Sonntag, 30. Juli 2023

Spende für Dr. Sagers Osteuropabibliothek

«Der Feind ist rot und kommt von Osten!» Wer seine Sozialisation in der Schweiz während des Kalten Kriegs (1947-1989) durchgemacht hat, der weiss aus eigenem Erleben, was mit diesem plakativen Propaganda-Spruch gemeint ist. Und wie er zu verstehen ist. Gemeint ist die Farbe der Kommunisten, im konkreten Fall das Rot der Flagge der UdSSR mit gekreuzten Symbolen, Hammer und Sichel.

Kommunisten wollen uns angreifen, vernichten, etc. Das war das Leitnarrativ damaliger Zeiten. Heute sind es statt der Sowjets «die Russen».

Ungarn 1956: Solidarität mit dem Kleinen

Das prägende Ereignis der 1950er-Jahre war für die Weiacher nicht so sehr der Volksaufstand des 17. Juni 1953 in der noch jungen DDR. Es war vielmehr der Kampf der Ungarn gegen den Einmarsch der Sowjetarmee vom 1. bis 4. November 1956, der auch für die Volksmeinung in Weiach prägend war und zu diversen Aktivitäten führte, vgl. den Protokolleintrag des Frauenvereins Weiach in WeiachBlog Nr. 339

Und damit war unser Dorf nicht allein, wie man auch dem Artikel Ungarn im Historischen Lexikon der Schweiz entnehmen kann: «Einen kritischen Höhepunkt erfuhren die ungarisch-schweizerischen Beziehungen 1956 anlässlich der durch sowjetische Truppen niedergeschlagenen Revolution in Ungarn. Eine beispiellose Sympathie- und Solidaritätswelle schlug sich in der Schweiz nebst Hilfslieferungen besonders in der Aufnahme von über 20'000 Flüchtlingen nieder, die meist problemlos integriert wurden.»

Antikommunismus ist Mainstream

Es ist daher auch kein Wunder, dass die Angst und das Bedrohungsgefühl nicht mehr speziell geschürt werden mussten. Da war der Anschauungsunterricht dieser Machtdemonstration des Spätstalinismus völlig ausreichend. 

Wer es jetzt noch wagte, kommunistische Ideen zu äussern, der wurde schnell verdächtig und wenn er oder sie im falschen Beruf tätig war, beispielsweise als Lehrer, dann stellte sich schon einmal ein ganzer Lehrkörper geschlossen gegen diesen Verräter und verlangte von den Behörden seine sofortige Entlassung.

In Weiach führte seit Jahren ein glühender Patriot die Geschicke der Gemeinde. Als solcher darf Gemeindepräsident Albert Meierhofer-Nauer mit Fug und Recht bezeichnet werden. Loyal zur Heimat stand nach der Bedrohungserfahrung des Zweiten Weltkriegs auch die überwiegende Mehrheit der Weiacherinnen und Weiacher. Wer diese Haltung nicht teilte, wird den Teufel getan haben, dies offen zum Ausdruck zu bringen.

Selbstverständlich war auch Walter Zollinger in Richtung geistiger und physischer Landesverteidigung gepolt. In seiner Jahreschronik 1960 notiert er:

«Auf Antrag des Aktuars bewilligte die Schulpflege einen Beitrag von Fr. 100.- an die "Stiftung Schweizerische Osteuropabibliothek" in Bern, ein Zweig des "Schweiz. Ost-Institutes" (S.O.I.) unter Dr. Peter Sagers Leitung.» [G-Ch Weiach 1960, S. 12]

Was hier nicht steht, jedoch aus einer früheren Jahreschronik hervorgeht: Bei diesem Aktuar handelte es sich um den Chronikverfasser selber (vgl. WeiachBlog Nr. 1958).

Wer war Dr. Sager?

Dr. Peter Sager im Jahre 1986. 
Quelle: Bibliothek am Guisanplatz, Sammlung Rutishauser, Wikimedia CC BY-SA 4.0

Hier wurde also eine Spende aus Steuermitteln ausgerichtet. Da musste sich die Schulpflege schon sehr sicher sein, dass dies von der überwiegenden Mehrheit der Stimmberechtigten ohne grosse Diskussion gutgeheissen würde, sonst hätte man sich eine solche Ausgabe nicht erlauben können.

Peter Sager (1925-2006) war in dieser Hinsicht für seine Weiacher Zeitgenossen über jeden Zweifel erhaben. Zu seinem Werdegang schreibt das Historische Lexikon der Schweiz:

«1952 Dr. rer. pol., 1952-54 am Soviet Union Program der Univ. Harvard. Unter dem Eindruck des Totalitarismus sowjet. Prägung ab 1948 in Bern systemat. Aufbau der Osteuropa-Bibliothek (seit 1997 Schweiz. Osteuropabibliothek) sowie 1959 Gründung des Schweiz. Ost-Instituts, 1959-91 dessen Leiter. 1945-91 Mitglied der Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB, später SVP) [...]»

First-rate propagandist

Die Osteuropa-Bibliothek gab es also schon geraume Zeit. Nun hatte sie mit dem Ost-Institut auch noch eine institutionelle Umhüllung erhalten. Dieses erhielt die Aufgabe, die Entwicklung im Ostblock mit wissenschaftlichen Methoden zu beobachten und diese einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. 

«Aber jede sachliche Arbeit im Zusammenhang mit dem Kommunismus ist notwendigerweise eine Aufklärung über das Wesen dieser Bewegung und weist deshalb politischen Charakter auf.» (zit. n. Wikipedia-Artikel Schweizerisches Ostinstitut)

Dieser Satz aus dem Memorandum, einer Art Missionsbeschreibung aus dem Jahre 1963, zeigt deutlich die Stossrichtung auf, die ihre transatlantische Prägung über das Soviet Union Program einer U.S.-Top-Universität nicht leugnen kann. Sager wurde dadurch vom Wissenschaftler immer stärker zum Politaktivisten:

«Dieser Rollenwechsel akzentuierte die immer schon vorhandene politisch-aufklärerische Note der wissenschaftlichen Feindforschung in der Tätigkeit Sagers: Ausländische Geheimdienstkreise qualifizierten ihn deshalb als ,not very scientific, but a first-rate propagandist‘» [Christophe von Werdt (2014), zit. nach Wikipedia-Artikel Peter Sager]

Quelle und Literatur

  • Zollinger, W.: Gemeinde Weiach. Chronik des Jahres 1960 - S. 12. Typoskript in der Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek Zürich. Signatur: G-Ch Weiach 1960.
  • von Werdt, Ch.: Sager, Peter. In: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 07.02.2011. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/006777/2011-02-07/, konsultiert am 30.07.2023.
  • Christophe von Werdt: Peter Sager und die Ostforschung in der Schweiz. In: Religion und Gesellschaft in Ost und West, Jg. 42 (2014), H. 3, S. 23.
[Veröffentlicht am 31.7.2023 um 00:55 MESZ]

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