Montag, 5. Oktober 2020

Auf der Strasse freilaufendes Pferd tötet Kleinkind

Gerichtsberichterstattung in der Zeitung gibt es für Weiacher Fälle schon seit mehr als 150 Jahren. Warum, ist klar. Das lesen die Leute, das verkauft die Zeitung. Unglücksfälle und Verbrechen sind Longseller. 

Eidgenössische Zeitung...

Die zum Schwurgericht des Kantons Zürich abkommandierten Journalisten mögen sich im Einzelfall schrecklich gelangweilt haben. Wie schrieb doch der Korrespondent der Eidgenössischen Zeitung am 10. Oktober 1855 in der Einleitung zum Bericht: «Auch die heutigen Fälle boten wenig Interesse.» Doch urteilen Sie selbst:

«Am 6. August führte der 22jährige Heinrich Meier von Raat, Müllerknecht in Weiach, ein 7jähriges Pferd aus der Schmiede heim. Er ließ es frei laufen, obwohl das Ungeziefer »wüst« that, und ging nur hintendrein. Auf der ziemlich schmalen Straße spielten mehrere Kinder; das Pferd machte Sprünge und der Knecht rief ihnen zu, zu fliehen. Das dreijährige Töchterchen des Maurers Joh. Nepfer in Weiach blieb aber zurück und erhielt von dem Pferde einen Schlag an den Kopf, an dem es schon nach 5 Stunden starb. Der Knecht glaubte diesen Tod durch seine Fahrlässigkeit nicht verschuldet zu haben. Richtig ist es jedenfalls, daß es von den Eltern auch sehr unvorsichtig war, die Aufsicht eines dreijährigen Kindes, dazu auf einer öffentlichen Straße, einer Schwester von fünf Jahren anzuvertrauen, obwohl dieß nicht nur in Weiach zu geschehen pflegt. Die Geschwornen fanden den Fall ebenfalls sehr zweifelhaft, wenigstens beriethen sie daran 2 1/2 Stunden und verlangten dann erst noch zu wissen, wer das verletzte Kind aufgehoben habe. Es ergab sich ziemlich gewiß, daß der Knecht es aufgehoben hatte. Es scheint, daß die Geschwornen Werth darauf legten zu wissen, ob sich der Angeschuldigte bei dem Unglück gleichgültig oder teilnehmend benommen habe. Es währte noch eine halbe Stunde bis endlich die Freisprechung erfolgte.»  (Eidgenössische Zeitung, 10. Oktober 1855)

Um von der Schmiede zur Mühle zu kommen, ging der Raater durch das Oberdorf hinauf. Denn der Standort des Hufschmieds befand sich am Eingang zur Chälen. Ob auch diskutiert wurde, warum Meier nicht die alternative Route über die Stadlerstrasse (dies es damals seit knapp einem Jahrzehnt gab) genommen habe, könnte anhand des Gerichtsprotokolls allenfalls erörtert werden.

Interessant auch, wie dieser Korrespondent schon zur damaligen Zeit (ohne Autos!) der Meinung war, es sei zumindest unvorsichtig, ein kleines Kind ohne genügende Aufsicht auf der Strasse spielen zu lassen.

... vs. Zürcherische Freitagszeitung

Auch die Konkurrenz von der Zürcherischen Freitagszeitung schrieb zwei Tage später über den am 9. Oktober verhandelten Fall. Vorangestellt war die Liste der Richter und Geschworenen:

«Geschwornengericht. — Präsident: Herr Ullmer. Richter: Herren Baumann und Hausheer. Geschworne: Herren Kommandant Schultheß, Obmann, Ringger in Langnau, Stocker in Roßau, Bantli in Meilen, Büchi in Elgg, Jrminger in Hirslanden, Zeller-Zundel in Unterstraß, Keller in Flaach, Bachmann in Wiedikon, Bär in Rifferschweil, Buchbinder Eßlinger, Escher im Wollenhof in Zürich.»  

Der Weiacher Fall wird mit wesentlich blumigerer (aber für den freigesprochenen Beschuldigten auch diffamierender) Sprache geschildert:

«Hch. Meier von Raat, Müllerknecht in Weiach, 22 Jahr alt (es kommen dieß Mal lauter ganz junge Leute auf die Verbrecherbank!) ließ ein Pferd aus der Schmidte frei vor sich her laufen, obgleich es unbändig sich gebehrdete. Auf der Straße spielenden Kindern ruft er zu, daß sie fliehen sollen; das Pferd machte auf der schmalen Straße Kapriolen. Es befand sich aber ein 3 jähriges Mädchen dabei, das zurückblieb, und das einen Schlag vom Pferd an den Kopf erhielt, daß es einige Stunden nachher starb. Die Geschwornen beriethen lange. Dann verlangten sie erst noch zu wissen, wer das verletzte Kind zuerst aufgehoben habe. Höchst wahrscheinlich der Angeklagte, und dieß rettete ihn vor Strafe, in dem es bewies, daß er sich nicht gleichgültig benommen; nach abermaliger Berathung ward er freigesprochen.» (Zürcherische Freitagszeitung, 12. Oktober 1855)

Pferdestärken waren unverzichtbar

Was mit dem schadenstiftenden Pferd danach geschah, ist nicht bekannt. Der Weiacher Müller im Oberdorf hielt selbstverständlich auch nach diesem Unglücksfall Pferde, die brauchte er auch dringend für den Warentransport, wie man einem späteren Inserat entnehmen kann:


«Zum Verkauf: 2 gute Pferde, tauglich zum Fahren und Reiten, von vier Pferden die Wahl, in der Mühle in Weyach.» (Eidgenössische Zeitung, 28. Februar 1857)

Quellen
  • Eidgenössische Zeitung, Nummer 280, 10. Oktober 1855, S. 1120 (Digitalisat)
  • Zürcherische Freitagszeitung, Nummer 41, 12. Oktober 1855 (Digitalisat)
  • Eidgenössische Zeitung, Nummer 59, 28. Februar 1857, S. 236 (Digitalisat)

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