Sonntag, 5. Juni 2022

Zürcher Regierung verbietet Besuch des Zurzacher Pfingstmarkts

Der Ausbruch der Pest in Marseille im Jahr 1720 hat die Regenten von Limmat-Athen nachhaltig verschreckt. Innert zwei Jahren nach dem ersten Mandat erliessen sie gleich mehrere weitere Verordnungen, die die Einfuhr von Waren bzw. Einreise von Personen aus den von der Seuche betroffenen Regionen verhindern sollten (vgl. die Liste am Schluss des Artikels). 

Grad ganz so extrem drauf wie in Süddeutschland waren sie zwar nicht (dort gab es einen expliziten Schiessbefehl, sollte jemand eine Sperre umgehen, vgl. WeiachBlog Nr. 1652). Auch das sogenannte Erlufftungshaus bei Weyach, eine militärisch bewachte Baracke zum Lüften von Handelswaren, hatte man bereits 1721 nach nur wenigen Monaten Betrieb wieder abgebrochen (vgl. WeiachBlog Nr. 1618).

Menschen- und Warenansammlungen sind gefährlich

Aber die Public Health-Experten der damaligen Zeit wurden nicht müde, mahnten zur Vorsicht und so kam es am 13. Mai 1722 zu dem nachstehend im Volltext abgedruckten gemeinsamen Erlass von Regierung und Parlament: einem kurzfristigen Besuchsverbot für die Zurzacher Messe, konkret: den Pfingstmarkt vom 1. Juni 1722:

Das kalligraphische Feuerwerk für einen Tag (den 1. Juni 1722) hier in transkribierter Form: 

«Wir Burgermeister / Klein und Groß Räthe / so man nennet die zwey Hundert der Stadt Zürich ; Entbieten allen und jeden Unseren Angehörigen zu Stadt und Land Unseren gnädigen wolgeneigten Willen und dabey zuvernemmen : Demnach die in Franckreich vor geraumer Zeit eingeschlichene Pestilenzialische Seuche / nach Gottes heiliger und weiser Regierung / bis anhero noch immer anhaltet / und deßhalber alle sorgfältige Vorsorgen dagegen anzuwenden sind / daß Wir auß Lands-Väterlicher Sorgfalt / für die allgemeine Wolfahrt Unserer Stadt und Lands / bey solch- der Sachen Bewandtnuß / genöthiget worden / Unseren Angehörigen zu Stadt und Land die Besuchung des auf den Ersten instehenden Brachmonat angesehenen Pfingst-Zurzacher Marckts gäntzlichen zuverbieten / nnd [sic!] gelanget daher Unser ernstliche Befehl / Will und Meynung hiemit an dieselbe / disen besagten Marckt / bey Unserer hohen Straff und Ungnad / nicht zubesuchen ; Wornach sich dann Jedermänniglich zu richten und vor Straff und Ungnad zuseyn ernstlich erinneret wird.

Geben den Dreyzehenden Tag Meyen / nach der Gnadenreichen Geburt Unsers einigen Erlösers Jesu Christi gezehlet / Eintausent / Sibenhundert / Zwanzig und Zwey Jahr.

Canzley der Stadt Zürich.»

Der Weiacher Pfarrer Hans Rudolf Wolf, noch im Vorjahr Verwalter des Erlufftungshauses, musste auch diesen Erlass von seiner Kanzel aus verkünden, wie jedes Mandat, das ihm aus Zürich zugestellt wurde.

Einzelmassnahme passt nicht ins Bild

Eine solche Massnahme ist wirklich bemerkenswert, denn bislang (soweit das für den hier Schreibenden erkennbar ist) gab es das in diesem Pestzug nicht, dass Zürcher Kaufleuten und anderen Untertanen im Gebiet des Stadtstaates explizit und unter Androhung von Strafe und des Fallens in Ungnade verboten wurde, an einem bestimmten Tag nach Zurzach zu fahren, um dort Waren kaufen und verkaufen zu können.

Es muss also schon gute Gründe gegeben haben, wenn im merkantil geprägten Zürich Mehrheiten für ein solches Totalverbot zu finden waren. Und das auch noch so kurzfristig vor dem Markttermin, für den etliche Zürcher Ratsherren mit Sicherheit bereits Dispositionen getätigt, also finanzielle Einbussen zu verkraften hatten.

Quelle

  • Mandat der Stadt Zürich betreffend Besuchsverbot des Zurzacher Pfingstmarkts wegen der Pest in Marseille, 1722. Zur Transkription verwendet: StAZH III AAb 1.9, Nr. 7; weitere Exemplare: StAZH III AAb 2.1, Nr. 67 sowie ZBZ M&P 3:5 (Bildquelle).

Frühere Artikel zum Thema Marsilianische Pest
  • Mit Mörsern gegen die Pest. Das «Erlufftungshaus» von 1720/21 (Teil 1). Weiacher Geschichte(n) 9. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, August 2000 – S. 9.
  • Europäisches Handelshemmnis und lokale Einnahmequelle. Das «Erlufftungshaus» von 1720/21 (Teil 2). Weiacher Geschichte(n) 10. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, September 2000 – S. 13-14.
  • Die Pest aus Marseille. WeiachBlog Nr. 359 v. 14. Januar 2007.
  • COVID-19 und Marsilianische Pest. Ein kleiner Rechtsvergleich. WeiachBlog Nr. 1510 v. 18. Mai 2020.
  • Vom Leben mit dem zweiten Pest-Mandat, d.d. 9. September 1720. WeiachBlog Nr. 1599 v. 9. Oktober 2020. 
  • Vor 300 Jahren: Zürich sperrt Handels- und Reiseverkehr mit Genf. WeiachBlog Nr. 1606 v. 31. Oktober 2020  
  • Die Weiacher Quarantäne-Baracke von 1720/21. WeiachBlog Nr. 1618 v. 15. Januar 2021.
  • Eindringlinge werden «so gleich auf der Stelle tod geschossen». WeiachBlog Nr. 1652 v. 14. Mai 2021.
  • Ärger über absonderliche Quarantänevorschriften. WeiachBlog Nr. 1660 v. 28. Mai 2021.
  • Grenzkontrollen und sanitätspolizeiliche Massnahmen. WeiachBlog Nr. 1761 v. 26. Oktober 2021.
[Veröffentlicht am 21. Juni 2022 um 09:20 MESZ]

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