Samstag, 31. August 2024

Eiserne Hochzeit für Rösli und Willi Baumgartner-Thut

Heute jährt sich die Hochzeitsfeier von Rosa (92) und Willi (94). Ihre Ehe hat mit dem heutigen Datum das AHV-Referenzalter erreicht. Und ist doch recht gut erhalten. Die beiden Jubilare feiern ihre eiserne Hochzeit an dem Ort, wo sie ihr ganzes Eheleben verbracht haben, an der Winkelstrasse 7.

Doch halt, die ersten paar Monate nach der Hochzeit lebten die beiden noch im oberen Stock des Alten Schulhauses, dem Ofenstübli, wo die aus dem Aargau stammende Hauspflegerin Rosa Thut seit 1956 ihre Dienstwohnung hatte. Laut Rechnung 1958/59 des Hauspflegevereins Weiach betrug die Entlöhnung für ihre Angestellte übrigens «Fr. 4'744.- (inbegriffen Krankenkasse u. weitere Versicherungen derselben)» (G-Ch Weiach 1959).

Zügeln war erst nach dem Umbau des elterlichen Hauses des Bräutigams möglich. Und da war, wie sich Willi erinnert, doch so einiges zu investieren, sodass der Baumeister gemeint habe, «den Brändli kommen lassen» wäre günstiger. Weil warm Abbrechen natürlich nicht infrage kam, ist uns das Haus, das einst auch eine Druckerei beherbergt hat, erhalten geblieben. 


Die Feier am 31. August 1959 wurde von Lehrer Kurt Ackerknecht mit der Kamera festgehalten und fand Eingang in den Weiacher Dorffilm. Hier der Einzug des Brautpaars auf der Büelstrasse, rechts das alte Gemeindewaschhaus, im Hintergrund der heutige Spielplatz.


Ein weiterer Screenshot zeigt, mit welchen Mitteln die Hochzeitsgesellschaft unterwegs war. Man sieht es auf dem Bild nicht so gut, aber die Autonummer weist den Gesellschaftswagen als im Aargau eingelöstes Fahrzeug aus. Und so war es in der Tat: Die Angehörigen und Freunde der Braut seien nämlich, so Willi, von Rosas Heimat aus, der Gemeinde Seengen am Nordende des Hallwilersees, gemeinsam nach Weiach zur Hochzeit gefahren. 

Im Bild oben steht der Car fahrbereit vor dem (heute verschwundenen) Näpferhaus und dem Alten Gemeindehaus, im Hintergrund das Pfarrhaus. Nach der kirchlichen Trauung ging es weiter ins Tösstal, wo man dem früheren Weiacher Pfarrer Hauser einen Besuch abstattete und danach über die Hulftegg wieder nach Weiach steuerte. Den Abend habe man dann im Restaurant Bahnhof verbracht, erzählt Willi. Und noch in der Nacht seien die Gäste aus dem Aargau wieder in ihre Heimat zurückgereist.

Quellen und Literatur
  • Zollinger, W.:  Jahreschroniken Weiach 1952-1967. Originale: Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek Zürich. Signatur: G-Ch Weiach 1959 – S. 12.
  • Ackerknecht, K.: Dorffilm Weiach, geschnitten aus Super-8-Filmmaterial, gedreht zw. 1957-1965. Teil 2 von 3, Zeitstempel: 00:08:52 u. 00:09:29.
  • Brandenberger, U.: Rösli Baumgartner-Thut – 50 Jahre in Weiach. WeiachBlog Nr. 185, 8. Mai 2006.
  • Brandenberger, U.: Der Hauspflegeverein Weiach im Herbst 1983. WeiachBlog Nr. 1983, 3. September 2023.
  • Telefongespräch mit Willi Baumgartner-Thut am 31. August 2024.

Freitag, 30. August 2024

Das Pflugfest in Weiach, 2. August 1849

In der Bibliographie der schweizerischen Landeskunde findet man folgenden Eintrag: «Lokalverein, Landwirthschaftlicher, Weiach, Das Pflugfest in Weiach. Zürich, Meyer & Zeller, 1849.  4 1/2 S.  8.  (Schweiz. Zeitschrift für Landwirtschaft. IV. Bd., Nr. 8.)» Die «8» vor der Klammer steht für das Papierformat: Oktav

Die genannte Zeitschrift war eines der beiden Publikationsorgane des 1842 gegründeten Vereins für Landwirthschaft und Gartenbau im Kanton Zürich:


Als dritter Beitrag in der oben abgebildeten No. 8, August 1849 ist auf den Seiten 120 bis 124 der bibliographisch referenzierte Bericht aus der Feder eines Weiachers abgedruckt. WeiachBlog bringt ihn hier zum 175-jährigen Jubiläum des Ereignisses im vollen Wortlaut. 

Der im Bericht erwähnte Gemeindsverein ist die unabhängige, nach den Zielen des auf Kantonsebene bestehenden Vereins im Herbst 1846 gegründete Vereinigung, deren Exponenten auch die Ortsbeschreibung 1850/51 über Weiach verfasst haben. Vgl. dazu die Einleitung von Wiachiana Fontes Bd. 3, sowie zu unten erwähnten Personen: S. 3 (Oberst Heinrich Schinz, alt Regierungsrat) u. 33 (Altenberger, Schloss Rötteln); PDF, 8.9 MB.

Wir wollen das selber ausprobieren

Pflugfeste waren in diesen Jahren eine Gelegenheit zum Austausch über neue Errungenschaften der Bodenbearbeitungstechnik. Sie berücksichtigten, dass nichts besser wirkt als die direkte Anschauung. Denn Landwirte sind Praktiker. Die glauben und kaufen, was fassbar ist und gute Ergebnisse bringt. Nur wer vor Ort sieht, mit welchem Pflug welches Resultat erzielt wird, der kann überzeugt werden. 

Das Pflugfest in Weiach.

«Auf Veranstaltung des Gemeindsvereines hatte am 2. August in Weiach ein dreifaches Pflügen statt. Die Anregung dazu verdankte der Verein einem Vortrag über die verschiedenartige Konstruktion der Pflüge und darauf folgender Demonstration an einem hiesigen Landpfluge, wodurch Herr Oberst Schinz von Zürich das Interesse und die Aufmerksamkeit manches ältern und jüngern Landwirthes der Gemeinde in solchem Maße weckte, daß der Wunsch einmal in der Nähe zu sehen, was man an den bisher abgehaltenen größern Pflugfesten nur von ferne beobachten konnte, immer reger wurde. In der Versammlung des Vereins vom 8. Juli erhielt daher der Vorstand den Auftrag: "die nöthigen Einleitungen zu einem Probe- und Wettpflügen zu treffen, das nach eingesammelter Ernte stattfinden solle und Herrn Oberst Schinz zur Leitung desselben einzuladen." Demzufolge wurde obenerwähnter Tag zu diesem Zwecke angesetzt.»

Man stelle sich dieses Tempo vor: Damals gab es noch keine Telefone, nur die Briefpost!
 
Sechs Pflugmodelle im direkten Vergleich

«Am frühen Morgen vereinigte man die durch die Gefälligkeit der Herren Zeller-Zundel in Zürich, Ernst in Zollikon, Altenberger in Rötheln [Schloss Rötteln vis-à-vis Kaiserstuhl] und Baltensberger in Neerach beigebrachten Pflüge auf einem zwar nicht ganz steinfreien aber dennoch leicht abzupflügenden Stoppelfelde. Die Pflüge waren in folgender Ordnung aufgestellt:

Nro. 1 der in Weiach übliche zweiseitige Pflug mit gerader hölzerner Riester und auf dem Geschaller eingehängtem Gründel.»

Laut dem Deutschen Wörterbuch von Jakob & Wilhelm Grimm ist der Geschaller oder Beschaller das Schweizer Wort für das Vordergestell am Pflug (mit Verweis auf Franz Josef Stalder, den Pionier des Schweizerischen Idiotikons). Mit dem Gründel ist in der Regel der Pflugbaum gemeint, das heisst die hölzerne oder eiserne Tragstruktur. Gemäss den Grimms kann aber auch «der die erde aufschlitzende 'pflugnagel', das 'pflugeisen, pflugmesser'» gemeint sein. Riester oder Streichbrett nennt man die Einrichtung, die den von Schar und Sech abgeschnittenen Bodenstreifen anhebt und zur Seite wendet.

«Nro. 2 ein von Boller und Leemann in Hirslanden verfertigter zweiseitiger Pflug mit Vorsteckbrett und über die Griessäule vorgeschobener stark mit Blech beschlagener Riester und am Geschaller angehängten Gründel.» 

Die Griessäule ist die Verbindung zwischen der Sohle und dem Pflughaupt, beides Elemente, die die Regulation von Tiefe und Richtung ermöglichen.

«Nro. 3 ein Kehrwegetzenpflug von Studer mit breitem Schar und zwei auszuwechselnden gebogenen Blechriestern, mit Vorwagen geführt, in welchen der Regulator eingesteckt wird, (eine Vorrichtung denselben ohne Geschaller zu führen, wurde nicht benutzt.)

Nro. 4 ein Elsasserpflug einseitig mit gebogener fester Blechriester links wendend, mit Vorwagen. [S. 121]

Nro. 5 ein Schwerzischer oder Hohenheimer Pflug, einseitig mit gewundener Riester, mit Stelze.

Nro. 6 ein Dombasl'scher Pflug, einseitige Schar, feste Eisen gegossene Riester ohne Vorgestell (Schwingpflug).»

Viel Fachchinesisch. Um einen Gesamteindruck davon zu erhalten, wie diese Pflüge ausgesehen haben dürften, sei an dieser Stelle auf die Website pflugmuseum.ch von Erich Schwaninger, Guntmadingen SH, verwiesen. Dort findet man auch eine Erklärung für die Bestandteile der Pflüge, sowie zu Fachbegriffen, wie dem Unterschied zwischen Schwingpflug, Stelzpflug, etc.

«Das Gespann für sämmtliche 6 Pflüge wurde auf sehr zuvorkommende Weise von den Mitgliedern des Vereins unentgeldlich geliefert.

Nach dem Programm war für jeden Pflug ein Aufseher bestellt und nachdem diese in der Kehrordnung sämmtliche Pflüge verglichen, wurde auch allen anwesenden Landwirthen Gelegenheit geboten, jeden derselben zu probieren und ihr Urtheil darüber abzugeben. Man hieß daher diese erste Probe die Vergleichsprobe.»

