Dienstag, 31. Oktober 2023

Rente für einen königlich-sizilianischen Veteranen?

War Konrad Bersinger, geboren 1829, ein Abenteurer? Eine Art Aussteiger auf Zeit war er auf jeden Fall. Von seiner untreuen Frau, deren neuem Partner und dem heimatlichen Weiach hatte er im Spätherbst 1855 die Nase gestrichen voll, meldete sich auf einem Werbebüro in Hohentengen als Söldner und verschwand nach Süditalien (vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 29, S. 47-48.).

Schon damals, mit 26 Jahren, wollte Konrad aber die Brücken zur Heimat nicht abbrechen. Es war ihm wichtig, dass die kantonalen Militärbehörden nicht etwa einen falschen Eindruck von ihm bekämen. Und so beschrieb er die Gründe für seinen Entscheid in Fremde Dienste beim Königreich beider Sizilien zu treten, in einem Brief, den er auf dem Weg nach Neapel verfasst und abgeschickt hat, und der mit den Akten der Zürcher Militärverwaltung ins Staatsarchiv auf dem Milchbuck gelangt ist (StAZH Q I 138, vgl. Quellen unten).

Militärdiplom des Schweizer-Regiments Bessler

Dass er tatsächlich kein Hallodri war, das zeigt sich in einer Akte, die im Schweizerischen Bundesarchiv zu finden ist und zu einem Zeitpunkt entstanden ist, als er bereits im 75. Altersjahr stand. Darin ist nämlich sein Militärdiplom erwähnt, das auf eine Dienstzeit von knapp unter 3 3/4 Jahren hinweist:


Unter beeindruckendem Briefkopf wendet sich der Kanton Zürich am 7ten Dezember 1904 an die «Tit. Schweizerische Bundeskanzlei» (Tit. steht für Titulatur, als Platzhalter für allerlei Höflichkeiten, die man sich im täglichen Amtsverkehr auf diese Weise erspart hat):

«Hochgeachtete Herren.

Konrad BERSINGER, geboren 1829, von Weiach, wohnhaft in Seebach, lässt uns beiliegenden Militärabschied, dat. Palermo den 21. August 1859, nach welchem er von 1855 bis 1859 im Schweizer-Regiment Bessler (2. Bat. 7. Comp.) des Königreichs beider Sicilien gedient hat, vorlegen und uns um unsere Vermittlung zu seinen Gunsten ersuchen, da ihm gesagt worden sei, dass in der letzten Zeit (vor einigen Monaten, vielleicht auch schon vor einem Jahre) ein Vermögen an die Angehörigen jener Regimenter zur Verteilung gelangt sei. Nähere Angaben kann Bersinger leider nicht machen. Da hier von solchen Auszahlungen nichts zu eruiren war (in den Zeitungen war unseres Erinnerns nur von päpstlichen Regimentern die Rede), erlauben wir uns, die Angelegenheit Jhnen zu unterbreiten, mit der ergebenen Anfrage, ob vielleicht dort etwas von der Sache bekannt ist, oder eventuell gesagt werden kann, wer darüber authentischen Aufschluss zu geben in der Lage wäre.

Jndem wir für Jhre gefälligen Bemühungen Jhnen zum Voraus bestens danken, sehen wir Jhrem gefl. Berichte unter Rückschluss der Beilage gerne entgegen.

Mit vorzüglichster Hochschätzung
Für die Direktion der Justiz & Polizei:
Der I. Sekretär: gez. Dr. E. Gysler
»

Die Bundeskanzlei reichte das Schreiben postwendend an das Politische Departement weiter, das seit 1979 die Bezeichnung Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) trägt.

Von dort ging die Anfrage weiter nach Rom an die Légation de Suisse en Italie (also die Schweizer Botschaft in Italien), die damals an der Via Firenze 48 domiziliert war.

Schweizer Truppen in neapolitanischen Diensten

Bereits im 18. Jahrhundert gab es ein Regiment Bessler, das damals noch wie ein Privatunternehmen direkt mit dem spanischen Könighaus der Bourbonen einen Vertrag abgeschlossen hatte (sog. Privatkapitulation). Mit Hilfe dieses Regiments eroberte der spanische Infant (Thronfolger und späterer König Karl III.) im Jahre 1734 das seit dem Hochmittelalter bestehende Königreich, das sich über den Süden des heutigen Italiens erstreckt. Zur Sicherung seiner Herrschaft waren ab diesem Zeitpunkt Schweizerregimenter in Süditalien im Einsatz. Damit war es dann 1789 vorbei, weil die Schweizer Militärunternehmer dem König zu teuer wurden und er sich andere Vertragspartner suchte.

Dann kam die Zeit der Revolutionskriege, die erst mit dem Wiener Kongress 1815 zu Ende ging. Nach der Wiedereinsetzung der Bourbonen in ihre Herrschaft wurden 1825 auch wieder Schweizerregimenter aufgestellt, diesmal allerdings schlossen einzelne Kantone die Verträge ab und mussten sie durch Tagsatzung genehmigen lassen.

Knallharte Disziplin wurde mit allen Mitteln aufrechterhalten

Bersinger musste sich in diesen Jahren einer strengen Führung unterwerfen. Denn dür diese Truppen galt der 1817 ebenfalls von der Tagsatzung genehmigte Strafcodex. Je nach Schwere des Vergehens wurde von einem Schweizer Militärgericht auf Hinrichtung, lebenslange Einschliessung in einer Inselfestung, Galeerenstrafe, Zwangsarbeit in einer Strafanstalt oder Spiessrutenlaufen mit Ausstossung aus dem Regiment bei vorheriger Rasur des Schnurrbarts und der Haare auf der linken Seite des Kopfes erkannt. Unter diesem Niveau hatte der Regimentskommandant die Disziplinarstrafgewalt, wobei er in eigener Kompetenz Gefängnis bis zu drei Monaten verhängen konnte.

Ein Zürcher bei den Katzenstreckern

Aufgrund der Angabe des Kommandanten zum Zeitpunkt der Entlassung aus dem Dienst kann man genau feststellen, wo Konrad Bersinger eingeteilt war: nämlich im 1. Schweizer Regiment, dem Luzerner Regiment, das den welschen Übernamen «les catze-strèque» (die Luzerner werden seit der Reformation Katzenstrecker bezeichnet, vgl. Exkurs unten vor den Quellen). Daneben gab es von 1825 bis 1859 noch drei weitere Schweizerregimenter. Das 2. Schweizer-Regiment wurde von Fribourg, das 3. von Graubünden und das 4. von den Bernern gestellt (vgl. für die Details den Wikipedia-Artikel).

