Nach über 140 Jahren wechselhafter Geschichte, verschiedenen Namen, Erscheinungsformen und Aktivitätsgraden hat sich einer der für das soziale Leben der Gemeinde wichtigsten Vereine, der Frauenverein Weiach, in diesen Sommertagen mit einem grossen Ausflug ins March-Gaster-Gebiet und an den Walensee selber ein letztes Mal auf grosse Reise begeben. Und sich mit der Rückkehr ins Heimatdorf für aufgelöst erklärt (vgl. Abschied vom Frauenverein Weiach, in: Mitteilungsblatt Gemeinde Weiach, August 2022, S. 19; sowie WeiachBlog Nr. 1470).
Von diesem Nachruf wusste der Verfasser dieser Zeilen noch nichts, als ihm heute in seinem Ortsgeschichte-Kasten ein umgekippter Pressspan-Ordner aufgefallen ist. Inhalt: Ausdrucke von Scans des ältesten erhaltenen Protokollbandes des Frauenvereins aus dessen Arbeitschul-Phase in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts.
Über die per Zufall aufgeschlagene Seite – einen Kurzbericht der Aktuarin über die Nationale Frauenspende 1915 – sei hier in wehmütiger Erinnerung an unseren Frauenverein berichtet.
Nationale Frauenspende?
Ich muss zugeben, dass ich bis heute noch nie von etwas in der Art gelesen habe. Die Idee zu einer solchen Spendenaktion hatte insbesondere die Präsidentin des Schweizerischen Lehrerinnenvereins und Frauenstimmrechtsaktivistin Dr. Emma Graf (1865-1926) aus dem bernischen Oberaargau.
Ihr gelang es zusammen mit Julie Merz (1865-1934), die ab 1915 Redaktorin des Zentralblatts des Schweizerischen Gemeinnützigen Frauenvereins (SGF) war, diesen konservativ und doch fortschrittlich gesinnten Dachverband für ein patriotisches Engagement zu begeistern, die «Sammelaktion für die Nationale Frauenspende, die vor allem der Finanzierung der Soldatenfürsorge diente.»
Bild: Nationaler Spendenaufruf der Frauen von 1915 zugunsten der Soldatenfamilien. Privatarchiv Franziska Rogger (Quelle: https://hommage2021.ch/geschichte)
Dazu muss man wissen, dass es im 1. Weltkrieg noch keine Erwerbsersatzordnung (EO) gab, die dem Wehrmann einen Lohnausfall bezahlt. Die seit der Julikrise im Gefolge des Attentats von Sarajevo in den Landesverteidigungsdiensten eingerückten Soldaten waren also in den meisten Fällen nicht mehr in der Lage, ihre Familien zu unterstützen (ausser in den wenigen Fällen, wo ihr Arbeitgeber eine freiwillige Lohnfortzahlung leistete).
Die nicht dienstverpflichtete weibliche Hälfte der Gesellschaft beklagte sich dennoch nicht (zumindest im ersten Kriegsjahr noch nicht), sondern wurde tätig: «In Krisen- und Kriegszeiten stellten sich die Frauen [..] unverbrüchlich in den Dienst des darbenden oder bedrohten Vaterlandes. Im 1. Weltkrieg sammelten sie in der nationalen Frauenspende von 1915 mehr als eine Million Franken, bauten für die Soldaten längs der Grenze Hunderte von Soldatenstuben auf und unterstützten notleidende Familien zuhause.» (Quelle: https://hommage2021.ch/geschichte)
Patriotischem Aufruf ohne Hintergedanken gefolgt
Auch die Weiacherinnen liess der Aufruf nicht kalt, wie man dem Eintrag zur Sitzung vom 31. Oktober entnehmen kann:
«Traktanden:
I. Bestimmung der Weihnachtsgeschenke.
II. Bezug des Jahresbeitrages.
III. Abnahme der Jahresrechnung 1914/15.
IV. Nationale Frauenspende.»
Zu den Punkten II und III äusserte sich die Aktuarin (die nur mit «Frau Baumgartner» zeichnete) mit keiner Zeile, zu Traktandum IV hingegen mit folgenden Worten:
«Was heisst denn Nationale Frauenspende?
Eine Anzahl hervorragender Schweizerfrauen erliessen einen Aufruf an die gesamte Frauenwelt unseres l. Schweizerlandes, es möchte eine jede, je nach Stand u. Vermögen einen Beitrag leisten, zur Mithilfe an die Kosten der Mobilisation, u. zugleich als Dank für den uns zu Teil gewordenen Heimatschutz durch unsere verehrten Wehrmänner. – Um diesem Aufruf gerecht zu werden, ordnete unser Verein 5 Mitgl. ab, denen die hohe Ehre zu Teil wurde von Haus zu Haus zu gehen u. die großen u. kleinen Gaben in Empfang zu nehmen, u. dann als Ganzes im Betrage von 103.50 Frk. an eine leitende Schweizerdame abgegeben.»
Das ist in diesem Protokollband übrigens der erste Hinweis auf die Kriegszeit. Für das Sammlungsergebnis hat die Aktuarin im Text eine Lücke belassen; und es mit Bleistift nachgetragen.
Pflichten erfüllen heisst Rechte begründen?
Die Nationale Frauenspende war ein ziemlicher Erfolg, wie man der Timeline zum Frauenstimmrecht in der Schweiz (NZZ, 4. Jan. 2021) entnehmen kann:
«Zwischen 1915 und 1916 sammeln Frauenverbände 1,16 Millionen Franken für die nationale Frauenspende, die sie dem Bundesrat unter dem Motto «Pflichten erfüllen heisst Rechte begründen» übergeben.»