Bitte keine störungsanfällige Technik

«Das allgemeine Urtheil anerkannte die Vorzüge der Pflüge 5 und 6 für das Durcharbeiten von tiefgründigem Boden und schloß auch Nro. 4 nicht von dieser Bemerkung aus, obgleich man dessen Riester für zu kurz hielt; dagegen aber schien die Ungewohnheit mit einseitigen Pflügen zu fahren, ein noch zu mächtiges Hinderniß für deren Einführung, "da alle kurzen Pflüge eine größere Aufmerksamkeit von Seite des Pflug-Halters erfordern." -- Man mißkannte sodann auch nicht die gute Arbeit, welche der Pflug Nro. 3 machte, allein die viele Mechanik und die Gebrechlichkeit seiner Theile (z. B. der Zäpfchen, mit welchen die Riestern in ihrer Lage erhalten werden), machen das Umwenden langwierig und beschwerlich und die Pflüger besorglich für den Aufenthalt in der Arbeit bei vorkommenden Reparaturen. 

Aber vor allen stellte der verbesserte Landpflug Nro. 2 jedermann zufrieden, wegen seiner einfachen soliden Mechanik, seinen gerade gestellten Sechen und hinterlassenden reinen Furchen. Nur wünschte man (für den vorliegenden Boden?) eine geradere senkrechtere Stellung der Riesterfläche. Ref. [d.h. der Verfasser dieser Zeilen, der Vereinsaktuar] kann nicht unterlassen, beizufügen, daß es ihm auffiel, wie ohne allen Anstand sämmtliche Pflüger mit diesem angehängten Pfluge arbeiteten, ohne eine Bemerkung darüber zu machen, daß um einem Widerstand im Boden zu begegnen die umgekehrte Anwendung des Druckes und des Leiters der Geizen (im Vergleich zu dem Landpflügen mit eingehängtem Gründel) statt finden mußte, ein Beweis daß man [S. 122] auch an das Pflughalten ohne Vorwagen und Geschaller sich bald gewöhnen würde.»

Man sieht hier sehr deutlich, was Gewohnheit bewirkt. Geräte, die man kennt, werden bevorzugt: Lieber eine Modifikation des althergebrachten Pflugsystems als eine völlige Neuerung. Die muss dann schon revolutionär sein, damit grössere Teile der Bauernschaft auf sie umsteigen. 

Es kommt auch auf den Boden an, welcher Pflug gut abschneidet

«Nach einer kurzen Pause verfügte man sich auf einen alten Luzerne-Acker, wo nach dem Programm durch dieselben 6 Pflüge, gleichzeitig ein Stück ausdauernd durch dafür ausgewählte Pflüger hätte abgepflügt werden sollen, um darnach den Werth der Pflüge für die vorliegende Arbeit und Bodenbeschaffenheit zu beurtheilen. Das Urtheil der Experten gab den Geschallerpflügen den Vorzug vor den andern. Einige wollten zwischen den Leistungen von Nro. 1 und 2 keinen Unterschied machen, andere aber fanden die Narbe durch letztern besser umgelegt. Der Kehrwegetzenpflug Nro. 3 zeigte sich nicht geeignet für diese Arbeit und hinterließ eine schlechte Arbeit. Dem Pflug Nr. 4 wurde allgemein in diesem Felde der geringste Werth beigelegt; zwischen Nro. 5 und 6 blieb die Wahl unentschieden, namentlich aber wurde bemerkt, daß Nro. 5 die Furchen nicht genug umlege. Offenbar ging 4 schlecht und 3 gar nicht ein und auffallend war wie 6, nachdem man 2 Ochsen abgespannt, und sonach nur mit 2 Zugochsen daher fuhr, weit egaler und besser umwendete, während Nro. 1 viele Böschen nur aufstieß statt umlegte und mit 2 Ochsen nicht durchgekommen wäre. Festere Resultate konnten bei der, wenn auch kurzen, doch ziemlich ermüdenden Arbeit nicht gewonnen werden.»

Dass der Dombasle-Pflug mit nur zwei Ochsen vorgespannt durch diesen Luzerne-Acker kam, der in Weiach übliche Pflug (Nro. 1) jedoch nur mit der doppelten Zugleistung, das dürfte einigen der anwesenden Landwirte schon zu denken gegeben haben.

Ein militärisches Intermezzo stört den Ablauf

«Nachmittags wurde das auf 3 Uhr festgesetzte Wettpflügen, für welches sich 20 meist jüngere Landwirthe eingezeichnet hatten, durch die Ankunft eidgenössischen in Weiach einzuquartirenden Militärs (St. Galler) verzögert.»

Diese Einquartierung steht in direktem Zusammenhang mit den Badischen Revolutionswirren. Wenige Tage zuvor waren aufständische Verbände der Badenser in die Schweiz übergetreten und ein Kampf in unmittelbarer Grenznähe oder gar ein erzwungener Kriegseintritt des gerade einmal wenige Monate alten Bundesstaats konnte abgewendet werden. Vgl. auch WeiachBlog Nr. 2130.

Als Gegengewicht zu den auf deutscher Seite der Grenze aufmarschierten Regierungstruppen und zwecks Kontrolle über die Badenser Aufständischen in der Schweiz, hatte der Bundesrat aus vielen Kantonen Kontingente einberufen. Aus St. Gallen kamen 2 Infanterie-Bataillone, sowie ein 12-Pfünder-Geschütz samt Artilleriepark-Einheit. Eines der Bataillone war am 1. August in Winterthur eingetroffen, wovon Teile am darauffolgenden Tag nach Weiach dislozierten.

Das Wettpflügen gestaltet sich schwierig

«Nach Anleitung des Programms waren auf einem Stoppelfelde (von leichtem steinlosem Boden) Abtheilungen von 7' Breite und 300' Länge abgesteckt und nummerirt, wovon 
die 6 ersten ungeraden Nummern der ersten Rotte, 
die 6 ersten geraden Nummern der zweiten Rotte, 
die 4 zweiten ungeraden Nummern (13. 15 sc.) der dritten Rotte und 
die 4 zweiten geraden Nummern (14. 16 sc.) der vierten Rotte der Wettpflüger zum Abpflügen angewiesen wurden; es zeigte sich aber, daß diese Abtheilungen zu schmal waren, [S. 123] daß die 2. und 4. Rotte gegen die erste und dritte im Vortheil oder Nachtheil war, je nach der Arbeit des vorhergegangenen Wettpflügers, weil ihre Feldabtheilungen zwischen eingeschoben waren, sonach ihnen die Gelegenheit entzogen wurde, sich im schönen Anfurchen zu zeigen und wenn eine ungerade Furche vorherging, sie genöthigt waren, dieser meistentheils zu folgen. 

Es machten sich indeß die Experten zur Pflicht bei Beurtheilung der Arbeit, so viel es bei bloß 6 Furchen möglich war, auf die Regelmäßigkeit der ganzen Breite Rücksicht zu nehmen. Die Expertise wurde durch die Begleiter, welche jedem Wettpflüger beigegeben waren um die auf je 2 Furchen und ein Umwenden verwendete Zeit und die Breite und Tiefe der Furche zu beachten und dieselbe aufzuzeichnen, unterstützt. 

Die Experten selbst, welche die Beobachtung der Regeln und Vorschriften, die für das Wettpflügen aufgestellt waren, zu beurtheilen hatten, erhielten zu diesem Zwecke Karten, auf welchen die Feldabtheilungen (ohne Rücksicht auf die sich einstellenden Pflüger) nummerirt und rubrizirt unter folgende Titel neben einander gestellt waren: a) gerade Furche. b) gleichmäßige Tiefe und Breite. c) fester Gang. d) ohne Erde zusammenzustoßen und herauszustrecken. e) Ausdauer im Gange und fertiges Umwenden und f) Umfahren von Baumpfählen. Beste Arbeit erhielt: Note 1. Gute 2. Mittelmäßige 3. Unordentliche 4. Ganz schlechte 5. Dazu kam dann noch die Minutenzahl; und dies alles wurde bei jeder Nummer addirt zur Festsetzung der Rangordnung unter einander, wornach sich alsdann das Tableau für die Preisvertheilung ergab, dem sodann die Namen der betreffenden Wettpflüger beigesetzt wurden.» 

Prämien aus der Gemeindekasse

«Das Endergebniß war für die meisten Pflüger ein ziemlich günstiges, und man konnte den ansehnlichen Betrag der sowohl aus der Gemeinds- als der Vereins-Cassa für Prämien angewiesen war, so eintheilen, daß keiner der in Wettkampf getretenen Pflüger leer, d. h. ohne wenigstens eine kleine Vergütung für das Einspannen seines Zugviehs ausging. Es sind gewöhnliche Landpflüge von mehr oder weniger guter Construktion vorgeführt worden, mit Ausnahme von Feldabtheilung Nr. 1, auf welcher der verbesserte Pflug von Boller und Lee- [S. 123] mann geführt wurde, auf Nr. 9 und 13 der Dombas'lsche Schwingpflug, auf Nr. 10 der Schwerz'sche Stelzenpflug, auf Nr. 18 ein verbesserter Landpflug,  (demjenigen der Herren Boller und Leemann ähnlich, aber ohne Vorsteckbrettchen und mit einer durch verstellbare Hafte zu verschiedener Richtung geeigneter Riester versehen). Sämmtliche Wettpflüger hatten freie Wahl hinsichtlich der Pflüge, mit denen sie in den Wettkampf treten wollten und mußten selbst für den Zug besorgt sein.

Leider hatte die eingetretene Verzögerung ein etwelches Strütten zur Folge, das für die pünktliche und genaue Ordnung etwas störend war und auch dem bei Wettpflügen besonders wünschbaren ruhigen Ernste Eintrag that.»

Strütten (vgl. auch «es Gschtrütt») wird von den Gebrüdern Grimm u.a. wie folgt eingeordnet: «mundartlich nur im schweizerischen, elsässischen und (bayrisch)-österreichischen zu hause, grundbedeutung 'eilen' als bewegung und handlung, überwiegend mit dem nebensinn des übermaszes, so dasz sich das element des unbesonnenen, eilfertigen, auch oberflächlichen untermischt.» (Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 1 (1931), Bd. X,IV (1942), Sp. 151, Z. 36.)

«Indeß blieb auch noch hie und da manches zu wünschen übrig, so wurde doch manche gute Anregung dadurch gegeben und empfangen und somit der Zweck erreicht. 

Unsern Herrn Preisrichtern, den Herrn: Oberst Schinz, Kantonsr. Hauser v. Stadel [Heinrich Hauser, *1781] und Hauptmann Ernst v. Zollikon [der einen der Pflüge gestellt hatte, siehe oben] und den Begleitern unsrer Wettpflüger für ihre vielfache Bemühung unsern öffentlichen Dank!

Weiach, den 5. August 1849
Im Namen des Vorstands des Lokalvereins:
das Aktuariat»

Quellen
  • Landw. Gemeindsverein Weiach: Das Pflugfest in Weiach. In: Schweizerische Zeitschrift für Landwirthschaft.  Jg. IV (1849), Nr. 8, August 1849 – S. 120-124.
  • Anderegg, F. et al.: Bibliographie der schweizerischen Landeskunde. Heft Landwirthschaft, Teil 2. Bern 1894 – S. 307.
[Veröffentlicht am 31. August 2024 um 18:29 MESZ]

Donnerstag, 29. August 2024

Wahlbeteiligung 1849 «grenzenlos gering»

Es wird ja immer wieder einmal beklagt, die Stimmbeteiligung sei auf kommunaler Ebene unterirdisch tief. Das suggeriert indirekt, früher sei alles besser gewesen. Dem ist aber beileibe nicht so. 

Auch vor 175 Jahren kam es schon vor, dass die Stimmberechtigten ihre Rechte situativ ausübten, oder eben mit Abwesenheit geglänzt und auf ihre Stimme verzichtet haben. Dies kann man der Eidgenössischen Zeitung (zu dieser Zeit in Zürich publiziert) vom Mittwoch, 29. August 1849 entnehmen:

«Zürich. Gestern den 28. d. versammelte sich der Große Rath [heute = Kantonsrat] zu seiner ordentlichen Sommersitzung nicht gar zahlreich. Die wenigen Eröffnungsworte des Präsidenten Herrn Reg Rath Rüttimann bezogen sich auf einige der wichtigern Berathungsgegenstände, vorzüglich eidgenössischer Natur, welche heute zum ersten Mal vorlagen. Die Geschäfte vermehrten sich durch eine Vorlage des Regierungsrathes betreffend die Handwerks-Verhältnisse und das Entlassungsgesuch des Herrn Oberrichter Ammann als Mitglied des Ständerathes. Die von den Wahlkreisen Wald, Kloten, Basserstorf und Stadel getroffenen Wahlen von vier Mitgliedern des Großen Rathes wurden anerkannt und die Neugewählten (Herren Gemeindammann Heußer von Wald, Landschreiber Schäppi, Kommandant Winkler von Kloten und Gemeindammann Willi in Weiach) beeidigt. — Die Theilnahme bei diesen Wahlen war grenzenlos gering. Der letzte z. B. wurde von 31 Anwesenden gewählt!! [...]»

Hier lässt sich der Artikel dann weiter über die behandelten Geschäfte aus. Wir nehmen eine andere Publikation zur Hand, die am 31. August 1849 erschienene Ausgabe der Züricher Freit[ags-]. Zeitung. Auch ihr Verhandlungsbericht nimmt das Wahlergebnis des Kreises Stadel ins Visier:

«Großer Rath. — Eröffnung am 28. August. Die Versammlung war nicht sehr zahlreich. Hr. Präsident Rüttimann meinte, die kostspielige Aufstellung eines vollen Justizapparates sei nicht geeignet, die neuen Bundeseinrichtungen beliebt zu machen, die Wahl von eidg. Geschwornen dürfte übrigens der Jury auch in den Kantonen Eingang verschaffen. Die neugewählten Herren Großräthe Heußer (Wald), Schäppi (Kloten), Winkler (Kloten) und Willi (von Weyach — bei bloß 31 Stimmenden gewählt) werden beeidigt.»

Man kann das jetzt unterschiedlich werten: Als selbstverständlichen Anspruch der Weiacher auf den Grossrats-Sitz (im Turnus mit den anderen Gemeinden des Wahlkreises) oder als Vertrauensbeweis für den (einzigen?) Kandidaten. Regionale Zeitungen kann man zur Beantwortung dieser Frage leider nicht konsultieren, denn diese gibt es erst seit dem Jahr 1850 (vgl. WeiachBlog Nr. 2132 und Nr. 2150).

Quellen

[Veröffentlicht am 30. August 2024 um 13:53 MESZ]

Dienstag, 27. August 2024

Elterntaxi-Problem in den Griff bekommen

Seit ungefähr einem halben Jahr verkünden zwei grosse Transparente auf dem Schulareal unübersehbar ihre Botschaft. Subtil und unmissverständlich zugleich. Wort und Bild eng ineinander verzahnt. Die kurze Geschichte einer Informationsoperation, ihrer Hintergründe und Wirkung.


Der Appell an die Eltern ist deutlich: «Lasst uns laufen! Elterntaxi, nein danke!». Flankierend der Lätsch des per Auto chauffierten Mädchens.

Verkehrsstau und Kindergefährdung

Das Problem ist weder neu noch auf unsere Schule beschränkt. Es heisst Elterntaxi. Darunter versteht man die Tendenz, sein Kind möglichst nahe an den Schulort zu fahren. Aus Sicherheitserwägungen, Bequemlichkeit, wo auch immer die Motivation liegen mag: Was Eltern schon in der Kita-Phase praktiziert haben, das führen sie dann auch in der Primarschulzeit nahtlos fort. 

Diese elterliche Dienstleistung resultierte auch im Weiacher Ortskern in Verkehrsproblemen. Die Elterntaxis stauten sich auf der Stadlerstrasse, verstopften sich gegenseitig die schmale rechtwinklige Zufahrt zum jetzt mit Schulcontainern belegten alten Kiesparkplatz. Hupen und böse Bemerkungen waren häufig zu hören.

Entsprechend appellieren Schulbehörden quer durch die Schweiz seit Jahren an die Eltern. Das tönt dann überall ähnlich: «Bitte fahren Sie ihr Kind nicht mit dem Auto zur Schule. Wir haben keinen Platz für Elterntaxis bei unseren Kindergärten oder dem Schulhaus. Zudem ist das selbständige Zurücklegen des Schulwegs ein Bestandteil der Entwicklung ihres Kindes und gehört zu unserer Kultur. Elterntaxi in der Nähe des Schulhauses gefährden immer wieder die Sicherheit aller anderen Kinder!» (Quelle: Hohfuri Bülach)

Plakatimport vom Jurasüdfuss

Auch im solothurnischen Oensingen (ca. 6600 Einwohner) schlug man sich bereits vor Jahren mit dem Phänomen herum, wie den regionalen Medien zu entnehmen ist: «Kiss & Ride gegen Elterntaxi-Problematik», titelte die Solothurner Zeitung im August 2020 und stellte fest, dass das Oensinger Massnahmenpaket noch nicht ganz vollständig geschnürt sei. 

Zum Schulstart im August 2023 wurde das eingangs vorgestellte Transparent lanciert und die Solothurner Zeitung kommentierte dies mit den Worten: «Statt die Elterntaxis zu verteufeln, will die Gemeinde Oensingen die Vorteile des Schulwegs zu Fuss mit Plakaten und einem Videoclip hervorheben.» Sogar in der Neuen Zürcher Zeitung erschien kurz darauf ein Meinungsbeitrag, der das Oensinger Modell pries.

So kamen denn auch Schulpfleger Moll und Eusi-Schuel-Aktivistin Weingart auf das für Weiach passende Sujet. Es habe noch viele weitere visuelle Umsetzungen gegeben, sagt Moll heute im Hintergrundgespräch mit WeiachBlog. Die Botschaft der Oensinger sei aber am überzeugendsten gewesen. Weiach konnte sich die Rechte erwerben, sodass unsere Version bis auf den Austausch des Schullogos tupfgenau gleich herüberkommt wie die Vorlage vom Jurasüdfuss.

Auf Halteverbote verzichtet

«Bei mehreren Schulen im Unterland gelten seit einigen Monaten Halteverbote. Doch Elterntaxis hat es nach wie vor», schrieb der Zürcher Unterländer Mitte Dezember 2021. Diese Möglichkeit für Gemeinden, selbst auf Hauptstrassen Verkehrsmassnahmen verfügen zu können, besteht im Kanton Zürich zwar. Zu solch komplizierten Massnahmen (im Bild des Unterländers das Beispiel Embrach) wollten die Dossierverantwortlichen in Weiach dann doch nicht greifen müssen.


Info am Elternabend, sozialer Druck auf der App, Polizeipräsenz

Der Weiacher Massnahmenmix, der seit dem Frühjahr 2024 umgesetzt wird, setzt direkt an der Wurzel an: Bei den Eltern. An den Elternabenden (Teilnahme obligatorisch!) wird ausdrücklich auf die Problematik hingewiesen. Die Transparente mit der Kernbotschaft sind strategisch unübersehbar platziert worden. Die Kantonspolizei markierte nach den Ferien an einigen Tagen Präsenz und führte Sensibilisierungsgespräche.

Wie von Renate Weingart zu erfahren ist, sind die Resultate sehr erfreulich. Viele Eltern halten sich mittlerweile daran und schicken ihre Kinder zu Fuss in die Schule. Wer trotzdem Elterntaxi spiele, der nutze die Büelstrasse. An dieser ohnehin mit Tempo 30 signalisierten «Drop off-Strecke» kann man das Schulkind problemloser aussteigen lassen und dann ohne grössere Stauprobleme wieder weiterfahren. Über das Spielplatzgelände gelangen die Kinder schnell auf das Schulareal. Es gebe natürlich immer noch einige Unbelehrbare, räumt Weingart ein. Aber die würden vor Ort und im Elternchat auf der App immer wieder auf ihr Fehlverhalten hingewiesen.

Hat Weiach das Elterntaxi-Problem jetzt im Griff? Sehen Sie das auch so positiv wie Moll und Weingart? Die Redaktion WeiachBlog ist gespannt auf Ihre Rückmeldungen.

Rückmeldungen aus der Leserschaft

«Ergänzend ist auch noch die Herzogengasse zu erwähnen, wo einige Eltern jeweils die Kinder abladen. Dort ist es fast noch gefährlicher, da es beim Rückwärtsmanöverieren zu einer Kollision mit Schüler und Kindergärtler führen kann, welche zu Fuss via Herzogengasse unterwegs sind.» 

Kommentar WeiachBlog: Die Herzogengasse ist natürlich wirklich suboptimal. Schmal, unübersichtlich, 50er-Zone und dazu noch eine Sackgasse. Warum lassen diese Eltern ihr Kind nicht an der Kreuzung Chälenstr./Stockistr. aussteigen und wenden dort? Da wäre dann durchaus zu überlegen, ob man die Herzogengasse nicht für Elterntaxis sperrt.

Quellen und Literatur

Montag, 26. August 2024

Ein neuer Hag um den Schulgarten, 1899

Am heutigen Datum vor 125 Jahren ist die Eingabefrist für eine Bauausschreibung der Primarschulgemeinde Weiach abgelaufen. Das verrät der sogenannte Submissions-Anzeiger in der Schweizerischen Bauzeitung, der Wochenschrift für Bau-, Verkehrs- und Maschinentechnik

Dieses Periodikum war damals das Organ des Schweizerischen Ingenieur- und Architekten-Vereins (SIA) und der ETH-Alumni-Organisation Gesellschaft ehemaliger Studierender des eidg. Polytechnikums in Zürich (GEP).

