Der in WeiachBlog Nr. 1856 vorgestellte Übersichtsplan der Linie Winterthur-Koblenz war das Druckmittel in der Hand eines ungewöhnlichen Auftraggebers: der Stadt Winterthur.
Winterthur hatte spätestens ab Januar 1867, als das Bezirksamt Zurzach auch die Gemeinden des Bezirks Winterthur anfragte, welcher Bedarf für eine Eisenbahnlinie nach Westen bestehe, vom Regierungsrat sozusagen grünes Licht erhalten.
Eine Lücke im Dispositiv
Denn obwohl die Nordostbahn sich für den Bau der Herdöpfelbahn (Bülach-Regensberg-Bahn) beim Kanton Zürich mit einer Klausel vertraglich abgesichert hatte, so gab es da doch eine entscheidende Lücke:
«Die Konzession für eine untere Glatthalbahn vom 3. Juli 1857 muß als erloschen betrachtet werden, dagegen verpflichtet die zürcherische Conzession vom 1. Juli 1863 für die seither ausgeführte Eisenbahn von Oerlikon nach Bülach mit Abzweigung nach Dielsdorf in § 3 den Kanton Zürich während 30 Jahren eine weitere Eisenbahn, welche sich von der zwischen Zürich und der Station Kemptthal befindlichen Strecke der Nordostbahn aus bis an die badische oder bis an die aargauische zwischen dem Rhein und dem Ortmeiler Berge liegende Grenze oder in der Richtung nach diesen Grenzen hinziehen würde, weder selbst auszuführen, noch eine Konzession für deren Herstellung zu ertheilen und im Falle der Verleihung der Konzession für Ausführung einer Zweigbahn oder einer sonst irgendwie in die conzedirte Bahnlinie einmündenden Bahn, also selbstverständlich auch einer eine Fortsetzung derselben bildenden Eisenbahn der Nordostbahngesellschaft von allen Bewerbern den Vorrang einzuräumen.» (Regierungsratsbeschluss v. 26. Januar 1867; StAZH MM 2.175 RRB 1867/0170)
Nun liegt Kemptthal zwar sozusagen vor den Toren der Stadt Winterthur, ist aber nicht Winterthur, was die Frage offen lässt, wie nun eine Linie zu beurteilen sei, die der Töss und dem Rhein entlang führt. Die passage obligé bei Kaiserstuhl hatte die Nordostbahn per Konzession gesichert. Eine Linie von Winterthur bis zur Glatt hingegen nicht.
Der Zschokke-Plan
Seitens der Nordostbahn zeigte man wenig Interesse an einer Linie Winterthur–Waldshut. Und so liessen die Winterthurer Lobbyisten den Ingenieur Zschokke einen Plan ausfertigen, wie eine solche Bahnlinie aussehen könnte.
Am 24. August 1870 ersuchte der Stadtrat Winterthur beim Regierungsrat «Namens der dortigen Stadtgemeinde für sich, beziehungsweise zu Handen einer noch von ihr zu gründenden Aktiengesellschaft um Ertheilung der Konzession für den Bau & Betrieb einer Eisenbahn von Winterthur über Rorbas & Glattfelden bis an die Kantonsgrenze bei Weiach.» (Regierungsratsbeschluss v. 30. August 1870; StAZH MM 2.189 RRB 1870/1986)
Der gestern gezeigte Plan wurde auf Wunsch der Regierung nachgereicht. Seitens des Regierungsrats gab es da keine grundsätzlichen Einwände.
Die Nordostbahn spielt ihre Trümpfe aus
Eine Entwicklung sehr zum Missfallen der Nordostbahn, der eine Bahnlinie durch diese wirtschaftlich strukturschwache Gegend schlicht zu wenig rentabel erschien. Ausserdem hatte sie seit dem 18. August 1859 bereits eine Bahnlinie von Zürich über Turgi nach Koblenz und über den Rhein nach Waldshut in Betrieb genommen.