Umgerechnet mit dem Historischen Lohnindex HLI von Swistoval ergibt dieses Sammlungsergebnis in Werten von 2009 mehr als 35.3 Mio. CHF! Und wie man dem Motto ansieht, wurde die Aktivität Nationale Frauenspende ganz eindeutig mit politischen Hintergedanken ins Werk gesetzt! Ob die Spenderinnen von diesen Motiven der Frauenstimmrechtsaktivistinnen Graf und Merz wussten?
Die Mehrheit im gesamtschweizerischen Frauenstimmrechtsverein lehnte nämlich ein solches Vorgehen klar ab. Begründung: Das Stimmrecht sei ein Menschenrecht und es brauche daher keine Vorleistung, schreibt die Historikerin Elisabeth Joris 2019, und führt weiter aus:
«Begeistert zeigt sich dagegen der Schweizerische Gemeinnützige Frauenverein, der Grafs Vorschlag unter dem Titel Nationale Frauenspende höchst erfolgreich umsetzt. 1915 wird dem Bundesrat mehr als eine Million unter Schweizerinnen gesammelten Franken übergeben, zur freien Verfügung. Diese Summe dient dann primär unter dem Titel Wehrmannsfürsorge der Unterstützung armer Familien von eingezogenen Soldaten, die wegen der Mobilisierung grosse Not erleiden. Das Motto der Initiantin Emma Graf, «Pflichten erfüllen heisst Rechte begründen», impliziert, dass den Frauen als Dank für ihre Übernahme von Pflichten das Frauenstimmrecht gegeben werde. Die Enttäuschung ist gewaltig: Ihrer voreiligen Pflichterfüllung ist keinerlei Erfolg beschieden, ihnen geht es nicht besser als den Streikenden vom November 1918 mit ihrer Forderung nach Einführung des Frauenstimmrechts. Sie werden zwar nicht wie diese von der Armee in die Knie gezwungen, vielmehr von dieser für ihren Einsatz gelobt, mehr aber nicht. Und neue Rechte oder Gleichstellung schon gar nicht.»
Leicht erhöhte Freiwilligkeit
Aus Weiach kam jedenfalls (mit HLI indexiert auf 2009) ein Betrag von 3150 Franken zusammen. Im 1. Weltkrieg zählte die Schweiz rund 3.8 Mio Einwohner, Weiach rund 600.
Das unterdurchschnittliche Sammlungsergebnis (für Weiach wären rund 183 Franken durchschnittlich gewesen) zeigt, dass viele finanziell nicht grad auf Rosen gebettet waren und wohl viele dennoch etwas gaben.
Der soziale Druck (bis zu fünf Mitglieder des Frauenvereins vor der Türe und alle Nachbarinnen sahen zu!) dürfte auch nicht ganz unwesentlich gewesen sein. Man wusste ja im Dorf recht genau, welchen Haushalten es finanziell ordentlich und welchen es schlecht ging, nicht nur der öffentlich einsehbaren Steuerregister wegen.
Nicht für Kriegsmaterial, aber für vom Militärdienst finanziell Versehrte
Wenn der Historiker Georg Kreis schreibt: «In den Kriegsjahren erbrachten Frauen ausserordentlichen Anstrengungen sozusagen als Vorleistungen in der Erwartung, dass sie dann mit der Gewährung des Frauenstimmrechts gleichsam belohnt würden», dann kann man sich schon fragen, ob das nicht bloss die Erwartung der Aktivistinnen Graf und Merz gewesen ist. Die Weiacherinnen dürften – jedenfalls nach dem Protokolleintrag zu schliessen – mehrheitlich patriotische Motive gehabt haben, ganz ohne Suffragetten-Hintergedanken.
Kreis weiter: «Zu diesen Anstrengungen gehörten: die Soldatenstuben und Kriegswäschereien, die Frauenzentralen für Arbeitsvermittlung und Beratung, 1915 eine vom Schweizerischen Gemeinnützigen Frauenverein durchgeführte, aber vom Schweizerischen Verband für Frauenstimmrecht nicht mitgetragene Sammelaktion für eine Nationale Frauenspende, was eine freiwillige Zusatzsteuer war, die über eine Million Franken erbrachte, aber gemäss ausgesprochenen Erwartungen nicht für Kriegsmaterial verwendet werden sollte.» (Kreis, o.J., mit Verweis auf Mesmer 2007, vgl. Quellenangaben)
Die Mitglieder des Frauenvereins Weiach werden wohl einfach erfreut gewesen sein, dass es auch dank ihrem Frauenspende-Batzen Erleichterungen im Sinne einer Erwerbsersatzordnung gab. Auch wenn das nur ein Tropfen auf den heissen Stein gewesen ist.
Quellen und Literatur
- Protokoll des Frauenvereins der Arbeitschule Weiach, 31. Oktober 1915.
- Beatrix Mesmer, Staatsbürgerinnen ohne Stimmrecht. Die Politik der schweizerischen Frauenverbände 1914-1971. Zürich 2007 – S. 353.
- Kreis, G.: Die Schweiz zur Zeit des Ersten Weltkrieges und die Schweiz von heute. Ohne Ort, [2015]. In: Website Haus zum Dolder, Beromünster
- Joris, E.: 30 Jahre Abstimmung über die Abschaffung der Armee. In: Friedenszeitung Nr. 31, Dezember 2019, S. 11
- hommage2021.ch – Website zu 50 Jahre Frauenstimm- und Wahlrecht.
- Joris, E.: Schweizerischer Gemeinnütziger Frauenverein (SGF). Dachverband Schweizerischer Gemeinnütziger Frauen. In: Historisches Lexikon der Schweiz, Version vom 26.07.2022. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/016502/2022-07-26/.
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