Die Katzenstrecker waren ein Linienregiment von 1'452, später 1'600 Mann, aufgeteilt auf 2 Bataillone, das Bataillon mit 4 (kantonalen) Füsilierkompanien und 2 Elitekompanien (Grenadiere und Jäger oder Voltigeure). Ab 1856 war Oberst Alfons Bessler aus dem Kanton Uri Regimentskommandant und damit Namensgeber. Seine Truppe stammte zu etwas mehr als 50% aus dem Luzernischen (7 Kompanien). Zwei Kompanien stellten die Nidwaldner, je eine die Obwaldner, Urner und Innerrhödler.

Ende der Schweizerregimenter auf Druck von England und Frankreich

Mit dem Ausbruch des Zweiten Italienischen Unabhängigkeitskriegs geriet die mittlerweile zum Bundesstaat umgebaute Schweiz in eine schwierige Lage. England und Frankreich verlangten, dass die Kantone ihre Verträge mit dem Königreich beider Sizilien zu kündigen hätten, worauf die Bundesversammlung den Dienst von Schweizern in ausländischen Truppenverbänden, die nicht als nationale Truppen des sie einsetzenden Staates gelten konnten, sowie die Anwerbung für solche Dienste unter Strafe stellte. In der Folge beschloss der junge König Franz II. die Auflösung der Schweizerregimenter.

Von den 1859 rund 12'000 entlassenen Truppenangehörigen kehrte etwa die Hälfte zurück in die Schweiz, 800 Mann traten in die päpstliche Armee ein, andere liessen sich von der französischen Fremdenlegion oder von den holländischen Truppen für den Dienst im ostasiatischen Java anwerben. 1'800 Mann aber blieben in Neapel und wurden Teil der mehrheitlich von Schweizer Offizieren geführten Schweizer Fremdenbrigade. Dieser Verband wurde wieder von klassischen Militärunternehmern betrieben. Ohne Zutun und gegen den Willen der Schweizer Bundesbehörden. Bereits wenige Monate später musste das Königreich im Kampf gegen Garibaldi kapitulieren.

Falsche Seite des Konflikts. Die Antwort der Schweizer Botschaft in Rom

Und wie war das nun mit der Rente für den betagten Veteranen Konrad Bersinger? Eine solche Rente gab es tatsächlich, das Gerücht stimmte also, wie man der Antwort der Légation ans Politische Departement entnehmen kann (Schreiben vom 22. Dezember 1904):

«Monsieur le Président  [Vorsteher des Departments war 1904 Bundesrat Comtesse, der in diesem Jahr auch als Bundespräsident amtierte]

En réponse à la dépêche que vous avez bien voulu m'adresser en date du 10 de ce mois, au sujet de Conrad Bersinger, j'ai l'honneur de Vous informer que la Direction Générale du Trésor m'a communiqué ce qui suit:

La Loi No. 341 du 8 juillet 1904 a accordé une rente aux vétérans qui ont pris part aux guerres de l'indépendance italienne après la guerre de Crimée, les campagnes de 1848-49 en étant exclues.

Conrad Bersinger, appartenant auch Ier Régiment suisse Bessler, au service du Royaume des Deux Siciles, ne parait pas avoir le moindre droit à cette somme. [...]» 

Leider stand Bersinger diese Rente nicht zu, weil er auf der falschen Seite der Geschichte gedient hatte. Nach den Abklärungen der Botschaft bei der italienischen Regierung war die Rechtslage so, dass nur Veteranen des italienischen Unabhängigkeitskampfes seit dem Krimkrieg (d.h. ab 1856 und bis 1866) in ihren Genuss kommen konnten.

Exkurs Katzenstrecker

Laut dem Schweizerdeutschen Wörterbuch (Id. XI 2177) hat der im Aargau, dem Solothurnischen und im Zürichbiet gebräuchliche spöttische Übername den folgenden Hintergrund: «Chatzestrecker heißen die Luzerner, weil sie pflegten, wenn sie durch fremde Orte zogen und Katzen erwischten, dieselben zu strecken und auszubalgen, um den Balg zu Mützen zu verwenden.»; siehe hierzu auch ebd. Band XI, Spalte 2159 unten, strecken unter Bedeutung 1aγ1. Laut Idiotikon geht der Spottname womöglich auf die Reformationszeit zurück. – Aus sprachlichen und historischen Gründen umstritten ist die von der Luzerner Confiserie Bachmann mit Blick auf ihre Chatzestreckerli vertretene Ansicht, man sage den Luzernern deshalb «Katzenstrecker», weil diese über den sog. Katzenstrick nach Einsiedeln gewallfahrtet seien. Vgl. zur Etymologie des Passnamens das Schwyzer Namenbuch von 2012, Bd. 5, S. 22 (Vgl. ortsnamen.ch). – Quelle: Fussnote 8 im Artikel Kanton Luzern der Online-Enzyklopädie Wikipedia.

Quellen und Literatur

  • Zürcher in neapolitanischen Diensten, 1831-1868 (Dossier). Signatur: StAZH Q I 138. - Interne Korrespondenz der Militärbehörden des Kantons Zürich zu Conrad Bersinger: Dir ds. Milits. Prot. No. 26 d.d. 9. Januar 1856, sowie No. 234 d.d. 14. Merz 1860.
  • Schweizersoldaten in Neapel (Zürchertruppen s. Q I 138), 1857-1860. Signatur StAZH L 16.2.7
  • Eidgenössisches politisches Departement. Schutz der Schweizer im Ausland und Wahrung schweizerischer Interessen. Fremde Kriegsdienste. Pensionsangelegenheiten Bersinger, Cocatrix, Kuhn und de Vevey; 1904. Signatur: BAR-CH E2001A#1000/45#1820*.
  • «Ales half dazu daß ich fremde Dienste nahm» Der lange Weg zum Totalverbot (Reislaufen – Teil 2). Weiacher Geschichte(n) Nr. 29. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, April 2002.
  • Schweizer Truppen in neapolitanischen Diensten, Wikipedia-Artikel, Stand 12. Oktober 2023.

