Dienstag, 23. August 2022

Legendenumrankter Weiacher «Pulverturm»

In diesem und dem gestrigen Artikel wird der Weiacher «Pulverturm» konsequent mit Anführungszeichen geschrieben. Von seiner Funktion her war das Gebäude genau das: ein Pulver- und Munitionslager. Nur sieht es halt eben nicht so aus. Nicht einmal wie die Tarnversion eines Turms: 

Bildausschnitt: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv -- Stiftung Luftbild Schweiz / Fotograf: Werner Friedli / LBS_H1-015087 
CC BY-SA 4.0. Link: http://doi.org/10.3932/ethz-a-000357139

Eine Anspielung auf den Eglisauer Pulverturm?

Andere Pulvermagazine, insbesondere solche mit militärischer Funktion, hatten tatsächlich Turm-Gestalt, wie bspw. der Eglisauer Pulverturm. Wie der einmal ausgesehen hat und (darunter klein und verschämt) durch welches Gebäude er 1956 ersetzt wurde, kann man sich auf der Eglisau-Seite von Bruno Sternegg, Opfertshofen SH, ansehen. -- Eines der raren Überbleibsel dieses Pulverturms, eine barocke Fenstersäule, ist wenige Meter entfernt im historischen Gasthof Hirschen an der Untergasse eingebaut worden.

Der Weiacher Munitionsverkäufer Johann Ulrich Nauer und dessen Sohn (vgl. WeiachBlog Nr. 1853) hatten in der Umgegend durchaus Konkurrenz. So erhielten 1850 neben Heinrich Schmid in Eglisau (Magazin im dortigen Pulverturm?) auch Johann Kindlimann in Stadel, Heinrich Kunz in Dielstorf, Heinrich Meyer in Bülach, sowie Heinrich Schaufenbühl in Zurzach eine eidgenössische Pulververkaufsbewilligung. Man kann daraus ableiten, dass es für Fisibacher, Kaiserstuhler und Zweidlemer am einfachsten war, ihren Schwarzpulver- und Munitionsbedarf bei Nauers in Weiach zu decken.

Ein Name regt die Phantasie an

Da in der Landschaft des heutigen Weiach kein offensichtlich turmartiges Gebäude steht, dem der Name «Pulverturm» angeheftet werden kann, man sich aber trotzdem davon erzählt, beflügelt das natürlich das Vorstellungsvermögen.

Charlotte Burckhardt, einst wohnhaft an der Chälenstrasse 12 (heute Witzenhausen in der Nähe von Kassel) hat vor Jahren gegenüber dem Schreiber dieser Zeilen erwähnt, dass gleich neben ihrem Haus auf einem bis 2008 als Rossweide genutzten Grundstück der «Pulverturm» gestanden habe. Gemeint ist die Parzelle 130 mit dem Gebäude Chälenstrasse 8. 

Einer anderen Aussage zufolge habe es bei einer Feuersbrunst im Jahre 1936 «tätscht» wie beim Brand eines Pulverturms. Der Besitzer sei ein bekannter Wilderer gewesen, habe ihre Gewährsperson erzählt. [Mdl. Mitteilg. Charlotte Burckhardt, 30.8.2005]  

Wie man sowohl der Wildkarte aus der Mitte des 19. Jahrhunderts wie der Siegfriedkarte um ca. 1880 entnehmen kann, stand damals jedoch kein Gebäude an der Stelle des heutigen Hauses Chälenstrasse 8, wohl aber an den Positionen der Gebäude Chälenstrasse 10 und Riemlistrasse 3 (welch letztere wir gestern als «Pulverturm» identifiziert haben).

Wie es knallt, wenn Munition und Schwarzpulver verpuffen bzw. explodieren, kann man dieser Tage diversen Videos aus der Ukraine entnehmen, wenn (von welcher Seite auch immer) wieder einmal ein Depot getroffen wurde und mit minutenlangem Feuerwerksspektakel in die Luft fliegt. 

Die Menge des Materials, das im Weiacher Depot lag, ist allerdings – aus Sicherheitsgründen und des nicht allzu grossen lokalen Bedarfs wegen – um viele Grössenordnungen kleiner gewesen, als die Kampfdotationen mehrerer Bataillonskampfgruppen heutiger Tage. Entsprechend kann es durchaus sein, dass ein Haus mit dem Depot eines eidgenössischen patentierten Schwarzpulverhändlers abbrennt, ohne gleich die ganze Umgebung in Schutt und Asche zu legen, wie 1654 in Delft (siehe Beitrag v. gestern).

Zwei Brände: einer 1914, einer 1936

War «Pulverturm» also doch die scherzhafte Bezeichnung für das Haus eines Wilderers, der seine Munition womöglich gar selber herstellte?

Neben dem Brand vom 4. März 1936 in der unteren Chälen, bei dem das Gebäude Chälenstrasse 10 einen Totalschaden erlitt (von 19'000 Franken Versicherungswert wurden immerhin 17'000 ausbezahlt) ereignete sich auch am 3. Januar 1914 ein Grossbrand. 

Diesem 14er-Ereignis fielen die zwei hart am damaligen Verlauf der noch wesentlich schmäleren Chälenstrasse stehenden, zusammengebauten Wohngebäude Nr. 69 und 70 (nach der 1809er-Nummerierung) zum Opfer. Sie befanden sich vor der Spezereihandlung Nauer (heute Haus Werthmüller, 1809er-Nummerierung Nr. 68A, Chälenstrasse 6) mit dem bergwärts gelegenen Haus Nauer (1809er-Nummerierung Nr. 68B, Riemlistrasse 3, s. roter Kreis):

Ausschnitt aus der Wild-Karte, Blatt IX; Gebäudebestand ca. 1845

Zwei Pulvertürme?

Gemäss Ernst Baumgartner-Brennwald (1920-2008; zur Person vgl. WeiachBlog Nr. 1479) stand im Büel ebenfalls ein «Pulverturm». Dort, wo sich heute das Trafohäuschen befinde (Luppenstrasse 1a). Hinter dem Haus Werthmüller stehe ebenfalls ein Haus, genannt «Pulverturm», erklärte er dem WeiachBlog-Autor.

Die erste Aussage Ernst Baumgartner-Brennwalds lässt sich nicht einordnen. Zumal exakt an dieser Stelle bis zu ihrer Vernichtung durch eine Feuersbrunst am 13. Oktober 1909 drei zusammengebaute Wohnhäuser gestanden haben.

Seine zweite Nennung hingegen wird bestätigt durch Gertrud «Trudi» Meierhofer (1928-2019), alt Posthalters: Sie habe in diesem Haus an der Riemlistrasse einige Zeit gelebt und es sei so benannt gewesen, weil darin früher der Sprengstoff zum Sprengen von Wurzelstöcken etc. aufbewahrt wurde. [Mdl. Mitteilung, 26.8.2005]

Aufgrund dieser drei voneinander unabhängig sich äussernden Zeitzeugen (Baumgartner-Brennwald, Post-Meierhofer, Werthmüller) und insbesondere der im Hause Chälenstrasse 6 aufgefundenen Blechtafel (vgl. WeiachBlog Nr. 1853) ist der plausibelste Standort für einen Weiacher «Pulverturm» das Haus Riemlistrasse 3: der im Jahre 1844 von der Familie Nauer angekaufte und umgebaute ehemalige Spycher 68B zur Liegenschaft Chälenstrasse 6.

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