Nach der geosteten Karte von Jos Murer (1566; vgl. WeiachBlog Nr. 1595) und der genordeten Darstellung von Gerhard Mercator (1585; vgl. WeiachBlog Nr. 1603) ist das drittälteste kartographische Werk, auf dem der Ortsname von Weiach erscheint, dasjenige von Gyger und Haller aus dem Jahre 1620.
Da es am heutigen Tag kalenderbereinigt genau 400 Jahre her ist, seit dieses Werk von seinen Urhebern dem Zürcher Rat übergeben wurde, sei es hiermit näher vorgestellt.
Kalenderbereinigt?
Zwischen 4. Oktober 1582 und 31. Dezember 1700 galten in Weiach und Kaiserstuhl unterschiedliche Kalender. In Weiach, das zum reformierten Zürich gehörte, war noch der alte julianische Kalender in Kraft, in der fürstbischöflich-konstanzischen Stadt Kaiserstuhl der neue gregorianische Kalender nach der Bulle Inter gravissimas von Papst Gregor XIII (nach gregorianischer Datierung am 24. Februar 1582 erlassen). Seit 1582 waren die Kaiserstuhler den Weiachern um 10 Tage voraus, ein Vorsprung, der sich bis 1700 noch um einen Tag vergrössert hatte.
Der 11. Oktober 1620, an dem Johannes Haller (1573-1621) und Hans Conrad Gyger (1599-1674) ihr mit militärisch wichtigen Angaben und Erläuterungen über Hochwachten, Fortifikationen, Pässen, Brücken etc. Bürgermeister und Rat der Stadt Zürich übergaben, war nach gregorianischer Zählung (wie wir sie heute weltweit verwenden) der 21. Oktober 1620.
[Dem Chefredaktor der Cartographica Helvetica, H.U. Feldmann, verdankt WeiachBlog die Bestätigung, dass es sich bei diesem 11. Oktober um die Angabe aus den Originalen handle (vgl. Wyder/Feldmann 2011).]
Geheime Verschlusssache: Das Kartengemälde eines Jungspunds?
Wie man unten sieht, handelt es sich bei dieser gesüdeten Karte (d.h. Süden oben) nicht etwa um einen kommerziellen Druck (wie bei Murer und Mercator), sondern um ein farbiges Gemälde. Mithin um ein Unikat (StAZH PLAN G 19), das überdies von einer geheimen (heute würde man sagen: militärisch klassifizierten) Beilage begleitet war: dem Haller'schen Defensional (StAZH B III 301).
Der nachstehende kleine Ausschnitt stellt Weiach ins Zentrum. Er zeigt die Mündung der Glatt in den Rhein, rheinabwärts von Norden her kommend die Mündung des Herdernbachs (vgl. WeiachBlog Nr. 1573), und dann Keiserstuol.
Zweydlen ist nicht mit Gebäudesignaturen eingezeichnet, wohl aber Wÿach und sein Nachbarstädtchen, das eine seltsam anmutende Vierecksform aufweist (wo sie in Tat und Wahrheit doch auffallend dreieckig ist):
Die Gebäudesignaturen sind also rein schematisch dargestellt, auch die gezeichnete Grösse der Kirchen hat offensichtlich nichts mit den realen Grössenverhältnissen zu tun.
Signaturen sagen nicht allzu viel aus
Die 1519-1520 vergrösserte Hohentengener Pfarrkirche war nämlich damals schon viel grösser als eine Weiacher Kirche jemals gewesen ist: Weder die alte Kirche im Oberdorf, noch die heutige im Bühl, können es an Grösse mit der ehemaligen Pfarrkirche der Stadt Kaiserstuhl in Hohentengen aufnehmen, zu der auch Weiach
bis zur Reformation gehört hat.
Ganz zu schweigen von der kleinen Kapelle, die sich bei der 1410 zerstörten Burg Rheinsfelden auf der Landzunge zwischen Glatt und Rhein befand. Sie war dem heiligen Nikolaus geweiht, gehörte ursprünglich dem Kloster Rheinau und wurde um 1539 im Rahmen der Reformation durch die Zürcher profaniert (vgl. HLS-Artikel Glattfelden). Interessanterweise erscheint sie auf dieser Karte des jungen Gyger auch 1620 noch als kirchliches Gebäude, das mit denen von Weiach (Wÿach) und Hohentengen (Thengen) gleichauf zu liegen scheint.
Und doch gibt es da ein Detail, das aufmerken lässt: ein Verweis auf eine natürliche Geländeform, die Felsen des «Stein» südöstlich des Dorfkerns von Weiach. Wenn man genau hinschaut entdeckt man etwas, was durchaus als gezeichnete Repräsentation dieser Formation interpretiert werden kann, nämlich oberhalb des Schriftzugs Wÿach. Wenn damit die Felsen des «Stein» gemeint sind, dann sind sie auf der falschen Seite der Strasse (ein Umstand, der auch den zeichnerischen Sachzwängen bei der Darstellung auf der Karte geschuldet sein kann):
Als Illustration zum Defensional gedacht
Mit anderen Worten: die Inhalte der Karte sind mit Vorsicht zu geniessen. Sie sind zusammen mit der Beilage zu interpretieren. Die in Gold dargestellten Nummern verweisen nämlich auf das Defensional.
Was die Nummern 31 im Fall von Keiserstuol, bzw. 49 im Fall von Thengen bedeuten, wird in einem späteren Artikel auf WeiachBlog erläutert. Da wird dann auch versucht werden, die Frage zu beantworten, weshalb die Passage auf der Landstrasse über Weiach und Raat Richtung Zürich eingezeichnet ist, nicht jedoch diejenige durch das Bachsertal. Auf der Karte erscheinen Fisibach und Bachs als mitten im Wald liegende Weiler, ohne dass eine Strasse erkennbar wäre.