Dienstag, 24. Oktober 2023

Fritz Näf, Chordirigent, zum 80. Geburtstag

Was hat Weiach mit dem Pharmagiganten Hoffmann-La Roche zu tun? Um diese Frage zu beantworten, muss man zwei über eine Institution miteinander verbundene Namen nennen: Paul Sacher (1906-1999) und Fritz Näf (*1943). 

Paul Sacher, Dirigent und ab 1934 mit Maja Hoffmann-Stehlin, der schwerreichen Witwe des Pharma-Konzern-Erben verheiratet, war danach nicht nur sechs Jahrzehnte lang Konzernlenker, sondern auch Mäzen und aktiver Leiter von Kulturinstitutionen. Sacher ist u.a. Begründer der Schola Cantorum Basiliensis, einem Lehr- und Forschungsinstitut für Alte Musik, dem er als Direktor vorstand.

Ein Sänger mit internationaler Ausstrahlung

An eben dieser Schola zu Basel unterrichtete Fritz Näf in den 1970ern Sologesang und hat im selben Jahrzehnt aus der Schola Cantorum heraus die wohl bekannteste Institution begründet und 35 Jahre geleitet, die für immer mit seinem Namen verbunden sein wird: die Basler Madrigalisten.

Diese charakterisieren sich auf ihrer Website wie folgt: «Die Basler Madrigalisten sind das traditionsreichste professionelle Vokalensemble der Schweiz und widmen sich vor allem den anspruchsvollen Repertoires von der Renaissance bis zu zeitgenössischer Musik.»

Aus Weiach in die Musikwelt

Fritz Näf wurde am 24. Oktober 1943 (heute vor 80 Jahren) in eine alteingesessene Weiacher Familie geboren. Die Näf sind in Weiach bereits vor 1800 als Bürger nachgewiesen. 

Während Fritz heute in Winterthur lebt, sind einige Abkömmlinge dieser Familie bis heute an ihrem Bürgerort ansässig. Unter ihnen eine Schwester des Jubilars, Hanna Junker, die den schon länger in Weiach Lebenden als letzte Posthalterin unserer Gemeinde wohlbekannt ist (vgl. WeiachBlog Nr. 1897).

Mit höchsten kantonalen Ehren bedacht

Es würde viel zu weit führen, wenn nun hier sämtliche Stationen seines Werdegangs en détail aufgeführt würden. Dazu sei auf seine Website fritz-naef.ch verwiesen. An dieser Stelle wird der Fokus auf den Umstand gerichtet, dass ihm vor zehn Jahren der höchste Kulturpreis verliehen wurde, den der Kanton Zürich zu bieten hat, die Goldene Ehrenmedaille:

«Der Zürcher Regierungsrat verleiht regelmässig auf Vorschlag der kantonalen Kulturförderungskommission die Goldene Ehrenmedaille. Ausgezeichnet werden Persönlichkeiten oder kulturelle Institutionen, die sich in besonderem Masse für das kulturelle Leben im Kanton Zürich verdient gemacht und nachhaltig geprägt haben.»

Breitenwirkung für das professionelle Chorwesen der Schweiz

«Die Goldene Ehrenmedaille des Kantons Zürich geht 2013 an den Sänger und Musiker Fritz Näf für seine grossen Verdienste für das professionelle Chorschaffen in der Schweiz aus.» [Auszug aus der Übersicht der Preisträger]

Darunter folgt eine Kurzfassung des Berufslebens des Geehrten:

«Fritz Näf, geboren 1943 in Weiach, erwarb das Primarlehrerpatent und studierte danach an den Musikhochschulen in Zürich, Basel und Freiburg im Breisgau Gesang und liess sich gleichzeitig zum Lehrer für musikalische Früherziehung und Grundschule ausbilden. Ende der 70er-Jahre studierte er Chor- und Orchesterleitung bei Erich Schmid und Paul Schaller. Er unterrichtete Sologesang (u. a. an der Schola Cantorum Basilensis [sic!]) und musikalische Grundkurse und leitete Vokalensembles und den Chor der Musikhochschule in Winterthur. 1986 bis 2000 stand er der Musikschule und dem Konservatorium Winterthur vor. Bei der Gründung der Hochschule Musik und Theater Zürich (HMZ) wurde er deren erster Rektor. Bereits 1961 wirkte er in verschiedenen Produktionen in der Schweiz als Sänger mit, ab 1969 als Konzert- und Opernsänger in ganz Europa. 1978 gründete er an der «Schola Cantorum Basilensis [sic!]» das professionelle Vokalensemble «Basler Madrigalisten», mit dem er zahlreiche Werke uraufführte. 1997 erfolgte in Zusammenarbeit mit dem Tonhalle-Orchester Zürich die Gründung des «Schweizer Kammerchors». Ab 2000 war Fritz Näf vollzeitlicher künstlerischer Leiter dieser beiden Ensembles bis zur Auflösung des Schweizer Kammerchors im Sommer 2011 bzw. der Stabsübergabe bei den Basler Madrigalisten auf 1. Januar 2013 an Raphael Immoos.»

WeiachBlog gratuliert dem Jubilaren zu seinem runden Geburtstag.

[Veröffentlicht am 25. Oktober 2023 um 00:35 MESZ]

Sonntag, 22. Oktober 2023

Höhere Wahlbeteiligung. SVP wieder mit absoluter Mehrheit

Letztes Jahr im Februar zählte Weiach bei den Kantonsratswahlen noch 1237 Wahlberechtigte. Davon beteiligten sich 19.81 %. Die tiefste Wahlbeteiligung im ganzen Kanton. Und: die SVP verlor ihre absolute Stimmenmehrheit (vgl. WeiachBlog Nr. 1896).

Im aktuellen Jahr, rund 20 Monde später, sieht es bei den Wahlen auf eidgenössischer Ebene schon etwas anders aus. Nun sind es bereits 1255 Wahlberechtigte. Auf sie gehen 438 im Gemeindehaus eingegangene Wahlzettel zurück, davon 6 ungültige. Weiach rangiert damit diesen Herbst mit 34.9 % Beteiligung zwar immer noch weit hinten: auf Platz 172 von 175 Gemeinden und Stadtkreisen. Nur Höri, Schlieren und Oberglatt haben noch schlechter abgeschnitten. Aber wenigstens können wir nun die rote Laterne den Oberglattern übergeben.