Worum es ging, verraten die Angaben zum Gegenstand:



Termin: 26. August
Stelle: H. Griesser, Bäcker
Ort: Weiach (Zürich)
Gegenstand: Herstellung eines etwa 160 m langen Zementsockels und eines etwa 160 m langen eisernen Hages um den Schulgarten in Weiach.

Anzunehmen ist, dass bis dahin die Umzäunung der in den 1840er-Jahren entstandenen Baumschule in der Form eines traditionellen Holzgartenzauns ausgeführt war. Gemeindewald mit ausreichend Bauholz und die nötigen Sägerei-Kapazitäten gab es ja direkt vor Ort.

Was die Beweggründe für den Übergang in die Eisen/Beton-Zeit waren, wie sich die Schulgemeindeversammlung dazu stellte, wer sich um den Auftrag beworben und wer den Zuschlag erhalten hat, das findet man allenfalls noch im Archiv der Schulgemeinde heraus. 

Quelle

Sonntag, 25. August 2024

Bodenverlegung der Telephonkabelleitung Stadel–Kaiserstuhl

Seit November 1895 ist der Weiacher Ortskern ans Telefonnetz angeschlossen. Auch danach verfügte die überwiegende Mehrheit noch über Jahrzehnte hinweg über keinen Hausanschluss. Wer angerufen wurde, der musste gerufen werden. Um sich dann höchstpersönlich zur Gemeindetelephonstation oder einem der wenigen privaten Anschlüsse zu begeben.

Bereits 1937 hatte die Anzahl der Abonnenten in unserer Gegend aber offensichtlich bereits in einem Ausmass zugenommen, dass man bei der Kreistelegraphendirektion Zürich an der Brandschenkestrasse im Selnau eine Kabelleitung Niederglatt–Stadel–Kaiserstuhl projektierte. 

Das geht aus einem jüngst frisch retrodigitalisierten Schreiben des Baudienstes besagter Direktion vom 10. März 1937 hervor, in dem man das Bureau für Befestigungsbauten beim E.M.D. in Bern über das Vorhaben orientierte. Denn die Leitung sollte der Westseite der Stadlerstrasse entlang verlegt werden. Und querte damit den Perimeter der Tankbarrikade (TB) auf der Höhe des Müliweihers südlich des Dorfes:

(Quelle: ZH 5205. TB Weiach, 1936-1940; elo Dossier: Dok 5, S. 3 -- Für den Begriff Zoreseisen, vgl. Wikipedia)

Erst kurz vor der Alten Post wurde die Leitung unter der Strasse durch auf die andere Seite verlegt. So wird die Sachlage jedenfalls auf einem im November 1938 regierungsrätlich abgesegneten Situationsplan der kantonalen Baudirektion präsentiert:

Ausschnitt aus einem Plan der Baudirektion des Kantons Zürich für den Ausbau der Stadlerstrasse zwischen Gemeindegrenze bei Raat und der Mühle im Oberdorf. (Quelle: ZH 5205. TB Weiach, 1936-1940; elo Dossier: Dok 11, S. 6)

Wir sehen die Kreuzung der alten Zürcherstrasse (heute: Alte Poststrasse/Bergstrasse) mit der 1844-46 erstellten neuen Kantonsstrasse (heute: Stadlerstrasse).

Vorteil für die Telegraphendirektion: Sie musste für die Querung nur mit dem Kanton und einem weiteren Grundeigentümer, den Gebrüdern Willi (späteres Grundstück Bianchi), koordinieren. Letztere hatten seit dem Bau der Stadlerstrasse noch einen kleinen Rest Land auf der anderen Strassenseite (der Strassenraum war enteignet worden). 

Nordwestlich der Alten Poststrasse, auf dem Grundstück, wo seit 1923 der Wagenschopf des Posthalters Albert Meierhofer stand, wurde eine Überführungsstange platziert. 

Vis-à-vis über die Stadlerstrasse sieht man einen Brunnen, der sich an der Einmündung der Bergstrasse an der Gartenmauer des Restaurants Linde befand.

Wie lange blieben die Glögglibäume erhalten?

Dass es mit der Bodenverlegung der neuen Kabelleitung nicht ganz so rasch voranging, zeigt die nachstehende Aufnahme des Stationsgebiets, die am 12. April 1938 entstanden ist:

(Aufnahme von Max Weiss, Unterabteilung Heliographie und Fotografie
des Hochbauamts des Kantons Zürich. Quelle: StAZH Z 17.315.3)

Linkerhand sehen wir die Trasse der Stromleitung der Elektrizitätsgenossenschaft Weiach (erkennbar an den versetzt an der Stange montierten Isolatoren). Rechts der Strasse die Stangenreihe der Telegraphendirektion, mit auf gleicher Höhe montierten Isolatoren. Es sind ihrer insgesamt elf, somit noch fünf auf Reserve. Grad ganz so schnell musste die Telegraphendirektion ihr Erkennungszeichen auf den Briefköpfen also nicht auswechseln.

Quellen
  • ZH 5205. TB Weiach, 1936-1940. Signatur: CH-BAR E5481#1984/162#306*, Dok. 5, S. 3 v. 6 (Schreiben Kreistelegraphendirektion d.d. 10. März 1937), sowie Dok. 11, S. 6 v. 10 (Planausschnitt; Situationsplan über die Staatstrasse I. Kl. N° 2 in Weiach. Strecke: Grenze Stadel  Mühle Weiach. Km. 17.0-18.1, 1:500. Vom Regierungsrat am 24. November 1938 genehmigt.)
  • Weiss, M.: Weiach, Kaiserstuhlstrasse S-1, Hauptverkehrsstrasse HVS U, 1. Klasse Nr. 1, vom Sternen bis zur Kantonsgrenze des Kantons Aargau. Aufnahme vom 12. April 1938. Signatur: StAZH Z 17.315.3

Samstag, 24. August 2024

Ein Walfisch zu Besuch an der Sternenkreuzung

An der rechtsufrigen Promenade am unteren Seebecken vor der Zürcher Innenstadt lag letzten Montag ein stinkender Pottwal. Laut einem Bericht von 20Minuten handelte es sich um eine Attrappe. 

Für das heutige Datum vor 65 Jahren verzeichnete Lehrer Zollinger in seiner Weiacher Jahreschronik 1959 unter der Rubrik Schulwesen ebenfalls die Anlandung eines Wals. Gestrandet war dieses Exemplar an der Hauptstrasse Basel-Winterthur. Auf einem überlangen Anhänger:

«24. August: Eine niederländische Ausstellerfirma parkiert beim "Sternen" ihren Lastwagenzug mit einem Riesenwal (22 m, 68 t, 40jährig, 1954 im nördl. Eismeer gefangen). Vor der Weiterfahrt nach Winterthur a. 26.8., haben wir so prächtig Gelegenheit, mit unsern Schülern dieses Ungetüm zu bewundern und zu besprechen, natürlich auch zu zeichnen.» (G-Ch Weiach 1959, S. 10)

Über den olfaktorischen, also den geruchlichen Teil dieses Erlebnisses äussert sich Zollinger nicht. Auch zu den bewegten Bildern, die sein Lehrerkollege Kurt Ackerknecht am selben Tag auf Film gebannt hat, ist keine Beschreibung überliefert.



Dafür sehen wir, wo der Anhängerzug gestanden hat. Und wie gross dieser echte Wal gewesen ist. Er wurde noch zu Zeiten gefangen, als Walfangflotten hemmungslos die Weltmeere um diese Grosssäuger geplündert haben.

Es gibt einige Walarten, die in die von Zollinger beschriebenen Grössen- und Gewichtsbereiche fallen, darunter Blauwal (Balaenoptera musculus), Finnwal (Balaenoptera physalus) und Pottwal (Physeter macrocephalus).

Aufgrund der Daten und der Bilder hat es sich wohl um einen Finnwal gehandelt. Zu dieser Art passen die Zahlen nämlich am besten.

Quellen und Literatur
  • Zollinger, W.:  Jahreschroniken Weiach 1952-1967. Originale: Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek Zürich. Signatur: G-Ch Weiach [Jahrgang].
  • Ackerknecht, K.: Dorffilm Weiach, geschnitten aus Super-8-Filmmaterial, gedreht zw. 1957-1965. Teil 2 von 3, Zeitstempel: 00:08:33 u. :43.
  • Furrer, K.: Kunstaktion: Der «gestrandete» Pottwal soll tatsächlich stinken. In: 20min.ch, 19. August 2024, 07:39.

Mittwoch, 21. August 2024

Der Name des Rindviechs sei Bella

Halten Sie einen Hund? Dann kennen Sie die Amicus-Datenbank. Dort drin müssen Halter nämlich ihr Tier registrieren lassen, samt Chipnummer etc. Auf diese Weise kann für jeden Hund schweizweit per Lesegerät sofort eruiert werden, wo das Tier hingehört.

Die Firma Identitas AG, die diese Datenbank im Auftrag des Bundes führt, ist auch für die sogenannte Tierverkehrsdatenbank (TVD) zuständig. Dieses Datenbanksystem ist einer der Eckpfeiler der Landwirtschaftsinformatik-Tools in der Eidgenossenschaft. Es handelt dabei sozusagen um eine Kombination aus Zivilstandsregister und Einwohnermelderegister. Mittlerweile müssen nämlich nicht nur für Rindvieh, sondern auch für Equiden (lt. Art. 6 Bst. y TSV: Pferd, Esel, Maultier, Maulesel), Schweine, Schafe und Ziegen, die nach der TVD-Verordnung des Bundes vorgesehenen Daten (Anh. 1 IdTVD-V) elektronisch gemeldet werden. Und bei Kontrollen auch à jour sein. Tierseuchen-Prävention ist nur ein Nutzen, den staatliche Organe aus solchen Datenbanken ziehen. 

Ich bin auch ein Nutztiersubventionszuteilungssystem

Wenn eine Kuh mit oder ohne Kalb auf die Alp geht, dann ist da eine Meldung erforderlich, denn die beiden Betriebe haben in der Regel nicht dieselbe TVD-Nummer, selbst wenn das Sömmerungsgebiet und der Ganzjahresbetrieb topographisch eine gemeinsame Grenze aufweisen und sogar derselben Person gehören. Auf diese Weise kann automatisch berechnet werden, welcher Betrieb wieviel an Sömmerungsbeiträgen bzw. Alpungsbeiträgen und was der Direktzahlungen noch mehr sind, zugeteilt erhält. Oder eben nicht.

