Montag, 15. März 2021

Regionales Schulabkommen: Kostendeckungsgrad nur 85%

Am Dienstag geht es in einer ausserordentlichen Schulgemeindeversammlung um die Frage, ob der Schulanschlussvertrag zwischen Weiach auf der einen sowie Kaiserstuhl und Fisibach auf der anderen Seite gekündigt oder beibehalten werden soll. In diesem Zusammenhang schwirrt das Kürzel «RSA» für «Regionales Schulabkommen» herum. Eine kleine Orientierungshilfe.

1. Es geht auch ohne Abkommen

Man muss unterscheiden zwischen den Verträgen und den Abkommen. Von letzteren gibt es in der Schweiz mehrere. Dem Abkommen der Nordwestschweizer Erziehungsdirektorenkonferenz RSA NW EDK (um dessen Fassung 2009 es im Folgenden geht) haben sich die Kantone Aargau, Basel-Landschaft, Basel-Stadt, Bern, Freiburg, Luzern, Solothurn, Wallis, Jura und Zürich angeschlossen (wobei Zürich nicht zur NW EDK gehört, sondern zur Ostschweizer Konferenz).

Dieses Abkommen für sich (ohne ergänzende Verträge) ermöglicht individuelle Lösungen, so zum Beispiel den Besuch eines weiterführenden Bildungsangebots in einem anderen Kanton durch einen einzelnen Schüler. Wenn der Wohnsitzkanton und der Standortkanton der Bildungseinrichtung diese Möglichkeit vorsehen, dann ist sie im Fall des RSA NW EDK im Anhang II zum Abkommen ersichtlich und wird auf Gesuch des betreffenden Schülers hin bewilligt.

Grundsätzlich kann eine Schulgemeinde mit einer Nachbargemeinde ennet der Kantonsgrenze auch ohne Abkommen zwischen ihren Kantonen eine Vereinbarung abschliessen, also ganz ohne RSA. Ein Beispiel für eine solche Lösung: die Gemeinden Erlinsbach SO und Erlinsbach AG in der Nähe von Aarau. Sie führen gemeinsam die Schule Erzbachtal und haben dafür einen Gemeindeverband mit eigener Rechtspersönlichkeit gegründet (vgl. dessen Satzungen).

Dass so etwas möglich ist, wird auch in der Aargauer Zeitung vom 5. Oktober 2013 explizit festgehalten:

«Gemäss Irène Richner vom kantonalen Departement Bildung, Kultur und Sport ist eine interkantonale Zusammenarbeit möglich. Diese kann von der einfachen Zuweisung von Schülern bis hin zur Bildung einer Kreisschule reichen. «Die Gemeinden könnten grundsätzlich selbstständig Schüler in ausserkantonale Schulen schicken – dann haben sie das Schulgeld jedoch selber zu bezahlen», so Richner. Weil die Kantone Aargau und Zürich jedoch dem Regionalen Schulabkommen RSA beigetreten sind, besteht die Möglichkeit, kantonsübergreifend von einzelnen Schulangeboten Gebrauch zu machen. Der Kanton übernimmt dann einen Teil der Kosten.» (Rohner 2013)

2. Die Regeln sind nicht in Stein gemeisselt

Für Fisibach und Kaiserstuhl wurden 2015 drei Verträge abgeschlossen, einer mit der Primarschulgemeinde Weiach, einer mit der Oberstufenschulgemeinde Stadel und einer mit der Kantonsschule Zürcher Unterland in Bülach. 

In diesem Fall nehmen die Verträge das Abkommen als Grundlage. Sie regeln das, was im RSA nicht enthalten ist bzw. sein kann. Oder sie ändern dort festgelegte Vorgaben ab. 

Wir halten fest: 1. Der Kanton übernimmt nur einen Teil der Vollkosten. 2. Abweichungen von den Vorgaben des RSA sind möglich.

