Samstag, 11. Januar 2020

Weiacher Pfarrhaus 1591 erbaut? Vier Gegenargumente.

Die alten Chroniken von Friedrich Vogel, verfasst in der Tradition der Memorabilia Tigurina, und in der Folge weitere Standardwerke, darunter Karl Dändlikers Geschichte der Stadt und des Kantons Zürich (Zweiter Band, 1400-1712. Zürich 1910) haben die Behauptung, das heutige Weiacher Pfarrhaus sei 1591 erbaut worden, weit herum verbreitet (vgl. WeiachBlog Nr. 1459, Abschnitt 19 sowie, nach dem «Fazit», die Abschnitte 16a und 17a).

Walter Zollinger hat in seiner Monographie zur Weiacher Geschichte 1972 erstmals im Druck darauf hingewiesen, dass die Zürcher Regierung 1591 ein bereits bestehendes Gebäude für den Pfarrer angekauft hat (vgl. Zollinger 1972 – S. 30).

Nicht up-to-date: Kunstführer durch die Schweiz und eine Weiacher Schulklasse

Es ist bemerkenswert, wie schnell diese neue Erkenntnis von der Fachwelt rezipiert wurde. Lediglich die 6. Auflage des Kunstführers durch die Schweiz von 1976 (vgl. WeiachBlog Nr. 129) sowie Karl Kolbs Wehrkirchen in Europa von 1983 (vgl. WeiachBlog Nr. 296) enthalten noch die von Vogel in die Welt gesetzte Information.

Auch eine Weiacher Schulklasse unter Leitung von Claudio Bernasconi hat Zollingers Monographie offensichtlich ignoriert und schreibt 1989 in der Tradition von Vogel und Dändliker: «Die neue Kirche von Weiach wurde 1706 aus militärischen Gründen neben dem Pfarrhaus von 1591 erbaut.» (Doelker, Ch. (Hrsg.): Panorama Kanton Zürich. Schulklassen sehen ihre Gemeinde. Pestalozzianum. Zürich 1992  S. 199)

Nachdruck von Maurers Kirchenbüchlein 1965, Anmerkung 15 revisited

Man kann den Schülern diese Auffassung nicht verdenken, hat doch selbst Emil Maurer, der Verfasser der Schrift Die Kirche zu Weiach, noch im Jahre 1965 geschrieben: «Im gleichen Jahre [1591] wurde das Pfarrhaus erbaut und mit einer Mauer umgeben» (S. 8), vgl. den OCR-Nachdruck mit Anmerkungen von Ulrich Brandenberger, Stand: April 2019.

Die Anmerkung 15 des Nachdrucks von Maurers kleiner Broschüre, in welcher die von Vogel herrührende Altersangabe kommentiert wird, ist bereits wieder einige Monate alt.

Die dort aufgeführten drei Argumente, die gegen ein Baujahr 1591 sprechen, werden im Anschluss an das Zitat der Fassung vom April 2019 (kursiv) noch mit einem vierten ergänzt.

«Zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Schrift in der ersten Hälfte der 1960er Jahre war dies die weitverbreitete Ansicht über das Alter des Pfarrhauses und seine bauliche Einbettung. Sie impliziert, dass die Befestigung vorerst lediglich das Pfarrhaus umfasst hätte und dass die Kirche von 1706 erst Jahrzehnte nach dessen Bau in die Anlage integriert wurde.

Die älteste gedruckte Fundstelle für die These, das Pfarrhaus sei 1591 erbaut worden findet man bei Friedrich Vogel in «Die alten Chroniken oder Denkwürdigkeiten der Stadt und Landschaft Zürich von den ältesten Zeiten bis 1820», Zürich 1845 bzw. unveränderter Nachdruck 1857 – S. 818: «Das Pfarrhaus wurde 1591 erbaut, und war, da man es bei Kriegszeiten als einen Vertheidigungspunkt betrachtete, mit festen Mauern umschlossen.» Diese Einschätzung wurde über mehr als ein Jahrhundert hinweg unwidersprochen kolportiert.

Erst Walter Zollinger publizierte 1972 (Aus der Vergangenheit des Dorfes Weiach, S. 30 u. Anmerkung 37) einen bereits 1934 durch den damaligen Zürcher Staatsarchivar Largiadèr gegebenen Hinweis darauf, dass das Pfarrhaus von 1591 nicht damals neu erbaut, sondern als bestehender Bau angekauft und anschliessend umgebaut oder zumindest renoviert wurde. (Notiz mit Visitenkarte von Staatsarchivar Dr. phil. Anton Largiadèr, datiert 19. V. 34.)

Dieser damals angekaufte Bau kann mit dem heutigen Pfarrhaus auch deshalb nicht identisch sein, weil er Mitte des 17. Jahrhunderts (gemäss Zürcher Pfarrerbuch im Jahre 1658) abgebrannt ist.

Ein weiteres Argument gegen die Auffassung, beim heutigen Pfarrhaus handle es sich um das 1591 angekaufte Objekt, hat Philipp Zwyssig, Kunstdenkmäler-Inventarisation Neubearbeitung des Bezirks Dielsdorf 2018–2021 (KdS ZH VII) eingebracht: Bei «Mathÿß Schöubli», dem Eigentümer des späteren ersten Pfarrhauses, soll es sich um einen Tauner gehandelt haben, nämlich den 1589 als deren Abgeordneten genannten «Mathyß Schoüblj» (Auseinandersetzung zwischen Taunern und Bauern. RQNA Nr. 182a vom 3. November 1589, in: SSRQ ZH NF II 1, Aarau 1996 S. 403). Wenn dies zutrifft, ist anzunehmen, dass der aufwendig konstruierte Bau des heutigen Pfarrhauses (1564d) weit ausserhalb des Rahmens seiner finanziellen Möglichkeiten lag (Tauner waren Kleinbauern und auf Tagelöhner-Tätigkeit angewiesen). Falls der Standort des 1591 verkauften Hauses in der Chälen war, ist die These plausibel, dass dem Dorfbrand in der Chälen 1658 auch das erste Pfarrhaus zum Opfer gefallen ist.»

Ein viertes Argument, das im April 2019 noch nicht Aufnahme in die Anmerkung 15 gefunden hat, stammt von der Denkmalpflege des Kantons Zürich selber. Dort ist man der Auffassung, dass die für die Konstruktion des Dachstuhls des heutigen Weiacher Pfarrhauses verwendeten Balken (dendrochronologisch auf 1564 datiert), nie an anderer Stelle verbaut worden seien. Begründet wird dies damit, dass jegliche Bearbeitungsspuren fehlten, die einen Abbau und eine Wiederverwendung an anderer Stelle nahelegen würden, ebenso jegliche Spuren eines Brandes.

Folgt man dieser Auffassung der Denkmalpflege, dann kann es nicht sein, dass die Dachbalken des heutigen Pfarrhauses an anderer Stelle abgebrochen und an ihrem aktuellen Standort wieder aufgebaut wurden. Damit fällt auch ein Pfarrhaus-Neubau von 1707, wie ihn das Historisch-biographische Lexikon der Schweiz von 1934 behauptet (Bd. 7, S. 454), völlig ausser Betracht.

Fazit

Die Kombination der folgenden vier Elemente
  • einer Primärquelle, einem Eintrag vom 17. März 1591 im Zürcher Ratsmanual (Beschlussprotokoll von Bürgermeister und Rat der Stadt Zürich) über den Ankauf eines Hauses für den Pfarrer, 
  • einer Sekundärquelle, einem Hinweis in Wirz' Etat des Zürcher Ministeriums von 1890 (Vorläufer des Zürcher Pfarrerbuchs), das Pfarrhaus sei 1658 abgebrannt,
  • die Beobachtung von Philipp Zwyssig, «Mathÿß Schöubli», den Verkäufer von 1591 mit «Mathyß Schoüblj», einem Wortführer der Tauner zu identifizieren (Auseinandersetzung zwischen den Weiachern Bauern und den Taunern, die am 3. November 1589 beigelegt wurde), sowie 
  • der Einschätzung der kantonalen Denkmalpflege, der 1564d datierte Dachstuhl des heutigen Pfarrhauses müsse sich seit der Bauzeit an dieser Stelle befinden
lässt den Schluss zu, dass es tatsächlich zwei Pfarrhäuser gegeben hat: das erste, angekauft 1591 und abgebrannt 1658, sowie das zweite, aktuelle, das zu einem späteren Zeitpunkt ins Eigentum des Zürcher Staates übergegangen sein muss. Und zwar irgendwann nach 1591 (und nicht zwingend erst nach 1658), jedoch wohl relativ kurze Zeit nach dem Grossbrand in Chälen von 1658. Weitere Erkenntnisse zum Erwerbszeitpunkt könnten sich aus den in SSRQ ZH NF II 1, Nr. 27, Anmerkung 3, S. 103 genannten Fundstellen ergeben (vgl. WeiachBlog Nr. 1458).

Keine Kommentare: