Sonntag, 21. August 2022

Falschmeldung über Weiach auf Kurzwelle ausgestrahlt, 1944

Wissen Sie noch, wie ein Kurzwellensender getönt hat? Das Pausenzeichen von Swiss Radio International zum Beispiel mit den ersten Takten von Lueget vo Bärgen und Tal? Das Heimweh-Signet par excellence, wenn man den Sender fernab der Heimat gehört hat.

Es ist noch nicht so lange her, seit der Kurzwellensender Schwarzenburg nach fast fünf Jahrzehnten 1998 den Betrieb eingestellt hat. Von dort wurden ab 1939 die Sendungen von Schweizer Radio International per elektromagnetischer Energie um den Globus gepustet.

Über den Kurzwellendienst (KWD) ist im Zweiten Weltkrieg u.a. die sogenannte Tageschronik verbreitet worden: Eine Zusammenfassung der wesentlichen Ereignisse des Tages aus Schweizer Sicht.

Über 90 % Kriegsberichterstattung

Ein Manuskript dieser Sendung, datiert auf den 9. September 1944, enthält die älteste Nennung des Ortsnamens Weiach, die in der Memobase zu finden ist. Memobase ist die Datenbank von memoriav, Association pour la sauvegarde de la mémoire audiovisuelle suisse mit Sitz in Bern. Eigenwerbung: Das Portal zum audiovisuellen Erbe der Schweiz

Diese von Georges Perrin verfasste Ausgabe der Tageschronik wurde damals nicht auf Tonträger aufgezeichnet oder wenn doch, ist dieser verloren gegangen. Jedenfalls ist im Archiv nur das Manuskript verfügbar. [Hinweis: Das mittels automatischer Texterkennung (OCR) generierte Transkript enthält fehlgelesene Stellen. Die eckigen Klammern dienen als Platzhalter]:

«Meine Damen und Herren, Sie hören unsere Tageschronik. 

Trotz des deutschen Widerstandes, der sich an gewissen Punkten versteift, erzielen die alliierten Streitkräfte in Belgien und in Frankreich weitere Fortschritte.» 

So beginnt die Tageschronik. Es folgen Berichte von verschiedenen Kriegsschauplätzen in Europa, insbesondere über Kämpfe an der Westfront, die der Schweizer Grenze bei Besançon und Maîche teils sehr nahe kamen. Aber auch über das faktische Kriegsende in Bulgarien. Danach werden Auswirkungen auf unser eigenes Staatsgebiet vermeldet:

«In der Schweiz wurde heute mehrmals Fliegeralarm gegeben. Amerikanische Jagdflugzeuge haben [...] in der Nähe von Rafz, einem Dorf im Kanton Zürich nördlich des Rheins, einen Güterzug aus Maschinengewehren beschossen. Der Zug befand sich zum Teil auf schweizerischem und zum Teil auf deutschem Gebiet, denn die Linie Zürich-Schaffhausen führt ein Stück weit über deutsches Gebiet. Zwei Personen wurden schwer und zwei weitere leicht verletzt. Ein weiterer Angriff erfolgte gegen einen Zug bei Weiach im Bezirk Dielsdorf im Kanton Zürich. Auch hier gab es zwei schwer und zwei leicht Verwundete, überdies [...] bei Rafz ein Bahnwagen in Brand, [...] während bei Weiach die Lokomotive des Zuges beschädigt wurde und ein Bahnwärterhäuschen Feuer fing.»

Die einzige Meldung in dieser Tageschronik, die nicht kriegerische Ereignisse und deren Auswirkungen betrifft, handelt vom 25. Comptoir suisse

«En outre la maisonnette d'un garde-barrière près de Weiach a été mise en feu.»

Oder zu deutsch: «In der Gegend von Weiach ist ferner ein Bahnwärterhäuschen in Brand geworfen worden». Exakt diese Wortlaute fand man am Montag, 11. September 1944 in vielen Zeitungen quer durchs Land. 

Gemeint war das frühere Bahnwärterhaus Knecht (vgl. WeiachBlog Nr. 1738; Abschnitt «Amtl. mitgeteilte Falschmeldung»). Das war eine «Zeitungs-Ente». Da sie aber vom Armeekommando verbreitet und am Tag des Ereignisses (Samstagabend) gar in der Tageschronik vorgelesen wurde, übernahmen die meisten Zeitungen – konditioniert vom jahrelangen Massnahmen- und Zensurregime – auch diese Nachricht ohne Fragen zu stellen. Wenn es die oberste Rennleitung sagt, dann muss es ja stimmen. 

Beim Kommando der Flieger- und Fliegerabwehr-Truppen hingegen sowie bei der Kantonspolizei Zürich war man bereits am Tag des Ereignisses selber besser informiert. Keine Rede von einem solchen Brand.

Zum Glück hat man dann beim Aussendepartement nicht aus der Hüfte geschossen. Und sich so die Peinlichkeit erspart, von den Amerikanern für ein nicht abgebranntes Häuschen Entschädigung eingefordert zu haben (vgl. WeiachBlog Nr. 1739).

Flabeinheiten bereits im September in der Leebern?

Woher hatte das Kommando Flieger+Flab seine Informationen? In der Aufstellung der nach Weiach abkommandierten Flab-Batterien (vgl. Abbildung in WeiachBlog Nr. 1839) werden Stationierungen ab dem 16. November 1944 aufgeführt. 

Da sich die Geschützstellungen in unmittelbarer Nachbarschaft des Bahnwärterhäuschen befanden, könnten die tatsachentreuen Informationen des Bulletins von Leutnant Isler, Nachrichtendienstler im Kommando Flieger+Flab (vgl. Bild in WeiachBlog Nr. 1738), durchaus auf einer Meldung von sich bereits im September in der Leebern aufhaltenden Flab-Kanonieren basieren.

Andererseits kann es aber ebensogut sein, dass deren Stationierung tatsächlich erst ab Mitte November erfolgte. Die Bombardierung des NOK-Kraftwerks in Rheinsfelden (Kraftwerk Eglisau genannt) am 9. November (vgl. WeiachBlog Nr. 1617) hat einen noch wesentlich grösseren Eindruck hinterlassen als die kleinen Jagdflugzeuge am 9. September. 

Sehr gut vorstellbar, dass die Zürcher Regierung und/oder die Unternehmensleitung der Nordostschweizerischen Kraftwerke beim Bundesrat oder beim Oberbefehlshaber der Armee vorstellig geworden sind und Objektschutz durch eine Flab-Einheit verlangt haben, analog der Ortsflab (von Firmen und Gemeinden auf eigene Rechnung ausgerüstete Einheiten), aber von der Armee gestellt. 

Selbst wenn weder das eine noch das andere der Fall gewesen sein sollte: Spätestens nach dem 9. November (mit Toten, zerstörten Brücken, Eisenbahn- und Stromerzeugungsanlagen) wäre es in der Öffentlichkeit schwer zu verkaufen gewesen, die Gegend ganz ohne Flab-Schutz zu belassen, wenn es im selben Gebiet im weiteren Verlauf des Krieges noch einen Vorfall dieser Art gegeben hätte.

Auch wenn lediglich 20mm-Kanonen des Modells 1938 platziert wurden, die hoch fliegende Flugzeuge nicht wirksam bekämpfen konnten: entscheidend war der psychologische Effekt.

Quellen und Literatur

  • Perrin, G.: Tageschronik vom 9. September 1944  (Hrsg.: Schweizer Radio International Kurzwellendienst). Radiobestand SWI swissinfo.ch, CJ_19440909_DE, Online-Bestand Memobase, Download Transkript am 20. August 2022.
  • Brandenberger, U.: «Wie wenn Spaghetti vom Himmel fallen würden». WeiachBlog Nr. 1617 v. 1. Januar 2021. [Über die Bombardierung des Kraftwerks Rheinsfelden am 9.11.44]
  • Brandenberger, U.: Luftraumverletzungen im Dutzend. Der Luftkrieg im September 1944. WeiachBlog Nr. 1738 v. 9. September 2021.
  • Brandenberger, U.: Bundesrat Pilet-Golaz war zu schnell unterwegs. WeiachBlog Nr. 1739 v. 10. September 2021.
  • Brandenberger, U.: Fliegerabwehrgeschütze standen monatelang auf der Leebern. WeiachBlog Nr. 1839 v. 2. Juli 2022.

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