Montag, 1. März 2021

Tod durch eine Fräse. Das Fabrikgesetz von 1877 in der Praxis.

Die Zürcher waren knapp dagegen und es war nur den Innerschweizer Kantonen zu verdanken, dass die 17. Vorlage, die in der Geschichte des Bundesstaates zur Volksabstimmung vorgelegt wurde, doch noch das Plazet des Volkes gefunden hat.

Die umstrittene Vorlage: das Fabrikgesetz. Mit vollem Namen: «Bundesgesez betreffend die Arbeit in den Fabriken». Angenommen am 21. Oktober 1877 mit 51.5 % Ja (Quelle: BBl 1877 IV 651). Der Parlamentsbeschluss, das Fabrikgesetz anzunehmen, war gerade einmal sieben Monate her. Gegen diesen Beschluss wurde das Referendum ergriffen. Und die Abstimmung fand noch vor der Publikation des Referendumsergebnisses statt. So schnell ging das damals. Vgl. die Chronologie zum Fabrikgesetz und das Resultatarchiv der Bundeskanzlei über die Volksabstimmungen.

Den vollen Wortlaut findet man im Bundesblatt: BBl 1877 II 483. Die alten Ausgaben dieses amtlichen Publikationsorgans des Bundes wurden vom Bundesarchiv digitalisiert und sind unter 
www.amtsdruckschriften.bar.admin.ch abrufbar.

Die Definition einer Fabrik? Bereits ab zwei Mitarbeitern war auch ein kleiner Gewerbebetrieb eine Fabrik und fiel unter die Bestimmungen dieses Gesetzes, das als wesentlicher Meilenstein für den Schutz der Arbeitnehmer gilt (vgl. u.a. die Wikipedia).

Mechanische Werkstätte am Mülibach

Auch in Weiach gab es deshalb Fabriken. So die Werkstätte des Herrn Etzensberger, die in der Liegenschaft Stadlerstrasse 3 untergebracht war. Dieses Gebäude wurde 1878 über den damaligen Verlauf des Mülibach hinweg gebaut, sodass er unter dem Haus durchfloss und seine Wasserkraft den Maschinen geliehen hat.


Das neue Gesetz stipulierte nicht nur Haftpflichtregeln für die Fabrikherren, nein es verlangte auch die Untersuchung von Vorfällen mit Verletzungs- oder gar Todesfolgen:

«Art. 4  Der Fabrikbesizer ist verpflichtet, von jeder in seiner Fabrik vorgekommenen erheblichen Körperverlezung oder Tödtung sofort der kompetenten Lokalbehörde Anzeige zu machen. Diese hat über die Ursachen und Folgen des Unfalles eine amtliche Untersuchung einzuleiten und der Kantonsregierung davon Kenntniß zu geben.» (BBl 1877 II 485)

Stoss durch einen Rebstickel war tödlich

Das tat die Zürcher Regierung u.a. am 2. Juli 1881. Der Beschluss Nr. 1281 trägt den Titel «Hafner v. Birmensdorf; Verletzung in d. mech. Werkstätte Etzensberger in Weiach».

Der Regierungsratsbeschluss hat folgenden Wortlaut:

«Gemäß Art. 4 des eid. Fabrikgesetzes [vgl. oben] machte der Gemeindrath Weiach mit Zuschrift vom 7. April die Mittheilung, daß Jakob Christof Hafner, Mühlemacher, von Birmensdorf, am 2. April in der mechan. Werkstätte des Hrn. Jakob Etzensberger, in Weiach, beim Rebstickelfräsen durch den Stoß eines Stickels auf die Magengegend verunglückt & an den Folgen dieses Unfalles gestorben sei.
Die Direktion des Innern betraute hierauf Hrn. Ingenieur Hirzel-Gysi, in Winterthur, Mitglied der Fabriksektion, mit der Vornahme einer Untersuchung in Bezug auf allfällig zu treffende Schutzvorrichtungen im Etablissement des Hrn. Etzensberger & es erstattet nun Hr. Hirzel folgenden Bericht:

Der Verunglückte sei ein geübter Arbeiter gewesen, habe jedoch die Unvorsichtigkeit begangen, statt die Stange seitwärts von sich zu halten, dieselbe hintenhergehend mitten vor sich zu nehmen; die nämliche Fräse sei, wenn in der Werkstätte aufgestellt, mit Verdeck versehen, welches an der Decke aufgehängt sei; überhaupt sei für Sicherung der Arbeiter in dieser Werkstatt nichts versäumt worden. Er habe nun Hrn. Etzensberger gerathen, ein Verdeck am Fräsentisch anzubringen, welches dann auch beim Gebrauch außerhalb der Werkstatt an der Fräse bleibe und bei den Arbeiten wenig hinderlich sei; Hr. Etzensberger habe sich mit diesem Vorschlag vollkommen einverstanden erklärt & sei gewillt, diese Schutzvorrichtung von sich aus anzubringen.

Der Regierungsrath,
nach Einsicht eines Antrages der Direktion des Innern,
beschließt:

1. Von der getroffenen Anordnung des Hrn. Ingenieur Hirzel-Gysi wird Vormerk genommen.
2. Im Uebrigen ist für den Regierungsrath keine Veranlaßung weder zu administrativem Vorgehen in dieser Angelegenheit, noch, abgesehen von der Kostenfrage, zu einer Ueberweisung ans Gericht vorhanden.
3. Mittheilung an das Statthalteramt Dielsdorf für sich & zu Handen des Gemeindrathes Weiach und des Hrn. Etzensberger und an Fabrikinspektor Schuler, in Mollis.
»

Man stelle sich vor, wie ein solcher Vorfall heutzutage für den Betriebsinhaber ausgehen würde. Eine Strafuntersuchung wegen fahrlässiger Tötung mit Befragung durch Polizei und Staatsanwaltschaft wäre das mindeste, was ihm blühen würde. 

So aber musste Etzensberger lediglich die Hinterbliebenen entschädigen. Und die angeordneten Arbeitssicherheitsvorkehrungen umsetzen.

Der in Ziffer 3 des Beschlusses genannte Fabrikinspektor war übrigens seit 1878 ein eidgenössisch ernannter Amtsträger, einer von dreien. Fridolin Schuler (1832-1903), im Fabrikkanton Glarus praktizierender Allgemeinmediziner, war für die Ostschweiz zuständig. Er hat massgeblich an der Entstehung des Gesetzes mitgewirkt.

Quelle
  • Regierungsratsbeschluss vom 2. Juli 1881. Scan des Originals - Transkription. Signatur: StAZH MM 2.233 RRB 1881/1281. [Das Original hilft bei der Korrektur von Transkriptionsfehlern, wie u.a. im Fall des Herkunftsorts von Mühlemacher Hafner, fälschlich «Birmersdorf»]

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