demselben Band beim 8. Oktober auch die nachfolgende Illustration:
Man sieht eine Bleistiftzeichnung, auf den weissen Stellen einer herausgerissenen Zeitschriftenseite platziert. Rechts zwei Armeeoffiziere (ein Hauptmann und ein bebrillter Oberleutnant) mit Angelruten. Folgt man den Ruten nach links und dann nach unten, sieht man auch die (erhofften) Fische im Wasser schwimmen.
Frische Fische wären toll
Darunter mit Tinte der Text: «Bekannte Sportsfischer suchen sich im Rhein ein LINSEN-GERICHT.»
Ein Insider-Witz. Die Linsen sind eine Anspielung auf den Namen des porträtierten Häuptlings: «Kompaniekommandant war laut dem Offiziersetat des Bataillons Hauptmann Cäsar Linsi aus Meilen, Kant. Fischereiaufseher, geb. 1894» (WG(n) 96, S. 371)
Auf den letzten Seiten dieses 2. Bandes des Kompanietagebuchs I/269 sind zwei Blätter eingeklebt, auf denen – im militärischen Stil formuliert – die Prosa zu obigem Kunstwerk zu finden ist:
«Wachtrapport
1515 Passieren zwei Sportfischer den Kaibengraben. Der guten Ausrüstung nach handelt es sich um gute Berufsfischer.
1600 Rapportiert Fischereiaufseher Füs. Kunz der die beiden bei der Tätigkeit beobachtete, daß er aus dieser Fischerei nicht klug werde. Die ganze Wachtmannschaft wartete vergeblich auf die Rückkehr der Beute-beladenen Fischer.
1745 Begnügte sich die Wache schliesslich doch mit Kaffee u. Kartoffeln.
1900 Rapportierte die einfache Schildwache, daß sich die beiden Fischer leer in weitem Bogen um das Wachtlokal Richtung "Sternen" Weiach verzogen haben.
1940 Meldet die patr. Schildwache starke Scheinwerfertätigkeit deutscherseits auf das Schweizerufer. Offensichtlich wurden die beiden Sportfischer gesucht, die sich aber vorher in Sicherheit brachten.
Kaibengraben, den 8. Okt. 39
Die Rheinwache.»
Der Kaibengraben (auf heutigen Karten: Stubengraben) ist der trockengefallene östliche Arm des vor Jahrtausenden in drei Armen nach Norden zum Rhein abfallenden Dorfbachs (westlicher Arm: Griesgraben; mittlerer Arm: Sädelgraben). Dort mussten die Soldaten eine Stellung samt Unterkunftsbaracke bauen. Und von dort aus dürften auch die Patrouillen dem Rhein entlang ausgegangen sein.
Scheinwerfer drauf!
Der launige Rapport dokumentiert, dass sich die Wacheschiebenden doch etwas mehr Jagdglück von ihren Vorgesetzten erhofft hätten. So aber gab es nur Herdöpfel zum Znacht. Ohne Fisch. Er wäre eine willkommene Zugabe gewesen, an diesem zweiten Oktobersonntag.
Dass der Gasthof zum Sternen genannt wird, hat natürlich auch eine versteckte Spitze. Denn was die beiden Offiziere dort wohl verspiesen haben (Fische hatten sie ja offenbar keine gefangen), das muss man zwischen den Zeilen herauslesen.
Ob beim Einnachten tatsächlich deutsche Scheinwerfer das helvetische Ufer abgesucht haben und das gar noch auf der Suche nach zwei (wohl vom Ufer aus) fischenden Schweizer Offizieren? Das ist womöglich reines «Wachtmannsgarn». Aber jänu. Satire wider den tierischen Ernst muss erlaubt sein. Gerade in solch ernsten Zeiten.
Herkunft des Zeichenpapiers
Bleibt noch die Frage, wo der zwangsweise uniformierte Illustrator das Papier herausgerissen hat. Aufgrund des Stils der Zeichnung in der Mitte lag die Vermutung nahe, es handle sich um die schweizerische Satire-Zeitschrift par excellence, den ab 1875 herausgegebenen Nebelspalter.
Retrodigitalisierung sei Dank ist die Probe aufs Exempel leicht vom heimischen Computer aus zu erledigen, ganz ohne Archiv- oder Bibliotheksbesuch und stundenlanges Blättern. Dafür sorgt e-periodica.ch. Mit der Einschränkung auf den obgenannten Titel sowie den drei Suchbegriffen «Steuern», «Bank» und «Klassiker» (entnommen dem eingeklebten Ausriss) erhält man vier Resultate. Et voilà, darunter ein Volltreffer: Nebelspalter 1937, Heft 23, S. 22. Fazit: Herausgerissen und wiederverwendet wurde das Blatt mit den Seiten 21 (links) und 22 (rechts).
Die Illustration trägt den Titel «Erinnerung an eine Bank». Dynamisch, mit abplatzendem Knopf an der Hosenträgerbefestigung rechts vorne. Dem wutentbrannt per Axt zur Zerstörung einer Sitzbank ausholenden Herrn wird das folgende Zitat in den Mund gelegt: «Das erinneret mich au gar immer a mis verlore Gäld!». Eine Reminiszenz an die wirtschaftlich schwierigen Zeiten, mit Bankzusammenbrüchen zwischen 1929 und 1937, samt Frankenabwertung 1936.
Quellen und Literatur
- Der Nebelspalter, Heft 23, 1937 – S. 21-22.
- Kommandanten-Tagebuch der Grenzfüsilierkompanie I/269 (Signatur: CH-BAR E5790#1000/948#1871*), Bd. 2.
- Brandenberger, U.: «E luschtigi Söili-Jagd». Aus dem Tagebuch der Gz. Füs. Kp. I/269 zu Beginn des 2. Weltkriegs. Weiacher Geschichte(n) Nr. 96. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, November 2007 – S. 12-16.
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