Sonntag, 29. August 2021

Der Mühlebrunnen von 1790

Im Beitrag von gestern Samstag (WeiachBlog Nr. 1732) wurde ein Bergwerksprojekt der Gemeinde Weiach besprochen. Aus dem ins Auge gefassten Mergelabbau zwecks Düngergewinnung für die hiesigen Landwirte scheint dann doch nichts von Dauer geworden zu sein. 

Trinkwasser statt Dünger

Ein anderes, im selben Jahr 1790 realisiertes Vorhaben kann man hingegen noch heute jederzeit besuchen und alle Vorbeikommenden haben etwas davon. Die Rede ist vom Mühlebrunnen am südöstlich verlaufenden Hauptast des heutigen Müliwegs (s. GIS Kt ZH). Nach früherer Terminologie (als es noch keine amtlich festgelegten Strassennamen gab) hätte man diesen Standort «zuoberst im Oberdorf» genannt.

Abbildung: ZBZ G-Ch Weiach 1952; leicht veränderter Ausschnitt in: Zollinger 1972, S. 33

In der ersten von Walter Zollinger verfassten Jahreschronik (vgl. für den Begriff WeiachBlog Nr. 1473) schreibt der Chronist im Sommer 1954:

«Im Dorf herum stehen ein Dutzend währschafte Dorfbrunnen, aus denen Tag und Nacht ununterbrochen das frische Quellwasser sprudelt. Jeder ist mit einem ansehnlichen Brunnentrog ausgestattet; denn Morgen für Morgen und Abend für Abend führen die Bauern ihr Vieh daran zur Tränke.»

Spätestens mit dem Aufkommen der in den Ställen installierten Selbsttränkebecken hat sich diese Sitte nach und nach überlebt und ist jetzt völlig verschwunden. Heute haben diese Brunnen eine andere Funktion: die der Notwasserversorgung (vgl. WeiachBlog Nr. 1300).

Grossvater und Enkel verwechselt

Zollinger stellt in der Folge die zwei obersten Brunnen im Oberdorf vor:

«Der älteste, der sog. "Mühlebrunnen", stammt aus dem Jahre 1790 und soll vom letzten Untervogt Hans Jakob Bersinger erstellt worden sein, der in der 1752 ebenfalls von ihm erbauten Mühle hauste. Der Brunnen trägt auf der nordöstlichen Trogseite eingemeisselt folgende Inschrift: GM 17 HBSW 90 W».

Hier irrt Zollinger, denn derjenige Bersinger, der Mitte des 18. Jahrhunderts die 1748 abgebrannte Mühle wiederaufgebaut hat (vgl. WeiachBlog Nr. 203), ist bereits 1761 gestorben (vgl. WeiachBlog Nr. 990).

Gemeint ist dessen Enkel, der unter dem Namen «Jacob Persinger» in den Akten auftaucht (u.a. so in der fürstbischöflichen Urkunde, die ihm 1790 die Pacht der Weiacher Ziegelhütte übertragen hat, vgl. RQNA Nr. 200) und der nach dem Ende des Ancien Régime in der Helvetik Distriktsrichter wurde.

Wer hat den Brunnen finanziert?

Eine offene Frage ist, ob der Mühlebrunnen tatsächlich durch diesen letzten Untervogt erbaut wurde. Die Errichtung fällt ganz eindeutig in seine Amtszeit. Ob er sie auch finanziert oder mitfinanziert hat, ist hingegen noch nicht geklärt.

Dass Untervogt Jakob Bersinger die nötige Finanzkraft dazu gehabt hat, um den Brunnen vollständig aus dem eigenen Sack zu bezahlen, ist kaum zu bestreiten. Man sieht das an der im vorstehenden Abschnitt erwähnten Übernahme der Ziegelhütte, der Ablösung von Zehntenlasten im Jahre 1799, sowie seinem umfangreichen Immobilien- und Landbesitz im Jahre 1811 (vgl. WeiachBlog Nr. 1666).

Einen wichtigen Hinweis geben die auf dem Brunnentrog eingemeisselten Initialen. Lehrer Adolf Pfister (der in seiner Weiacher Zeit (1936-1942) grosse Teile des sog. Ortsgeschichte-Ordner zusammengetragen hat) ist auch als Verfasser eines von sechs Schulheften zur Ortsgeschichte anzusehen, die Walter Zollinger im Ortsmuseum hinterlassen hat (Heft Nr. VI).

Was bedeutet GM 17 HBSVV 90 W ?

Auf Seite 2 dieses Hefts VI schreibt Pfister in vorbildlicher Schönschrift:

Auf einem eingeklebten Zettelchen, das auf der Hinterseite mit dem Text «W.Z. 1939» beschriftet ist, (was mutmasslich «Walter Zollinger» bedeutet), ist in epigraphischer Manier die Inschrift des «Brunnen b. der Mühle» abgebildet (s.oben).

Im Gegensatz zur Jahreschronik 1952 liest man hier «G.M.1.7.H.B.S.V.V.9.0.W». Das «W» in «HBSW» wäre also zu «VV» aufzulösen. Pfister interpretiert dies (hinter dem Zettelchen eingetragen) als: «Gemeinde, Heinr.? Bersinger U'Vogt, Weiach». 

Das Fragezeichen unter «Heinr.» ist berechtigt, denn wenn der amtierende Untervogt gemeint war, dann müsste «H» für «Hans» (oder «Hans Jakob») stehen. Ganz schlüssig ist diese Auflösung jedoch auch dann nicht. Denn normalerweise nimmt man nicht zusätzlich zur Initiale noch einen Silbenanfang aus einem Namen, um ihn in einer Inschrift zu verewigen. Die Frage wäre dann also, was «S W» bedeutet hat. Die Initialen des Vornamens und Familiennamens seiner Ehefrau? Affaire à suivre.

Quellen 

  • OM Weiach, Ortsgeschichtliche Sammlung. Bestand Schulhefte: Heft VI Pfister  S. 2. [Handschrift; Weiach, zw. 1936 u. 1942]
  • Zollinger, W. (1954): Chronik des Jahres 1952. Abgeschlossen Sommer 1954. Typoskript. Zentralbibliothek Zürich, Handschriftenabteilung, Signatur: G-Ch Weiach 1952.
  • Zollinger, W. (1972): Weiach 1271-1971. Aus der Vergangenheit des Dorfes Weiach. Druckerei Akeret Dielsdorf 1972  S. 33.

Nachtrag vom 30. August 2021, 23:07

Aus welcher Art von Stein Brunnentrog und Brunnenstud gehauen wurden, ist nur summarisch bekannt.

Professor Francis de Quervain hat auf einer seiner Erfassungskarten «Brunnen aus Muschelkalkstein der Marinen Molasse» notiert.

Ob er einen bestimmten Brunnen meint oder diverse Brunnen, die er auf einem Dorfrundgang gesehen hat, als Muschelkalkstein anspricht, ist nicht klar. Die Fachgruppe Georessourcen der swisstopo (Erstellerin der über map.admin.ch aufrufbaren Datenbank) nimmt jedenfalls letzteres an (vgl. Link)

Quelle: de Quervain, F.: Gesteinsarten an historischen Bau- und Bildwerken der Schweiz. Aufzeichnungen 1954-1983. Hrsg. Institut für Denkmalpflege Eidg. Techn. Hochschule Zürich. Zürich 1984, Bd. 6, S. 232.

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