Nationalrat: Parteiengefüge verändert sich nur in hinteren Rängen

Und auch für die SVP ist die Scharte vom letzten Jahr ausgewetzt. Sie legt 6.6 % zu und hat erneut die absolute Mehrheit aller Stimmen: 55.59 %. Und dann kommt – auch das nichts Neues – erst einmal lange nichts. 

Die SP bringt zwar in Weiach nicht einmal einen Fünftel des Kampfgewichts der SVP auf die Waage, liegt aber ebenso solide auf Platz 2. An dieser Position hat sich zum sechsten Mal in Folge nichts geändert. Die grosse Verliererin in Weiach ist die FDP. Fünfmal in Folge war sie seit 2003 bei nationalen Wahlen auf Platz 3. Den muss sie jetzt an die GLP abgeben.

Auf Platz 5 ist das Fusionsprodukt Die Mitte zu finden. Zählt man die Prozente der letzten Wahl 2019 (CVP 4.7%, BDP 2.7%) zusammen, dann hat sie stark verloren. Und liegt gar unter den kumulierten Werten von 2015!

Die Grünen sind auf Platz 6 abgerutscht, haben aber nicht so stark an Stimmen eingebüsst wie CVP & BDP. Und die siebtplatzierte EVP (2015 noch auf Platz 4!) hat erneut Federn lassen müssen. Der Wegzug des umtriebigen EVP-Politikers und Kirchenpflegers Daniel Elsener nach Wasterkingen scheint Spuren hinterlassen zu haben.


Zum Vergleich die Weiacher Zahlen der beiden letzten Ausmarchungen :

Nationalratswahlen 2015: SVP 56.4 %, SP 12.1 %, FDP 8.2 %, EVP 4.7 %, GLP 4.7 %, BDP 4.5 %; GP 2.4%, EDU 2.5 %, CVP 2.0 %.

Nationalratswahlen 2019: SVP 55.6 %, SP 10.0 %, FDP 9.5 %, GLP 6.9 %; GP 4.8 %, CVP 4.7 %, EVP 4.0 %, BDP 2.7 %.

Bei Wahlen in den Nationalrat spielen die Personen nicht die Hauptrolle. Eher die Parteien. Anders ist das beim Ständerat, wo im Kanton Zürich nur zwei Sitze zu besetzen sind. Da hat zwar die Parteizugehörigkeit auch einen wichtigen Part. Die Persönlichkeit der Kandidaten fällt aber mehr ins Gewicht, wie wir am Beispiel von Daniel Jositsch zeigen können.

Ständerat: Bundesfeierrede 2019 zeigt Wirkung

Die Resultate überraschen nicht wirklich. An der Spitze, wie zu erwarten, ist der SVP-Kandidat. Und dahinter reihen sich die anderen Parteien ein:


Betrachten wir das Abschneiden des SP-Kandidaten genauer. Daniel Jositsch hat bekanntlich kurz vor den Wahlen 2019 in Weiach die Bundesfeierrede gehalten (vgl. das Transkript in Mundart: WeiachBlog Nr. 1405). Dieser Auftritt hat, so muss anhand der Zahlen annehmen, mit dazu beigetragen, dass er selber kurz danach auf Platz 2 gelandet ist. Und damit verglichen mit 2015 den FDP-Kandidaten Noser deutlich aus dem Feld geschlagen hat:


Wäre Jositschs Anteil von 2015 auf 2019 wie der von Noser gestiegen, dann hätte er 14 Stimmen mehr machen müssen. Die Annahme, dass er die zusätzlichen rund 21 Stimmen seiner Rede zu verdanken hat, ist nicht ganz abwegig. Und selbst 2023 scheint der Wiedererkennungseffekt anzuhalten. Denn Rutz hat weniger Zugkraft entwickelt als Roger Köppel (der 2019er-SVP-Kandidat). Und Regine Sauter bekundet offensichtlich noch mehr Mühe an die Resultate von Ruedi Noser anzuknüpfen.

Bundesfeier-Effekt für Camille Lothe? Vorteil Rogenmoser!

Trifft das, was für den arrivierten Ständerat gilt, auch für eine Jungpolitikerin wie Camille Lothe zu? Sie hat die Weiacher Bundesfeier-Ansprache 2022 gehalten (vgl. WeiachBlog Nr. 1949). Die Auswertung ihrer Wahlergebnisse ergibt (Stand um 22 Uhr) einen kantonsweiten Anteil von 0.7 % aller abgegebenen Stimmen. In Weiach sind es zwar nur 220 Stimmen. Mit 1.48% Stimmenanteil erzielt sie damit aber bei uns ihr prozentual bestes Resultat aller Gemeinden und Stadtkreise.

Verglichen mit dem Topresultat einer Romaine Rogenmoser, Kantonsrätin aus Bülach, die in Weiach trotz Listenplatz 15 mit 253 Stimmen sogar den Spitzenkandidaten Gregor Rutz (249 Stimmen) überflügelt hat, ist das Abschneiden der Stadtzürcherin Lothe (Listenplatz 28) auf dem 29. Rang aller in Weiach gewählten SVPler zumindest nicht negativ zu bewerten.

Landwirtschaftlicher Hintergrund ist ein Plus

Dass Lothe keinen landwirtschaftlichen Background vorweisen kann, das hat Folgen, die sich in der Kumulierungs-/Panaschierungsstatistik zeigen. Kandidierende auf der SVP-Hauptliste mit landwirtschaftlichen Berufen sind in Weiach jedenfalls teils deutlich weiter vorn platziert, als es ihr Listenplatz vermuten liesse. Besonders eindrücklich lässt sich das an Martin Hübscher, eidg. dipl. Landwirt aus Bertschikon (Wiesendangen), zeigen, der es bei uns mit Listenplatz 10 auf den 3. Rang gebracht hat. Und dabei mit 246 Stimmen selbst die aus unserem Bezirk stammende Barbara Steinemann (Weiacher Bundesfeier-Rednerin 2009, damals noch als Kantonsrätin, vgl. WeiachBlog Nr. 671) um 1 Stimme übertrumpft hat.

Samstag, 21. Oktober 2023

Steuerliche Maschwandisierung oder strahlende Zukunft?

