Freitag, 2. April 2021

Tiefsitzende Angst, Jesus Christus und die Weiacher Hexen

Heute ist Karfreitag. Einer der höchsten Feiertage in christlich geprägten Gesellschaften. Gedacht wird an diesem Tag der Kreuzigung von Jesus Christus, dem abrupten brutalen Ende seines irdischen Daseins als Mensch aus Fleisch und Blut.

Was dieser symbolträchtige Tag ausgerechnet mit Hexen zu tun hat? Gar mit den fünf Frauen aus Weiach, die als solche denunziert, verhaftet, gefoltert, verurteilt und verbrannt worden sind? Darum soll es nachstehend gehen.

Gemeinsam ist Jesus und den Hexen, dass einflussreiche Kreise Angst vor ihnen hatten. Oder zumindest glaubten, Angst haben zu müssen. 

Jesus, die Pharisäer und Pilatus

Jesus war ein bunter Hund. Dazu noch einer der Klartext redete und damit zu viel Anklang bei den Leuten fand. Er fiel den Priestern negativ auf, da er unter anderem mit geschäftsschädigenden Forderungen Furore machte, man denke nur an die Episode, als er die Geldwechsler aus dem Tempel warf. Darüber hinaus bewirkte er Wunder mit Spontanheilungen von Kranken, mit der mysteriösen Vermehrung von Lebensmitteln, usw. usf. War er ein Zauberer? Das warf man ihm (zumindest offiziell) nicht vor.

Im Lukas-Evangelium (Lk 23,2-5) findet man die folgenden Anklagepunkte seitens der jüdischen Autoritäten: Jesus verführe das Volk. Er zahle dem Kaiser keine Steuern. Überdies behaupte er, er sei Messias und König. Also: Volksverhetzung, Steuerhinterziehung und Amtsanmassung.

Dann war da Pilatus. Der wusch bekanntlich seine Hände in Unschuld. Eigentlich wollte er diesen Jesus gar nicht verurteilen. Aber er hatte Angst. Angst vor der Reaktion derjenigen, die diesen Angeklagten verurteilt und beseitigt sehen wollten. Da passt man sich besser an, man will ja auch keinen Ärger mit den Vorgesetzten in Rom.

Dem spirituellen Machtvakuum zum Opfer gefallen

Bei den Hexenprozessen, die von Weiacher Boden ausgingen, war das in mancher Hinsicht ähnlich. Ein heiligenmässiges Leben wird diesen Frauen kaum zuzuschreiben sein. Aber sie waren negativ aufgefallen, waren oft Aussenseiter oder gehörten zu unterprivilegierten Familien. Und: sie lebten in einer Zeit des Umbruchs, die in Weiach überdies durch eine Art spirituelles Machtvakuum gekennzeichnet war. Wie kam es dazu?

Mit der Reformation, die spätestens zu Beginn der 1530er-Jahre umgesetzt wurde, verloren die Weiacherinnen und Weiacher die seelsorgerliche Betreuung. Sie waren beim Bibellesen weitgehend auf sich selber gestellt, oder konnten nur noch heimlich und gegen die obrigkeitlichen Weisungen aus Zürich in die Messe nach Kaiserstuhl oder Hohentengen gehen oder einen Priester treffen. 

Erst in den 1540ern erhielten die Weiacher neugläubige Prädikanten fix zugeteilt. Aber die wechselten oft (teilweise nach wenigen Wochen) und waren auch nicht in Weiach ansässig. Bis 1589 zählt man über 60 von ihnen! Und das in einer Zeit der Unsicherheit, des beschleunigten Wandels, der rasanten Überbevölkerung und der zunehmenden Streitereien im Dorf.

Die Suche nach Sündenböcken ging bei Problemen deshalb ungehindert vor sich. Denn es gab ja keine Obrigkeit vor Ort, die mitbekam, wenn sich die Weiacher in etwas hineinsteigerten, keinen, der ihnen bei Bedarf im persönlichen Gespräch und von der Kanzel herab auch ins Gewissen reden konnte. Deshalb ist es bezeichnend, dass vier der fünf als Hexen Hingerichteten in die Zeit fallen, als Weiach keinen bei Ihnen wohnhaften Pfarrer hatte.

Und selbst Ursula Baltassin, die fünfte als Hexe verbrannte Weiacherin, starb in einer Zeit, als Weiach keine stabile Persönlichkeit als spirituelle Stütze hatte: in der Amtszeit von Hans Lux Wydler (1609-1618). Da gab es bereits 1613 Klagen, er haushalte schlecht und 1614 musste er «wegen Exzessen» in Zürich vor dem Examinatorenkonvent, der kirchlichen Aufsichtsbehörde, antraben. 1618 schliesslich erstach er im Streit seine Ehefrau und flüchtete ausser Landes.

Die Gerichtsherren fanden sich in einer ähnlichen Lage wie weiland Pilatus. Wenn es vor Ort Probleme gab und in Weiach zu deren vermeintlicher Lösung der Kopf einer Hexe gefordert wurde, dann gaben die Behörden in Kaiserstuhl und Zürich gerne einmal nach. Aus Angst vor dem Verlust der Kontrolle in der Grenzgemeinde. Und wohl auch aus Konkurrenzdenken. Denn keiner konnte es sich leisten, vor den Untertanen als Schwächling dazustehen. Ob sie letztlich an Hexerei glaubten oder nicht, ist völlig irrelevant. Es ging primär um Fragen des Machterhalts.

Wir haben die Verantwortung

Und was heisst das jetzt für uns? Wir leben genauso in Zeiten wachsender Unsicherheit. Die Welt gerät aus den Fugen. Alles scheint verrückt geworden zu sein. Regierungen versuchen die Kontrolle zu behalten. Nicht nur bezüglich aus dem Ruder laufender Gesundheitsrisiken. Nein, es geht auch in vielen anderen Bereichen um Deutungshoheit und letztlich um den Machterhalt.

Wir brauchen keinen Gemeinderatsbeschluss, der diese Justizmorde anerkennt. Oder einen feministischen Abendspaziergang zum Gedenken an die fünf eingangs genannten Opfer. 

Nein, die Weiacher Opfer des Hexenwahns sollen jede und jeden von uns immer wieder von neuem daran erinnern, wie schnell wir doch bereit sind, unsere eigenen Dämonen und Ängste auf andere zu projizieren. Daran, wie schnell wir geneigt sind Sündenböcke zu suchen und abstrafen zu lassen.

Wenn wir daraus unsere Lehren für den Alltag ziehen, dann sind diese fünf Frauen wenigstens nicht umsonst gestorben. 

Frohe Ostern!

[Veröffentlicht am 3. April 2021 um 00:37 MESZ]

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