Hinter den Kulissen setzte die Nordostbahn nun sämtliche Hebel in Bewegung, unter anderem, indem sie beim Kantonsrat lobbyierte. Sie nutzte ausserdem den Umstand, dass mit der grossherzoglich-badischen Regierung ein Exklusivrecht zum Anschluss an das badische Eisenbahnnetz in Waldshut bestand, geschickt aus.
Das Machtkalkül des Alfred Escher
In einem Bericht über die Generalversammlung der Nordostbahngesellschaft vom 29. April 1871 gab die Neue Zürcher Zeitung den folgenden Einblick in die Überlegungen der Direktion unter Alfred Escher (NZZ, Nr. 223, 2. Mai 1871, S. 1-2):
«Als zweites und Haupttraktandum folgte der (bereis gestern mitgetheilte) Antrag der Direktion betreffend den Bau einer Eisenbahn von Winterthur bis an die Kantonsgrenze bei Weiach. Referent über diesen Gegenstand war Hr. Dr. A. Escher, der seine Aufgabe in zwei Theile zerlegte, in eine Schilderung der thatsächlichen Verhältnisse und in die Auseinandersetzung der Motive, welche die Direktion zu dem fraglichen Antrag geführt haben. Der Redner drückte sich im Wesentlichen folgendermaßen aus:
In der letzten Generalversammlung des vorigen Jahres [also im Frühjahr 1870] wurde der Vorschlag gemacht, die Nordostbahn möchte von sich aus den Bau einer Eisenbahn Winterthur–Waldshut an die Hand nehmen, ein Vorschlag, welcher ununterstützt geblieben ist. Einige Zeit später hat der Stadtrath von Winterthur die Initiative ergriffen und in verschiedenen Richtungen große Thätigkeit für die Verwirklichung dieses Planes an den Tag gelegt. Es wurde ein Traçe ausgemittelt und dabei als Hauptpostulat geltend gemacht, daß die Einmündung der Bahn Winterthur–Waldshut zwischen Koblenz und der Rheinbrücke erfolge und die Bahnstrecke von diesem Punkt bis Waldshut durch die Züge der Winterthur-Waldshuterbahn befahren werden sollen. Inwiefern der Stadtrath von Winterthur berechtigt war ein solches Begehren zu stellen, wird später erörtert werden; es muß für jetzt genügen, die Standpunkte beider Parteien anzugeben. Die Nordostbahn erklärte, daß die Einmündung bei der Rheinbrücke bei Koblenz bis Waldshut nur mit ihrer Zustimmung geschehen könne, während der Stadtrath von Winterthur ein Recht hiefür zu haben glaubte.
Die Kosten sind gigantisch...
Das Traçe der Bahn wurde nach den Anforderungen einer internationalen Linie disponirt. Die Steigungsverhältnisse sind günstig, das Maximum beträgt 12 ‰ und zwar nur auf eine sehr kurze Strecke. Es wurden auch Kostenberechnungen aufgestellt und Schritte gethan, um möglichst zuverlässige Ansätze zu gewinnen, dieß durch die Bauunternehmer Zschokke und Näf, die Voranschläge einreichten, bezüglich welcher sie 1 1/2 Jahre verbindlich sein sollten. Die Voranschläge gehen auf 8 Millionen Fr. Herr Ingenieur Koller in Basel kam zu einem ähnlichen Resultat, und es scheint diese Rechnung richtig zu sein, wenn man sie mit den Kosten anderer ähnlicher Linien in Vergleichung bringt. Für die Bahn Zürich–Zug–Luzern belief sich der Kilometer auf 180,000 Fr. Kosten, für Winterthur–Waldshut kommt dieselbe Summe heraus. Von den Gesammtkosten fallen auf den Kanton Zürich 5, auf Aargau 3 Mill. Fr.»
Nach dem Historischen Lohnindex HLI von Swistoval entspricht dieser Kilometerpreis nach heutigen Geldwerten ca. 13 Millionen CHF. Die Gesamtkosten für diese rund 27 Kilometer belaufen sich also auf über eine halbe Milliarde Franken. Legt man den BIP-Index als Massstab an, der für Grossprojekte laut Swistoval-Anleitung geeigneter ist, dann ist es ein Mehrfaches: rund 3 Milliarden.