Sie können es sich denken: Ein Landwirtschaftsbetrieb ist heutzutage ohne Informatik kaum mehr zu führen, er braucht minimal einen Internetzugang und sei es per Smartphone. Das alles steckt also hinter den auffälligen gelben Ohrmarken, die mittlerweile im Piercing-Stil beide Ohren von Rindviechern, Schafen und Ziegen verunstalten.

In der TVD muss jedes einzelne Rindvieh, jeder Esel, jedes Ross, jedes Schaf und jede Ziege von der Wiege bis zur Bahre registriert werden. Für jede Verschiebung zwischen Betrieben schreibt der Landwirt Formulare, auch in Form eines Begleitscheins, der Polizeiorganen auf der Strasse auf Verlangen vorgewiesen werden muss. Er wird dadurch zum parastaatlichen Compliance-Hilfsbeamten.

Die Freiheit der Namensgebung ist (noch) gewährleistet

Man kann in der Datenbank auch den Namen des Tieres eintragen. Muss man aber nicht. Und es gibt glücklicherweise auch keine Überprüfung auf Sittenwidrigkeit oder mögliche seelische Beeinträchtigung des Tieres, etc. Eine Kuh kann «Andrea XXX» oder «Xongay» heissen. Oder auch überhaupt keinen Namen tragen. Der jeweilige Halter kann einen nicht gefallenden Namen überdies jederzeit problemlos und in Eigenregie in der Datenbank abändern. Schwieriger wird es nur, wenn man das Geschlecht ändern will.

Sozusagen als Abfallprodukt ergibt sich aus der Datenbank auch die Möglichkeit, eine Statistik der beliebtesten Tiernamen zu erstellen. Die kann man sogar online abrufen. cattle-topNamesFemale gibt «Rang, Anzahl und nach Sprachregion die häufigsten Namen der registrierten, lebenden weiblichen Rinder.»

Die Identitas AG betont dabei: «Tiere ohne Namen oder mit «technischen» Namensbezeichnungen werden in der Darstellung nicht berücksichtigt. Die Mehrheit aller Namen kommt nur einmal vor und schafft es nicht unter die Top 10.»

Zürcher Bauern stehen auf Bella und Fiona. Berner ebenso.

[Hinweis: Dieser Abschnitt samt Titel wurde am 24.8.2024 nach Rückmeldung der Kommunikation Identitas umgeschrieben. In der ursprünglichen Fassung wurden Datensätze auf unzulässige Weise verknüpft, sowie Untermengen mit der Gesamtmenge verwechselt. Diese Vermischung ergab natürlich dementsprechend völlig falsche Prozentangaben.]

Per Stichdatum 31. Juli 2024 waren in der Schweiz 1'278'601 Tiere in der Kategorie Rindvieh gemeldet (Stand: 19.8.2024). Also Stiere, Ochsen, Munikälber, Kühe (weibliche Tiere ab dem ersten Abkalben), Guschti & Kuhkälber. Davon waren 65'519, d.h. 5.1 % aller Schweizer Rindviecher, auf die TVD-Nummer eines Betriebs im Kanton Zürich gemeldet (zum Vergleich: Kanton Bern: 264'653 = 20.7 %).

Über alle Sprachen hinweg sind die in Helvetien mit Meldestand 19. August häufigsten Namen für weibliche Rindviecher: Bella (4385), Fiona (3182), Bianca (2990), Sina (2874), Tina (2785), Nora (2731), Luna (2653), Nina (2630), Belinda (2541), Diana (2443).

Die Berner Bauern haben da natürlich ein gewichtiges Wort mitzureden: Bella (906), Fiona (854), Bianca (743), Sina (704), Diana (674).

Im Kanton Zürich präsentiert sich die Rangliste leicht anders: Bella (210), Fiona (162), Luna (158), Sina (154), Anna (141). 

Man sieht: Die Deutschschweiz dominiert das Feld und ein weiblicher Name hat für viele Landwirte zwingend auf ein -a zu enden. 

Sogar eine Statistik über die letzten 15 Jahre ist verfügbar:


Welche Kuhnamen bei Zürcher Bauern früher beliebt waren

Blenden wir hundert Jahre zurück und werfen einen Blick in alte Ausgaben der NZZ, dann finden wir darin tatsächlich regelmässig eigene Rubriken über Land- und Forstwirtschaft im Kantonsgebiet. So am 30. September 1924 die Liste der prämierten Tiere an der Kantonalen Landwirtschaftsausstellung in Winterthur.

Auch damals hatten diese Tiere Namen. Einige Halter verfolgten bei der Namensgebung technokratische Ansätze, wie die Gutswirtschaft Maggi in Kemptthal, von der gleich etliche der preisgekrönten Tiere stammten. Sie benannte nach dem Standard Name + Nummer. Bsp:: «Maggi 270». (Vgl. auch: Weiacher Geschichte(n) Nr. 66, S. 207-208: Besuch des Frauenvereins der Arbeitschule Weiach in Kemptthal, 1912) 

Bei den traditionellen bäuerlichen Tierhaltern war die Namensgebung noch eine individuellere. Hier die Aufstellung für die weiblichen Tiere aller Kategorien:

Adler, Afra, Alpina, Anni, Bär, Bärli (2x), Baron, Bella (3x), Blondina, Blondine (2x), Blösch, Blum, Blume, Blümli (2x), Bommer, Bony, Bruni, Chrönli, Diana, Dora, Elbe, Ella (2x), Elsa, Eva, Fanni (4x), Fanny, Felder, Fenner, Fleck, Flora, Flori, Freude (2x), Freudi (3x), Fryeli, Gams, Gems (2x), Gemsli, Golda, Göldi, Gritli, Hekla, Helvetia (2x), Hermine, Hirsch, Hirz (3x), Isli, Jossa, Kaiser, Käthe (2x), Kundi, Laubi (2x), Leni (2x), Lerch, Leu, Lidi, Liebling, Lillo, Lisi (5x), Loni, Lori, Luschti, Lusti (3x), Lydia, Mai, Martha, Meise, Meta, Mina (2x), Moldau, Myrtha, Naphtha, Narda, Nelli, Olga (4x), Rösi (2x), Rosine, Rösli, Rubel, Sahra, Schäfli (5x), Schöne, Shimmy, Silber, Tamina, Thekla, Tribuna, Tübli (2x), Ursula, Violett, Vogel, Vrene, Vreneli, Vreni (6x), Vroni, Waldi (3x), Walli, Weichsel, Wonne, Züsi.

Am häufigsten findet man: Verena (in 4 Varianten), Lisi, Schäfli, Fanni (in 2 Varianten) sowie Olga. Das waren auf der Ausstellung die beliebtesten Namen. 

Im Vergleich mit den TVD-Daten erkennt man auch die Longseller über ein Jahrhundert hinweg. Bella und Diana. Sogar bezüglich Häufigkeit erscheint Bella als auffälligste Namensgebungs-Konstante im bäuerlich-zürcherischen Kuhstall.

Quellen und Literatur

Dienstag, 20. August 2024

Frühzeit der Volksmotorisierung hat AHV-Alter erreicht

Etliche ältere Weycherinnen und Weycher haben den Ortschronisten und Dorfschullehrer Walter Zollinger noch selber erlebt. Teils sogar als seine Schülerinnen und Schüler. Doch diese Zeitzeugen werden immer weniger und die Erinnerung verblasst langsam. 

Es schwindet auch die Erinnerung daran, dass man noch vor 65 Jahren mehrheitlich zu Fuss ging. Oder mit dem Velo gefahren ist. Mobilität war teuer. Viele konnten sich das (noch) nicht leisten. Mitte der 1950er begann die Hochkonjunktur und die Massenautomobilisierung erst gerade. 

Tour de Suisse bringt extremes Verkehrsaufkommen

Und Zollinger, geboren 1896, empfand diesen Vorgang als schier unglaublich, wie man dem Jahrgang 1954 seiner mit der Schreibmaschine getippten Dorfchronik entnehmen kann:

«Ein Riesenverkehr, wie wir ihn alljährlich nur einmal erleben, „brauste“ am 7. August 54 durch unser Dorf: Motorengerassel, Velo an Velo, Autos am laufenden Band! Weshalb das? Die Tour de Suisse rollte heute, ca. 3 ¼ Uhr, von Zurzach her kommend Winterthur zu. Da wird allemal der „Belchenstutz“ hinter Fisibach von Zuschauern dicht besetzt. Bis alle dort und nachher wieder weg sind, haben wir dann eben diesen einmaligen Grossverkehr.» (Quelle: ZBZ Hs. G-Ch Weiach 1954, S. 13)

Landwirtschaftliche Fahrzeuge hatten Vormachtsstellung

Direkt im Anschluss kommt Zollinger auf die Situation in der eigenen Gemeinde zu sprechen, wo er selber eine Privaterhebung vorgenommen hatte:

«Aber auch die Dorfgenossen selbst können sich immer mehr brüsten mit der Motorisierung. Neben den ca. 35 Traktoren oder Motormähern aller Marken zähle ich noch:

7 Personenautos
5 schwere Motorräder
2 Lastwagen
8 leichte Motorräder
4 Jeeps
7 Roller
7 Velos mit Hilfsmotor

wie wird’s wohl in 4 bis 5 Jahren erst sein!» 

Damals hatte Weiach noch seine althergebrachte Grösse von um die 600 Einwohnern. Deren Motorisierungsgrad kommt uns aus heutiger Sicht geradezu lächerlich klein vor.

Die zweite Zählung fand tatsächlich statt

Das war also vor 70 Jahren. Zollinger hat sich an seine 1954er-Chronik erinnert und die private Erhebung wiederholt. In der Chronik über das Jahr 1959 baute er das Resultat ein:

«Eine privat durchgeführte Zählung der Motorfahrzeuge im Dorf ergibt eine erkleckliche Vermehrung der PW und Mopeds gegenüber der Aufstellung vor 5 Jahren:

24 Personenwagen
2   Lastwagen
4  Jeeps
6  schwere Motorräder
32 Mopeds
4  Solexli
»

(Quelle: ZBZ Hs. G-Ch Weiach 1959, S. 13)

Motorrad, Roller oder Moped? Weiacher Wehrmann an der Einmündung der Chälenstrasse in die Stadlerstrasse, Blickrichtung VOLG, ca. 1960 (Quelle: Dorffilm Ackerknecht, Teil 2 von 3, Zeitstempel 00:14:07 bis :09; Nachtrag vom 21.8.24)

Solexli?

Interessant ist die Abnahme der Anzahl Hilfsmotor-Velos (mutmasslich schon 1954 der Marke Vélosolex) von 7 auf 4. Sie wurden wohl bereits in der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre in der Tendenz durch «richtige» Mofas ersetzt. Und Mofas, Mopeds & Co. wurden damals nicht nur von Jugendlichen gefahren.

