Donnerstag, 17. August 2023

Bildung, Boden & Botanik. Wilma Willi zur Bundesfeier 2023

Die letztjährige (vgl. WeiachBlog Nr. 1949) und die diesjährige Festrednerin an der Weiacher Bundesfeier haben zwei Gemeinsamkeiten: einen Migrationshintergrund und dieselbe Geschlechtsidentität. In vielen anderen Aspekten dominieren aber die Unterschiede, zumindest äusserlich.

Wilma Willi wurde 1960 in der Republik Südafrika geboren, erlangte dort den Bachelor in Rechtswissenschaften, darauf einen Master in Erziehungswissenschaften an der Universität Edinburgh, Schottland. Abgerundet wird ihre Ausbildung durch ein eidgenössisches Berufsschullehrerdiplom. Und als Berufschullehrerin ist sie nun auch seit über 20 Jahren tätig.

Weltlich und kirchlich engagiert

Das ist aber noch längst nicht alles, wie man den Listen der aktuellen bzw. ehemaligen Mandate und Interessenbindungen auf der Website des Zürcher Kantonsrates entnehmen kann. Diesem gehört sie seit dem 24. Februar 2020 an. Neben ihrem politischen Engagement als Mitglied der Grünen im Bezirk Dielsdorf (ab 2015 im Vorstand), als Präsidentin des Naturschutzvereins Stadel (seit 2010) und als Regionalgruppenleiterin von Birdlife, hat unsere Rednerin auch einen kirchlichen Background. 

So war sie zwischen 2000 und 2019 acht Jahre Präsidentin der Evangelisch-Reformierten Bezirkskirchenpflege, mehr als 15 Jahre Synodale (d.h. Abgeordnete) in der Zürcher Kirchensynode und hat überdies während rund acht Jahren die Landeskirche beim Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund vertreten (vgl. auch ihre private Website)


Die Einladung des Festredners erfolgt jeweils durch den Gemeinderat, diesmal auf Vorschlag von Manuela Galimberti, die aus Windlach stammt.

Der Wiachiana-Verlag freut sich, den Volltext des Redemanuskripts für die Nachwelt festhalten zu dürfen. Wie üblich wurde der Text orthografisch durchgesehen und ist ansonsten im Originalzustand. Kursiv gesetzter Text stammt von Wilma Willi. Nichtkursive Zwischentitel sowie Internetlinks sind redaktionelle Ergänzungen.

Kantonsrätin Wilma Willi, Co-Präsidentin Grüne Dielsdorf
Ansprache Bundesfeier Weiach 2023

«Geschätzte Weiacherinnen und Weiacher, 
Verehrte Gäste

Dass ich heute hier bei Ihnen die Festrede zur Bundesfeier halte, bedeutet mir viel. Vielen Dank für Ihre Einladung! Von Windlach, wo ich wohne, zu Fuss hier nach Weiach ist es genau 3.5 km. Also komme ich sozusagen aus ihrem Nachbardorf, mit je nach Wanderroute dem Chistenpass oder der Flugzeugabsturzstelle der Alitalia dazwischen. 

Es ist für mich auch deshalb besonders hier zu sein, denn mit Weiach verbindet mich einiges. Als am Anfang von dem jetzigen Jahrhundert ein neuer Wind in der Bildung blies und Frühenglisch in aller Munde war, durfte ich als Erziehungswissenschaftlerin für die Gemeinden Stadel, Weiach und Bachs ein Frühenglischkonzept erstellen und so kam es, dass ich ab 2001 für einige Jahre Englisch in dem kleinen Schulhäuschen an 2. bis 6.-Klässler und -Klässlerinnen unterrichten durfte und auch die Eltern der begeisterungsfähigen Kinder kennenlernte. [Gemeint ist das Alte Schulhaus von 1836 am Schulweg 2, wo auch die Gemeindebibliothek untergebracht ist]

Das glücklichste Land der Welt

Die Schweiz feiert heute Geburtstag. Nun, es liegt auf der Hand, dass wir uns fragen, was wir und was Sie in Weiach am 1. August 2023 zu feiern haben? Es ist momentan nicht gerade schwierig, pessimistisch in die Zukunft zu blicken. Wir haben zum Beispiel schon seit mehr als einem Jahr Krieg in Europa, nicht sehr weit weg von hier. Wie es weitergeht und was die Folgen sein werden, können wir uns noch gar nicht genau ausmalen. Unsere Welt ist momentan in Bewegung und vieles scheint nicht mehr im Lot.

Was haben denn wir zu feiern? Laut der Happy Nations Erhebung 2022 ist die Schweiz das glücklichste Land der Welt. Und das ist seit Jahren so. Immer ist die Schweiz weit vorne dabei. Wieso die Schweiz zu den glücklichsten Völkern zählt, hat aber sicherlich verschiedene Gründe. Ich möchte heute aber nur zwei B’s hervorheben, die zu unserem Glück beitragen. Bildung und Boden. 