... die Zahlungsbereitschaft aber auch
«Nachdem in dieser Weise Trace und Kosten festgesetzt waren, ist der Stadtrath Winterthur mit der Vorlage behufs finanzieller Betheiligung an die Gemeindsversammlung gelangt und diese hat 1 Mill. Fr. beschlossen; ja es scheint das Einverständniß vorhanden gewesen zu sein, unter Umständen auch noch erheblich höher zu gehen. Hierauf wurden bei zürcherischen und aargauischen Gemeinden Schritte wegen finanzieller Betheiligung gethan; es ergab sich ein Resultat von 600,000 Fr.»
Man kann sich nun selbst ausrechnen, wie sehr man sich diese Bahnlinie gewünscht hat, bei solch hohen, nicht einfach aufzubringenden Geldbeträgen.
Konzession erzwingt raschen Baubeginn
«Nun handelte es sich um die erforderliche Konzession, zunächst um diejenige für den Kanton Zürich; diese lautet nach der seit einiger Zeit üblichen Chablone, die sich von frühern Konzessionen, abgesehen von der Bestimmung über Steuerpflicht, nicht erheblich unterscheidet. In dieser Konzession wurde das Prioritätsrecht der Nordostbahngesellschaft ausdrücklich vorbehalten (vergleiche die Eisenbahnkonzession vom Jahr 1852 nach Gundetsweil, § 2 und § 43 der Konzession Winterthur–Weiach). Nachdem die Zürcher Konzession erwirkt worden war, wurde die aargauische erhältlich gemacht; diese lautet genau so wie diejenige der Nordostbahn für die Bötzberglinie. In der Zürcher Konzession ist die Angriffnahme des Baues innerhalb 2 Jahren festgesetzt, in der Aargauer Konzession heißt es, die Linie müsse binnen einem Jahr in Angriff genommen, und binnen 5 Jahren vollendet werden. In der Aargauer Konzession ist wegen der Priorität der Nordostbahn nichts enthalten und zwar deshalb, weil die Priorität nur für Zweigbahnen, nicht aber für einmündende Bahnen aufgenommen wird. Da nun diese Linie nicht als Zweigbahn betrachtet wird, so war es auch nicht nöthig, der Priorität zu erwähnen. Diese Konzession wurde schließlich von der Bundesversammlung genehmigt.»
Winterthur will Direktanschluss an Waldshut erzwingen
«Ein weiterer Schritt des Stadtraths von Winterthur war das Begehren, daß die Linie Winterthur–Weiach in diejenige der Nordostbahn bei Koblenz einmünden solle und diese von jener bis Waldshut befahren könne. Zwischen dem Bundesrath und [dem Grossherzogtum] Baden nämlich haben Unterhandlungen betreffend Anschluß der Linie bei Kreuzlingen und Konstanz stattgehabt, und es stellte nun auf Anregung Winterthurs die Regierung von Zürich das Verlangen, es möchte bei diesem Anlaß auch der Anschluß bei Waldshut gesichert werden. Der Bundesrath hat seinen Abgeordneten auch in diesem Sinne instruirt; Baden jedoch dieses Ansinnen im letzten Sommer abgelehnt. Der Stadtrath von Winterthur hat sich nun auch an die Direktion der Nordostbahn gewendet und deren Zustimmung nachgesucht. Da wir das Recht zu haben glauben, diese Art des Anschlusses nicht zuzugeben und da es sich hier um eine Konkurrenzlinie handelte, so haben wir das Gesuch abgelehnt. Hierauf wandte sich Winterthur an den Bundesrath um Bewilligung des Befahrens der genannten Nordostbahnstrecke von Koblenz bis Waldshut. Dieses Gesuch ist beim Bundesrath zur Stunde noch anhängig. Schließlich hat die Regierung von Zürich der Nordostbahn zur Entscheidung eine Frist bis zum heutigen Tag bestimmt und es gilt nun, über diese Frage einen Entschluß zu fassen.»