Der Maler dieser im Massstab von 1:50000 angelegten Karte der Nordostschweiz war übrigens derselbe Hans Conrad Gyger, der fast 50 Jahre später die berühmte Gyger-Karte erstellt hat. Ohne die tatkräftigen Vorarbeiten von Ortskundigen, insbesondere solchen, die die Funktion eines Quartiermeisters innehatten, wäre dieses Werk kaum entstanden.
Am Beginn des Dreissigjährigen Krieges
Man ahnt den Zweck. Karte und Beschreibung sollten die Landesverteidigung des Zürcher Staates verbessern helfen. Das war auch dringend erforderlich, denn man wusste ja nicht, wie sich die mit dem Zweiten Prager Fenstersturz von 1618 losgetretenen kriegerischen Auseinandersetzungen auf dem Gebiet des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation noch entwickeln würden. Man musste sich auf den schlimmsten Fall vorbereiten. Zumal auch innereidgenössisch Krieg entstehen konnte, denn da gab es die Spannungen zwischen Reformierten und Katholiken genauso.
Der Rat von Zürich erteilte daher den Auftrag, die Terrainverhältnisse insbesondere in den Grenzzonen und dem operativen Vorfeld zu rekognoszieren. Beteiligt waren: der Artillerieoberst Adrian Ziegler sowie die Stadtingenieure Johannes Haller und Hans Jakob Bürkli, weiter sechs neu ernannte Quartiermeister (darunter auch Hans Conrad Gyger).
Letztere mussten «Grenzen, Pässe, Fähren, Landstrassen und was dergleichen» verzeichnen und «aufreissen» und sich für Hilfsarbeiten «nach tauglichen verschwiegenen Leuten» umsehen. Die erstgenannten hatten in den Grenzzonen «derselbigen örther und päsz uffzuryssen, derselbigen Landtstrassen, steg, wäg, flüsz, fahr, möszer, sümpf, büchel, hinderzüg, uff das best möglich warzenemmen und ze verzeichnen und so möglich die nothwendigsten orth gar in grund zeleggen».
Das Ziel war klar: das Land zu «bevestenen und gegen den fynt wehrhaft zemachen, mit Batterien, Wällen, Schanzen, Brustwehren, Laufgräben, Streichwehren, verborgenen Wachten» und wo «im fahl der noth auch wüzsten ze retirieren». (Darstellung G. J. Peter, nach villmergerkriege.ch). Also genau das, worauf sich die Schweizer Landesverteidigung auch 400 Jahre später noch vorbereitet.
Der schlimmste Fall trat dann glücklicherweise nur ennet der Grenzen ein: Ein Konflikt der mittels überdimensionierter Heere ausgetragen wurde, die sich zwischen den Schlachten der völligen Ausplünderung der deutschen Lande widmeten. Das führte letztlich zu einem zivilisatorischen Zusammenbruch und konnte erst mit dem Westfälischen Frieden von 1648 einer Lösung zugeführt werden.
Die Eidgenossen hatten sich (mit Ausnahme der Bündner) mit viel Glück heraushalten können. Möge uns das mit Gottes Hilfe auch in den künftigen Kriegen des 21. Jahrhunderts gelingen.
Quellen und weiterführende Literatur
- Gyger, H.C. et al.: Der Uralten Loblichen Statt Zürich Graffschaften, Herrschaften, Stett und Land diser zyt von ihnen beherrschet, auch derselben benachbarte verbündet und angehörige, und inen sonst mit Burgrecht und Eigenschafft zugethan als Appenzell, Apt und Statt S. Gallen, die Grafschafften Turgow, Baden, Toggenburg, Sargans, Windegg, Werdenberg und das Rhynthal. So by uralten Zyten in pagum Tigurinum gedient, an ietzo aber in andrem stand und wesen sind, ihr allerseits orth und glegenheit in grund gelegt und lebendig vor augen gestelt. Anno 1620. Signatur: StAZH PLAN G 19 – Vollständige Karte auf Georeferencer.
- Haller, J. et al.: Kurtzer und doch grundtlicher Bericht über die Landttafel, welliche da zeiget die Landtschafften einer löblichen Statt Zürich, zu sampt dero Pundtsgnossen und Anghörigen ..., verzeichnet durch Johannem Haller, der Statt Zürich geordneten Ingenier, Anno 1620. fol. I-VII + p. 1-73. Signatur: StAZH B III 301.
- Graf, J.H.: Die Karte von Gyger und Haller aus dem Jahre 1620. In: Jahresbericht der Geographischen Gesellschaft von Bern, Bd. 11 (1891) – S. 250-264. [Link auf e-periodica.ch]
- Peter, G. J.: Ein Beitrag zur Geschichte des zürcherischen Wehrwesens im XVII. Jahrhundert, Diss. Zürich 1907 – S. 19-23. Vgl. insbesondere villmergerkriege.ch: Chronologisch sortierte Zusammenfassung von Dr. G.J.Peters "Zur Geschichte des zürcher. Wehrwesens im 17. Jahrhundert." [Link auf villmergerkriege.ch]
- Wyder, S.; Feldmann, H.-U.: Die Karten der Schweiz (1620-1657) von Hans Conrad Gyger. In: Cartographica Helvetica, Heft 43 (2011) – S. 3-5. [Link auf e-periodica.ch]
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen