Die Kantonsschule Zürcher Unterland (KZU) hat letztes Jahr ihren 50. Geburtstag gefeiert, genauer gesagt: am 15. Mai 1972. An diesem Tag wurde sie eröffnet. Vorerst noch in einem Provisorium. Seit 1979 findet der Schulbetrieb im heutigen Gebäudekomplex am Ostrand der Stadt Bülach statt.
Von diesem Jubiläum hat letztes Jahr kaum jemand Notiz genommen. Dabei war die Gründung dieser Schule in den 1960ern ein im Zürcher Unterland vieldiskutiertes Anliegen.
Unterländer Kantonsräte auf später vertröstet
Die in der Region führenden Politiker mussten noch in den 50ern bittere Pillen schlucken, so wie 1958 der FDP-Kantonsrat Albert Mossdorf (1911-2001):
«Der Regierungsrat hatte beantragt, eine ihm zur Prüfung überwiesene Motion des Bülacher Freisinnigen A. Mossdorf für eine Mittelschule Zürcher Unterland als erledigt abzuschreiben, da die Schülerzahl für ein solches Institut noch auf Jahre hinaus ungenügend wäre. Die Mehrheit der vorberatenden Kommission schließt sich diesem Standpunkt an, wie ihr Sprecher heute bekanntgibt. Der Motionär aber verficht im Namen der Kommissionsminderheit energisch den Antrag auf Erheblicherklärung der Motion. Er wirft dem regierungsrätlichen Bericht vor, mit veraltetem Zahlenmaterial zu operieren und tritt dann mit Hinweisen auf die wertvollen Grundsätze der Regionalplanung und der Dezentralisation für die Errichtung einer Mittelschule in Bülach ein, wobei er nicht verfehlt, den großen Erfolg der Mittelschule in Wetzikon herauszustreichen, wo sich die Prognostiker auch geirrt hätten.
In der Diskusion [sic!] finden Begehren und Begründung von A. Mossdorf viel Verständnis, wenn auch die Verwirklichung dieses Schulwunsches noch als verfrüht betrachtet wird. In erster Linie ja soll nun in Oerlikon eine Mittelschule eröffnet werden, die auch dem Unterland wertvolle Dienste erweisen dürfte. Später könnte – bei nachgewiesenem Bedürfnis – über Bülach dann immer wieder gesprochen werden. Auch Erziehungsdirektor Vaterlaus folgt dieser Argumentation, desgleichen der Rat, der sich mit 70 gegen 31 Stimmen für die Abschreibung der Motion Mossdorf entscheidet.»
(Quelle: NZZ, 8.9.1958, Abendausgabe, wo auch ein ausführlicherer Bericht zu dieser Mittelschuldiskussion abgedruckt ist)
Aktivität aus der falschen Ecke
Achteinhalb Jahre später war das Unterland immer noch nicht gymnasiumsreif. Wer die Matura auf dem ersten Bildungsweg anstreben wollte, der musste nach wie vor den langen Weg in die Hauptstadt unter die Räder nehmen. Die Demokratisierung der höheren Schulbildung liess weiter auf sich warten.
Kein Wunder also, dass der Unmut in unserer Region wuchs, man sich zu organisieren begann und ein Aktionskomitee gründete. Die Oberländer hatten es 1952 mit einem solchen Komitee ja schliesslich auch fertiggebracht, für das nötige Stimmengewicht zu sorgen. Und hatten seit 1955 ihre eigene Mittelschule in Wetzikon, die heutige KZO. Warum sollte das bei uns nicht auch klappen?
Dieses Aktionskomitee «Pro Mittelschule Unterland» war mindestens einer Nachrichtenagentur eine kurze Notiz wert, die dann am 7./8. August 1967 nicht nur in Zürcher Presseerzeugnissen, sondern auch in den Freiburger Nachrichten erschienen ist.
An dieser Art von Aktivismus störten sich allerdings konservative Politiker mächtig und warfen den Initianten wahltaktisch motiviertes Trittbrettfahrertum vor. Warum? Ganz einfach: Der Kopf dieses Komitees war der Embracher SP-Kantonsrat Fritz Ganz (1916-1992). Und 1967 war ein Wahljahr.
Das sind die Hintergründe zu einem in der katholisch eingefärbten Zeitung Neue Zürcher Nachrichten (NZN) vom 18. August 1967 erschienenen Kommentar eines nur mit Kürzel zeichnenden Bülachers:
Die Mittelschule Unterland und gewisse Leute...