>> Warnhinweis: Langer, schwer verdaulicher Artikel. Konsumation kann Ihnen den Tag verderben.<<

«Individueller Sonderlastenausgleich (ISOLA)». Können Sie mit diesem Begriff etwas anfangen? Nein? Sollten Sie aber, denn das wird für unsere Gemeinde zum zentralen Thema. Dann nämlich, wenn sich das Szenario verwirklicht, das Weiach zum Gschpänli der aktuellen Zürcher Steuerhölle macht: Maschwanden im Säuliamt, gelegen an der Südwestecke des Kantons an den Gestaden von Reuss und Lorze. Das ist die einzige Gemeinde, die aktuell aufs «Kantonsgemeindesozialamt» darf.

Auch für die normalen Subventionen (den Ressourcenausgleich, den auch Weiach infrastrukturbaubedingt ab 2024 im grossen Stil beanspruchen will) gilt das folgende Prinzip:

«Für die Bemessung der Zuschüsse ist neben der Steuerkraft pro Kopf auch der Steuerfuss der Gemeinde massgebend. Der Zuschuss fällt umso grösser aus, je höher der Gemeindesteuerfuss festgelegt wird. Hingegen werden Gemeinden, die ihre eigenen Ressourcen schonen können, in vermindertem Ausmass durch den Finanzausgleich unterstützt.»

Wer sich also selber in seine missliche Lage gebracht hat (da er seine Ressourcen bei besserem Haushalten hätte schonen können), der muss hier schon mit Abzügen rechnen. Aber wenigstens nicht mit faktischer Bevormundung.

Auf die Insel wollen sich nur wenige Finanzschwache retten

Auf der Webseite Instrumente des Zürcher Finanzausgleichs wird ISOLA als die ultima ratio von fünf Mechanismen zur Erreichung eines fairen Wettbewerbs unter den Gemeinden wie folgt erklärt:

«Der individuelle Sonderlastenausgleich (ISOLA) gleicht besondere Lasten aus, die von der Gemeinde nicht beeinflusst werden können. Voraussetzung dafür ist, dass die Gemeinde einen Steuerfuss festlegen muss, der das 1,3-fache des Kantonsmittels übersteigt.

Mit Sonderlasten sind überdurchschnittliche Aufwendungen gemeint, die bei einzelnen Gemeinden in bestimmten Aufgabenbereichen anfallen und nicht durch andere Instrumente bereits abgedeckt sind. Denkbar sind einmalige Ereignisse wie beispielsweise Sturm- oder Überschwemmungsschäden oder andauernde ausserordentliche Zustände wie ein überproportionaler Anteil an Sozialfällen oder die Notwendigkeit von Schülertransporten.

Instrumente des Zürcher Finanzausgleichs [Quelle: Kt. ZH]

Durch den individuellen Sonderlastenausgleich wird höchstens der Teil der Nettoaufwendungen abgegolten, der die Ausgleichsgrenze übersteigt (maximaler Beitrag). Die Ausgleichsgrenze entspricht den Nettoaufwendungen, die sich mit dem 1,3-fachen des Kantonsmittels der Gemeindesteuerfüsse decken lassen.»

Auch diese von den Stimmbürgern zu genehmigende Massnahme garantiert einer Gemeinde noch lange nicht, dass das kantonale Füllhorn über ihr ausgeschüttet wird:

«Damit Sonderlasten in einzelnen Aufgabenbereichen anerkannt werden, muss die Gemeinde den Nachweis erbringen, dass sie die Sonderlasten nicht beeinflussen und vermindern kann.»

Wie man den erbringt? Mittels der vielen Berechnungstools etc., die auf der Website aufgeführt sind und mit deren Hilfe eruiert wird, ob die antragstellende Gemeinde auch wirklich Anrecht auf diese «Sozialhilfe» hat oder nicht. Und Antrag darf auch nicht jeder stellen, denn auf einer weiteren Seite wird festgelegt:

«Anspruchsberechtigt sind politische Gemeinden, die im Ausgleichsjahr einen Gesamtsteuerfuss festsetzen müssen, der mindestens dem Ausgleichssteuerfuss entspricht. Im massgeblichen Jahr 2024 beträgt der Ausgleichssteuerfuss 130 % (provisorischer Wert).» 

Die einzige Landgemeinde, für die das nach 2023er-Steuerfuss-Liste zutrifft, ist Maschwanden. Und alle anderen werden sich hüten, den Steuerfuss nur deshalb auf dieses Niveau anzuheben, um ISOLA zu beantragen. Denn dann wird man vom Kanton besonders genau durchleuchtet. Mit der Lupe sozusagen (s. oben). Und man muss für jede Ausgabe nachweisen, ob man sie nicht auch vermindern könnte. Der Kanton redet dann letztlich im Detail drein. Wie bei einem Sozialhilfeempfänger. Ade Gemeindeautonomie. Trotz einem Steuerfuss, der auch locker weit über 130 % steigen kann. Denn ein Maximum ist beim Gemeindesteuerfuss nicht festgelegt. Der wird so hoch, wie er eben sein muss.

Strahlende Zukunft. Auch finanziell?

Glaubt man dem aktuell amtierenden Weiacher Gemeinderat, dann ist dieses ISOLA-Szenario völlig ausgeschlossen. Dann sind Bilder wie das einer gekenterten «MS Weiach» nicht nur degoutant und komplett daneben, sondern auch an den Haaren herbeigezogen. Denn nach seiner Darstellung ist die künftige Finanzlage nicht annähernd so dramatisch. Ganz im Gegenteil: Weiach hat eine strahlende Zukunft.

Liest man die Ausführungen der Firma Swissplan auf den Seiten Z1 und Z2 im Finanz-  und Aufgabenplan 2022-2026 (Stand 24. Oktober 2022), dann sieht das allerdings nicht annähernd so rosig aus (Unterstreichungen durch die Redaktion WeiachBlog):

«Im Steuerhaushalt resultiert mit einer Selbstfinanzierung von insgesamt 5,4 Mio. Franken ein Haushaltdefizit von sehr hohen 29,5 Mio. Franken. Die verzinslichen Schulden dürften um ca. 22,0 Mio. Franken zunehmen, womit die Obergrenze gem. Zielsetzung um mehr als das Dreifache überschritten wird.»  (S. Z1)

Die Zielsetzung des Gemeinderates war also ursprünglich auf eine Höhe von 3000 Franken Schulden pro Einwohner festgelegt. Und Swissplan weist nach, dass diese Limite bereits ab 2025 Makulatur ist.

