Zu Zeiten des Ancien Régime führte die Zürcher Obrigkeit ab 1634 in allen Gemeinden Bevölkerungszählungen durch. Das älteste erhaltene Tauf-, Ehe- und Totenregister der Gemeinde Weiach hebt im Jahre 1609 an und befindet sich heute im Staatsarchiv (Signatur: StAZH E III 136.1).
Der staatliche Datenhunger hat aber schon kurz nach der Reformation eingesetzt: «Das Verdienst Zwinglis und der Reformation, die Kirchenbücher im Zürcher Gebiet eingeführt und dadurch weithin beispielgebend gewirkt zu haben, ist unbestritten.» (Hauser 1940, S. 35)
Bürgermeister und Rat verpflichteten die jeweils zuständigen Pfarrer u.a., von ihnen durchgeführte Taufen (und damit faktisch die Geburten) aufzuzeichnen. Begründet wurde diese Massnahme mit dem Kampf gegen Wiedertäuferei und katholischen Einfluss. Man wollte so die Seelen für die richtige Religionsauffassung retten.
Soziale Kontrolle als Schutz vor Hunger und Elend
Profanere Gründe hatte die Vorschrift, dass Heiratsabsichten dem Pfarrer anzukündigen waren. Der musste dann abklären, ob genügend finanzielle Mittel für das Erhalten einer Familie vorhanden und die Verwandtschaftsverhältnisse zwischen Mann und Frau nicht zu eng waren.
Eine Dorfgemeinschaft hatte damals aus Gründen der Armenfürsorge alles Interesse daran, dass nicht jedermann Kinder auf die Welt setzen kann. Und daher war fast jede Art von sozialer Kontrolle zwecks Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen vor Übernutzung mit einer à priori sehr hohen gesellschaftlichen Akzeptanz ausgestattet.
So wurde die Bevölkerung dazu erzogen, eine Heirat vor der Hochzeit öffentlich verkünden zu lassen, zuerst von der Kanzel aus, nach der Einführung des Zivilstandswesens im Jahre 1876 auch durch öffentlichen Anschlag, z.B. am Gemeindehaus.
Einmischung in Privates noch gerechtfertigt?
Fallen diese Gründe aber weg, dann stellt sich die Frage neu. Wenn mangelnde Finanzmittel kein Ehehinderungsgrund mehr sind und die Verehelichung und selbst Kinder als reine Privatsache angesehen werden, dann stellt sich die Frage nach dem Datenschutz. Das war bereits vor 50 Jahren so, wie man einem längeren Beitrag in der Tageszeitung «Die Tat» entnehmen kann:
«(-f.) «Soll die öffentliche Publikation von Zivilstandsfällen (Geburten, Todesfälle, Eheverkündigungen und Trauungen) in Zukunft abgeschafft werden?» Diese Frage stellte die Direktion des Inneren des Kantons Zürich allen Zürcher Gemeinden. Anstoss zu dieser Umfrage haben vor allem die zunehmenden Dispensionsgesuche (die sich allerdings immer noch im bescheidenen Rahmen halten) von öffentlicher Publikation bei der Direktion des Inneren gegeben. Direktionssekretär Dr. Hans Hug stellte auf unsere Anfrage dazu fest, dass immer mehr Menschen die Publikation ihres eigenen Zivilstandsfalles als Einmischung in ihre Privatsphäre betrachten. Zudem werde das Problem im Kanton unterschiedlich behandelt, da es in der Kompetenz der einzelnen Gemeinden liege, Zivilstandsfälle zu publizieren. Es bestehe allerdings die Tendenz zur Ablehnung, und wenn sie stark genug sei, könne dies durch eine Aenderung in der kantonalen Zivilstandsordnung verankert werden. Diese Ansicht vertritt auch der bisherige Präsident des Verbandes Zürcher Zivilstandsbeamter, Heinz Attinger. Seiner Ansicht nach müsse in der heutigen Zeit die Intimssphäre des Menschen weitestgehend gewahrt, und deshalb sollten Zivilstandsmeldungen generell nicht publiziert werden.
«Meiers Barbara» nicht mehr in der Zeitung?
Keine Geburten mehr, keine Todesfälle, wird man nicht mehr lesen dürfen, wer wen wann heiraten will? Was sagen die Gemeindeväter dazu? Handelt es sich wirklich nur um die persönliche Freiheit des Einzelnen – oder geht mit der Aufhebung der amtlichen Publikationen nicht doch ein Stück «gemeinschaftliches Mitleben» – nicht «Darüberherfallen» – verloren? Wir haben in kleinen und grossen Gemeinden des Kantons nachgefragt. Die grossen Gemeinden, die in den letzten Jahren ausserordentlich starken Zuzug von aussen erhalten haben, entscheiden generell nicht anders als die kleinen Gemeinden, deren seit Jahrzehnten bestehende Gemeinschaft nicht gestört worden ist. Auf beiden Seiten sind sowohl zustimmende wie ablehnende Argumente unterschiedlicher Art zu hören.
«Weiblicher Gwunder»?
Das zumindest ist die Ansicht der Winterthurer. Hier wird man auch in Zukunft in allen vier amtlichen Publikationsorganen sämtliche Zivilstandsfälle veröffentlichen, weil es einem Bedürfnis entspreche und weil vorwiegend die weibliche Bevölkerung daran interessiert sei. Natürlich sieht man in Winterthur auch Nachteile, aber weniger in der Verletzung der Intimsphäre des Menschen, eher in der Ueberschwemmung des einzelnen mit Propagandamaterial, vor allem bei Geburtsanzeigen.
Auch in Bülach (12 000 Einwohner) wird man die Zivilstandsfälle weiter veröffentlichen. Junge Mütter, hiess es hier, legten Wert darauf, das [sic!] Geburten veröffentlicht würden, und Zivilstandsfälle würden ganz generell vom Leser verfolgt. Bachenbülach hingegen hat nie publiziert und wird auch jetzt, mit 2600 Einwohnern, von dieser Gewohnheit nicht abweichen, sondern ist für eine generelle Abschaffung. Hirzel am Südzipfel des Kantons mit 1170 Seelen will wegen der älteren Leute nicht darauf verzichten. «Man kennt sich noch in der Gemeinde.» Das gleiche gilt für Unterstammheim (675) und für Dättlikon (349). In Oetwil an der Limmat (808) und in Weiach (682) allerdings werden trotz der niedrigen Einwohnerzahl keine Zivilstandsfälle veröffentlicht.
Keine Firmeninteressen fördern?
In Horgen (17 500) werden nur noch monatlich die Todesfälle und die Eheverkündigungen veröffentlicht, weil diese «im öffentlichen Interesse liegen». Kein Interesse hat die Gemeinde daran, Firmen durch Publikation von Geburten und Heiraten zusätzliches Adressmaterial zu liefern. Auch Adliswil (16 600) sieht nur in der Publikation von Eheverkündigungen und Todesfällen einen «Dienst am Bürger» und will weder Adressmaterial liefern noch «öffentlichen Gwunder» stillen. In Bonstetten (1718) hingegen vertritt man die gegenteilige Meinung. Man behält die völlige Publikation bei. Hauptgrund: wenn Vertreter und Firmen kein Adressmaterial mehr finden, wie sollen sie dann ihr Brot verdienen? Sie seien darauf angewiesen. Erst als zweiter Grund wird die Orientierung nicht nur der älteren Generation über einen Teil des Gemeindegeschehens genannt.