Unser Bülacher Chronist schüttelt den Kopf und reimt sich seinen Vers
«Wie allgemein bekannt ist, und wie man uns immer wieder betont, ist es eine feststehende Tatsache, dass dereinst zwischen Zürich und Rhein zwei neue Mittelschulen zu stehen kommen, in Oerlikon und in Bülach. Wir Bülacher haben bis heute nicht aufgehört zu hoffen, dass wir diesbezüglich in nicht allzuferner Zukunft zum Zuge kommen könnten; kaum nötig zu sagen, dass die Einwohner der weiter nördlich liegenden Gemeinden von Weiach bis ins Rafzerfeld ganz auf unserer Seite sind. Vorerst aber sollte gemäss Beschluss unserer höchsten kantonalen Behörden Oerlikon zum Zuge kommen, doch hat der Stimmbürger bekanntlich mit aller Deutlichkeit nein gesagt. [Vgl. u.a. NZZ vom 7. Juli 1967] Nichts deutet indessen darauf hin, dass der Stimmbürger damit auch nein gesagt hat zum Standort der Mittelschule und dass mancher Volksentscheid dahin deuten könnte, der Stimmbürger habe mit seinem Nein indirekt für eine Umkehrung der Prioritätsordnung zugunsten von Bülach demonstriert. Unentwegte Verfechter der Mittelschule Unterland haben aber nach dem denkwürdigen Volksentscheid für Bülach neue Hoffnung geschöpft und auch im kantonalen Parlament Vorstösse in dieser Richtung unternommen, ohne dass man bisher davon weiteres gehört hätte. Nun aber hat sich ein Aktionskomitee gebildet, das sich zum Ziele setzt, intensiv und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln auf die Mittelschule Unterland hin zu arbeiten und abzuklären, inwieweit durch den kürzlichen Volksentscheid sich die Situation für die Priorität geändert haben könnte. Bestimmt haben viele aufmerksame Zeitungsleser diese kleine Ankündigung in der Presse mit grosser Genugtuung und Freude zur Kenntnis genommen und festgestellt, dass es noch Männer mit Mut und Unternehmungsfreude gibt im Zürcher Unterland. Allein — des Lebens ungetrübte Freude wird keinem Irdischen zuteil. Die besagte Meldung hatte nicht überall Freude ausgelöst, sie hatte auch den Unwillen einiger Politiker zur Folge. Las man doch einige Tage später in der Unterländer Presse einen grossen Artikel, worin einige Herren ihrer gossen [sic!] Entrüstung Luft gemacht haben über die Tatsache, dass jemand ein solches Aktionskomitee gründen könne, ohne sie um Ihre Meinung zu fragen und ohne sie zur Mitarbeit einzuladen. Weil das Aktionskomitee politisch bezüglich der Zusammensetzung rötlich gefärbt ist, wurde im genannten Artikel laute und bewegte Klage darüber geführt, dass hier im Hinblick auf die bevorstehenden Nationalratswahlen durch das aktive Eintreten und Auftreten für das im öffentlichen Interesse liegende Ziel Stimmenfang getrieben und versucht werde, politisches Kapital daraus zu schlagen. Der Chronist findet, das sei eine unerhörte und bedauerliche Entgleisung. Wenn man schon selbst nicht den Mut zur Initiative aufbringt, dann sollte man auch nicht den andern derart unlautere Motive unterschieben und ihre künftige Arbeit öffentlich in ein schiefes Licht rücken. Unsere Parteien kranken alle daran, dass sie inaktiv sind, dass sie keine Risiken eingehen und an den brennenden Problemen der Zeit ziemlich achtlos vorübergehen. Die Folgen davon sind uns allen bekannt, nämlich: allgemeine politische Interesselosigkeit, Stimmfaulheit und anderes mehr. Da kommt nun aber eine Gruppe, egal welcher politischen Richtung, nimmt sich eines brennenden Problems an, und schon sind Neid und Missgunst geweckt. Hr.»
Diesen Aktivisten, ob sie nun Politiker in Amt und Würden waren oder nicht, verdanken seit 1972 eine ganze Reihe von ehemaligen und gegenwärtigen Unterländer Mittelschülern, dass sie die Chance erhalten (haben), in ihrer Region gymnasiale Bildung zu erwerben und sich auf ein Hochschulstudium vorbereiten zu können. Ohne dafür in die Stadt Zürich pilgern zu müssen.
Quellen
- Neue Zürcher Zeitung, Nummer 2556, 8. September 1958 Ausgabe 03 – S. 5.
- Neue Zürcher Nachrichten, Band 63, Nummer 190, 18. August 1967 – S. 5.
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