Apropos Solexli: Diese auch in der Schweiz durch Hispano Suiza in Lizenz gefertigten Velos des französischen Vergaserherstellers Solex mit Reibrollen-Zweitaktmotor, der auf das Vorderrad wirkte, nannte man übrigens auch «Christenverfolger» mit «Maria-Hilf-Motor». Denn die ab 1946 in Serie produzierten Knatterer waren offenbar besonders als Dienstfahrzeuge von Ordensgemeinschaften im Einsatz, angeblich, da der Motor auf dem Vorderrad die Kutte nicht so verschmutzte wie der eines Mopeds. (Quelle: plattformj.ch)

Eine Vermehrung bis ins Unglaubliche

Zwecks Vergleich mit der heutigen Motorisierung seien die Zahlen 2023 aus dem Gemeindeporträt Weiach des Statistischen Amts des Kantons Zürich aufgeführt:

Personenwagen.  Anzahl: 1386; d.h. 668 je 1000 Einwohner
Motorräder.         Anzahl:   214; d.h. 103 je 1000 Einwohner

Hätten wir noch den Motorisierungsgrad von 1959, so dürften heute in Weiach (2116 Einwohner per Ende 2023) gerade einmal 79 Personenwagen und 20 Motorräder eingelöst sein (Pw: 37 je 1000 E.; Motrd: 9 je 1000 E.).

Das relative Wachstum in 65 Jahren beträgt somit das 17.5-fache bei den PW und das 11.4-fache bei den Motorrädern! Was würde Walter Zollinger dazu sagen?

Quellen
  • Zollinger, W.:  Jahreschroniken Weiach 1952-1967. Originale: Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek Zürich. Signatur: G-Ch Weiach [Jahrgang].
  • Ackerknecht, K.: Dorffilm Weiach, geschnitten aus Super-8-Filmmaterial, gedreht zw. 1957-1965.
  • Abegglen, B.: Alte Zweiräder treffen auf neue Liebe. Plattform J, 10. März 2021.

Montag, 19. August 2024

Von der «Wochen-Zeitung» zum «Zürcher Unterländer»

Mit dem Übersichts-Beitrag WeiachBlog Nr. 2132 ist eine Serie über die Geschichte der im Zürcher Unterland erscheinenden Presseerzeugnisse (sog. Abonnements-Zeitungen) lanciert worden. Heute folgt nun der erste der angekündigten Artikel über die einzelnen Zeitungen. Er ist dem ältesten und zugleich einzigen bis heute bestehenden Printprodukt gewidmet, das um den kommenden Jahreswechsel seinen 175. Geburtstag feiern kann. 

In seiner Festschrift über die Geschichte der zürcherischen Presse hat Rudolf Vögeli die Anfänge der im Zürcher Unterland gedruckten Medien wie folgt beschrieben (Link von WeiachBlog eingefügt): 

«Die Bezirke Bülach und Regensberg hatten bis zum Jahre 1850 keine heimische Zeitung. Diesem Mangel half die „Bülach-Regensberger Wochenzeitung“, nachmals „Bülach-Dielsdorfer Wochenzeitung“, ab. Deren Gründer, Drucker und Verleger war F. Lohbauer in Bülach. Bis zu den Jahren der demokratischen Bewegung beschränkte sich das Blatt auf Nachrichtenübermittlung und Aufnahme von amtlichen und privaten Anzeigen; immerhin brachte es seinen regelmässigen Leitartikel über kommunale und Bezirksangelegenheiten, über Fragen des Schul- und Armenwesens und selbstverständlich über die schwebenden Eisenbahnprojekte. Auch die ausländischen Vorgänge fanden zeitweise eine gute Zusammenfassung und Wiedergabe. Im allgemeinen bestrebte sich die Redaktion, den Inhalt der Textseiten dem vorzüglich bäuerlichen Leserkreis anzupassen. Politisch bekannte sie sich zunächst noch zur liberalen Partei, bis mit dem Eintritte F. Scheuchzers eine vollständige Umwandlung vor sich ging, welche die „Wochenzeitung“ zu einem der bedeutendsten demokratischen Landblätter gestaltete.» (Vögeli 1925, S. 148)

Gründungsjahre unter Lohbauer

Am 21. Dezember 1849, so kann man es der Bibliographie der Schweizer Presse von Fritz Blaser entnehmen, begann die Geschichte der Unterländer Presseerzeugnisse. An diesem Tag wurde nämlich die Probenummer für das ab dem Jahreswechsel 1850 erscheinende «Wochenblatt für die Bezirke Bülach und Regensberg» publiziert. So hiess die Zeitung dann auch in den ersten fünf Jahren ihres Bestehens. Kurz vor dem Jahreswechsel 1854/55 wechselte der Titel auf «Bülach-Regensberger Wochen-Zeitung».

Der Gründer Felix Lohbauer liess bis und mit 9. Februar 1850 bei J. J. Ulrich in Zürich drucken und übernahm diese Arbeit dann selber. Mitte Februar 1850 ging also die erste im Unterland gedruckte Zeitung an die Abonnenten. In diesen Jahren war das Blatt noch liberal-radikal (heute würde man sagen: freisinnig) gepolt, ähnlich wie die Zürcher Regierung seit 1831 (lediglich unterbrochen durch ein sechs Jahre dauerndes konservatives Intermezzo nach dem Züriputsch 1839). 

Friedrich Scheuchzer übernimmt und krempelt das Blatt um

Am Übergang zu den 1860er-Jahren begann sich das aber zu ändern, wie Vögeli andeutet. Dr. med. Friedrich Scheuchzer (1828-1895), ein Cousin Gottfried Kellers, Absolvent der Bezirksschule Kaiserstuhl, wurde 1859 Redaktor der Wochen-Zeitung. Ab 1. Oktober 1861 gehörte ihm die Wochen-Zeitung auch.


Lithografie von Friedrich Hasler für die Gallerie berühmter Schweizer der Neuzeit, 1863-1871 erschienen bei Orell Füssli in Zürich (Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv).

Dr. Scheuchzer, der in Bülach auch als Arzt praktizierte, war einer der wichtigsten Exponenten des linken Flügels der Demokratischen Bewegung. Diese wurde «überwiegend vom ländlichen und kleinstädtischen Bürgertum getragen. Sie waren Handwerker, kleine Industrielle, Bauern, aber auch Arbeiter. Ihre programmatischen und organisatorischen Führer stammten aus der ländlichen Intelligenz (Lehrer, Pfarrer, Redaktoren, Beamte, Ärzte, Juristen, Fabrikanten), die ihre Ideen in der eigenen, auch in der Landschaft verbreiteten Presse (Winterthurer Landboten, Bülacher Volksfreund) propagierte. Die Kontrolle des Staatswesens lag bei dem im Freisinn repräsentierten, etablierten Bürgertum. Die Demokratische Bewegung wollte das von diesem vertretene Repräsentativsystem durch direktdemokratische und staatsinterventionistische Einrichtungen ersetzen.» (Quelle: Wikipedia-Artikel Demokratische Bewegung (Schweiz))

Weltanschauung der «Wochen-Zeitung» führt zu Gründung des «Volksfreunds»

Diese Charakterisierung zeigt deutlich den heftigen Gegensatz zwischen den Gouvernementalen, die nach dem System Escher funktionierten (gemeint ist der Eisenbahnkönig und Credit Suisse-Gründer Alfred Escher) und ihren vor allem von ihrer Hochburg Winterthur aus operierenden Gegenspielern, den Demokraten. Wie hemdsärmlig es dabei zugehen konnte, zeigt Weiacher Geschichte(n) Nr. 55. Dieser Artikel beschreibt den Wahlkampf 1866, im Verlaufe dessen der Statthalter auf Schloss Regensberg, Ryffel, und der Weiacher Gemeinderatsschreiber (und Mitglied des Gemeinderats) Grießer aneinandergerieten und sich dann eine öffentliche Schlammschlacht lieferten.

Das Jahr 1866 sah übrigens als direkte Folge auch die Gründung des Bülacher Volksfreunds als Gegengewicht zu der von Friedrich Scheuchzer dominierten Wochen-Zeitung. Insofern dürfte der Wikipedia-Autor, der den Volksfreund als demokratisches Blatt bezeichnet (s. Zitat oben) ziemlich falsch liegen. Denn gleich in der ersten Nummer des Volksfreunds (ab 1957: Neues Bülacher Tagblatt) zog der Statthalter mit einer scharfen Replik gegen Vorwürfe in der Wochen-Zeitung zu Felde. Worauf dann ein publizistisches Konterbatterie-Gefecht folgte. Um zu verstehen, wer wem was um die Ohren gehauen hat, muss(te) man schon beide Zeitungen lesen.

Demokratischer Sieg erzwingt Namenswechsel

Die Niederlage der freisinnigen Gouvernmentalen bei den Wahlen 1866 und die neue Verfassung von 1869, die ohne den massiven Druck der Demokratischen Bewegung kaum zustandegekommen wäre, führten 1871 letztlich auch zur Verlegung des Sitzes der Bezirksbehörden von Regensberg hinab ins Tal nach Dielsdorf. Damit ging die Namensänderung des Bezirks einher. 

Diesen Umwälzungen Rechnung tragend, mussten dann auch die beiden den Namen Regensberg im Titel führenden Unterländer Zeitungen sich umbenennen: so trat das Blatt ab dem 8. Mai 1872 unter der Bezeichnung Bülach-Dielsdorfer Wochen-Zeitung auf.

Fritz Blaser liegt also in seiner Bibliographie nicht ganz richtig, wenn er in seinen tabellarischen Einträgen einen Wechsel zu einer Nachfolgenden Zeitung suggeriert. Neu mag allenfalls der Untertitel «Demokratisches Volksblatt» gewesen sein, mit dem Friedrich Scheuchzer seine Ausrichtung unmissverständlich klarstellte.

Dabei handelte es sich lediglich um zwei verschiedene Ausprägungen bürgerlicher Vorstellungswelten. Eine sozialistische Zeitung hätte jedenfalls im traditionell konservativen Unterland nicht wirklich Fuss fassen können. 

Scheuchzer-Dynastie in Verantwortung bis 1955

Seit 1868 erschien das (laut Blasers Bibliographie) «demokratisch-bürgerlich-bäuerlich» ausgerichtete Blatt wöchentlich 2x, später 3x. Dazu kam eine Sonntagsbeilage. Die Konstante dahinter waren die Scheuchzers. Nach dem Tode Friedrich Scheuchzers übernahm Severin Scheuchzer (1895-1918) als Verleger, gefolgt von S. Scheuchzers Erben (1919-1927) und G. Steinemann-Scheuchzer (1927-1955).