Inside Nordostbahn. Von juristischen Winkelzügen und strategischen Geschäftsinteressen
«Die Direktion geht nun von der Ansicht aus, daß es für die Nordostbahn das Beste wäre, wenn die Winterthur-Waldshuter Bahn nicht zu Stand käme. Es entsteht nun aber die Frage, ob man das allfällige Zustandekommen dieser Linie vom Standpunkt des Anschlusses aus verhindern könne. Es lassen sich da verschiedene Arten denken. Eine erste Art ist die, daß die fragliche Bahn in die Nordostbahn bei der Rheinbrücke einmündet und die Bahnstrecke von da selbständig befährt. Es muß nun aber bei Erörterung dieses Rechtsverhältnisses an die Spitze der Satz gestellt werden, daß für die Inhaber der Winterthur-Waldshuter Bahn ein Recht diese Bahnstrecke zu befahren nicht besteht. Es ist da zwischen schweizerischem und badischem Gebiet zu unterscheiden. Die fragliche Strecke liegt bis Mitte Rhein auf Schweizerboden. Man könnte nun zur Erhärtung dieses Standpunkts auf Art. 13 des Bundeseisenbahngesetzes verweisen und sagen, ein schicklicher Anschluß der Winterthur-Waldshuter Bahn könne nur bei der Rheinbrücke stattfinden, und es müsse demnach die Nordostbahn die vorhin genannte Bahn auf ihren Schienen fahren lassen. Die Auslegung dieses Artikels kann nun aber keineswegs diejenige sein, daß die Bahn A das Recht hat, auf der Bahn B zu fahren. Es besagt dieß auch eine bundesräthliche Botschaft aus dem Jahr 1858.
Wie stehen nun die Verhältnisse auf badischem Gebiet ? Als im Jahr 1857 ein Vertrag zwischen der Nordostbahn und [dem Grossherzogtum] Baden betreffend Herstellung der Linie Turgi-Waldshut abgeschlossen wurde, fand eine Bestimmung als Art. 5 des Vertrags Aufnahme, wonach Baden die Verpflichtung einging, daß die Nordostbahn allein den Betrieb auf der Linie bis Mitte Rhein und Waldshut haben solle. Dieser Vertrag wurde dem Bundesrath und der Regierung von Aargau bekannt gegeben und von beiden Behörden genehmigt.»
Im schlimmsten Fall bringen die Winterthurer gar das Geld zusammen!
«Es muß übrigens bemerkt werden, daß der Anschluß der Winterthurerbahn an die Nordostbahn nicht die einzige Möglichkeit ist und daß, wie wir eine eigene Brücke gebaut haben, dieß auch von Seite der Winterthur-Waldshuterlinie geschehen kann. Zu erwähnen ist ferner, daß die Winterthur-Waldshuterbahn in die Station Koblenz einmünden kann und diese Einmündung unter dem Schutze der Bundesgesetzgebung steht. Es erhellt nun aus dem vorhin Bemerkten, daß man die Möglichkeit eines Anschlusses der Winterthur-Waldshuterbahn an die Nordostbahn ins Auge fassen muß und daher nicht gesagt werden kann, daß vom Standpunkt des Anschlusses der Bau der Winterthurerbahn verhindert werden könnte.
Unrentable Linie bauen um die Rentabilität der Konkurrenz nicht zu fördern
«Man nimmt ferner an, die fragliche Linie werde nicht gebaut werden, weil Drittpersonen die benöthigten Geldmittel nicht zusammenbringen. Dieser Satz kann nicht zugegeben und muß beachtet werden, daß Winterthur diese Linie unter seine spezielle Protektion genommen hat. Neben der Stadt Winterthur kommt aber noch der Stand Zürich in Betracht; nach der Verfassung nämlich (Art. 26) haben diejenigen Gebietstheile des Kantons, welche in Hinsicht auf Bevölkerung und Verkehr mit denen auf gleicher Linie stehen, welche mit Staatshülfe zu Eisenbahnen gelangt sind, ebenfalls Anspruch auf Staatsunterstützung, und es müßten vielleicht deßhalb 2 Millionen in Anspruch genommen werden. Heutzutage treten Bauunternehmer auf, welche bei Zuschlag des Baues gewisse finanzielle Betheiligung zusichern. Im Fernern weiß man, wie es geht; wenn auch noch nicht alle Mittel vorhanden sind, so fängt man eben doch an. Es wäre also vermessen zu behaupten, Niemand anders als die Nordostbahn könne die Linie bauen, sonst werde sie gar nicht gebaut. [...] Die Direktion ist deßhalb der Meinung: wenn die Bahn zu Stande kommt, so erwächst der Nordostbahn geringerer Schaden, wenn sie baut, als wenn Drittpersonen bauen. Es kann eine einzelne Linie an und für sich durchaus nicht rentabel sein, ihr Besitz aber der Rentabilität anderer Bahnen Vorschub leisten, und dieser Gesichtspunkt verdient alle Beachtung. Denkt man sich ferner, die Linie Winterthur-Waldshut gehe in die Hand derer über, die der Vereinigten Schweizerbahn nahe stehen, so würde der Verkehr nicht nach der Linie Rorschach–Romanshorn–Zürich, sondern nach Rorschach–St. Gallen–Zürich abgeleitet werden.
Escher: Wir werden es nicht bereuen!
«Dann ist ferner ins Auge zu fassen, daß wir im Verein mit der Centralbahn die Bötzberglinie bauen; die Linie Winterthur-Bötzberg-Basel wird nun die Konkurrenz aushalten mit der Linie Winterthur-Waldshut-Basel [...] Es läßt sich sogar denken, daß die Nordostbahngesellschaft eine Konvenienz darin finden kann, den Waarenverkehr über Winterthur–Waldshut–Turgi [in die] Westschweiz gelangen zu lassen, anstatt denselben über Zürich zu leiten.
Sodann ist zu bemerken, daß die eisenbahnpolitische Stellung der Nordostbahn erheblich gestärkt wird, wenn sie die kürzere Linie besitzt, dadurch bei den Unterhandlungen mit Baden eine kräftigere Stellung einnehmen kann. Wenn wir nicht im Besitz der Linie Winterthur–Waldshut sind, so wird der Verkehr aus der Vorarlbergerbahn nach Rorschach–St. Gallen–Winterthur–Waldshut gehen. Es ist überhaupt in's Auge zu fassen, daß sowohl Waldshut als Winterthur bereits wichtige Knotenpunkte sind oder es noch werden können. Wir sind seiner Zeit vor einer ähnlichen Frage gestanden, als es sich um eine Fusion mit der Rheinfallbahn handelte. Daß wir damals zugegriffen und die Schaffhauserbahn übernommen haben, ist von Niemanden bereut worden, wir werden es auch heute nicht zu bereuen haben.
Einsparung an der Bözberg-Linie dank Winterthur-Waldshut
«Die Linie Winterthur-Waldshut kostet 8 Millionen, und es frägt sich dabei, ob die ganze Last auf die Nordostbahn fällt. Bis jetzt ist eine Geneigtheit von Winterthur aus, uns zu unterstützen, nicht zu Tage getreten; es wurden in Bern Unterhandlungen gepflogen, Winterthur wollte sich aber dießfalls nicht herbeilassen; inwiefern dieß von Seite anderer Gemeinden der Fall ist, wird die Zukunft lehren. Uebrigens glauben wir, daß in Einer Richtung eine Erleichterung eintreten wird. Es unterliegt keinem Zweifel, daß Winterthur-Waldshut und die Bötzberglinie in Wechselwirkung stehen. Von diesem Standpunkt aus betrachtet, ist es nicht nöthig, von vornherein die Bötzbergbahn zweispurig zu bauen, sondern nur die Tunnel- und Kunstbauten und eine zweispurige Expropriation vorzunehmen, wodurch eine Ersparniß von 3 Millionen eintritt. Die Direktion ist entschlossen, auch die Linie auf Aargauerboden auszuführen und nicht bloß die Bahn auf Zürchergebiet.
Man hat gesagt, die Winterthur-Waldshuter Bahn gebe ein schlechtes Ergebniß. Wir glauben dieß auch, sagen aber gleichzeitig, daß wir größern Schaden haben, wenn wir den Bau dieser Linie unterlassen. Schließlich die Bemerkung, daß der Antrag der Direktion vom Verwaltungsrath einstimmig angenommen worden und in diesem Sinne auch einstimmig begutachtet wird.
Hierauf wird freies Wortbegehren eröffnet und da dieß von keiner Seite geschieht, der in der vorgestrigen Nummer unseres Blattes bereits mitgetheilte Antrag als einstimmig angenommen erklärt.»
Ein voller Erfolg für Alfred Escher, dessen Rede hier vom NZZ-Korrespondenten wohl stenografisch mitgeschrieben wurde. Denn man hat fast den Eindruck, ihm direkt zuzuhören.
Damit waren die Würfel gefallen. die Nordostbahn hat die Konzession an sich gezogen, was die Winterthurer mit Zähneknirschen und unter Protest akzeptieren mussten.
Die Nordostbahn reicht eigene Trassen-Pläne ein
Fast genau ein Jahr nach dieser (für unsere Gegend) denkwürdigen NOB-Generalversammlung sind dann die Pläne für den Trassenverlauf beim Regierungsrat eingereicht worden.
Auch zu diesem Punkt lassen wir die Neue Zürcher Zeitung ausführlich zu Wort kommen (NZZ, Nr. 210, 26. April 1872 (Zweites Blatt), S. 1-2.):
«Zürich. * Die Pläne für die Eisenbahnlinie Winterthur–Weiach, also für den ganzen auf zürcherischem Gebiet liegenden Theil der Linie Winterthur–Koblenz, sind dieser Tage von der Nordostbahndirektion festgestellt und zur weiteren Beschlußfassung an den Regierungsrath überwiesen worden. Daher dürften zur Zeit einige Aufschlüsse über den dermaligen Stand dieser Angelegenheit vielen Lesern erwünscht sein. Wie man sich vielleicht erinnert, ist die Eisenbahnkonzession für die genannte Linie von der Nordostbahndirektion in der Meinung übernommen worden, daß zunächst die vom Stadtrathe Winterthur, als ursprünglichem Konzessions-Inhaber, angenommene, durch Herrn Ingenieur Zschokke bearbeitete Zugsrichtung als maßgebend betrachtet werden, immerhin aber die allfällig durch die weiteren Studien sich als wünschbar anzeigenden Abänderungen mit Genehmigung des Regierungsrathes vorbehalten bleiben sollen.»
Der Zschokke-Moser-Plan
«Dieser Verständigung getreu ließ die Nordostbahndirektion durch ihren Ober-Ingenieur für den Bahnbau, Hrn. Moser, in erster Linie Pläne auf Grundlage des Zschokke'schen Trace über Töß, Neftenbach, Embrach, Rorbas, Wagenbreche und Glattfelden nach Kaiserstuhl ausarbeiten. Schon hier erzeigten sich jedoch eine Reihe von Aenderungen als unvermeidlich, worunter einige von größerer Bedeutung, sowie sich leider auch bei dieser Linie wieder die vom früheren Konzessionsinhaber aufgestellten Kostenberechnungen als stark hinter der Wirklichkeit zurückbleibend erwiesen; während man nämlich seiner Zeit in Winterthur sich mit dem Gedanken trug, die ganze Linie bis Waldshut mit ca. Fr. 7,200,000 ausführen zu können, würde das ursprüngliche Zschokke' sche Trace nach der revidirten Berechnung des Hrn. Moser schon bis Weiach-Kaiserstuhl Fr. 7,497,000 kosten, und auch nach den von Hrn. Moser daran vorgenommenen Abänderungen beansprucht dieses Theilstück immer noch Fr. 6,517,000 oder Fr. 240,000 per Kilometer. [...]»