Lesen wir etwas weiter unten auf der Seite weiter: 

«Die grössten Haushaltrisiken sind bei der weiterhin unsicheren konjunkturellen Entwicklung (Steuern und Finanzausgleich, Inflation und Zinsen), tieferen Kiesentschädigungen und/oder Grundstückgewinnsteuern, stärkeren Aufwandzunahmen oder ungünstigen gesetzlichen Veränderungen auszumachen.» (S. Z1)

Hört, hört! Tiefere Kiesentschädigungen als Risiko? Das liest sich aber im Beleuchtenden Bericht zum Bauprojekt «Zukunft 8187» ganz anders. Dort wird suggeriert, die Einnahmen würden auf Niveau Budget 2023 bleiben (d.h. 2 Mio. CHF p.a.) und das durchgehend bis 2035. 

Es werden jedes Jahr über 1.2 Millionen fehlen!

Auf der Seite Z2 geht es dann vollends ans Eingemachte. Da schreibt Swissplan:

«Die Planung ist geprägt durch den Schulhausneubau (30,0 Mio. Franken). Steigende Aufwendungen, vor allem im Bereich der Pflege, der gesetzlich wirtschaftlichen Hilfe sowie bei der Verwaltung belasten die Erfolgsrechnung. Ab 2026 setzen die Folgekosten des Schulhausneubaus ein. Ab diesem Zeitpunkt dürften ohne Steuerfusserhöhung Aufwandüberschüsse von über 1,2 Mio. Franken resultieren. Das betriebliche Ergebnis (ohne Finanzergebnis und Kiesentschädigungen) zeigt zu diesem Zeitpunkt ein Minus von 3,6 Mio. Franken. Mit Massnahmen auf der Aufwandseite (straffer Haushaltvollzug, evtl. Leistungsüberprüfung und ‐verzicht) sollen Verbesserungen erzielt werden oder es fallen höhere Erträge (z.B. Grundstückgewinnsteuern, Kiesentschädigungen) an. Die angedachte  Steuerfusserhöhung  von  sechs Prozentpunkten ist bei Annahme des Projektes an der Urne rasch umzusetzen. Weitere Erhöhungen sind längerfristig nicht auszuschliessen.» (S. Z2)

Heisst: Rauf mit den Einnahmen und runter mit den Kosten. Und zwar radikal. Denn es ist keineswegs sicher, dass die Grundstückgewinnsteuern weiter so hoch bleiben wie bisher. Oder die Kiesgelder so fliessen wie man sich das im Gemeindehaus vorstellt. 

Swissplan empfiehlt eigentlich nichts anderes als das, was die Rechnungsprüfungskommission dem Gemeinderat auch bei der Rechnungsabnahme 2022 ins Stammbuch geschrieben hat (vgl. WeiachBlog Nr. 1938 und 1941).

Aufrufe zum Masshalten: Regierungsrat 1973 / Swissplan 2022

Dass die Weiacher mit ihren Schulhausbauvorhaben in den letzten Jahrzehnten eher am oberen Rand des Tragbaren liegen, kann man sowohl aus einem Regierungsratsbeschluss zur Genehmigung der bestehenden Anlage Hofwies schliessen (vgl. WeiachBlog Nr. 1988) wie auch aus den nachfolgenden Zeilen der Swissplan:

«Die Schuldenobergrenze gemäss finanzpolitischer Zielsetzung wird um hohe 15,6 Mio. Franken überschritten. Mit einer Verschuldung von über 9'000 Fr./Einwohner wird eine im Vergleich sehr hohe Verschuldung erwartet. Eine konsequente Priorisierung der Investitionsplanung ist notwendig, um den Substanzverzehr zu bremsen. Das anstehende Grossprojekt sollte falls möglich optimiert werdenFalls sich das wirtschaftliche Umfeld ungünstig entwickeln würde, wären weitere Massnahmen vorzusehen.» (S. Z2)

Man muss sich beim Lesen dieses Berichts vergegenwärtigen, dass die Firma Swissplan im Auftrag des Finanzvorstandes der Gemeinde Weiach arbeitet. Es gilt also das alte Sprichwort: «Wes' Brot ich ess', des Lied ich sing'». Unter diesem Aspekt sind die obigen Ausführungen in ihrer Schärfe mehr als bemerkenswert.

Und was steht davon im Beleuchtenden Bericht zum Bauprojekt «Zukunft 8187»? Die hier zwar fachchinesisch verklausuliert, aber doch deutlich angesprochenen Risiken werden dort nicht einmal ansatzweise angedeutet.

Zusätzliche Finanzierungsmassnahmen geplant?

Und nun hat also der Gemeinderat am 29. September eine Medienmitteilung zum Budget 2024 publizieren lassen, die von euphemistischen Formulierungen geradezu strotzt. Da heisst es in der Zusammenfassung:

«Der Gemeinderat hat das Budget 2024 mit einem Ertragsüberschuss von 22'340.34 Franken verabschiedet. Weiach zeigt mit dem Budget 2024 weiterhin eine solide Basis. Diese bei den anstehenden hohen Investitionen, vorwiegend für das Gemeindeinfrastrukturprojekt, zu bewahren, ist eine Herausforderung. Der Gemeinderat plant deshalb zusätzliche Finanzierungsmassnahmen.»

Das tönt doch super, nicht wahr? Eine Triple-A-Firma, die kurz davor ist, die Weltmarktführerschaft zu erringen. Und natürlich ist jeder Anleger, pardon: aktuelle und künftige Steuerzahler, sehr interessiert daran, wie sich denn der Gemeinderat die Finanzierung vorstellt.

Und dann liest man die eigentliche Medienmitteilung (PDF, 102 KB)... und wird nicht fündig:

«Im Budget enthalten», heisst es da, «sind 900'000 Franken als Einlage in die finanzpolitische Reserve sowie eine Steuerfusserhöhung von sechs Prozent von 67 Prozent auf neu 73 Prozent. Die Steuerfusserhöhung und die finanzpolitische Reserve sind wichtig, um die zukünftigen hohen Investitionen zu finanzieren. Der Gemeinderat hat bereits im Beleuchtenden Bericht zur Urnenabstimmung vom 18. Juni 2023 erwähnt, dass die Finanzierung des Gemeindeinfrastrukturprojekts (inkl. Schulraumerweiterung) von 28,3 Mio. Franken mit eigenen Mitteln von über 12 Mio. Franken und durch Aufnahme von Fremdkapital in der Grössenordnung von rund 16 Mio. Franken sowie mittels einer Steuerfusserhöhung von 6 Prozent zu erfolgen hat. Im verabschiedeten Budget 2024 wurde somit die Steuerfusserhöhung berücksichtigt und der Mehrertrag durch die Steuereinnahmen wird vollumfänglich in der politischen Reserve ausgewiesen.

