Samstag, 21. August 2021

Güterzusammenlegung wie die «praktischen Nord-Amerikaner»?

Im Jahre 1850 hatte der Landwirthschaftliche Cantonal-Verein (heute: Zürcher Bauernverband) einen Wettbewerb ausgeschrieben: für sogenannte «Ortsbeschreibungen».

Auch der 1846 gegründete Gemeindsverein Weiach (sozusagen ein lokaler Ableger) beteiligte sich und reichte eine solche Ortsbeschreibung ein. Ein Exemplar derselben wure 1855 in die Turmkugel auf dem Dachreiter der Weiacher Kirche gelegt. Es wurde 1967 durch den Ortschronisten Walter Zollinger transkribiert, 2004 durch Ulrich Brandenberger elektronisch erfasst und anlässlich der Ausstellung des Ortsmuseums Weiach im Herbst 2005 in wenigen Exemplaren herausgegeben. Aktuell arbeitet der Wiachiana-Verlag an einer kommentierten Edition der Ortsbeschreibung.

Für ein breites Publikum

Im Auftrag des Cantonalvereins hat Johann Michael Kohler im Jahre 1852 eine Broschüre zusammengestellt, welche die (aus damaliger Sicht) interessantesten Passagen aus den eingereichten Arbeiten einem grösseren Kreis landwirtschaftlich Interessierter zur Verfügung stellte.

Bereits im Vorwort nimmt Kohler das Rationalisierungsparadigma auf. Konkret: das Zerstückelungsproblem, das besonders in Gebieten mit Realteilung grassiert (wie dem Kanton Zürich). Da erhält bei Erbteilung nicht etwa nur EIN Nachfolger den gesamten Hof. Nein, es wird gehälftelt, gedrittelt, geviertelt, etc. Was seinen Niederschlag in den Katasterplänen findet. Und die Konkurrenzfähigkeit senkt, wenn andere ihren Grössenvorteil ausspielen können.

Quadrate herrenlosen Landes?

So schreibt Kohler im Vorwort (S. 1-2): «Wem leuchtet das Vortheilhafte zerstreut liegender Gehöfte, mitten in ihren Besitzungen nicht ein gegenüber den bäuerlichen Ortschaften aus dicht zusammengepferchten Wohnhäusern bestehend, denen die Besitzungen so ferne liegen, daß die Hälfte der Zeit mit dem nutzlosen Hin- und Hergehen und Fahren verloren geht.»

Eine durchaus treffende Charakterisierung der Situation in Weiach. Und weiter: 

«Aber auch die Art der Begränzung für ganze Gemeindsmarkungen, wie für einzelne Besitzungen ist nicht gleichgültig. Regelmäßig verlaufende Gränzen sind leicht zu bezeichnen, und dergleichen Ländereien fördern die Bearbeitung. Die praktischen Nord-Amerikaner fassen ihre noch auszugebenden Territorien (Ländergebiete) im Ganzen, wie im Einzelnen in lauter Quadrate. Bei uns, wo dergleichen freie, herrenlose Ländereien nicht vorkommen, wo aus uralter Zeit her die Begränzungen stammen, ist es nicht mehr möglich, diese Vortheile in ganzem Maße zu gewinnen. Doch ließe sich bei Käufen, Tausch und durch Zusammenlegen der Güter, wie dieses durch den landwirthsch. Gemeindsverein Weyach empfohlen wurde, mit der Zeit auch in dieser Hinsicht Manches bessern, und in Uitikon sind im Laufe von 3 Jahren über 40 Stück Landes ausgetauscht worden, behufs Zusammenlegung größerer Flächen für einen und denselben Eigenthümer.»

Hier zeigt sich die damals gängige Einstellung. Die weiten Flächen Amerikas, die von den Indianern genutzt wurden (nur halt eben nicht so intensiv wie von sesshaften Ackerbauern und Viehzüchtern) werden hier - im Einklang mit der herrschenden Doktrin in den USA - als Terra nullius verstanden, ein Konzept, das auch von einem Schweizer Rechtsgelehrten (Emeric de Vattel) propagiert wurde und das Recht verlieh, das Land primitiver Stämme zu kolonisieren.

Es ist kompliziert und dauert

In Weiach dauerte es noch viele Jahrzehnte bis zur umfassenden Güterzusammenlegung. Zwar schreibt Gottlieb Binder 1930 in einer auf Kohlers Schrift abgestützten Artikelserie in der Bülach-Dielsdorfer Wochenzeitung: «Der landwirtschaftliche Verein von Weiach strebte schon um 1850 bei Kauf und Tausch die Zusammenlegung von Gütern an.»

Das war aber vor allem Idee und Ideal und weniger gelebte Praxis wie in Uitikon. Heisst es doch in der Ortsbeschreibung Weiach im Original:

«Die Feld- u. Holzwege der Gemeinde sind in den letzten 20 Jahren nicht bloss weiter geführt, sondern zugleich vermehrt u. hie & da in bessern Stand gesetzt worden, doch findet die besonders hiefür niedergesetzte Wegkommission fortwährend manches Nöthige anzuregen und durchzuführen, wobei die Pläne aber nicht selten an der Hartnäckigkeit einzelner Anstösser scheitern.» (Allgemeiner Theil; Strassen u. Wege)

Das beschreibt das Problem recht gut. Denn: Je zerstückelter, desto grösser die Herausforderung, eine Lösung zu finden. Erst in den Jahren 1984 bis 2002 gelang das Projekt Güterzusammenlegung. Wohl nicht zuletzt deshalb, weil mittlerweile Dutzende von Betrieben eingegangen und die meisten Weiacher nicht mehr von der Landwirtschaft abhängig waren. Sichtbares Zeichen der modernen Zeit sind die Aussiedlerhöfe im Hasli, im Eschter oder auf der Müliwis. Und mit den grossen landwirtschaftlichen Maschinen der an zwei Händen abzählbaren, heute noch übriggebliebenen Betriebe sind wir tatsächlich so quadratisch und nahe an Amerika, wie das nur geht.

Quellen und Literatur

  • Landwirthschaftliche Beschreibung der Gemeinden Dettenriedt, Höngg, Thalweil-Oberrieden, Uitikon, Wangen, Weyach, bearbeitet nach den von genannten Orten eingegangenen Ortsbeschreibungen von J. M. Kohler, Seminarlehrer, und als Beitrag zur Kenntniß des Landbaues im Kanton Zürich, herausgegeben von dem Vorstande des landwirthsch. Vereines im Kanton Zürich. Zürich, Druck von H. Mahler. 1852. Online: Google Books (Exemplar der University of California Berkeley); e-rara.ch (Exemplar der Zentralbibliothek Zürich, Signatur: NO 1214)
  • Binder, G.: Die landwirtschaftlichen Verhältnisse der Gemeinde Weiach um 1850. In: Bülach-Dielsdorfer Wochen-Zeitung, 24. Oktober (Nr. 86) bis 4. November 1930 (Nr. 89). 5-teilige Artikelserie.
  • Die Güterzusammenlegung kommt doch noch. Abschnitt in: Brandenberger U.: Weiach – Aus der Geschichte eines Unterländer Dorfes, 6. Aufl., V 6.40, August 2021S. 60.

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