Das betrifft insbesondere den Text seiner 1972 erstmals publizierten Monografie zur Geschichte von Weiach (vgl. WeiachBlog Nr. 1292). Auffallend ist vor allem seine etwas spezielle Art, Zitate aus Urkunden bzw. Urkundenregesten (also den Zusammenfassungen in Urkundenbüchern) zu übernehmen. Diese wirkt sich in mehreren Passagen sinnentstellend aus.
Richtigstellungen betreffen das Mittelalter
Man erinnere sich an die von Zollinger selber aus einem anderen Text (wohl von 1560) eingeschmuggelte Ortsangabe für die vor über dreihundert Jahren geschleifte alte Kirche (vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 90), die es so aussehen lässt, als hätte es bereits 1381, also in vorreformatorischen Zeiten, eine Kirche im Oberdorf gegeben.
Oder an die falsche Darstellung der Verkäufer/Käufer-Verhältnisse für die älteste erhaltene Erwähnung des Ortsnamens 1271 (vgl. WeiachBlog Nr. 453). Auch vom Anonymus, der im Exemplar der Nationalbibliothek handschriftliche Anmerkungen eingetragen hat, wurde letzterer Fehler korrigiert (vgl. WeiachBlog Nr. 1283).
Weiter hat der anonyme Annotator einen von Zollinger falsch datierten Text aus der St. Blasianischen Urkunde von 1279 erkannt und berichtigt (vgl. WeiachBlog Nr. 1284).
«Den Zins darab»? Auch nicht ganz!
Schliesslich hat der oder die Unbekannte einen weiteren Fehler, betreffend eine Urkunde von 1392 erkannt und handschriftlich mit dem Zusatz «den Zins darab» sowie einer Anmerkung 15a ergänzt. Und darum soll es in diesem Artikel gehen.
Aus der obigen Formulierung Zollingers kann man nur den Schluss ziehen, Dietrich Ortolf habe dem Peter Stadler einen in Weiach gelegenen Hof abgekauft und den gesamten Ertrag der Kaiserstuhler Stadtkirche St. Katharinen gestiftet, was impliziert, dass Ortolf den Hof in sein Eigentum übernommen hätte.
Es ging um das Seelenheil der Verstorbenen
Dem ist aber keineswegs so. Sieht man sich das Regest von Paul Kläui (vgl. Bild unten) genau an, dann verhält es sich nämlich wie folgt: Dietrich Ortolf hatte eine sog. Gült gekauft, also ein Wertpapier, das auf dem nach wie vor im Eigentum des Peter Stadler stehenden Hof lastete und dessen Pächter dazu verpflichtete, vorgängig jeder anderen Zinsverpflichtung zehn Viertel Hanfsamen abzuliefern.
Gemäss der Urkunde von 1392 ging diese Lieferung direkt an die Verwalter der Kaiserstuhler Stadtkirche, wo mit dem daraus gepressten Öl das Ewige Licht am Brennen gehalten werden sollte. Alle anderen Einkünfte von diesem Weiacher Hof gingen weiterhin an den Eigentümer Peter Stadler (soweit der Hof nicht noch mit anderen, nachrangigeren Verschreibungen belastet war).
Stifter der ewigen Gülte (und Käufer des in der Urkunde genannten Hanfsamens) war – gemäss Regest Kläuis – jedoch Ortolfs Sohn. Die Stiftung hängt offenbar direkt mit Heinrich Baldenweg und dessen Vorfahren zusammen. Was gleich mehrere Fragen aufwirft: a) ob der verstorbene Baldenweg zu Lebzeiten selber bereits eine Stiftung vorgenommen hat (oder dies nur testamentarisch verfügte), b) ob Dietrich Ortolf zum Zeitpunkt der Verurkundung bereits tot war und sein Sohn aus diesem Grund als Käufer auftrat, sowie c) in welcher Beziehung Baldenweg zu den Ortolfs stand. Es ist möglich, dass die Frau Dietrich Ortolfs eine Tochter dieses Heinrich Baldenweg war. Der Sohn Ortolfs wäre dann einer seiner Enkel.