Für 2024 ist ein Steuerertrag von rund 3 Mio. Franken budgetiert. Das sind rund 300'000 Franken mehr als im Vorjahr. Die Grundstückgewinnsteuern werden mit 700'000 Franken budgetiert, ebenfalls 300'000 Franken mehr als im Vorjahr. Der Finanzausgleich wird aufgrund der Weiacher Steuerkraft und des geschätzten kantonalen Mittels mit 2,1 Millionen Franken budgetiert, 0,1 Millionen Franken mehr als im Vorjahresbudget.»

Unverwüstlicher gemeinderätlicher Optimismus gerechtfertigt?

Der Optimismus des Gemeinderates punkto Wirtschaftsentwicklung ist bemerkenswert. In einer Zeit, wo gerade in unserem nördlichen Nachbarland Massnahmen umgesetzt werden, die ziemlich unverblümt das Ziel verfolgen, die Wirtschaft zwecks Klimaschutz radikal einzubremsen, geht unser Gemeinderat davon aus, dass dies keine negativen Auswirkungen auf die Steuerkraft der Weiacherinnen und Weiacher haben wird. Frei nach dem Motto: Gehen Sie bitte weiter, hier gibt es keine Risiken.

Erst recht schwindlig wird einem bei der Grundstückgewinnsteuer, für die der Gemeinderat beinahe eine Verdoppelung vorsieht. Hat man da das seit Jahren geplante Bauvorhaben am Alten Bahnhof im Auge? Und wenn ja, wie kann man da so sicher sein, dass die Handänderungen 2024 wirksam werden?

Wenn bei den direkten Steuern wie den Handänderungssteuern der Ertrag sinkt, dann wird eine Einlage in die finanzpolitische Reserve schon einmal illusorisch. Mit Folgen für den Steuerfuss ab dem übernächsten Jahr. 

Priorisierung der Investitionsplanung: Fehlanzeige?

Aber wir haben die Medienmitteilung ja noch nicht ganz durchgelesen. Also weiter im Text:

«In der Investitionsrechnung Verwaltungsvermögen resultieren Nettoinvestitionen von 12'734'000 Franken. Wie bereits erwähnt, ist der grösste Kostentreiber im 2024 das Gemeindeinfrastruktur-Bauprojekt inkl. Schulraumerweiterung mit 10 Mio. Franken, sowie weitere infrastrukturelle Investitionen wie die Eindolung des Sagibachs mit 800'000 Franken und die Sanierung der Chälenstrasse inkl. Kanalisationsersatz mit 530'000 Franken (Aufzählung nicht abschliessend). In der Investitionsrechnung Finanzvermögen sind im Jahr 2024 Nettoinvestitionen von 150'000 Franken für die Sanierung des Baumgartner-Jucker Haus vorgesehen.»

Weiter oben hatten wir die explizite Empfehlung der Swissplan, die Investitionsplanung zu priorisieren. Wie passt das Obige (insbesondere die Klammerbemerkung!) zu dieser Mahnung? Und was wird die Rechnungsprüfungskommission dazu sagen?

Budgetversammlung am 7. Dezember?

Auch hier ist der Optimismus des Gemeinderates von Unerschütterlichkeit geprägt. Wie wenn es keinen Stimmrechtsrekurs geben würde, der noch weiss Gott wie lange beim Verwaltungsgericht des Kantons Zürich hängig sein kann, geht man davon aus, 2024 mit «Zukunft 8187» beginnen zu können. Von anderen Verzögerungen ganz zu schweigen.

Passend dazu posaunt die gemeinderätliche Haus-und-Hof-Postille «Zürcher Unterländer» in aller Selbstverständlichkeit hinaus: «Das Budget wird am 7. Dezember vor die Gemeindeversammlung kommen.» (ZU, 29.9.2023, 14:30

Wenn man bis dahin allerdings keinen abschliessenden richterlichen Entscheid hat, der demjenigen des Bezirksrats Dielsdorf in allen Punkten folgt, wie will man dann begründen, dass man die Millionen jetzt schon braucht? Dann fehlt nämlich möglicherweise die Rechtsgrundlage für eine Steuererhöhung.

Doch zurück zur Medienmitteilung, deren letzter Abschnitt einen an einen Cartoon Horst Haitzingers von 1987 erinnert, in dem zwei EU-Beamte auf einer Strasse bis zum Bauch im Wasser stehen, und der eine zum anderen sagt: «Das muss man nicht gleich so panikmacherisch Hochwasser nennen, wir erhöhen halt etwas den Grenzwert für Feuchtigkeit!». Denn unsere Gemeindeväter und -mütter haben doch tatsächlich ihre bisherige Fremdverschuldungslimite um 66 Prozent angehoben:

Neue absolute Schuldenobergrenze aus dem Hut gezaubert

«Die Gemeinde Weiach ist aktuell noch schuldenfrei, die hohen Investitionen in den kommenden Jahren ändern dies aber. So betragen die Schulden Ende 2027 voraussichtlich etwa 20 Millionen Franken. Trotz der hohen Investitionen beabsichtigt der Gemeinderat, an seinem finanzpolitischen Ziel «absolute Schuldenobergrenze im allgemeinen Haushalt von 5'000 Franken pro Einwohnerin und Einwohner» festzuhalten. Die langfristige Finanzplanung bestätigt, dass die pro-Kopf-Verschuldung schon in wenigen Jahren wieder rückläufig sein wird. Eine konsequente Priorisierung der Investitionsplanung ist daher notwendig, um den Schuldenabbau nach den grossen Investitionen umsetzen zu können. Das detaillierte Budget sowie auch der Finanzplan 2023–2027 wird unter www.weiach.ch publiziert.»

Damit endet der Text der Medienmitteilung. Haben Sie etwas gesehen, was unter dem Titel «Zusätzliche Finanzierungsmassnahmen» verbucht werden könnte? Mehr dazu im letzten Abschnitt dieses WeiachBlog-Beitrags.

