Samstag, 10. April 2021

Amerikanische Luftüberlegenheit 1944 aus deutscher Sicht

«Als Luftüberlegenheit wird der Grad an militärischer Kontrolle über den Luftraum über einem definierten Gebiet und eines bestimmten Zeitraums bezeichnet, der eigene Operationen ohne wesentliche Einwirkungsmöglichkeit eines Gegners ermöglicht. Vollständige Kontrolle über einen Luftraum wird als Luftherrschaft oder totale Luftüberlegenheit bezeichnet.» (Wikipedia-Artikel Luftüberlegenheit; wesentlich ausführlicher der Beitrag in der englischsprachigen Ausgabe Air supremacy)

Seit dem Zweiten Weltkrieg ist das Erringen einer Überlegenheit in der dritten Dimension das entscheidende Element in allen konventionell geführten Konflikten. Wer den eigenen Luftraum nicht kontrolliert, der kann am Boden praktisch keine Truppenbewegungen ausführen, ohne grosse Verluste zu riskieren. Deshalb ist es für eine Armee so wichtig, eine Luftwaffe zu haben, die auch wirklich etwas taugt. Sonst kann man die Bodentruppen auch gleich weglassen.

Jagd auf Eisenbahnzüge

Die Bedrohung aus der Luft wurde den Weiacherinnen und Weiachern vor allem 1944 eindrücklich vor Augen geführt:

Am 9. September 1944, zwei Monate vor der Bombardierung des Kraftwerks Eglisau bei Rheinsfelden (vgl. WeiachBlog Nr. 1617), griffen US-Jagdflugzeuge Eisenbahnzüge bei Rafz und Weiach an. Solche Angriffe waren für die Amerikaner je länger desto risikoärmer, denn: 

«Seit dem Februar [1944] beherrschen die Alliierten den Himmel über dem ganzen Reichsgebiet.» (Amerikanische «Luftgangster»? Weiacher Geschichte(n) Nr. 41. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, April 2003; Gesamtausgabe S. 85.)

Top-Piloten als letztes Aufgebot

Dass dem wirklich so war (also allierte Luftüberlegenheit herrschte), konnte man 2003 online erst vereinzelt lesen. Und vor allem in US-Quellen. Die Deutschen selber sahen das aber ähnlich, so u.a. das Flieger-As Günther Rall, der mit seiner Messerschmitt Me-109 an der Ostfront viele Luftkämpfe gegen sowjetische Piloten für sich entschieden hat:

«Im April 1944 wurde er, nunmehr im Rang eines Majors und mit 273 Luftsiegen zu diesem Zeitpunkt erfolgreichster Jagdflieger der Luftwaffe, zur Reichsverteidigung in den Westen beordert, wo er Gruppenkommandeur im JG 11 [Jagdgeschwader an der Nordsee] wurde. Am 12. Mai 1944 wurde er unmittelbar nach seinem 275. und letzten Luftsieg abgeschossen.»

Die Anmerkung zu diesem Abschnitt: «dabei kämpften 25 Flugzeuge der Luftwaffe gegen 900 schwere Bomber der US-Luftwaffe, geschützt durch 800 Jagdmaschinen.» (Interview Ralls mit der Süddeutschen Zeitung; SZ, 5. April 2009)

Auch wenn Rall, dem späteren Inspekteur der Luftwaffe der Bundeswehr, diese Zahlen erst durch seine NATO-Kontakte zur US Air Force bekannt geworden sein sollten: Die Überlegenheit muss schon damals deutlich fühlbar gewesen sein. Denn es war nicht nur die schiere Zahl an Flugzeugen. Auch ihre technischen Eigenschaften waren teils deutlich besser als die der deutschen Jagdmaschinen:

«Ende 1943/Anfang 1944 übertrafen die alliierten Jäger – vor allem die North American P-51 – die Flugleistungen der hauptsächlich eingesetzten Bf 109 G-6 erheblich. Die modernere Focke-Wulf Fw 190 wurde immer mehr eingesetzt, war aber in Höhen über 7000 m – zumindest bis zum Erscheinen der Fw 190 D Ende 1944 – den alliierten Jägern ebenfalls unterlegen.» (Wikipedia-Artikel Messerschmitt Bf 109).

Die P-51 Mustang war übrigens der Flugzeugtyp, der am 9. September beim Luftangriff auf Weiacher Gebiet zum Einsatz kam. 

«Total superiority of the air»

In einem aktuellen Quora-Beitrag von Peter Feigal, einem US-Künstler der auf Militärthemen spezialisiert ist, wird die ausweglose Lage der deutschen Kampfpiloten noch deutlicher:

«He [Rall] said he was a bit fatalistic about facing the American P-47’s and P-51’s but was a soldier and did his duty. His fears were justified when, after he had jumped one of Zemke’s Wolfpack’s P-47’s, (Rall always used the hit-and-run tactics, NEVER got into tight turning contests, had no use at all for “dogfighting” and taught all his students, including Barkhorn and Hartmann that “if they ever found themselves “dogfighting” they had done something majorly wrong,” and considering these were the three greatest aces in history, I believe he had a point,) shooting it down, he was instantly attacked by other P-47’s. Already diving on the attack, he had no choice but to continue down, but his 109 was a terrible diver/roller and no aircraft except perhaps a P-38 could out dive a P-47 and no plane except perhaps a FW 190 could out roll it. He took many hits, including, “a bit disconcertingly!” a .50 that severed his left thumb. He bailed out and survived, but was, thankfully, out of the action for good. He said it ultimately saved his life as the Allies had total superiority of the air and he doubted he could have survived many more encounters.» (Feigal, P.: Is it true that most Luftwaffe pilots would rather be sent to the Eastern Front than the Western Front? In: Quora.com, 7. April 2021)

Es kann also auch ein Glück sein, rechtzeitig abgeschossen zu werden, wie Rall am 12. Mai 1944. Denn eigentlich war der Kampf längst aussichtslos, wie Bob Smith in einem Kommentar zu Feigal klarmacht:

«The death of the Luftwaffe actually occurred on the Western front from late 1943 onward.»

Wenn also das Piloten-As Günther Rall noch ab April 1944 an der Westfront zum Einsatz kam, dann gehörte er buchstäblich zum letzten Aufgebot. Der Materialschlacht der Allierten konnte sein Jagdgeschwader nur noch wenig entgegenhalten.

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