Unter der Signatur StAZH III Pz Weiach findet man auf dem Milchbuck eine Sammlung von Zeitschriften- und Zeitungsartikeln. Zusammengetragen wurde sie ab 1960 vom Stadtarchiv Zürich (!) und ab 1990 weitergeführt durch das Staatsarchiv des Kantons Zürich.
Als Nr. 34 von 69 Ausschnitten liegt in der betreffenden Archivschachtel ein Artikel mit dem Titel Baumgard(t)ner «Made in USA», erschienen am 9. Juli 1984 im Neuen Bülacher Tagblatt (NBT).
Zwar mit einigen Tagen Verspätung auf den 40. Jahrestag, aber als kleine Dienstleistung für den Twitterer Tim Baumgardner (X: @timmyb72) wird hier der Volltext (kursive Schrift) online gestellt. Eingeschobene Kommentare und Zwischentitel durch WeiachBlog.
«WM. Eine aussergewöhnliche amerikanische Reisegruppe machte am vergangenen Samstag nachmittag [d.h. am 7. Juli 1984] einen kurzen Halt in Weiach; der überwiegende Teil der Reiseteilnehmer hört auf den Namen Baumgardner und stammt von Schweizer Emigranten des 17. Jahrhunderts ab.»
[Der Stammvater dieser Baumgardner wurde zwar tatsächlich schon 1695 geboren, ist aber erst im 18. Jahrhundert ausgewandert, wie man gleich sehen wird. Er ist auch der Ahne von Randy Wilson, der anfangs Mai letzten Jahres Weiach besucht hat, vgl. WeiachBlog Nr. 1928.]
Baumgardner Reunions wenig älter als Albert-Meierhofer-Erinnerungsschiessen
«Diese Baumgardners treffen sich seit 1966 alle zwei Jahre zu einer sogenannten «Baumgardner Reunion». Das diesjährige Treffen führte sie nun zurück in ihr eigentliches Ursprungsland, in die Schweiz.»
[Zum 1. AME im April 1969; vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 65.]
«Ueber das Zürcher Staatsarchiv hatte der Initiant dieser Reise, Mario F. Baumgartner [sic!, recte: Marion F. Baumgardner, s. unten], seines Zeichens Agronomie-Professor an der Universität von West Lafayette, Indiana, Kontakt gefunden zum Historiker Dr. Andreas Blocher, welcher mit einer Dissertation über die Emigration doktoriert hatte.»
[Es handelt sich um einen jüngeren Bruder des SVP-Übervaters Dr. Christoph Blocher. Vgl. Blocher, A.: Die Eigenart der Zürcher Auswanderer nach Amerika 1734-1744. Atlantis-Verlag, Zürich/Freiburg i. Br. 1976. (Teildruck der Dissertation).]
«Dr. Blocher liess es sich nicht nehmen, den amerikanischen Gästen einen interessanten Abriss über ihre historische Herkunft zu geben, welche denn auch bald verständlich machte, warum Weiach auf dem Besuchsprogramm der Baumgardners stand.»
Erste Ehe des Stammvaters und Auswanderungsgründe
«Am 17. Februar 1722 traute der bekannte Pfarrer Johann Rudolf Wolf in der Kirche zu Weiach das Hochzeitspaar Heinrich Baumgartner und Margaretha Bersinger.»
[Vgl. für den Trauakt: StAZH E III 136.1, EDB 642. Bekannt ist Pfr. Wolf, Dekan des Eglisauer Kapitels, eigentlich nur den in der Zürcher Kirchengeschichte und der Weiacher Lokalhistorie Bewanderten. Er ist der Pfarrer mit der längsten Amtszeit in Weiach und der einzige, dessen Epitaph in der Kirchenmauer eingelassen ist (die anderen Gedenksteine sind in der Friedhofmauer zwischen Kirche und Pfarrscheune platziert).]
«Gut zwanzig Jahre später verliessen Heinrich und Margaretha, zusammen mit ihren Töchtern Barbara und Kleophea sowie der Schwester Heinrichs, Barbara, das heimatliche Wyach, um in der Neuen Welt ihr Glück zu versuchen.»
[Zur Frage der Familienzugehörigkeit von Barbara (19) und Cleophea (16) vgl. die Anmerkung in WeiachBlog Nr. 1928.]
«In jener Zeit war die Auswanderung an der Tagesordnung; so verlor Weiach zwischen 1734 und 1744 36 Bürger durch Emigration.»
[Genauer gesagt: allein durch Emigration nach Nordamerika, denn diese staatlicherseits unerwünschte Abwanderung mussten die Pfarrer minutiös nach Zürich melden. Weitere Emigrationsbewegungen sind da noch nicht eingerechnet.]
«Für die meisten der Auswanderer gaben wirtschaftliche Gründe den Ausschlag für diesen schwerwiegenden Entscheid; die weitverbreitete Armut liess nur wenig Hoffnung zu, in der Heimat ein rechtes Auskommen zu finden. Heinrich Baumgartner dagegen, Sohn des Hans Heinrich und der Anna Baumgartner, hätte als alleinüberlebender Erbe auf dem eigenen Bauernhof ein rechtes Leben führen können. So muss man annehmen, dass ihn Abenteuerlust und Eigeninitiative zum Aufbruch in die englischen Kolonien ennet des Ozeans trieben.»
[Ob die wirtschaftliche Situation der Auswandererfamilie tatsächlich so gut war, wie hier dargestellt, kann der Autor dieser Zeilen zurzeit nicht beurteilen. Dass ausgangs des 17. Jahrhunderts aber tatsächlich viele Menschen im Zürcher Gebiet bittere Not litten, ist erwiesen, vgl. WeiachBlog Nr. 2080. – – Heinrich Baumgartner, dessen Vater Ehegaumer gewesen war, also eine Vertrauensstellung als Teil des Stillstandes (Kirchenpflege) innegehabt hatte, musste warten, bis keine Vorfahren und weitere Angehörige mehr zu versorgen waren, die bei seiner Auswanderung hätten der Allgemeinheit zur Last fallen können. Erst nach dem Tod beider Eltern konnte er die Ausreisebewilligung beantragen.]
Zweite Ehe in Pennsylvanien
«Am 30. August 1743 trug sich Heinrich Baumgartner in das Einwanderungsbuch im Hafen von Philadelphia ein. Vermutlich verlor Margaretha auf der zehn- bis zwölfwöchigen, mühsamen Ueberfahrt ihr Leben, ist doch kaum anzunehmen, dass die 49jährige Frau in diesem Alter noch einem Knaben das Leben geschenkt haben könnte. So kann davon ausgegangen werden, dass Heinrich Baumgartner ein zweites Mal heiratete, und dass dieser Ehe ein männlicher Nachfolger entspross, welcher die Dynastie der Baumgardners begründete.»
[Genealogische Forschungen haben diese Vermutung mittlerweile bestätigt. Heinrich heiratete in Pennsylvanien (damals noch britisches Kolonial-Gebiet) die 30 Jahre jüngere Maria Balzer und hatte mit ihr 9 Kinder, von denen 8 bis ins Erwachsenenalter überlebten, vgl. WeiachBlog Nr. 1928.]
«In der damaligen Zeit war der Tod – wie Dr. Andreas Blocher eindrücklich schilderte, kein seltener Gast. Die Lebenserwartung betrug ganze 37 Jahre; während dieser Zeit schlug der Tod durchschnittlich neun Mal in der eigenen Familie zu: Mutter, Vater, Geschwister. Auch Heinrich Baumgartner blieb davon nicht verschont: Vier seiner neun Geschwister starben nach wenigen Tagen oder Wochen an den damals weitverbreiteten, seuchenartigen Kinderkrankheiten dahin.
Nicht nur den amerikanischen Gästen machte dieser Abstecher in die eigene Geschichte grossen Eindruck; auch die ortsansässigen Baumgartner erfuhren durch Dr. Blocher viele interessante und unbekannte Details ihrer Herkunft.»
Mit Gesten und Zeichen verständigt
«Natürlich durfte ein gebührender Umtrunk im stillen Weiacher Oberdorf nicht fehlen. Das ungewohnte, breite Englisch fand bald eine Verständigungsbrücke zum heimischen Dialekt, Gesten und Zeichen ersetzten die fehlenden Sprachkenntnisse. Hunger und Durst wurden nach echt schweizerischer Art gestillt, wenngleich mancher Gast seinen grillierten Servelat kurzerhand wie einen Hot-Dog verspeiste: Bürli auf, Wurst hinein. Kleine Erinnerungsgeschenke wurden ausgetauscht, manche Adresse wurde in der Agenda notiert. Marion F. Baumgardner lud die Weiacher Namensvettern herzlich ein, an der Reunion im Jahr 1986 doch in corporé teilzunehmen. Amerika liegt ja, im Vergleich zu 1743, dank moderner Transportmittel so nahe ...
Viel zu schnell hiess es, voneinander Abschied zu nehmen. Für einen kurzen Moment verwandelte sich das Weiacher Oberdorf zu einem «american village», schmetterten doch die Baumgardners aus vollster Kehle einen typisch amerikanischen Song in den strahlend-blauen Nachmittagshimmel. Mit «Vo Luzern gäge Weggis zue» blieben die Baumgartner die Antwort aber nicht schuldig. Dass die Festwirtschaft im Oberdorf dann noch für einige Stunden auch ohne amerikanische Gäste auf Hochtouren lief, sei nur am Rande vermerkt.»
Quellen und Literatur
- WM: Baumgard(t)ner «Made in USA». In: Neues Bülacher Tagblatt, 9. Juli 1984.
- Brandenberger, U.: In memoriam «Tante Ruth». WeiachBlog Nr. 140, 24. März 2006.
- Brandenberger, U.: Neunte Generation. Ein Kurzbesuch in der Heimat des Vorfahren. WeiachBlog Nr. 1928, 28. Mai 2023.
- Brandenberger, U.: Hungersnot und leere Gemeindekasse: Strassenbettel erlaubt! WeiachBlog Nr. 2080, 13. April 2024.
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