Wir halten fest: Schwupps werden aus 3000 neu 5000 Franken pro Kopf. [Oder reden die da nicht vom selben wie die Swissplan im Finanzplan 2022-2026? Wenn ja, dann bitte ich um Gegendarstellung.]

Es ist schon bemerkenswert, wie da mit Schuldengrenzen operiert wird. Immerhin nennen sie es noch «Schulden» und nicht wie in Deutschland «Sondervermögen», wenn in derart gigantischem Ausmass Fremdkapital aufgenommen werden muss.

Bestätigung einer rückläufigen Verschuldung?

Am Rande der Glaubwürdigkeit operiert die Marketing-Aussage, die langfristige Finanzplanung BESTAETIGE, dass die pro-Kopf-Verschuldung rückläufig sein WIRD! Sehen Sie Bauprojekte für Hunderte Neuweiacher? Haben die Gemeinderatenden eine Glaskugel, in der sie die wirtschaftliche Zukunft sehen können? Dann können wir von Glück reden, dass sie nicht längst an der Börse Millionen und Abermillionen gemacht haben und sich der mühseligen Ratsarbeit entledigen wollen.

Bisher wurde gemeinderätlicherseits implizit der Eindruck vermittelt, auch 9000 Franken Schulden pro Einwohner seien absolut gar kein Problem und völlig im Rahmen des Tragbaren. Massgebliche Anteile der Weiacher Stimmberechtigten scheinen dieses Verschuldungsproblem aber durchaus anders zu sehen. Darauf deutet allein schon der Umstand hin, dass am 18. Juni die Zusatzvorlage für eine Tiefgarage doch recht deutlich abgelehnt wurde. Und: Man darf davon ausgehen, dass etliche Stimmberechtigte sich bei einer Aufteilung der Hauptvorlage in einen Schulteil und einen Gemeindeteil dafür entschieden hätten, auch nur den ersteren zu genehmigen. 

«Zusätzliche Finanzierungsmassnahmen». Suche nach Einhörnern?

Hat die Führungscrew dieses Unternehmens namens Weiach die Lage noch im Griff? Warum werden hier keine konkreten Massnahmen verkündet? Warum wird so penetrant betont, wie gut es es noch gehe? Ist das bisher im Triple-A-Bereich geratete Weiach mittlerweile kein blue chip mehr, sondern gar auf dem besten Weg ein junk bond zu werden? 

Ob man die Anführungszeichen dereinst weglassen kann, das wird der Redaktor dieser Zeilen erst entscheiden, wenn das Budget dann endlich auch auf der Gemeindewebsite verfügbar ist. Vielleicht nicht einmal dann. Über die konkrete Natur dieser Massnahmen schweigt sich der Gemeinderat nämlich bis zum heutigen Tag völlig aus. 

Was könnte sich hinter diesem Begriff verbergen? Sparmassnahmen? Und wenn ja, an welchen Stellen? Oder eben doch: Neue Einnahmequellen? Erschliessung von bisher aus politischen Gründen nicht angezapften Ressourcen?

Hier ein paar Gedanken zur zweitgenannten Kategorie:

A. Kiesentschädigungen Hasli 

Wurden mit der Weiacher Kies AG Inkonvenienz-Entschädigungen pro abgebautem und per Lastwagen aus der künftigen Grube im Hasli über Weiacher Gemeindegebiet ins Hard transportiertem Kubikmeter Kies vereinbart? Sowohl Abbau wie Transport werden Emissionen an Staub und Lärm verursachen, die eindeutig zu einer Minderung der Lebensqualität und höheren Kosten führen. Ein Franken pro Kubikmeter würde zu mehreren Millionen in der Gemeindekasse führen. Eine kleine Summe, wenn man bedenkt, welch grosse Risiken (mit potentiell sehr hohen Schadensummen) nach Ablauf der Haftungsperiode der Weiacher Kies AG auf  das Gemeinwesen übergehen werden.

Hat sich die Gemeinde das Entgegenkommen gegenüber der Weiacher Kies AG entschädigen lassen, dass sie (wie vom Kanton gefordert) Flächen im Gemeindeeigentum im Umfang von mehreren Hektaren aus bisher landwirtschaftlich für produzierende Betriebe nutzbaren Flächen durch massive Eingriffe zerstören und in reine Naturschutzgebiete umwandeln lässt?

B. Neuverhandlung Schulanschlussvertrag Kaiserstuhl/Fisibach

Wird sich der Gemeinderat nun endlich dazu bequemen, mit den Gemeinden Zurzach und Fisibach die Frage der Entschädigungen pro nach Weiach entsandtem Schulkind neu zu verhandeln? Die RSA-Vertragsstruktur sieht nämlich lediglich einen Kostendeckungsgrad von 85% vor (vgl. WeiachBlog Nr. 1631), was dazu führt, dass Weiach schweizweit ziemlich allein dasteht mit diesem Konstrukt und sich vom Kanton Zürich wird vorwerfen lassen müssen, über Jahre hinweg sechsstellige Beträge verschenkt zu haben, wenn es dann darum geht ISOLA-Berechtigung zu erlangen.

Wird der Gemeinderat diese RSA-Verhandlungen dazu nutzen, einen langfristigen Vertrag mit den beiden obgenannten Gemeinden auszuhandeln, sodass beide Seiten Planungssicherheit haben und Weiach für die neue Anlage eine finanzielle Beteiligung in der Höhe von mind. 4 Millionen Franken erhält? (vgl. WeiachBlog Nr. 1939)

P.S.: Interne Kommunikation mit Prädikat mangelhaft

Wie oben erwähnt ist die Medienmitteilung am Freitag, 29. September verkündet worden. Die Mitglieder der RPK haben aber das Budget erst am Dienstag, 3. Oktober nach Mittag per e-mail zugestellt bekommen. War diese Medienmitteilung jetzt allen Ernstes derart zeitkritisch, dass man damit nicht mehr bis Dienstagabend warten konnte? Denn eigentlich würde man nach den Regeln der behördeninternen Kommunikation erwarten, dass diese (immerhin vom Volk gewählten) Amtsträger das Budget, über das gegenüber den Medien kommuniziert wird, bereits vorgängig erhalten haben. Ob gewollter Affront oder ungewollter Fauxpas: diese Aktion wirft Fragen auf und ist bei den RPK-Mitgliedern sicher nicht positiv angekommen.

[Veröffentlicht am 22. Oktober 2023 um 03:00 Uhr MESZ]