Das Weiacher Dorfgericht war bis 1798 eine Art Notariat für Rechtsgeschäfte, die in irgendeiner Form mit dem auf Gemeindegebiet liegenden Grundeigentum in Verbindung standen. Gerichtspräsident (der sog. Stabhalter) war immer ein Kaiserstuhler, der von den niederen Gerichtsherren auf seine Position gewählt wurde. Um 1600 (und noch bis 1605) wurde die Niedere Gerichtsbarkeit über Weiach je hälftig durch den Fürstbischof von Kontanz und die Herren von Landsberg (als Rechtsnachfolger der Heggenzer von Wasserstelz) ausgeübt. Vertreten wurden diese Autoritäten durch den Obervogt zu Kaiserstuhl, der auf dem Schloss Rötteln seinen Amtssitz hatte. Dort wurden auch die Akten des Dorfgerichts aufbewahrt. Die Verhandlungen fanden hingegen in Weiach statt – offenbar meist im ehaften Wirtshaus, das damals noch an der Verzweigung Oberdorfstrasse/Winkelstrasse stand.
Das Spital zu Kaiserstuhl erwirbt ein Wertpapier
Datiert auf den 7. Februar 1600 ist im Kaiserstuhler Stadtarchiv die Urkunde Nr. 287 überliefert, mit der dem Spital (einer gemeinnützigen Institution im Städtchen, die auch Altersheimfunktionen, etc. wahrnahm, vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 69, s. unten) ein Wertpapier überschrieben wurde, das vorher dem Kaiserstuhler Bürger Hans Sachs gehört hatte. Für den Kaufpreis von 11 Gulden an dessen Erben erhielt das Spital einen Jahreszins im Umfang von einem halben Viertel Kernen sowie 3 Vierling Roggen.
Nachstehend das Regest (Inhaltsangabe) zu dieser Urkunde, verfasst von Paul Kläui:
«Vor Hanns Kaldtschmid, burger undt der zeitt undervogt zuo Keyserstuol, der im Namen des Bischofs Andreas von Konstanz und Fridrichen von Landtsperg und auf Befehl hauptman Andre Zweyern von Ury, der zeitt ohervogts zuo Keyserstuol, zuo Wyach in dem dorff zu Gericht sitzt, verkauft Kleinheini Boumbgarter, burger zuo Keyserstuol, als Vogt wylund Hanns Sachsen säligen nach thodt gelaßnen wittib und kindern daselbst zuo Keyserstuol, an Schultheiß und Rat von Kaiserstuhl als Kastvögten des Spitals, vertreten durch Spitalpfleger Hanns Rüch, 1/2 Viertel Kernen Bodenzins, welliches Niclaus Meyerhoffer zuo Wyach ihnen bißhero ab seinem weingarten zuo Wyach zwüschendt Fridli Boumbgarters und Hensi Meyerhoffers weingarten gelegen gezinst, und 3 Vierling Roggen, die sollend Hanns Zoller zuo Weyach und seine nachkhommen ab seinem weingarten järlich uff sanct Martinstag liferen (Anstößer: Anthoni Boumbgarter, Hans Blöchli der keßler, Roott Hanns Blöchli). Kaufpreis 11 Gl. Währschaftsversprechen; Fertigung nach des dorffs Wyach und keyserstuolischen ambts bruch und recht. Siegler, da der Urkunder kein Siegel hat, Andreas Zweyer. Unterzeichnet: Baschle Kalttschmeyd. - Orig. Perg. StAK Urk. 287. S. hängt in Holzkapsel.» (AU XIII – Nr. 311, S. 160).
Schuldner war der Boden, nicht die Person
Interessant ist, dass diese gemischte Kernen-/Roggengült, eine Zahlungsverpflichtung über eine fixe Getreidemenge, auf verschiedenen Rebparzellen (Weingärten) in der Gemeinde Weiach lastete. Die jeweiligen Eigentümer dieses Grund und Bodens mussten also auf anderem Land in ihrem Besitz für den geforderten Ertrag sorgen. Die Rebparzelle war die Sicherheit, mit der die Zahlungsverpflichtung unterlegt wurde. Bei Nichtlieferung betrieben wurde aber selbstverständlich der Bewirtschafter.
Viertel, Vierling?
Als Kernen wurde entspelztes (d.h. gedroschenes) Getreide bezeichnet (vgl. RQNA, S. 512). Das Viertel war eines der gebräuchlichsten Hohlmasse für Getreide und umfasste im Schweizer Mittelland je nach Ort 16 bis 27 Liter (vgl. e-HLS). Ein Viertel umfasste vier Vierling. Je nachdem ob es sich um entspelztes oder unentspelztes Getreide gehandelt hat, fasste das Hohlmasse weniger oder eben mehr Liter (vgl. WeiachBlog Nr. 117 für die Kaiserstuhler Viertelmasse, die hier wohl zugrunde gelegt wurden).
Gregorianisch oder doch noch julianisch?
Was die Datierung anbelangt, ist nicht klar, ob das Datum der ausstellenden Kanzlei (nach gregorianischem Kalender) gemeint ist, oder doch dasjenige, welches am Ort des Rechtsgeschäfts (d.h. in Weiach) nach der dortigen Hohen Obrigkeit Gültigkeit hatte (zwischen 1584 und 1700 galt im Zürcher Herrschaftsgebiet noch der julianische Kalender, im katholischen Kaiserstuhl bereits die neue Zeitrechnung). Zu vermuten ist die Verwendung des heute gebräuchlichen gregorianischen Kalenders, der zum damaligen Zeitpunkt der Weiacher Zeitrechnung 10 Tage «voraus» war (oder der julianische der Kaiserstuhler «hintendrein», je nach Sichtweise).
Quellen und Literatur
- Kläui, P. (ed.): Aargauer Urkunden, Bd. 13, Die Urkunden des Stadtarchivs Kaiserstuhl, Aarau 1955 – Nr. 311, S. 160.
- RQNA, vgl. Weibel, Th.: Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen, I. Abteilung: Die Rechtsquellen des Kantons Zürich. Neue Folge. Zweiter Teil. Rechte der Landschaft. Erster Band. Das Neuamt. Aarau 1996 – S. 512.
- Brandenberger, U.: Ein Spital als Finanzinstitut. Der Kaiserstuhler Liebfrauenspital – eine regionale Darlehensbank, 1545. Weiacher Geschichte(n) Nr. 69. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, August 2005.
- Brandenberger, U.: Entspelzt oder unentspelzt? (Mass und Gewicht 4). WeiachBlog Nr. 117 vom 1. März 2006.
- Brandenberger, U.: Eine Gült wechselt die Hand. Der Bauernhof der Familie Ringli – vor 600 Jahren eine Kapitalanlage. Weiacher Geschichte(n) Nr. 112. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, März 2009.
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