Samstag, 22. Juli 2023

Tabakanbau, zweiter Anlauf. Von Blauschimmelpilz ausgebremst

Beim Durchsehen der eigenen elektronischen Ablagen findet man auch recht weit gediehene Entwürfe für Beiträge in der (Ende 2009 eingestellten) Reihe Weiacher Geschichte(n). So zum Beispiel einen mit dem Titel «Verdienstmöglichkeit «Blauer Dunst» ade!», der diesen Sommer seinen zwanzigsten Geburtstag feiert. Damit hat er schon fast das Alter der Sperrfrist, das für die Zollinger'schen Jahreschroniken galt: 25 Jahre.

Walter Zollinger, der langjährige Weiacher Lehrer für die oberen Klassen, nutzte die Sommerferien ab den 1950er-Jahren jeweils dazu, das vielfältige Material, das er in den verflossenen Monaten über das Leben in seiner Gemeinde gesammelt hatte (eigene Notizen, persönliche Mitteilungen, Flugblätter, Protokolle, Fotografien, etc.), zu ordnen und in die Form eines Typoskripts zu bringen.

Das Resultat sind die heute in der Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek Zürich aufbewahrten Weiacher Chroniken (Signatur: G-Ch Weiach 1952-1967). In seinem 1972 erschienenen, blauen Büchlein (Umschlagtitel: «WEIACH 1271-1971». Rückentitel: «[...] CHRONIK WEIACH») erwähnt Zollinger diese selber als die «vom Verfasser zusammengestellten Jahreschroniken 1952 bis 1967» (vgl. Anmerkung 81, S. 93). Es gilt also zu unterscheiden zwischen den Jahresbänden (ungedruckte eigentliche Chroniken) und der Monografie (gedruckte Übersichtsdarstellung), die (irreführenderweise) auch so benannt wurde.

Lichtbildervortrag löst Anbauboom aus

Für die Jahre 1953 bis 1961 findet man jeweils unter dem Abschnitt Landwirtschaft Ausführungen zu einer ganz speziellen neuen Kultur, mittels derer einige Weiacher Bauern ihre Einkünfte zu diversifizieren versuchten. So schreibt Zollinger in der Jahreschronik 1953 auf Seite 4:

«Das Jahr 1953 ist für unsere Landwirtschaft noch deshalb erwähnenswert, weil eine ganze Anzahl namentlich jüngerer Bauern zum erstenmal den Versuch mit dem Anbau von Tabak wagten. Ein im vorangegangenen Winter durchgeführter Orientierungsabend mit Lichtbildervortrag hatte das Interesse hiefür zu wecken vermocht. Vierzehn Pflanzer mit zusammen 128 Aren bepflanztem Boden konnten aus der Tabakernte 1953 an den ostschweizerischen Tabakpflanzerverband 2'326 kg getrocknete Tabakblätter abliefern und lösten daraus ingesamt den ansehnlichen Betrag von Fr. 9'644.- 

Ob sich diese neueingeführte Kultur sesshaft machen kann, müssen die kommenden Jahre erweisen. Der Boden soll sich zum Anbau gut eignen und die Pflanzen stehn auch wirklich dieses Jahr [Zollinger bezieht sich auf den Juli 1955, in dem er diesen Text verfasst hat] wieder hoch und mastig da. Doch fehlen den meisten Bauern noch die notwendigen Trocknungsräume. Auch bedeutet das Setzen und Begiessen der rd. 39'700 Setzlinge (310 auf eine Are) im Frühling, sowie vom Spätsommer an das Auffädeln und Aufhängen der erntereif gewordenen Blätter (vor allem für die Frauen und Kinder) eine zeitraubende u. dazu erst noch heikle Arbeit.»

Zollingers Bildbeweis

Auf derselben Seite des Typoskripts sind auch zwei Fotos von Tabakpflanzungen eingeklebt, eines davon im Gebiet nördlich des Dorfkerns Richtung Hardwald aufgenommen. Mit dem Leuenchopf im Hintergrund:

In neun Anbaujahren gesamthaft über 24 Tonnen getrocknete Blätter

Ab der Chronik 1953 ist in jedem Band bis 1961 die Rede von diesem Tabakanbau. So heisst es beispielsweise über das Jahr 1955: «Der Ertrag an Tabak brachte auf 122 Aren Pflanzland 3'374 kg Tabakblätter im Werte von Fr. 12'939.-.» (G-Ch Weiach 1955, vgl. WeiachBlog Nr. 55, 29. Dezember 2005).

Ein Zusammenzug der von Zollinger genannten Zahlen ergibt folgende Übersicht.


Man sieht, dass die Zahl der gepflanzten Setzlinge durchwegs über 30'000 liegt, mit einem Ausreisser im Jahre 1956, als fast ein Drittel mehr Fläche für Tabakkultur eingesetzt wurde. Ein Zuwachs, der sich dann aber (möglicherweise angesichts des nicht so überzeugenden Ertrags pro Are) für das Folgejahr wieder auf den Durchschnittswert reduziert hat. Wie kommt es da zum massiven Einbruch im Jahre 1961, wo die Fläche auf rund einen Zehntel zusammenfiel?

Der Blauschimmel verdarb den Weychern die Lust

Der Grund heisst Peronospora hyoscyami tabacina, der Tabakblauschimmel, ein Pilz, der just gegen Ende der 50er-Jahre in Europa eingeschleppt wurde und für die Tabakpflanzungen verheerende Folgen hatte. Davon berichtet auch Zollinger:

«Da noch kein Kampfverfahren gegen diese überraschend gekommene Tabakkrankheit bekannt ist, wird es für die kommenden Jahre wohl den bisherigen Pflanzern einen gehörigen Dämpfer aufsetzen.» (G-Ch Weiach 1960 – S. 8 recto & 9)

Damit sollte er recht behalten, denn schon in der nächsten Jahreschronik steht (nach der Meldung über eine befriedigende Getreide- und Kartoffelernte):

«Dagegen hat sich meine im Vorjahr ausgesprochene Befürchtung hinsichtlich des Tabakanbaues vollumfänglich bewahrheitet. Nurmehr 14 Aren wurden bepflanzt u. ergaben für 515,5 kg abgelieferte Tabakblätter den Ertrag v. nur Fr. 2'314.70.»  (G-Ch Weiach 1961 – S. 8)

Das war zwar gemessen in Kilogramm pro angebauter Are der höchste bei uns je erzielte Ertrag. Auch der Erlös pro Kilo lag auf Rekordniveau. Trotzdem hatten die Weiacher Pflanzer offenbar genug. 

In der Jahreschronik 1962 verliert Zollinger kein Wort mehr über den Tabakanbau. Fazit: Der Blauschimmel besiegelte das Ende des zweiten Weiacher Tabakversuchs.

Der erste dokumentierte Anbauversuch

Wenn das der zweite Versuch war, wann war dann der erste? Darüber gibt die Ortsbeschreibung aus dem Jahre 1850/51 im Abschnitt Feldbau Auskunft. Der Weiacher Pfarrer Konrad Hirzel schreibt da, nach Ausführungen über erste Erfahrungen mit Mais:

«Ähnliche, keineswegs ungünstige Versuche wurden in den letzt verflossenen Jahren mit Anbau des sogen. virginischen Tabaks (macrophylla nicotiana) gemacht, dessen Blätter völlig ausreifen u. bei einer sorgfältigen Behandlung zu Zigarren vortheilhaft verwendet werden konnten.»

Diese nach aktueller Nomenklatur Nicotiana tabacum genannte Art ist die wirtschaftlich wichtigste im weltweiten Tabakanbau. Über die Gründe, die damals dazu geführt haben, die Tabakpflanzungen nicht weiterzuführen, ist leider bislang nichts bekannt.

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