Wenzinger Plüss verortet Baldenweg'sches Ewiges Licht im Jahr 1392
Franziska Wenzinger Plüss spekuliert 1992 in ihrer Arbeit über das kirchliche Leben im spätmittelalterlichen Kaiserstuhl nicht über diese Fragen. Für sie ist klar, dass die Baldenweg'sche Stiftung 1392 erfolgte – ob nun gleichzeitig mit oder erst direkt durch Dietrich Ortolf bzw. seinen Sohn (vgl. auch S. 98):
Es ist zu vermuten, dass Seelgeräte statt in die Pfarrkirche [Hohentengen] schon bald nach der Errichtung der Stadtkirche [nach 1255] in diese gestiftet wurden. Urkundlich belegen lässt sich dies jedoch erst für das Jahr 1392. In die Stadtkirche wurde damals ein Ewiges Licht für das Seelenheil des verstorbenen Heinrich Baldenweg und seiner Vorfahren gestiftet. Dietrich Ortolf von Lindau hatte dafür zum Preis von 50 gl zehn Viertel Hanfsamen jährlich von einem Hof in Weiach gekauft. Die Stiftung errichtete Dietrich Ortolfs Sohn, die Fertigung holte der Kaiserstuhler Bürger Peter Stadler, Eigentümer des genannten Hofes in Weiach, von Schultheiss und Rat der Stadt ein [Anm-130]. Ewige Lichter sind seit dem 11. Jahrhundert in Altarnähe bezeugt, im Spätmittelalter war dieses Brauchtum
weit verbreitet, wobei die Brenndauer trotz des Namens auch nur eine zeitweilige sein konnte [Anm-131]. (Wenzinger Plüss – S. 99-100; Ergänzung in [ ] durch WeiachBlog)
Anm-130: StAK U 22 zu 1392 IV 26; AU XIII Nr. 34, S. 24.
Anm-131: Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte. Bd. 6. München 1973. Sp. 600-618.
Was bedeutete das für den Weiacher Bauern Hans Locher?
Unter einem Viertel ist ein Getreidehohlmass zu verstehen. Wenn damit das Kaiserstuhler Viertel für unentspeltztes Getreide gemeint ist (in diesem Fall also geschälte Hanfnüsse), dann waren das 22.42 Liter (vgl. WeiachBlog Nr. 117), mithin also ca. 225 Liter geschälte Hanfsamen. Nicht gerade wenig.
Gemäss dem Wikipedia-Artikel Hanföl ergibt sich bei 30-35% Ölgehalt ein Ertrag von 180-350 Liter Hanföl pro Hektar Anbaufläche. Für die Hanfsamen aus Weiach wären das 75 Liter Öl, entsprechend einer Hanfplantagenfläche von 0.4 Hektar (Ertrag 180 l/ha bei Ölgehalt 33%), bei guter Düngung auch weniger.
Jahr für Jahr mindestens die geforderte Menge Hanfsamen hinzubekommen, war dann das Problem von Bauer Locher und seinen Nachfolgern auf diesem Hof. Da sie Hanf auch für den Eigenbedarf anbauten (aus Hanffasern machte man u.a Kleider, vgl. Weiacher Geschichten(n) Nr. 94), musste die Hanfpünt einfach genug gross sein, damit sie diesen Teil des Pachtzinses entrichten konnten.
Korrekturen in Publikationen des Wiachiana-Verlags
1. Da sich die ortsgeschichtliche Monographie in der Tradition Zollingers bewegt und ab 2003 (dritte Auflage) viel von seinem Material übernommen wurde, muss nun auch die entsprechende Passage angepasst werden. Wo Zollinger noch geschrieben hat:
1392 urkundet «Lütold Grebel, schultheiss zue Keyserstuel», dass Peter Stadler «burger daselbst, einen hoff gelegen zue Wiiach hetti .... den hans Locher von Wiiach buwet.... dem Dietrich Ortolf von Lindöw ... umb fünfzig gueter guldin an gold und an gewicht» verkauft hat. Letzterer stiftete dann den Ertrag dieses Gutes an die «kapelle in der statt (Kaiserstuhl) und der reinen jungfröwen sant Katherinen ... » (Schutzheilige von Kaiserstuhl). [Vgl. Zollinger, W.: Weiach 1271-1971. Aus der Vergangenheit des Dorfes Weiach, 1. Aufl. 1972, S. 19.]
... so steht nun in der 6. Auflage der Weiacher Ortsmonographie, Version 6.19 vom November 2019 die folgende Darstellung:
1392 urkundet «Lütold Grebel, schultheis ze Keyserstůl», dass Peter Stadler, Bürger daselbst, «einen hoff gelegen ze Wiiach» habe, «den Hans Locher von Wiiach buwet» und er Zinsanteile davon dem Dietrich Ortolf «von Lindouw […] umb fünfzig gůter guldin an gold und an gewicht» verkauft habe. Sein Sohn stiftete diesen Ertrag der «kapelle in der statt [Kaiserstuhl] und der reinen jungfrouwen sant Katherinen» (Katharina von Alexandrien) [Fn-79].
Fn-79: Zehn Viertel Hanfsamen für das Ewige Licht; vgl. Aargauer Urkunden, Band XIII, Nr. 34 u. WG(n) Nr. 94.
Vgl. Brandenberger, U.: Weiach - Aus der Geschichte eines Unterländer Dorfes. 6. Aufl. Version 19; November 2019, S. 22 (Stand vom 20.11.2019)
Hinweis: Bei der heiligen Katharina von Alexandrien, einer Märtyrerin, handelt es sich wohl um eine Kunstfigur, die der von fanatisierten Christen ermordeten paganen Mathematikerin, Astronomin und Philosophin Hypatia nachempfunden sein soll.
2. Der Artikel Weiacher Geschichte(n) Nr. 94 (Gesamtausgabe S. 355 unten) wurde ebenfalls umformuliert. Der Abschnitt lautet neu:
In einer Urkunde des Stadtarchivs Kaiserstuhl, die auf den 26. April 1392 datiert ist, wird ein Geschäftsabschluss zwischen dem Kaiserstuhler Bürger Peter Stadler und dem Sohn Dietrich Ortolfs von Lindau besiegelt. Ortolf junior erwarb für 50 Gulden eine jährliche Lieferung von «zehen fiertel gůtes hanfsamen» von einem Hof in Weiach, welche «gan sont […] an die kappelle in der statt und in der ere uinser lieben frouwen und der reinen jungfrouwen sant Katherinen, also das da ein ewig liecht in der vorgenanten kappelle vor fron altare bruinnen sol […].»
In die Stadtkirche von Kaiserstuhl wurde damit ein Ewiges Licht für den verstorbenen Heinrich Baldenweg und seine Vorfahren gestiftet. Ewige Lichter in Altarnähe sind seit dem 11. Jahrhundert bezeugt, im Spätmittelalter war dieser Brauch dann weit verbreitet. (Wenzinger Plüss 1992)
Vgl. Quellen unten für den vollständigen Artikel in der alten und der neuen Fassung.
Quellen und weiterführende Artikel
- Kläui, P: Aargauer Urkunden XIII. Die Urkunden des Stadtarchivs Kaiserstuhl. Aarau 1955 – Nr. 34.
- Wenzinger Plüss, F.: Kaiserstuhl: kirchliches Leben in einer spätmittelalterlichen Kleinstadt. In: Argovia 104 (1992) – S. 99-100.
- Brandenberger, U.: Kein Beweis für das Jahr 1381. Wurde die frühere Kirche im Oberdorf schon im Mittelalter erbaut? Weiacher Geschichte(n) Nr. 90. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, Mai 2007 – S. 16-21.
- Brandenberger, U.: Ein alter NZZ-Artikel unter der Lupe. WeiachBlog Nr. 453 v. 11. Mai 2007.
- Brandenberger, U.: Anmerkungen ins Exemplar der Nationalbibliothek geschrieben. WeiachBlog Nr. 1283 v. 6. Juni 2016.
- Brandenberger, U.: Am Tage der Märtyrer Gervasius und Protasius besiegelt. WeiachBlog Nr. 1284 v. 8. Juni 2016.
- Brandenberger, U.: Ortsgeschichte mit Fadenheftung und Leinen-Einband. WeiachBlog Nr. 1292 v. 15. August 2016.
- Brandenberger, U.: «Von den Gespinstpflanzen ist der Hanf stark kultiviert». Aus der Geschichte der Hanf- und Flachs-Produktion im Gebiet von Weiach. Weiacher Geschichte(n) Nr. 94 (Fassung September 2007; Fassung November 2019)
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