Richtige Streckenführung spart richtig Geld
Was wohl die Aktionäre der Nordostbahn zu diesem um einen Drittel erhöhten Kilometerpreis wohl gesagt haben mögen? Immerhin hatte Alfred Escher ja die 180'000 Franken von Zschokke im Jahr zuvor noch als plausibel verkauft. Aber immerhin war es nicht noch teurer:
«Eine größere Abweichung vom Zschokke'schen Trace findet bei Glattfelden Statt, indem hier die Bahn bis unterhalb der Ortschaft am rechten Glattufer bleibt, statt schon oberhalb auf das linke Ufer überzusetzen; aus dieser Abänderung erklärt sich zu einem großen Theile die Kostenersparniß beim Zschokke-Moser'schen Trace gegenüber dem ursprünglichen Trace des Hrn. Zschokke. Die Linie wird 27,153 Meter lang, hat eine mittlere Steigung von 5,16 und eine Maximalsteigung von 12 ‰, und die Gesammtsumme der zu überwindenden Steigungen und Gefälle beträgt 140 Fuß.»
Variante mit Dettenberg-Tunnel und Eglisau kommt ins Spiel
«Neben diesem Trace hat aber die Nordostbahndirektion durch Herrn Moser für den Fall der Zustimmung des Regierungsrathes und unter Voraussetzung angemessener Betheiligung der nächstinteressirten Landesgegend an den Mehrkosten, noch ein zweites Trace ausarbeiten lassen, das nicht erst bei der schwierigen Gegend der sogenannten Wagenbreche das Tößthal verläßt, sondern schon bei Rorbas in der Gegend der Haumühle, von wo aus die Linie mittelst Durchbohrung des Dettenberges nach Bülach und von da über Eglisau und Rheinsfelden nach Kaiserstuhl geführt werden soll. Dieses Projekt ist zwar 30,030 Meter lang, also circa 3 Kilometer länger als das Zschokke-Moser'sche Trace; aber dafür bietet es wesentlich günstigere Gefällsverhältnisse. welche den Uebelstand der Mehrlänge auch für den Transitverkehr vollständig ausgleichen: mittlere Steigung 3.48 ‰ (statt 5.16), Maximalsteigung 8 ‰ (statt 12), Gesammtsumme der Steigungen und Gefälle 104 Fuß (statt 140).
Daß es zugleich den Bedürfnissen des Lokalverkehres weit besser entspricht, fällt in die Augen, weil dadurch Winterthur, Bülach und Eglisau (mit dem Rafzerfeld) in direkte Schienenverbindung mit einander gesetzt werden, deren Vortheile mittelst der Bülach-Regensbergerbahn auch Regensberg und Zürich zu Gute kommen. Faßt man überdies die Absicht ins Auge, auch von Bülach nach Schaffhausen eine Eisenbahn zu bauen, ferner das von der Nationalbahn auf die Tagesordnung gesetzte Bahnprojekt Bülach–Baden, so läßt sich an der überwiegenden Vorzüglichkeit des Trace über Bülach für eine rationelle Weiterentwicklung des zürcherischen Eisenbahnnetzes nicht zweifeln. Ungünstig sind nur die bedeutenden Mehrkosten: Fr. 9,056,000 oder 301,565 per Kilometer, wovon übrigens circa 1 1/2 Mill. für die Strecke Bülach–Eglisau verwendet und somit auch einer allfälligen Eisenbahn Bülach–Schaffhausen zudienen werden; diese Mehrkosten werden zu einem großen Theil für den Bau des Dettenbergtunnels beansprucht, welcher eine Länge von 1800 Meter erhält.»
Konzessionsfristen setzen Druck auf: die Zeit drängt
Der NZZ-Beitrag schliesst mit den Worten: «Mit den Erdarbeiten an der Linie Winterthur–Weiach ist nach Maßgabe der Bundeskonzession bis Ende Juni zu beginnen. Daher werden alle Vorbereitungen getroffen, um sofort nach erfolgtem regierungsräthlichem Beschluse die Expropriationen vornehmen und den Bau selbst an geeigneter Stelle eröffnen zu können.» Mehr dazu im WeiachBlog-Artikel von morgen Sonntag.
[Veröffentlicht am 29. August 2022 um 01:01 MESZ]
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen