Das Deutsche Reich befand sich nach der Demütigung von Versailles auf dem Heim-ins-Reich-Trip und tappte in eine Falle nach der anderen. Ganz so offensichtlich war das mit der Falle im Frühling 1940 noch nicht. Zu diesem Zeitpunkt hatte die NSDAP-geführte Nation nicht nur kampflos das Saarland (1935), Österreich (März 1938) und das Sudetenland (Oktober 1938) eingesackt. Auch Polen war niedergerungen (September 1939) und seit dem 9. April entwickelte sich das Unternehmen Weserübung, d.h. der Angriff auf Dänemark und Norwegen, im Wesentlichen ganz nach den Vorstellungen der neuen Machtelite Germaniens.
Kein Wunder, gebärdeten sich die NS-Auslandorganisationen in der Schweiz und die hiesigen Fröntler höchst anschlussfreudig. Kurz: Den Deutschen und ihren Handlangern war (und ist) alles zuzutrauen. Daher musste die Eidgenossenschaft immer damit rechnen, ebenfalls plötzlich überfallen zu werden. Und sei es nur zur südlichen Umgehung der Maginotlinie, um über das helvetische Mittelland den Franzosen in die Flanke zu stossen.
Grosswetterlage, heruntergebrochen auf die Rheingrenze
Das war (in Kurzform) die Grosswetterlage bei den im Aktivdienst stehenden Truppen der Schweizer Armee. Die erste Dienstperiode der Kp V/269 (vgl. WeiachBlog Nr. 2139) hatte vom 29. August bis 9. Dezember 1939 gedauert. Und die zweite war am Freitag, 19. April 1940 auch bereits bei Tag 45 angekommen. Der wichtigste auf der Kompanie war die Sicherung von Kaiserstuhl.
Das Aargauer Landstädtchen mit seiner 1294 erstmals erwähnten Brücke war wegen exakt dieses Übergangs auch in diesem Konflikt eine zu befestigende Position. Den südlichen Brückenkopf galt es zu halten. Entsprechend gross war auch der Aufwand an Personal und Material im Stadtgebiet. Die Befestigungsarbeiten wurden von der deutschen Seite genauestens registriert. Im Kommandantentagebuch finden sich immer wieder Einträge über visuelle Aufklärung von der deutschen Seite aus. Beide Seiten versahen die Brücke (das aktuelle Exemplar stammte von 1890) mit Sprengladungen, um den Übergang im Ernstfall jederzeit unterbrechen zu können.
Eine Girlande nächtlicher Irrtümer und Missverständnisse
An diesem Tag 148 des Aktivdienstes der Kompanie V spielte sich die nachfolgende Verwirrung ab:
«Kurz nach 2300 läutet das Rgt Kdo beim Zollposten an (statt beim KP V/269) und erhält keine Antwort da der die Wache habende Zöllner sich verschlafen hat und erst später antritt. Die vorhergehende Zoll-Schildwache war abgetreten ohne die Ablösung abzuwarten. Der Postenchef: Zoll Korp. Frei kam (von seiner im Haus gelegenen Wohnung) erst ans Telephon nachdem das Rgt. au[f]gehängt hatte. - Das Rgt meldet darauf hin ans Bat. dass sich bei V/269 niemand melde und gibt Befehl die Situation zu kontrollieren. - Das Bat. Kdo. läutet daraufhin aus Versehen die Privat N° "Linde" = Gärtner Jäger an statt KP N° Linde und erhält auf schwäbisch eine unverständliche Antwort worauf das Bat Kdo annimmt dass Kaiserstuhl bereits durch Überrumpelung von den Deutschen besetzt ist. Es wird eine Patr. von 3 Mann ausgeschickt mit dem Befehl: "Sie stellen fest ob Kaiserstuhl von den Deutschen besetzt ist und melden bis … an Kdo Bat. 269. Melden Sie nicht bis zur befohlenen Zeit nehmen wir an dass sie abgefangen wurden." - Kaiserstuhl war aber gut bewacht von V/269 und unsererseits alles in bester Ordnung. Damit hatte die Kette der Irrtümer ein Ende.»
Erklärung der Abkürzungen: Rgt. Kdo.: Kommando des vorgesetzten Grenzregiments 54; KP: Kommandoposten; Korp.: Korporal; Bat. Kdo.: Bataillonskommando. Patr.: Patrouille.
Wo die Kommandoposten standen
Der Kommandoposten des Grenzfüsilierbataillons 269 unter Major Grossmann befand sich in diesen Tagen in Weiach. Die Strecke ins Städtchen legt man zu Fuss in 20 Minuten zurück. Die in diese Richtung ausgeschickte Patrouille brauchte also nicht allzuviel Zeit, um herauszufinden, dass die gehegten Befürchtungen unbegründet waren.
Der oben erwähnte KP V/269 war im besten Haus eingerichtet, das man ausserhalb der Stadtmauern finden kann, dem herrschaftlichen Anwesen Linde, direkt beim Kaiserstuhler Wahrzeichen, dem Turm, der den Südpunkt der dreieckigen Stadtbefestigung markiert (heutige Adresse: Vorstadt 59). Das Anwesen belegt mit seinen Gärten und landwirtschaftlichen Flächen (fast 6 ha) einen grossen Teil des Territoriums der ehemaligen Gemeinde Kaiserstuhl (32 ha) und umfasst u.a. auch das Gärtnerwohnhaus (Vorstadt 61), das direkt beim Niveauübergang der Bahnlinie Koblenz-Winterthur steht.
Tagebuch mit Fotos des Kompaniestabes
Der bisherige Kommandant V/269, Hauptmann Franz Tank, Physik-Professor an der ETH Zürich (vgl. erste Dienstperiode 1939, s. Kdt-Tagebuch Bd. 1), hatte das Kommando an Hptm Rohrer übergeben. Und dieser führte die Kompanietagebücher in einem ähnlichen Stil weiter, wie sein Vorgänger. Ohne grosse Klebearbeiten mit vervielfältigen Tagesbefehlen, wie bspw. bei der Kompanie I üblich. Dafür mit ausformulierter Prosa zu jedem Tag. Aufgrund einiger Passagen, wo der Kommandant in der Ich-Form berichtet, muss man davon ausgehen, dass Hptm Rohrer selber Tagebuch geführt hat.
"Empfangsraum" und "Telephonzentrale" des Friedens KP "Linde"
Das Tagebuch des Jahres 1940 zeichnet sich durch eingeklebte Fotographien aus dem Leben des Kompaniestabes aus (s. oben), sowie mehrere eingestreut eingefügte Postkarten, die den Stationierungsort Kaiserstuhl aus verschiedensten Richtungen zeigen, auch vom deutschen Ufer aus.
Der als krank gemeldete Füsilier Arrigoni Arnold hatte sich übrigens eine Grippe eingefangen und wurde im Krankenzimmer der Kompanie gepflegt. Er war wohl ein Sohn des Adam Arrigoni, Baumeister in Weiach. Laut Adolf Bütler soll der Junior früh verstorben sein.
Quelle und Literatur
- Kommandantentagebuch der Gz Füs Kp V/269, Bd. 2, 1940. Signatur: CH-BAR E5790#1000/948#1875*. -- Digitalisiertes Dossier: Dok_0000003, S. 19 (Bild; 29. März 1940), 29 u. 30 (von 65.
- Telefongespräch mit Adolf (Dölf) Bütler vom 30. Juli 2024.
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