Man kennt sich oder lernt sich kennen
Richterswil (7700) wird die Publikationen weiter führen. Zur ständigen Orientierung des Einwohners gehörten auch die Zivilstandsmeldungen. Das Bedürfnis dafür sei vorhanden, entweder weil man sich kenne oder weil man sich kennen lerne. Auch in Grüningen (2150) ist man dieser Ansicht. Die Publikation von Geburten, Todesfällen, Eheverkündigungen gehören, so sagte man uns, zum Zusammenleben in einer Landgemeinde, die trotz aller Vermassung ringsherum eben doch noch Zusammenhalt habe. Die Stadt Zürich (über 400 000) ist für Abschaffung der Publikation. Der Gemeinderat von Affoltern am Albis (7850) hingegen weist darauf hin, dass speziell die Alteingesessenen auf diese Nachrichten warten. Denn durch sie erfahre man, was mit Gemeindebürgern, die nicht mehr in der Gemeinde wohnen, «los sei». Man hänge an dieser Information, die teilweise weit über die Landesgrenzen hinaus reichten. [sic!]
Bestimmt nicht alles nur «Neugierde»
Wer sich heute in Gemeinden mit öffentlicher Publikation von Zivilstandsfällen schützen will, kann ein Gesuch an die Direktion des Inneren richten. Ganz sicher aber ist vor allem, dass viele Leser gerade von Lokalzeitungen die Informationen durch die Publikation der Zivilstandsfälle schätzen. Für viele geht es weit über «Neugierde» hinaus, es ist für sie echte Information über das Leben im Rahmen der eigenen, aber auch in dem der Nachbargemeinden. Und in dem Sinn wäre eine Aufhebung der Publikation zu bedauern.»
Man sieht hier, dass in dieser Frage der Vielfalt an möglichen Modellen kaum Grenzen gesetzt waren. Jede Gemeinde konnte das faktisch noch handhaben wie sie wollte.
Gemeinde Weiach im «Behörden-Snapchat-Modus»
Der «Tat»-Redaktor hat oben ja die Behauptung in die Welt gesetzt, bei uns seien damals die Zivilstandsfälle nicht veröffentlicht worden. Da liegt er allerdings aufgrund einer – wohl professionsbedingten Einschränkung des Denkens – nicht ganz richtig.
Korrekt gewesen wäre die Formulierung: «keine Zivilstandsfälle in der Regionalpresse veröffentlicht».
Wie von alt Gemeindeschreiber Hans Meier in Erfahrung zu bringen ist, war es damals und noch bis 1982 so, dass der Weiacher Zivilstandsbeamte seine Geschäftsfälle per Aushang im Mitteilungskasten am Gemeindehaus «publiziert» hat. Dort konnte man auch die Gemeinderatsprotokolle einsehen. Zivilstandsnachrichten wurden also sehr wohl veröffentlicht. In der Gemeindewandzeitung, in einem Exemplar und für beschränkte Zeit. Wie bei Snapchat verschwand die Zivilstandsangelegenheit nach einer bestimmten Zeit spurlos aus dem Mitteilungskasten. Ganz einfach deshalb, weil sie neueren Nachrichten Platz machen musste.
Deshalb brauchte Weiach auch kein amtliches Publikationsorgan in Form von einer der Regionalzeitungen. Für die Bedürfnisse der vor Ort Ansässigen reichte das Anschlagbrett. Ganz anders als in Dättlikon oder Unterstammheim präsentierte sich also die Situation in Weiach nicht. Nur aus der Sicht eines Journalisten in der Stadt Zürich war das Weiacher Verfahren halt keine Publikation.
Heute werden nur noch Todesfälle bekanntgegeben...
So war die Situation 1974. Und wie ist das heute? Heutzutage ist die Frage weitgehend zugunsten der Privatsphäre entschieden. Zivilstandsfälle werden nicht mehr publiziert.
Es sei denn die Betroffenen (z.B. die Eltern eines Kindes bei seiner Geburt; oder die Eheleute im Falle einer Verheiratung) willigen explizit in die Veröffentlichung im Mitteilungsblatt der Gemeinde ein. Dort wird dieser Grundsatz wie folgt formuliert: «Über die Veröffentlichung ihrer Namen entscheiden die Betroffenen selber.» Eine Art Opt-in-Verfahren also. Dasselbe Verfahren gilt bei uns im Bereich des Bestattungswesens.
