Weiacher Lokalpolitik ist kein Aufreger. Jedenfalls nicht im Normalfall. Wenn die Gemüter kurz erhitzt werden, wie beispielsweise bei Kampfwahlen (z.B. 2010 mit einem kurzfristig ins Rennen geschickten Kandidaten für das Gemeindepräsidium, vgl. WeiachBlog Nr. 766), dann glätten sich die Wogen rasch wieder. Zumal an der Oberfläche, wo es offensichtlich ist.
Wenn die Aufregung länger dauert
Treten solche Oberflächenphänomene über eine längere Zeit auf, dann kann man sicher sein, dass es um eine grosse Entscheidung geht.
So anfangs der 1960er-Jahre in der Frage, ob im Hard industrieller Kiesabbau zugelassen werden soll (wobei vor allem der Kulturlandverlust für Kritik sorgte; vgl. WeiachBlog Nr. 1318). Völlig zu Recht: die Weiacher Kies AG prägt Landschaft, Gemeindekasse und Selbstverständnis nun seit Jahrzehnten.
So auch anfangs der 1980er-Jahre, als die NAGRA (Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle) in Weiach, Böttstein, Siblingen und anderwärts Probebohrungen abteufte, um herauszufinden, ob der Untergrund sich für ein Atomabfall-Endlager eigne (weil befürchtet wurde, die Probebohrung sei nur die Ouverture für ein tatsächliches Endlager). Ebenfalls zu Recht: Im Perimeter Nördlich Lägern wird heute wieder ein Oberflächenstandort Weiach evaluiert.
Das Thema anfangs der 20er-Jahre? Die Nachwehen einer zu schnell gewachsenen Gemeinde, sichtbar und zum Zankapfel geworden beim Raumproblem von Kindergarten und Primarschule.
Am 28. Juni 2020 lehnten die Weiacher Stimmbürger an der Urne das Grossprojekt Balance ab (vgl. WeiachBlog Nr. 1535). Mit diesem kühnen Bauvorhaben hätten Gemeinderat und Schulpflege den mit Raumplanungs- und Schulvertragsentscheiden und nachfolgender Untätigkeit selbst verursachten gordischen Knoten durchschlagen wollen. Im Vorfeld des Urnengangs war der übliche Kampf der Flugblätter zu beobachten. Nur eine Aktion der Lehrerschaft, bei der Schulkinder als Propaganda-Briefträger eingesetzt wurde, sorgte für Aufsehen.
Eine IG für eine Abstimmung
Nicht so 2021! Im Abstimmungskampf um die von alt Gemeindepräsident Werner Ebnöther und Mitunterzeichnern eingebrachte Kündigungsinitiative, die eine Auflösung des Schulanschlussvertragswerks mit Kaiserstuhl und Fisibach verlangt (vgl. die Position der Initianten in WeiachBlog Nr. 1629), ist das ganz anders.
Am 9. Februar machte sich die IG Eusi Schuel erstmals in der Öffentlichkeit bemerkbar. Ins Bewusstsein der an der Informationsveranstaltung der Primarschulpflege zur Initiative nicht Anwesenden gelangte die Gruppierung am 11. Februar über einen Artikel im Zürcher Unterländer. Darin kam sie mit mehreren Statements zu Wort, so u.a. von Renate Weingart, die sich bereits im Vorfeld der Balance-Abstimmung (zusammen mit Gregor Trachsel, Architekt und alt-Gemeindepräsident) für das Bauprojekt engagiert hatte.
Am 22. Februar ging die erste eigens für eine Weiacher Abstimmung geschaffene Website ans Netz:
Professionell durchgestylt bis ins Detail
Das war aber noch längst nicht alles. Erstaunt erlebten die Weiacher in den darauffolgenden Tagen das Ausrollen einer Politmarketing-Kampagne, wie sie die Gemeinde noch nicht gesehen hat. Eine, wie man sie sonst nur von der Abstimmungspropaganda auf kantonaler oder nationaler Ebene kennt. Eine derart professionell designte, auf Weiach fokussierte Kampagne ist ein absolutes Novum.
Die Aktivisten der Weiacher Aktionsgemeinschaft WAG haben die NAGRA noch mit selbst gemalten Transparenten und dergleichen bekämpft. Gemeinsamkeiten hat die heute aktive Truppe der IG Eusi Schuel in drei Aspekten. Erstens: die Protagonisten sind samt und sonders erst vor wenigen Jahren zugezogen (also keine Alteingesessenen), zweitens: sie verfolgen einen Graswurzelansatz und drittens: es treibt sie das Gefühl an, im Kampf gegen einen mächtigen Gegner zu stehen.
Die Mittel hingegen sind die des 21. Jahrhunderts: Ein Mix aus Website (eusi-schuel.ch, Startseite vgl. oben), Flyern, Kleinplakaten und grossen Strassenwerbebannern, je mit unterschiedlichen Slogans.
Diese Slogans sind ein wichtiges Element. Sie sollen die Betrachter zum Denken anregen. Und durch die unterschiedlichen Botschaften auch überraschen, sagt ihr Texter, Werber Frank Lehmann. Der obige Handzettel ist nur einer von acht. Drei weitere sind auf der Kampagnen-Seite https://www.eusi-schuel.ch/unsere-kampagne abgebildet.
Die bislang letzte Aktion war ein Meer aus grünen Luftballonen in Schulkinderhänden, deren Absender sich anhand des Designs leicht zuordnen lässt:
Ferngesteuert?
Die Ballonkinder vom Freitagmittag haben bei etlichen Weiachern die Überzeugung verfestigt, es handle sich bei der ganzen Kampagne um eine von der Schulpflege ferngesteuerte Geschichte. Zwischen die Behörden, die Schulleitung und diese Aktivisten passe kein Blatt Papier! Selbst finanzielles Engagement seitens der Behörden aus dem Aargau wird nicht ausgeschlossen. Ebenfalls zu kritischen Bemerkungen führte der Dank an die Firma Printandcut - Nicole Kessler, Fisibach auf der Website der IG. Weiter erregt Aufsehen, dass Lehmann und Weingart im OK von 750 Jahre Weiach tätig sind, wo auch weitere erklärte Gegner der Initiative Einsitz haben, so u.a. Gregor Trachsel, aber auch der ehemalige Fisibacher Gemeindeschreiber Vögele.
Dass Verschwörungstheorien kursieren, kann Frank Lehmann verstehen. Er versicherte aber im Chat mit WeiachBlog am Freitagabend, dass es keinerlei Verbindung gebe und sie völlig unabhängig seien. Auch zwei andere Aktivistinnen der IG haben unabhängig von ihm ins gleiche Horn gestossen. Ihnen gehe es nicht um Machtspiele, sondern um die Kinder. Und darum, dass Freundschaft zwischen den Gemeinden erhalten bleibe.
In wenigen Stunden entstanden
Dass die Anliegen von Schulpflege und IG so viele Gemeinsamkeiten aufweisen, lässt sich erklären: der Effekt von Copy&Paste. Sie hätten sich erst im Februar zusammengefunden und die IG in wenigen Stunden auf die Beine gestellt, sagt Lehmann. Die Kampagne sei mit etwas Hilfe von befreundeten Grafikern, etc. selber entwickelt worden. Auch die rund 2000 Franken für das Material stammten aus ihren eigenen Mitteln. Sie bräuchten und wollten auch keine Sponsoren.
Und in der Tat: Wäre die IG Eusi Schuel ferngesteuert, dann müsste man sich schon fragen, ob die Schulpflege dann wirklich so dämlich gewesen wäre, eine solche Ballonaktion zuzulassen. Und das, nachdem man ihr schon die letztjährige Briefaktion der Lehrerschaft übel genommen hat (vgl. WeiachBlog Nr. 1534).
Zum Abschluss des Chats gab Frank Lehmann seiner Hoffnung Ausdruck, dass am nächsten Dienstag ein Votum im Sinne der IG herauskommt: «Vielleicht gibt es ja noch Menschen die wie Menschen denken...».
[Veröffentlicht am 15. März 2021 um 00:53 MEZ]
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