Zum ersten B: Bildung.

Die Schweiz hat früh begriffen, dass die Menschen ihre wichtigste Ressource sind. So hat die Einführung der allgemeinen Schulpflicht im Kanton Zürich am Anfang des 19. Jahrhunderts über die letzten 200 Jahren zu einem hervorragenden Bildungsniveau geführt. Dass jede Person einen Berufsabschluss oder Hochschulabschluss hat, ist einmalig auf dieser Welt. Als Lehrerin an der Berufsschule in Bülach, bin ich bis heute nach 23 Jahren an dieser Schule immer noch sehr begeistert vom Bildungssystem und die erfolgreiche und superkluge Kombination von Schule und Berufspraxis. Alle Einwohnerinnen und Einwohner unseres Landes sind Profis. Das befriedigt und macht glücklich. Die Schweiz kann sich rühmen!

Dass wir gerade einen nie dagewesenen Lehrpersonenmangel erleben, zeigt aber, dass nichts, aber gar nichts selbstverständlich ist. Die künstliche Intelligenz, die alles besser als wir Menschen erledigen soll, zeigt uns, dass unsere berufliche Zukunft vor grossen Veränderungen steht. Es warten neue Herausforderungen auf uns! Diese sind aber nur zu bewältigen, wenn wir zusammen und in der Gemeinschaft aufeinander zugehen. Wir Menschen brauchen einander mehr denn je. Denn die Maschinen kennen Mitgefühl, Solidarität und Vertrauen nicht.

Und dann komme ich zum zweiten B: Boden.

Heute stehe ich mit meinen Füssen auf diesem speziellen Fleckchen Erde. Sie, geschätzte Einwohnerinnen und Einwohner von Weiach, haben es gut. Wie viele unserer Dörfer im Zürcher Unterland, kann sich Weiach als Bauerndorf bezeichnen. Das kleinbäuerliche Leben Ende des 19. Jahrhunderts wird im Ortsmuseum, mit dem Thema «Unser Dorf, unsere Geschichte» gezeigt. Aber nicht nur Ackerbau wird hier betrieben, seit über 700 Jahren werden hier schon Reben gepflegt und Wein angebaut, früher eher sauer, heute aber durchaus qualitativ hochstehend. Günter Altner lebte von 1936 bis 2011 und war ein deutscher Biologe. Er schrieb einmal: „Vom Wert der Natur, das heisst auch des Bodens, kann nur derjenige wissen, der mit ihr gewirtschaftet hat.“ Damit haben Sie also hier in Weiach reichlich Erfahrung.

Boden bedeutet für Sie hier in Weiach aber bei weitem nicht nur Ernährung, sondern auch Reichtum, nämlich Kies. So wurde Ihre Gemeinde wohlhabend. Tiefe Steuerfüsse und schöne Ortsbilder ziehen Menschen an und Menschen müssen wohnen. Der Preis, der dafür bezahlt wurde, viele Überbauungen und die Erschliessung neuer Wohngebiete. Somit wird es für die Gemeinde eine wichtige Aufgabe, dass alt und neu zusammenwachsen und gedeihen. Alle Einwohnerinnen und Einwohner haben eine wichtige Aufgabe!

Biologie (an unseren Hängen; drittes B)

Liebe Anwesende, ich muss zum Weiacher Boden noch etwas anfügen: Hier gedeihen richtige Naturschätze. Mit den lichten Wäldern Fasnachtsflue und Leuenchopf haben Sie kantonale Hotspots der Biodiversität. Das überkommunale Schutzgebiet im Bifig ist dazu noch Lebensraum des sehr seltenen Pflaumenzipfelfalters. Ich hatte das Glück es kennenzulernen als ich an einer Heckenpflegeaktion in diesem Gebiet mitarbeitete, speziell um diese Aktionsplanart zu fördern.

Beerdigung (von radioaktiven Abfällen; viertes B)

Alles im Leben hat jedoch zwei Seiten: Im letzten September, just an dem Wochenende als Sie hier Ihre tolle 750-Jahrfeier durchführten, haben wir erfahren, dass dank unserem Boden, oder besser gesagt unserem Untergrund, Stadel, Glattfelden und Weiach als Standortgemeinden für das geologische Tiefenlager für radioaktive Abfälle vorgeschlagen wird. Dass wir die perfekten geologischen Voraussetzungen für die sichere Lagerung haben sollen, war nicht unbedingt nur eine gute Nachricht. Die Abklärungen und die Prozesse laufen momentan und in einem guten Jahr, Ende 2024 wird das Rahmenbewilligungsgesuch für das Tiefenlager beim Bund eingereicht. 

Wie Ihr Gemeindepräsident Stefan Arnold in einem Beitrag erwähnte, waren die ersten Gedanken: Wieso gerade bei uns? Aber wir alle hier sind realistisch genug um zu verstehen, wenn es am sichersten ist, sind wir bereit, die Last zu tragen. Die wichtigste Voraussetzung ist sicherlich, dass die Gemeinden Weiach, Stadel und Glattfelden gerecht behandelt werden. Wir müssen zusammenstehen und die nötige Unterstützung einfordern und auch erhalten. Es mutet zwar etwas merkwürdig an, dass diese Unterstützung nicht im Voraus bekannt ist und nicht mal im Umfang definiert wurde. Schliesslich müssen wir eine nationale Aufgabe übernehmen. Wie unsere Gemeinderäte und wir mit Ihnen, dies bewerkstelligen werden, wird gerade geregelt. Wichtig ist aber, dass wir alle uns informieren und unsere Fragen einbringen. Wir müssen Fairness und eine schweizweite Solidarität einfordern. Geschätzte Anwesende, unsere Zukunft wird anspruchsvoll. Sie ist dennoch eine Chance, denn wenn wir alle diese zusammen anpacken, können wir sehr viel erreichen.

Begeisterung (über Schatzfund; fünftes B)

Aber vielleicht haben Sie wieder Glück im Unglück: Der Weiacher Boden ist und war schon immer für Überraschungen gut. Im Vorfeld des geplanten grossflächigen Kiesabbaus im Gebiet von Weiach-Langächer entschloss sich die Kantonsarchäologie Zürich eine umfassende Untersuchung zu veranlassen. Der grösste keltische Silberschatz des Kantons Zürich wurde so im 2020 am Sanzenberg gefunden. Eine wahre Sensation! Wer weiss, welche weiteren Sensationen Sie noch erleben werden! Das wünsche ich Ihnen vom ganzen Herzen!

Denn liebe Weiacherinnen und Weiacher zusammen mit allen Einwohnerinnen und Einwohner dieses wunderbaren Kantons, und unserer wunderbaren Schweiz, soll es uns Wert sein, uns für unsere schöne lebenswerte Gegend und weiterhin tolle Böden einzusetzen. Oder zumindest einen Baum zu pflanzen! Ein Botaniker, Raoul Francé, der von 1874 bis 1943 lebte sagte bereits vor 100 Jahren: „Die ganz dünne Decke zwischen dem Grundwasserspiegel und dem grünen Pflanzenkleid, das ist der Reichtum eines Landes.“ Also unser Boden. Das ist nichts Neues. Packen wir es gemeinsam an – für uns, für unsere Kinder, und für ein noch glücklicheres Leben! Die Erde braucht uns. Unser Boden braucht uns!

Geschätzte Festgemeinschaft, gutes Gelingen wünsche ich Ihnen und uns allen!

Vielen Dank und alles Gute!»

Kommentar WeiachBlog

Für Weycher Ohren tönt die Gebietsbezeichnung Weiach-Langächer höchst ungewohnt. Da kann die Frau Kantonsrätin aber wenig dafür. So ist das eben, wenn eine Fachstelle auf Ebene Kanton (hier die für Denkmalpflege und Archäologie) auf die aktuelle, online verfügbare Karte der Swisstopo schaut und sich einen Namen für ein Gebiet aussucht. In den Karten sieht man je nach Zoom-Level eine sehr unterschiedliche Namenlandschaft. Sie können sich selber davon überzeugen: https://maps.zh.ch/s/ygiwuiey – zwischen 1:6200 und 1:6250 wechselt die Darstellung.

Langächer ist jedoch nicht der Name für dieses Gebiet, lediglich eine Teilmenge dieser ganzen Fläche. Sie setzt sich von Ost nach West aus den Fluren Inner Hasli, Chürzi, Langächer und Usser Hasli zusammen. Und die werden in Summe im lokalen Sprachgebrauch eben Hasli genannt. Auf alten Karten der Landestopographie steht das auch noch so drauf: https://maps.zh.ch/s/6yjmr2hf. Nur: bei der Swisstopo hat man das für die neueren Ausgaben nicht berücksichtigt. 

Die Terrassenebene des Hasli, auf der Weycher Seite eingerahmt von der Haslistrasse auf der Nordseite und dem Fisibacherweg auf der Südseite, ist Standort von zwei Weiacher und einem Fisibacher Aussiedlerhof sowie zwei Schützenhäusern samt Scheibenständen. 

Dort will die ARGE Hasli (eine Arbeitsgemeinschaft bestehend aus der Weiacher Kies AG und der Marti AG, Bauunternehmung in Zürich) in den nächsten Jahren in grossem Stil Kies abbauen. Am 31. August findet dazu im Ebianum Fisibach eine Informationveranstaltung statt.

Literatur

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