Wenn also (wie das in der Diskussion der Situation, um die es am Dienstagabend geht) der Eindruck vermittelt wird, das Abkommen sei unabänderlich und es gebe keinen Handlungsspielraum, dann wird den Stimmberechtigten nicht reiner Wein eingeschenkt. Alles eine Frage des Willens.

3. Vollkosten-Erstattung kann vereinbart werden

Das RSA NW EDK regelt in einem Anhang I, der alle drei Jahre neu ausgehandelt wird, Standardentschädigungen pro Schülerin/Schüler für die gängigsten Kategorien von Ausbildungsgängen.

Vom 1.8.2015 bis 31.7.2017 lag der Kantonsbeitrag für Kindergärtner noch bei 8500 CHF, für Primarschüler bei 12000 CHF. In der Folgeperiode (1.8.2017-31.7.2019) wurden 9700 CHF für Kindergartenschüler und 13500 CHF für Primarschüler festgelegt. Aktuell liegen die Beiträge bis Mitte 2021 auf folgenden Niveaux: 

Wie oben erwähnt: dieser Betrag deckt nicht die Vollkosten ab! Gemäss Michael Gerber, Mitglied der Kommission Regionales Schulabkommen NW EDK für den Kanton Basel-Landschaft, liegt der Deckungsgrad bei rund 85%. 

Diese Zahl findet man auch im «Staatsvertrag Dornach Arlesheim» (offizieller Titel vgl. Quellen unten). Im Paragraphen über den Kantonsbeitrag heisst es:

«In Abweichung des ordentlichen Tarifs gemäss Anhang I zum RSA 2009 leistet der Kanton Solothurn dem Kanton Basel-Landschaft pro Schülerin oder Schüler pro Schulsemester einen Kantonsbeitrag in der Höhe der durchschnittlichen Vollkosten. Der jeweils geltende RSA Tarif entspricht 85 % der Vollkosten.» (SO 413.414, §2 Abs. 1, Stand: 1.8.2016)

Wir halten fest: Wenn diese Regelung zwischen den Kantonen Solothurn und Basel-Landschaft den Sinn und Geist des RSA NW EDK nicht verletzt, dann muss es auch möglich sein, eine solche Abmachung zwischen den Kantonen Aargau und Zürich einzuführen. Und zwar dergestalt, dass die Steuerzahler von Kaiserstuhl und Fisibach einen erhöhten Beitrag mitfinanzieren müssen, der 100% der Weiacher Vollkosten entspricht!

Eine solche Erhöhung im Vergleich zu den Kantonsbeiträgen nach RSA 2009 ist im Fall von Weiach umso eher gerechtfertigt, als die Anzahl der zu übernehmenden Schüler weit über das Mass hinausgeht, wofür die auf dem RSA NW EDK basierenden Entschädigungsansätze berechnet wurden. Auch hier: eine Frage des Willens.

4. Weiach subventioniert jedes Aargauer Kind mit 2200 Franken pro Jahr

Rechnen wir das einmal durch. Und zwar unter der Annahme, dass die Schülerzahlen von Fisibach und Kaiserstuhl gleichverteilt seien auf zwei Kindergarten- und sechs Primarschuljahrgänge, was dem Primarschulanteil eine Gewichtung von 75% gibt:

Kantonsbeitrag AG 2019/21


    

Kindergarten pro Kind und Jahr

10'100

25%

2'525

  

Primarstufe pro Schüler und Jahr

13'600

75%

10'200

  
   

12'725

  


Bei x Schülern

 

x=80

1'018'000

  
      

Bei Kostendeckungsgrad  gem SO 413.414 von

85%

  
      

Angemessene Entschädigung

1'197'647

  
      

Verlust pro Jahr

 

179'647

 


Verlust pro Kind u. Jahr

/80

2'191

  

Legt man einen Kostendeckungsgrad von 85% zugrunde, sind es also pro Kind aus Kaiserstuhl und Fisibach mindestens 2200 Franken, die die Weiacher Steuerzahler Jahr für Jahr subventionieren.