Rein rechtlich gesehen ist es aber laut dem für Weiach zuständigen Zivilstandsamt in Bülach so, dass Todesfälle grundsätzlich veröffentlicht werden müssen. Da wäre dann nur ein partielles Opt-out-Verfahren möglich.
... und das müssen sie laut Gesetzgebung auch
Folgt man dem Wortlaut der kantonalen Bestattungsverordnung (ZH-BesV; 818.61) dann gibt es an der grundsätzlichen Publikationspflicht nach aktueller Rechtslage tatsächlich nichts zu rütteln:
§ 17. Öffentlichkeit
1 Ohne anderslautende Willenserklärung der anordnungsberechtigten Person sind Abdankungen und Beisetzungen öffentlich. [D.h. jedermann darf daran teilnehmen]
2 Die Wohngemeinden veröffentlichen die Personalien der verstorbenen Person.
3 Ohne anderslautende Willenserklärung der anordnungsberechtigten Person können sie Zeit und Ort der Abdankung veröffentlichen.
4 Die Veröffentlichungen erfolgen in den amtlichen Publikationsorganen der Gemeinden oder in anderer geeigneter Form.
§ 17 Abs. 2 stipuliert eine Publikationspflicht der Wohngemeinde. Im Prinzip wäre laut § 17 Abs. 4 auch heute noch eine Veröffentlichung am Anschlagbrett des Gemeindehauses möglich.
Die Gemeinde Weiach hat sich allerdings für eine andere Lösung entschieden: die Amtliche Publikation über die Website, bei der diese Informationen im Format PDF für jedermann abrufbar sind und an jede Person übermittelt werden, die sich für diesen Service auf der Website angemeldet hat.
Verfügung von Todes wegen wirkungslos
Der Todesfall an und für sich unterliegt also dem Öffentlichkeitsprinzip – lediglich die Veröffentlichung des Zeitpunkts der Bestattung und der Abdankung kann abgelehnt werden.
Man kann also zwar zu Lebzeiten in einer Verfügung von Todes wegen verlangen, es dürfe der eigene Todesfall nicht veröffentlicht werden. Oder dieses Begehren nach dem Ableben durch Angehörige stellen lassen. Die Gemeinde ist dennoch verpflichtet, zumindest die Eckdaten zu publizieren.
Das von Katica Orschel, ehemalige Leiterin Bestattungswesen, verwendete Schema umfasste die folgenden Angaben: Name, Vorname, Wohnort, Jahrgang, Heimatort/Staat, Verstorben am. War die Aufenthaltsadresse ausserhalb unserer Gemeinde Weiach gelegen, hat sie Weiach als «Gesetzlicher Wohnort» bezeichnet.
Die nach dem Schweizerischen Zivilgesetzbuch korrekte Bezeichnung für letzteren Begriff müsste allerdings «Wohnsitz» lauten:
«Der Wohnsitz einer Person befindet sich an dem Orte, wo sie sich mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält; der Aufenthalt zum Zweck der Ausbildung oder die Unterbringung einer Person in einer Erziehungs- oder Pflegeeinrichtung, einem Spital oder einer Strafanstalt begründet für sich allein keinen Wohnsitz.» (Art. 23 Abs. 1 ZGB)
Wobei dieser Begriff gleichzeitig Exklusivität beanprucht: «Niemand kann an mehreren Orten zugleich seinen Wohnsitz haben.» (Art. 23 Abs. 2 ZGB)
Quellen
- Hauser, E.: Die Sammlung der zürcherischen Pfarrbücher im Staatsarchiv. In: Zürcher Taschenbuch auf das Jahr 1941, Jg. 61, Zürich 1940 – S. 27-36.
- Eingriff in die Intimsphäre des Bürgers? Amtliche Publikationen – ja oder nein? In: «Die Tat», Nr. 91, Zürich, den 19. April 1974 – S. 5.
- Persönliches Gespräch mit alt Gemeindeschreiber Hans Meier, 22. August 2023.
- Telefonische Auskunft Zivilstandsamt Bülach vom 24. August 2023.
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