Donnerstag, 13. Juli 2023

Die Sagibach-Talsperre. Eine Projektskizze von 1965

Aktuell sind sogenannte erneuerbare Energien gerade wieder einmal ganz gross in Mode. Nicht nur Photovoltaik und Windräder, nein, auch Speicherseen und die dazu nötigen Staumauern.

Dass Pumpspeicherkraftwerke irgendwo im alpinen Raum geplant und umgesetzt werden, das ist seit einem halben Jahrhundert gelebte Realität in Helvetien. Aber ein Pumpspeicherwerk mit dem Namen «Sanzenberg-Kaiserstuhl»? Da kann sich der Ortskundige nur noch ungläubig die Augen reiben und Bauklötze staunen. 

Zu einem solchen Pumpspeicherwerk liegt jedoch im Schweizerischen Bundesarchiv tatsächlich ein Dossier des ehemaligen Eidgenössischen Amts für Wasserwirtschaft mit einer Projektskizze sowie dem Verweis auf eine «Projektmappe 1514 im A+W, 1965» samt «Beschrieb & Karte (Suiselectra)».

Der Verweis in Klammern zeigt den Urheber an. Erstellt wurden diese Projektskizzen von Suiselectra. Dabei dürfte es sich um die Suiselectra Ingenieurunternehmung AG in Basel gehandelt haben, über die am 15. Juli 2020 der Konkurs eröffnet wurde (vgl. SHAB Kantonsblatt BS, 19.08.2020).

Eine von 276 Möglichkeiten

Unter den Bemerkungen auf den Formblättern wird der Zusammenhang erklärt:

- Als Vorarbeit für die Mitteilung Nr. 46 des Eidg. Amtes für Wasserwirtschaft über "Pumpspeichermöglichkeiten in der Schweiz" ergab sich eine Liste von 271 Möglichkeiten, aus welchen die 26 publizierten Vorprojekte ausgewählt wurden.

- Zusammen mit der Mitteilung Nr. 46 wurde diese Liste im Jahre 1972 bei Nachtrag Nr. 276 abgeschlossen. Sie soll jedoch weiterhin laufend ergänzt werden.

- In dieser Dokumentation sind alle vorhandenen Daten und Unterlagen (auch nicht registrierte) gesammelt, welche eine dieser Möglichkeiten im einzelnen betreffen und für künftige Untersuchungen von Interesse sein könnten. Akten allgemeiner Natur über Pumpspeicherung werden nach wie vor in der Registratur aufbewahrt.

Die Talsperre stünde auf Weiacher Gebiet

Der Name «Sanzenberg-Kaiserstuhl» steht für Ober- und Unterbecken der «Pumpspeichermöglichkeit Nr. 39». Auf der Landeskarte seien diese, so das Formblatt, wie folgt zu lokalisieren: «Oberbecken, km-Koordinaten: 674/267» und «Unterbecken, km-Koordinaten: 674/269».

Diese Planquadrate befinden sich auf dem Gemeindegebiet von Weiach. Konkret: am Ausgang des Sagibachtals bzw. auf der Höhe der Badanstalt Kaiserstuhl.

Zum sog. «Stauziel» werden als «ungefähre Höhe ü.M.» beim Oberbecken 560 Meter angegeben. Und beim Unterbecken 339 Meter. Für die «Bruttofallhöhe» wird aber mit 225 Metern gerechnet. Womit man vom oberen Stauziel ans Rheinufer, d.h. auf die Höhe des Rhihofs am Ausgang des Griesgrabens gelangt (335 m ü.M.).

Die Projektmappe 1514 und die Karte von Suiselectra liegen zwar nicht vor. Und es ist nicht einmal klar, ob sie überhaupt noch existieren.

Sagibachtal unter Wasser

Wenn man sich das auf der Karte ansieht, dann kann eigentlich nur das Sagibachtal als Staubecken anvisiert worden sein. Was dann dazu geführt hätte, dass die früher dort platzierte Dorfbadi (vgl. Weiacher Geschichten(n) Nr. 45) in einer wesentlich grösseren «Badewanne» verschwunden wäre.

Und so hätte das dann wohl in etwa ausgesehen, wäre das Projekt in dieser Form realisiert worden:

Was dabei alles unter Wasser gesetzt worden wäre, d.h. wie das Sagibachtal heute im Original aussieht, das können Sie sich auf der vom Autoren dieses Beitrags verwendeten Kartengrundlage bei map.geo.admin.ch ansehen.

Unrealistische Stauhöhe

Allzu vertieft dürften sich die Herren Ingenieure nicht mit dem Sagibachtalsee befasst haben, schon ganz ohne irgendwelche geologischen Abklärungen. Denn nur schon ein genauerer Blick auf die Karte offenbart, dass ein Stauziel von 560 Metern nicht allzu realistisch sein kann. Damit liegt man nämlich bereits mehrere Meter über dem durchschnittlichen Niveau des Sanzenberg-Plateaus. 

Man hätte also nicht nur die Haupttalsperre auf der Höhe der Längg zwischen Schwändihaldenflue und Türmli bauen müssen (mit einer maximalen Höhe von bis zu 150 Metern), sondern daneben östlich anschliessend auch noch eine Sperre über den sog. Sattel bis zum Punkt 568 hinüber. Nicht eingezeichnet auf der Skizze mit Stauziel 560 Meter sind überdies die mind. 10 Meter hohen Mauern auf der Westseite zwischen Schwändihalden und Witeneichen, die man auch noch hätte bauen müssen.

Will man nur die Hauptsperre bauen, dann kommt man auf eine Stauhöhe von rund 30 Metern weniger, d.h. auf ca. 530 m ü.M. Was dann eine Staumauerhöhe von bis zu 120 Metern ergibt (gemessen von der Sohle des Sagibachs aus).

Dadurch reduziert sich natürlich der Beckeninhalt. Und zwar signifikant. Ob unter diesen Umständen die von Suiselectra-Ingenieuren geschätzte Ausbauleistung von rund 300 MW immer noch realistisch wäre?

Kraftwerk im Griesgraben?

Wo hätte das Kraftwerk gestanden, an dessen Stollenende das Wasser aus dem Sagibachtal-Stausee dann in Elektrizität umgewandelt worden wäre? Dort, wo die Badi Kaiserstuhl ist? Im Griesgraben? Oder hätte man dann doch eine Druckleitung bis zum Kraftwerk Eglisau nach Rheinsfelden gebaut?

Fragen über Fragen. Und affaire à suivre. Vielleicht schlummert die Mappe Nr. 1514 ja noch in den Archivkellern des Bundesamts für Umwelt (BAFU), der organisatorischen Nachfolgerin des Eidgenössischen Amts für Wasserwirtschaft.

Quellen und Literatur

  • Pumpspeicherkraftwerke 1960-1970. Projektskizzen Vorstudien (Gündelhard-Mammern, Hörnli-Mammern, Schönenberg-Fänenbach, Wolkensteinberg-Stein, Kohlrist-Langwiesen, Hochwacht-Teufen, Wasserberg-Greifensee, Sanzenberg-Kaiserstuhl). Dossier 30551750 im Schweizerischen Bundesarchiv. Signatur: CH-BAR E8170D#2015/238#150*.
  • Suiselectra. Pumpkraftwerke. Studie über die Möglichkeiten in der Schweiz. Berichte und Planunterlage. Basel 1965. Dossier 30551707 im Schweizerischen Bundesarchiv. Signatur: CH-BAR E8170D#2015/238#107*.
  • Pumpspeichermöglichkeiten in der Schweiz = Possibilités d'accumulation par pompage en Suisse = Possibilità di pompaggio in Svizzera. Mitteilungen des Eidgenössischen Amtes für Wasserwirtschaft Nr. 46. Bern 1972. Bibliotheksnachweis: Schweizerische Nationalbibliothek, Signatur: Pq 8254/46

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