Als Chefredaktoren waren in dieser Phase tätig (Eintrittsjahr in Klammern): Dr. Friedrich Scheuchzer (1859), Fritz Bopp (1889), Alfred Illi (1928), Dr. Ernst Geyer (1936), Dr. Gottfried Kummer (1939), Walter Blickensdorfer (1943) und Fred Heyn (1945).

Ära eines streitbaren Bauernführers

Der neben Friedrich Scheuchzer politisch wirkmächtigste unter diesen Herren dürfte wohl Fritz Bopp (1863-1935) gewesen sein. Der Sohn eines Kleinbauern und Viehhändlers aus Dielsdorf war nicht nur als Landwirt tätig, sondern auch Notariatsgehilfe. Von 1912-1928 war Bopp Bezirksrichter. Als Politiker sass er von 1896 bis 1918 im Kantonsrat, 1915 bis 1928 im Nationalrat.

Markus Bürgi charakterisiert sein Wirken im Historischen Lexikon wie folgt (Links durch WeiachBlog gesetzt): «B. war einer der ersten Bauernführer des Kantons, der die wirtschaftlich bedrohte Bauernschaft zu stärken suchte und ihre unabhängige polit. Organisation anstrebte. Dabei vertrat er zunehmend eine Abwehrideologie mit autoritären und antimodernist. Zügen, warnte vor geistiger Überfremdung und Vermassung und stellte gegen diese Bedrohung einen gesunden und starken Bauernstand. Zur Stärkung des bäuerl.-ländl. Einflusses setzte sich B. für den Proporz ein und war Mitinitiant der Fonjallaz-Initiative. Er bekämpfte staatssozialist. Tendenzen, war ein entschiedener Gegner des Landesstreiks, vertrat eine rigorose Sparpolitik und lehnte das Frauenstimmrecht sowie den Völkerbund ab. Sein schwieriger Charakter verhinderte einen grösseren persönl. Einfluss. In seiner von der Kritik beachteten Lyrik feierte B. traditionelle Werte und Tugenden wie Heimat, Natur, Bauernstand und Bauernarbeit.»

Arthur Fonjallaz hatte starke Verbindungen zu faschistischen Organisationen und verlangte mit seiner Initiative das Verbot der Freimaurer (1937 an der Urne verworfen). Anklänge der oben erläuterten Ausrichtung finden sich damit natürlich in mehr oder weniger grossem Ausmass auch in den Spalten der Bülach-Dielsdorfer Wochen-Zeitung wieder.

Die Fusion 1949. Antwort auf den «Zürichbieter»

Bereits in der Amtszeit Bopps als Chefredaktor wurde der 1859 gegründete Lägern-Bote zum Kopfblatt der Bülach-Dielsdorfer Wochen-Zeitung.

Als die Familie Akeret 1948 mit dem Zürichbieter ein Fusionsprodukt aus gleich mehreren Zeitungen lancierte, da fühlte sich BDW-Verleger Steinemann-Scheuchzer offensichtlich herausgefordert. Die Antwort war der «Zürcher Unterländer», der im Untertitel auch seine Herkunft und Ausrichtung bekanntgab: «Vereinigte Bülach-Dielsdorfer Wochenzeitung und Lägern-Bote. Demokratisches Volksblatt».

Lange konnte Steinemann sein neu lanciertes Printprodukt jedoch nicht mehr halten. Nur etwa mehr als sechs Jahre später, am 1. Juli 1955, ging der «Zürcher Unterländer» an die Familie Akeret («H. Akerets Erben»), wurde aber weiterhin in Bülach herausgegeben. Damit blieben im Unterland nur noch zwei Zeitungsverleger übrig. Der andere war die Familie Graf, welche den freisinnigen Bülach-Dielsdorfer Volksfreund herausgab (1957 in «Neues Bülacher Tagblatt» umbenannt).

Wachse oder Weiche!

Wie sich die Zeitung in der folgenden Hochkonjunktur schlug und bis in die heutige Zeit retten konnte, das beschreibt Adrian Scherrer im Historischen Lexikon der Schweiz. Der Zürcher Unterländer wird charakterisiert als «Tageszeitung im Kanton Zürich, die 1949 aus der 1850 gegründeten und vom Bauernpolitiker Fritz Bopp geprägten "Bülach-Dielsdorfer Wochen-Zeitung" und dem "Lägern-Bote" hervorging. Der bäuerlich-demokratische unabhängige "Zürcher Unterländer" erschien bis 1960 dreimal pro Woche in Bülach. 1955 übernahm die Akeret AG in Bassersdorf, die auch das freisinnige Konkurrenzblatt "Zürichbieter" verlegte, den Zürcher Unterländer und baute ihn zur Tageszeitung aus. Unter Chefredaktor Erhard Szabel (1963-1989) arbeiteten beide Titel eng zusammen, bis sie 1989 nach dem Verkauf der Akeret AG an die Annoncenfirma Ofa fusionierten. Als parteiunabhängige Forumszeitung erreichte der Zürcher Unterländer darauf eine führende Stellung in den Bezirken Bülach und Dielsdorf. 2006 wurde das "Neue Bülacher Tagblatt" als Kopfblatt integriert. 2010 erwarb die Tamedia AG den Zürcher Unterländer, die ihn per 2011 in den Verbund der Zürcher Regionalzeitungen eingliederte.» (HLS-Artikel Zürcher Unterländer, Stand 24. Februar 2014)

Scherrer nennt drei Jahre als Eckdaten, die diese Entwicklung in Richtung einer führenden Stellung belegen sollen. Wir reichern sie hier noch mit den Bevölkerungszahlen der beiden Bezirke (Dielsdorf und Bülach) sowie der Marktdurchdringung in Prozent der Einwohnerzahl an:
  • 1966: 104921 Einwohner, Auflage: 4206, entspr. 4.0 Prozent
  • 1998: 169858 Einwohner, Auflage: 18657, entspr. 11.0 Prozent (Realwachstum Faktor 2.8!) 
  • 2012: 218225 Einwohner, Auflage: 19878, entspr. 9.1 Prozent (Einbusse 17% seit 1998)
Man sieht hier deutlich, wie (neben dem Internet) auch das Auftauchen der Tamedia-Gruppe im Unterland den hiesigen Zeitungen zu schaffen gemacht hat.

Der Konzentrationsprozess, der im Unterland 1903 mit der Zusammenarbeit der Zeitungen «Der Wehntaler» und «Die Glatt» begonnen hatte, ist damit nach etwas mehr als einem Jahrhundert zu einem zumindest regionalen Abschluss gekommen.

Quellen und Literatur
  • Vögeli, R.: Aus der Geschichte der zürcherischen Presse. Separatabdruck aus: „Das Buch der Schweiz. Zeitungsverleger“. Festschrift zum 25-jährigen Jubiläum des Schweiz. Zeitungsverlegervereins. Luzern 1925. [StAZH Bf 510; Separatdruck: StAZH Dd 1511] 
  • Blaser, F.: Bibliographie der Schweizer Presse, Bd. 1, Basel 1956; Bd. 2, Basel 1958.
  • Brandenberger, U.: «Saufgelage!» – Statthalter verklagt Gemeinderatsschreiber. Öffentliche Schlammschlacht anlässlich der Wahlen 1866. Weiacher Geschichte(n) Nr. 55. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach (MGW), Juni 2004.
  • Brandenberger, U.: Komplizierte Zeitungsnamen-Geschichte. WeiachBlog Nr. 443, 1. Mai 2007.
  • Brandenberger, U.: Synchronopse der abonnierten Zeitungen des Zürcher Unterlands. WeiachBlog Nr. 2132, 14. Juli 2024.

Sonntag, 18. August 2024

Wenn der Bestellungsbetrüger bei den SBB einbricht, 1941

Waren bestellen und nicht bezahlen. Diese Betrugsmasche gab es natürlich auch bereits zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs, menschliche Täuschungsmanöver inklusive. Nur die technologischen Umstände waren andere als heute. Und Bahnhöfe noch bedient. Die SBB-Linie Zurzach–Eglisau spielte dabei eine wichtige Rolle.

Zuerst eine Schreibmaschine...

Nachstehend wird die Geschichte fast rein anhand von Zitaten aus dem Schweizerischen Polizei-Anzeiger (SPA) erzählt, dem damaligen Fahndungsbuch der Polizeikorps. Sie beginnt im SPA Nr. 251 vom 10. November 1941 auf Seite 1656 (Angaben in eckigen Klammern sind Anmerkungen von WeiachBlog): 

«16 531. - Unbekannter, ang. [angeblich] Frei, Robert, Fest.- Ing. [Festungsingenieur], Schw. Mot. Kan. Abt. 13 (falsch), Bestellungsbetrug z. N. [zum Nachteil] der Fa. Theo Muggli, Zürich 1, und Verd. des Diebst. [Verdacht des Diebstahls] einer Schreibmaschine «Royal-Standard», Mod. 10, Fab.Nr. 1 499 845, beg. 4./5.8.41 im Stationsgebäude Zweidlen, z. N. der SBB. Der ang. Frei telephonierte 28.7.41 der Fa. Muggli, er werde in nächster Zeit in Zurzach als Fest.-Ing. arbeiten und im Hotel Rad Logis nehmen; er beabsichtige, eine «Continental»-Occasionmaschine zu kaufen. Da eine solche nicht vorrätig war, «kaufte» er eine «Royal»-Maschine zu Fr. 500, ersuchte um Zusendung derselben an die (fingierte) Adresse Hotel Rad in Zurzach; den Betrag werde er sofort durch die Post einzahlen, sofern die Maschine konveniere. Am 4.8.41 telephonierte der ang. Frei an Muggli, er sei nicht nach Zurzach beordert worden; die nach Zurzach geleitete Maschine sei per Express nach der Bahnstation Zweidlen zu senden. Im Güterschuppen SBB. in Zweidlen wurde dann die Maschine von dem ang. Frei oder einem Komplizen gestohlen. Ohne Zweifel ident. mit Unbekannter, ang. Mühlebach, Hans, Architekt (Art. 16 532, J. 1941). Pol.Kdo. Zürich.»

Wie so eine Maschine en détail aussieht, kann man auf der Website eines Schreibmaschinenrestaurators sehen: Schlagfertigetippsen.

... dann Kaba-Schlösser

Einen Verband mit dem Namen Schwere Motorisierte Kanonen-Abteilung 13 gab es damals durchaus, nur war dort halt kein Robert Frei eingeteilt, was die Kantonspolizei Zürich rasch einmal feststellte. 

Wie der Verweis auf den gleich darunter platzierten Eintrag über einen weiteren Fall zeigt, der demselben Täter zugeschrieben wurde, erkannten die Ermittler dann im November rasch ein Muster zwischen dem Fall anfangs August an der Station Zweidlen (oben) und einem neuen Fall Ende Oktober an der Station Weiach-Kaiserstuhl (unten):

«16 532. - Unbekannter, ang. Mühlebach, Hans, Architekt, Bestellungsbetrug z. N. der Fa. F. Bender, Eisenwaren, Zürich 1, und Verd. des Diebst. von 50 «Kaba»-Schlössern, beg. 31.10./1.11.41 im Stationsgebāude in Weiach, z. N. der SBB. Etwas vor Mitte Okt. 1941 erkundigte sich ein Unbekannter telephonisch bei der Fa. Bender, bis wann 50 «Kaba»-Schlösser geliefert werden könnten und zu welchem Preis. Da die Antwort nicht sofort erteilt werden konnte, wurde der Unbekannte um Angabe seiner Telephonnummer ersucht; er gab Bescheid, dies sei unmöglich, da er im Militärdienst sei. Am folgenden Tage wiederholte er seine telephonische Anfrage, nahm die ihm gemachte Offerte an und bestellte 50 «Kaba»-Schlösser; er werde später berichten, wohin die Lieferung zu erfolgen habe. Ende Okt. 1941 ersuchte der Besteller, der sich nun als Architekt Mühlebach vorstellte, die Fa. Bender telephonisch, die Schlösser per Eilgut und unter Nachnahme des Betrages an die Adresse «Architekt Mühlebach, Weiach» (fingiert) zu senden. Die Sendung wurde nicht eingelöst; dagegen erkundigte sich der ang. Mühlebach am 30. oder 31.10.41 bei der Bahnstation Weiach-Kaiserstuhl, ob für ihn eine Nachnahmesendung von ca. Fr. 750 eingegangen sei; er fügte bei, er befinde sich z. Zt. im Militärdienst und werde die Kiste in den nächsten Tagen einlösen, man solle sie ja nicht retournieren; weiterer Bericht werde folgen. Ohne Zweifel ident. mit Unbekannter, ang. Frei, Rob., Fest.Ing. (Art. 16 531, J. 1941). Pol.Kdo. Zürich.»

Führte Militärdienstmasche die Ermittler auf die Spur?

Wieder Bestellbetrug und wieder die Masche mit dem Militärdienst, diesmal gleich im Nachbarort. Und ja, einen solchen Architekten hat es in Weiach wohl nie gegeben. Dieser Umstand dürfte auch dem Vorsteher der Station bekannt gewesen sein. Er nahm aber wohl an, dass die Bestellung von einem in Bachs, Fisibach, Kaiserstuhl oder Weiach stationierten Wehrmann getätigt wurde. In diesen kriegerischen Zeiten nicht ungewöhnlich.

Die Diebstahlmeldungen erhielten im Polizei-Anzeiger eigene Artikelnummern und geben genauere Angaben zu den gestohlenen Gütern:

«16 536. -- In Weiach, SBB .- Stationsgebäude, 31.10./1.11.41, 15-16 Uhr, wahrsch. nachts, z. N. der SBB., aus Lagerschuppen, vermutl. mit Nachschlüssel oder Dietrich: Nachnahmesendung von Fa. Bender in Zürich, aufgegeben in Zürich-Tiefenbrunnen, Kiste von ca. 60×60×70 cm, gez. «F.B.», deklariert «Eisenwaren», enth. 50 «Kaba»-Schlösser, Art Zylinderschlösser, Gewicht 45 kg (Wert Fr. 733). Pol.Kdo. Zürich.»

Hier ging die Täterschaft also raffinierter vor, indem auf Nachnahme bestellt und damit die SBB gleich doppelt geschädigt wurde: durch Vermögensschaden und den Einbruch. Nur wenig weiter unten dann auch noch die Beschreibung der in Zweidlen gestohlenen Schreibmaschine:

«16 543. - In Zweidlen, SBB.- Stationsgebäude, 4./5.8.41. vermutl. 19.25-18 Uhr, wahrsch. nachts, z. N. der SBB., aus Güterschuppen, vermutl. mit dem bei der Türe aufgehängten Schlüssel geöffnet: Expressgutsendung Nr. 77 Zurzach-Zweidlen, Schreibmaschine «Royal-Standard», Mod. 10, Fab.Nr. 1 499 845, Segmentumschaltung, 88 Schriftzeichen. Normalschrift, Tabulator usw., samt Blechdeckel (Wert Fr. 500). Pol.Kdo. Zürich.»

Die Vertrauensseligkeit der Angestellten der Station Zweidlen machte es der Täterschaft besonders einfach.

Kiste mit Schlössern kurz nach dem Einbruchdiebstahl gefunden

«16 624. - Nachtrag zu Art. 16 536, J. 1941. Weiach, z. N. der SBB. Die Kiste mit den 50 «Kaba»-Schlössern wurde 3.11.41, ca. 100 m vom Tatort entfernt, in einem an der nach Kaiserstuhl führenden Hauptstrasse liegenden Eisenlager der Fa. Zimmermann beigebracht, wo sie offenbar zwecks späterer Abholung versteckt worden war. (V. auch Art. 16 532, J. 1941.) Pol.Kdo. Zürich.»

Aufgrund dieser Abstandsbeschreibung muss sich dieses Eisenlager nördlich der Hauptstrasse 7 befunden haben. Auf jeden Fall noch auf Weiacher Gebiet, womit dann auch Kantonspolizist Bill (vgl. WeiachBlog Nr. 1641 zur Person) zuständig war.

Täter aus dem Aargau identifiziert

Wie genau die Ermittlungsorgane dann innert kürzester Zeit den Täter eruieren konnten, wäre noch abzuklären. Allenfalls findet man dazu noch etwas in den Akten der Kantonspolizei oder Gerichtsunterlagen. Anzunehmen ist, dass auch «unser» Polizeisoldat Bill seinen Anteil daran hatte. 

Jedenfalls wird bereits in der SPA-Ausgabe vom 1. Dezember 1941 (Nr. 269, S. 1776) der erfolgreiche Abschluss der Ermittlungen vermeldet, und zwar unter Art.-Nr. 17 682. Rubrik «Erledigungen». Gleich fünf Positionen konnten so geschlossen werden (die Zahlen bezeichnen die Artikelnummern, vgl. oben):

«Unbekannter, ang. Frei, Robert, und Mühlebach, Hans (ident. mit : Baldinger, Gottfried, 1916, von Zurzach/AG, Schreiner)  16531

Unbekannter, ang. Mühlebach, Hans, und Frei, Robert (ident. mit: Baldinger, Gottfried, obenerwähnt)  16 532

Weiach, Diebst. (Täter: Baldinger, Gottfried, obenerwähnt)  16 536

Zweidlen, Diebst. (Täter: Baldinger, Gottfried, obenerwähnt)  16 543

Weiach, Diebst. (Täter: Baldinger, Gottfried, obenerwähnt)  16 624»

Quelle

Samstag, 17. August 2024

Oberer und unterer Sägeweiher

Wo das Sagibachtal und der «Sagiweiher» liegen, das wissen die meisten Weycherinnen und Weycher. Auf aktuellen Karten und Plänen findet man ihn – aus welchen Gründen auch immer – nur noch unter dem Namen «Bachtelweiher».

Dieser Weiher besteht seit ca.1846, nachdem der Regierungrat des Kantons Zürich im Mai 1845 dem Heinrich Näf die Bewilligung für die Errichtung einer Sägemühle am Källenbach erteilt hatte.

Aber haben Sie auch gewusst, dass es für einige Jahre zwei Sägeweiher gegeben hat? Wer die Nummer 45 aus der Reihe Weiacher Geschichte(n) aufmerksam gelesen hat, dem dürfte nicht entgangen sein, dass da von zwei stehenden Gewässern die Rede ist. 

Aus oberem Sagiweiher wird Gemeindeschwimmbad. Sozusagen...

Das Gemeindeschwimmbad, so wurde 1943 entschieden, sollte «beim ehemaligen oberen Sägeweiher des erloschenen Wasserrechtes Nr. 43, Bezirk Dielsdorf» gebaut werden. Entsprechend wurde dort auch Land gekauft, das bisher dem damaligen Sagi-Eigentümer Ernst Bösiger gehört hatte (WG(n) Nr. 45, S. 102 der Gesamtausgabe).

Auf der Siegfriedkarte 1:25'000 aus den 1930ern ist in der Lengg (dort, wo das Schwimmbad zu stehen kam) noch der alte Verlauf des Sagibachs eingezeichnet und auch der obere Sagiweiher:

Auf der älteren Ausgabe der Siegfriedkarte aus den 1880er-Jahren hingegen ist an dieser Stelle zwar derselbe Knick im Bachverlauf zu erkennen, jedoch noch kein oberer Sagiweiher. 

Das entspricht den in Archivdatenbanken eruierbaren Bedingungen der entsprechenden Wasserrechte. Der Regierungsrat hat nämlich die Konzession für den oberen Sagiweiher erst im Jahre 1898 erteilt (vgl. RRB 1898/2437 u. RRB 1914/0961).

Ob dem oberen Sagiweiher (45 Jahre; 1898-1943) oder dem Gemeindeschwimmbad (38 Jahre; 1944-1982), beiden war ein nicht allzu langes Leben beschieden.

Quellen und Literatur

  • Bewilligung für die Errichtung einer Sägemühle. Regierungsratsbeschluss vom 17. Mai 1845. Signatur: StAZH MM 2.88 RRB 1845/0776.
  • Wasserrecht für einen Eisenbühli-Weiher. Regierungsratsbeschluss vom 29. November 1898.  Signatur: StAZH MM 3.12 RRB 1898/2437.
  • Wasserrecht für den oberen Sagiweiher. Regierungsratsbeschluss vom 30. April 1914. Signatur: StAZH MM 3.28 RRB 1914/0961.
  • Löschung des Wasserrechts Nr. 43 DLD. Regierungsratsbeschluss vom 19. August 1943. Signatur: StAZH MM 3.67 RRB 1943/2331.
  • Erloschenes Wasserrecht Nr. 43: Oberhalb der Säge (Weiach). Weiher, oberer Weiher am Sägebach. Erloschen am 19.08.1943. Signatur: StAZH Z 1.1117.
  • Übersichtskarten Wassernutzungskataster. Bezirk Dielsdorf, 1954. Signatur: StAZH PLAN L 127.11.
  • Brandenberger, U.: Getrübte Badefreuden. Warum Weiach seit Jahren kein eigenes Schwimmbad mehr hat. Weiacher Geschichte(n) Nr. 45. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, August 2003, S. 12-19.