Freitag, 26. August 2022

Bahnstation Kaiserstuhl-Weiach. Die Winterthurer Pläne von 1870

Am 2. Dezember 1870 hatte sich der Deutsch-französische Krieg, der 1871 zur Gründung des (zweiten) Deutschen Kaiserreichs führen sollte, in der seit Wochen andauernden Belagerung der Stadt Paris festgebissen. Denn die nach der Gefangennahme von Kaiser Napoleon III. bei Sedan anfangs September gebildete provisorische Regierung war nicht bereit, auf die preussische Forderung nach Abtretung von Elsass-Lothringen einzugehen.

In unserer Gegend wurde an dem geplant, was sich schon damals als kriegswichtig erwies und (wie man im Ukrainekonflikt heutiger Tage sieht) immer noch sein kann: Eisenbahnlinien.

WWW gescheitert. Es lebe WWW!

Das Projekt einer Verlängerung der Glattthal-Bahn von Wallisellen über Weiach nach Waldshut war in den späten 1850er-Jahren gescheitert (vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 19).

In den 1860ern, einer Zeit, in der es im Kanton Zürich politisch in grossen Schritten Richtung Direkter Demokratie ging (eingeführt mit der Verfassung von 1869), entwickelte man besonders in Winterthur Konkurrenzpläne zu den Vorhaben der Schweizerischen Nordostbahn, die man u.a. wegen der massgebenden Rolle Alfred Eschers und des ausländischen Grosskapitals propagandistisch zur Herrenbahn umbenannt hatte (vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 20). Die in Winterthur ansässige Schweizerische Nationalbahn (die Volksbahn) spielte dabei 1875-1880 eine wesentliche Rolle.

Die Winterthurer planten eine möglichst direkte Linie nach Westen. Den Anschluss an die Badische Bahn bei Waldshut. Bülach und das Rafzerfeld liessen sie rechts und links liegen. (ZBZ Kartensammlg. 16 Kc 46:2)

An diesem 2. Dezember 1870 kupferte die NZZ eine Meldung aus der Winterthur Zeitung ab, einem Konkurrenzblatt des Landboten (Zeitung der Demokratischen Partei). Diese Zeitung bezeichnete sich damals selber als «Organ des liberalen Fortschritts» (Blaser 1958), was ihre weltanschauliche Nähe zur NZZ zeigt:

«Zürich. Die „Winterthurer Zeitung“ beingt [sic!] folgende Beschreibung der Bahnlinie Winterthur–Waldshut nach dem ihr vorgelegenen Situationsplan: "Die Bahn würde am südlichen Ende des Bahnhofes Winterthur die Zürcherlinie verlassen und quer durch das Tößfeld sich ziehen, um unterhalb Töß, zwischen Töß und Niedertöß, die Töß zu überschreiten. Von da an zöge sie sich längs des Höhenzuges am linken Ufer der Töß bis unterhalb Pfungen, wo nahe beim Uebergang der Straße über die Töß die erste Station „Neftenbach-Pfungen“ vorgesehen ist. Die Bahn folgt weiter dem linken Ufer der Töß und, links der Straße, den Höhenzügen, durchschneidet herwärts der Ziegelhütten die Straße und gelangt zu der zweiten Station „Embrach“. Von da gelangt sie, nochmals die Straße durchschneidend, nach Rorbas, wo die dritte Station sich eingezeichnet befindet. Weiter folgt die Bahn dem linken Ufer der Töß bis zu deren Einmündung in den Rhein und biegt dann links ab, die vierte Station „Bülach-Rafzerfeld“ bildend, von der überdieß noch eine Verbindungsbahn nach Bülach abzweigt. Die Bahn gewinnt sodann oberhalb Glattfelden das Glattthal, überschreitet die Glatt und bildet in der Nähe von Zweidlen die – fünfte – Station Glattfelden, etwa eine Viertelstunde von letzterm Ort entfernt. Von da folgt die Bahn ziemlich parallel dem Rheine bis Weiach und führt dann ziemlich hart an Kaiserstuhl vorbei, zwischen beiden Orten findet sich, etwas näher Kaiserstuhl, die – sechste – Station „Kaiserstuhl-Weiach“ eingezeichnet. Von Kaiserstuhl abwärts tritt die Bahn hart an den Rhein und folgt seinen Krümmungen bis Rümikon, das ebenfalls mit einer – der siebenten – Station beglückt ist. Die Bahn zieht sich hinter dem Orte durch, immer nahe am Rhein bei Mellikon vorbei nach Reckingen, das wiederum eine Station – die achte – erhält und von da nach Zurzach, neunte Station, und über Rietheim beim Laubberg vorbei dem Rheine entlang nach Koblenz, wo sie hart bei der Brücke in die Linie Zürich–Waldshut einmündet. So das projektirte Trace, wie es auf dem ziemlich obenhin entworfenen Situationsplan sich darstellt."»

Seltsame Stationsnamen

Wer die heutige Bahnlinie von Winterthur nach Koblenz kennt, dem fallen die seltsamen Bahnstationen auf, beziehungsweise das Fehlen heutiger Haltepunkte: Winterthur Töss und Wülflingen haben eine Station erhalten. Neftenbach wird im Stationsnamen nicht erwähnt. Die Stationen Embrach und Rorbas sind zusammengelegt. 

Vor allem aber gibt es keine Station Bülach-Rafzerfeld, die zwar tatsächlich auf Bülacher Gebiet, nördlich des Hardwaldes im Raum Heimgarten platziert worden wäre. Dafür hätte es weder einen Bahnhof Eglisau, noch eine Station Zweidlen gegeben. Denn der Bahnhof Glattfelden sollte im Raum Aarüti zwischen Glattfelden und Zweidlen erbaut werden. 

Und weil die heute Weiach-Kaiserstuhl benannte ehemalige Station näher am Städtchen liegt (oder doch aus alphabetischen Gründen) sollte sie Kaiserstuhl-Weiach heissen. 


Bereits in diesem Planungsstand ist die Position der Station auf Weiacher Gebiet an derselben Stelle, an der dann Jahre später auch gebaut wurde.

Die Schraffenkarte, die als Grundlage für die rot eingezeichnete, geplante Trasse diente, zeigt beim Verlauf der Kantonsgrenze zwischen Weiach und Kaiserstuhl den Stand vor 1860. Somit dürften auch die detailgenau eingezeichneten Wege diesem früheren Stand entsprechen.

Quellen

  • Winterthur-Weiach-Waldshut-Bahn, 1867-1873 (Dossier). Signatur: StAZH O 104.
  • Neue Zürcher Zeitung, Nummer 622, 2. Dezember 1870 (Erstes Blatt), S. 2
  • Übersichtsplan der Eisenbahn Winterthur-Waldshut, Massstab 1:50'000. Wurster, Randegger u. Co., Winterthur [187-?]. Signatur Original: Zentralbibliothek Zürich, 16 Kc 46: 2 Expl 2, https://doi.org/10.3931/e-rara-33742.
  • Blaser, F.: Bibliographie der Schweizer Presse. QSG N.F. IV. Abt, Bd. VII. Basel 1958 - S. 1137. [Online e-Helvetica Nationalbibliothek: nbdig-59378_2]

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