Mit den RSA-Ansätzen 2019/21 gerechnet ergibt dies innert 5 Jahren (unter der Annahme gleichbleibender Schülerzahlen) einen Verlust von rund CHF 900'000! 

Der durch die vielen Schüler aus dem Aargau (aktuell 50 % plus, verglichen mit der  Schülerzahl aus Weiach) ausgelöste Mehrbedarf an Schulräumen wird hier noch gar nicht berücksichtigt. Ob es sich tatsächlich nur um 10 Prozent handelt, wie die Schulpflege im Beleuchtenden Bericht behauptet, auch das darf bezweifelt werden.

Dass bauliche Mehrkosten und/oder mangelnde bauliche Entwicklungsmöglichkeiten auch bei einem Deckungsgrad von 100% nach den RSA-Ansätzen zur einer Vertragskündigung führen können, zeigt sich gerade am Beispiel vor den Toren der Stadt Basel. Die Baselbieter Schülerzahlen im Raum Arlesheim wachsen,weshalb der Kanton den Solothurnern signalisiert hat, sie müssten nun eine eigene Lösung finden (vgl. BZ vom 8. April 2019).

5. Es werden keine Freundschaften auseinandergerissen

Von den Initiativgegnern wird ja wortreich beklagt, dass durch eine Kündigung der Verträge Freundschaften (zwischen Kindern) auseinandergerissen würden. Das trifft nicht zu, wie man dem Text des RSA entnehmen kann:

«Auszubildende, die in eine ausserkantonale Schule aufgenommen werden, dürfen wegen Kündigung des RSA nicht von der Schule gewiesen werden; der zahlungspflichtige Kanton hat den Kantonsbeitrag bis zum Ende der ordentlichen Ausbildung weiter zu leisten»(RSA 2000 - Art. 20).

Im RSA 2009 ist diese Verpflichtung als Art. 19 in leicht veränderter Formulierung enthalten: «Kündigt ein Kanton das Abkommen oder streicht er die Zahlungsbereitschaft für einen Ausbildungsgang, bleiben seine Verpflichtungen aus diesem Abkommen für die zum Zeitpunkt des Austritts eingeschriebenen Auszubildenden weiter bestehen».

Quellen
  • Nordwestschweizerische Erziehungsdirektorenkonferenz NW EDK (ed.): Regionales Schulabkommen über die gegenseitige Aufnahme von Auszubildenden und Ausrichtung von Beiträgen (RSA 2009).
  • Rohner, N.: Fisibach/Kaiserstuhl: Primarschule muss Standorte aufheben – gehen Schüler nun in Kanton Zürich? In: Aargauer Zeitung, 5. Oktober 2013.
  • Vertrag zwischen den Kantonen Basel-Landschaft und Solothurn über die Abgeltung von Schulbesuchen von Schülerinnen und Schülern aus Dornach an der Sekundarschule, Anforderungsniveau P, im Sekundarschulkreis Birseck des Kantons Basel-Landschaft vom 3. Mai 2016 (Stand 1. August 2016); SO 413.414
  • «AG 12 Gilt nur für die Gemeinden Fisibach und Kaiserstuhl (Volksschulstufe vertraglich geregelt)». Anhang II zum RSA 2009. Codeliste zur Bestimmung der Zahlungsbereitschaft im RSA 2009. s/Deklaration der Wohnsitzkantone in den Listen der beitragsberechtigten Schulen der Kantone Aargau, Basel-Landschaft, Basel-Stadt, Bern, Freiburg, Jura, Luzern, Solothurn Wallis und Zürich zum RSA 2009, Stand: 1.8.2016 
  • Hofer, D.: Dornachs Schüler sind im Baselbieter Progym unerwünscht. Steigende Zahlen: Der Kanton Baselland fordert von Dornach eine eigene Lösung fürs Progym. In: BZ Basel, 8. April 2019.
  • Sekretariat der Nordwestschweizerischen Erziehungsdirektorenkonferenz NW EDK: http://www.nwedk.ch/regionales-schulabkommen sowie http://www.nwedk.ch/komm-rsa-nw-edk

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