Sonntag, 28. August 2022

Das umstrittene Emplacement der Station Weiach-Kaiserstuhl

Heute vor 150 Jahren, am 28. August 1872, berichtete die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) unter der Rubrik «Eidgenossenschaft» über den Baubeginn eines für den Norden des Kantons Zürich (Unterland und Winterthur) sowie das aargauische Studenland epochensetzenden Grossprojekts: die Eisenbahnlinie Winterthur-Koblenz.

So nannte man die Winterthur-Waldshuter-Bahn nun, nachdem die Nordostbahn die Konzession an sich gezogen hatte (vgl. ausführlich dazu WeiachBlog Nr. 1857). Die NOB hatte bereits seit 1859 einen Anschluss ans grossherzoglich-badische Bahnnetz, vgl. den Ausschnitt aus der Dufourkarte (Blatt 3, Stand 1869) und wollte deshalb die Strecke von Winterthur direkt in ihren bestehenden Bahnhof Koblenz münden lassen.


Kantone sind sich nicht einig. Konzessionen zwingen trotzdem zum Baubeginn

«Da am 31. August die Fristen für den Beginn der Erdarbeiten, welche durch die aargauische und die Bundeskonzession anberaumt sind, ablaufen, hat die Nordostbahndirektion diese Arbeiten im Gebiete der zürcherischen Gemeinde Weiach und in demjenigen der aargauischen Gemeinde Fisibach am 23. August eröffnen lassen. Einstweilen haben dieselben zwar nur einen bescheidenen Umfang, weil bis jetzt die hoheitliche Genehmigung der Tracepläne von den beiden Kantonsregierungen nur für ein Bruchstück der Bahn erhältlich war, nämlich im Kt. Zürich für die Bahnstrecke von Rheinsfelden abwärts bis zur Kantonsgrenze bei Kaiserstuhl und im Kanton Aargau für die Bahnstrecke durch die Gemeinden Kaiserstuhl und Fisibach; selbst auf dieser kurzen Bahnstrecke waltet noch eine Meinungsverschiedenheit zwischen den beiden Kantonsregierungen über das Emplacement der vereinigten Station Weiach-Kaiserstuhl und war daher die Einleitung des ordentlichen Expropriationsverfahrens bis jetzt bloß für die Gemeinde Fisibach, und zwar auch hier erst Anfangs August möglich. Durch gütliche Auseinandersetzung mit einer Anzahl von Expropriaten gelang es indessen, die rechtzeitige Inangriffnahme der Arbeiten in beiden Kantonen zu ermöglichen.»

Die Enteignungen sind bis zu einer Einigung blockiert

Da hat die Nordostbahn ja gerade noch einmal Glück gehabt. Zwischen den Zeilen kann man hier allerdings auch Kritik an den beiden Kantonsregierungen herauslesen. Im nächsten Abschnitt wird das noch deutlicher:

«Dieselben [d.h. die Bauarbeiten] sollen von jetzt ab ununterbrochen fortgesetzt werden. Es läßt sich annehmen, daß dem Gesuche der Nordostbahndirektion, es möchten sich die beiden Regierungen über das Emplacement der Station Weiach-Kaiserstuhl mit einander in's Benehmen setzen, bald werde entsprochen werden und eine Verständigung hierüber sich ohne längeren Verzug werde erzielen lassen, womit wenigstens die Möglichkeit geboten wäre, die Expropiationen und Bauten auf der ganzen, zirka 7 Kilometer langen Strecke von Rheinsfelden bis Rümikon an die Hand zu nehmen. Daher wird dieser Tage die öffentliche Ausschreibung des Unterbaues der genannten Bahnstrecke erfolgen, im Kostenvoranschlage von ca. Fr. 400,000.»

Könnte bitte endlich jemand über unsere Trassenpläne befinden?

Und sollten es die Herren Regierungsräte bis dahin immer noch nicht begriffen haben, wird die Nordostbahndirektion in ihrem offenen Brief nun noch ganz deutlich:

«Auch darf man wohl der Hoffnung Raum geben, daß über den weiteren Inhalt der seit längerer Zeit den Regierungen unterbreiteten Tracepläne der Entscheid nicht mehr allzu lange auf sich werde warten lassen. Eine weitere Verzögerung wäre namentlich im Gebiete des Kantons Zürich, wo sich die bedeutendsten und zeitraubendsten Bauobjekte befinden, sehr zu bedauern und müßte ernsten Zweifeln darüber rufen, ob der konzessionsgemäße Termin für Vollendung der ganzen Linie auch bei Anstrengung aller Kräfte werde eingehalten werden können. Wie man sich erinnert, hat die Nordostbahndirektion schon vor geraumer Zeit ihre Geneigtheit zu mündlicher Besprechung der noch waltenden Hauptdifferenz, ob über die Wagenbreche oder durch den Dettenberg und über Bülach nach der Kreuzstraße bei Glattfelden gebaut, und ob von der Kreuzstraße die Bahn längs der Glatt oder über Eglisau und dem Rhein entlang nach Rheinsfelden geführt werden solle, der Kantonalbehörde zu erkennen gegeben. Eine Rückäußerung auf diesen Vorschlag ist ihr indessen bis jetzt nicht zu Thei[l] geworden.»

Wie in WeiachBlog Nr. 1857 nachzulesen ist, sind die Trassenpläne bereits in der zweiten Hälfte des Aprils eingereicht worden, die Regierungen hatten also schon mindestens vier Monate der kostbaren Zeit ihres Konzessionärs ins Land gehen lassen! Da kann man verstehen, dass die NOB auf die Idee verfallen ist, den Druck auf die Regierenden öffentlich über die Zeitungsschiene zu verstärken.

Auch nach dieser Intervention hat es noch über zehn Monate gedauert, bis die Pläne für die Station Weiach-Kaiserstuhl im Juni 1873 schliesslich auch vom Eidgenössischen Departement des Innern genehmigt worden sind (vgl. WeiachBlog Nr. 1784 vom 30. Januar 2022)

Und selbst damit waren nicht alle offenen Fragen entschieden, wie man an der noch auf Herbst 1874 datierenden Korrespondenz des Weiacher Gemeinderates sieht (vgl. WeiachBlog Nr. 1783 vom 29. Januar 2022).

Quelle

[Veröffentlicht am 29. August 2022 um 02:15 MESZ]

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