Ein nach ihrem eigenen Bekunden reiches und erfülltes Leben wurde nach dem Abschied auf dem Friedhof in einer länger als üblich dauernden Abdankungsfeier gewürdigt. Nach Hedi Markwalder-Jucker, einer Nichte der Verstorbenen, die den Lebenslauf aus ihrem eigenen Erleben erzählte und dabei auch manches Anekdötchen einflocht, sprach der Missionsleiter von Christus für alle, Daniel Blaser.
Unter vielen älteren Weiacherinnen und Weiachern und Bekannten von weitherum, war auch Johann Jucker V., der Neffe der Verstorbenen, SVP-Kantonsrat und Inhaber der Landmaschinen-Unternehmung aus Neerach, anzutreffen.
Ein Leben für die Gemeinschaft
Wer in den Jahren von 1959 bis 1994 in Weiach lebte, ist schlicht nicht um diese resolut-liebenswürdige, alleinstehende ältere Frau herumgekommen. Sie wohnte zwischen Gemeindehaus, Schulhaus, Kirche und Pfarrhaus an zentralster Lage und war männiglich im Dorf vor allem als «Tante Ruth» bekannt. Ihr früheres Haus, genannt Baumgartner-Jucker-Haus, gehört heute der politischen Gemeinde und ist eines der Schmuckstücke im Ortskern.
«Tante Ruths» Methoden, Schoggibranchli und Selbstgestricktes zwecks Finanzierung von Missionswerken und dem «Croix bleu» unter die Leute zu bringen, waren berühmt-berüchtigt. Sie war von geradezu missionarischem Eifer beseelt und selbst an ihrer Abdankung fehlten Ausgaben des Neuen Testaments und christliche Literatur zum Sinn des Lebens nicht. Sie lagen auf dem Bänklein am Kircheneingang bereit und seien, verriet ein weisses Kärtchen, das dabeistand, ein letzter Gruss der Verstorbenen. Auch ihr selbstverfasster Lebenslauf lag dort auf (vgl. Literatur unten).
Dass «Tante Ruth» im kollektiven Gedächtnis der Weiacher etliche Spuren hinterlassen hat, stellte auch der gegenwärtige Pfarrer Markus Saxer fest. In seiner Predigt gestand er, sie zwar nie persönlich getroffen zu haben, jedoch sei in seiner Arbeit als Pfarrer von Weiach die Rede mindestens einmal pro Monat auf sie gekommen.
Strenge Nähkursleiterin
Von Beruf war «Tante Ruth» ursprünglich Schneiderin und später lehrte sie dieses Handwerk in unzähligen Kursen. So kam die gebürtige Neeracherin auch zu einem Engagement in Weiach und lernte auf vielen Zugfahrten von Zürich nach Weiach-Kaiserstuhl 1946 ihren Mann Ernst Baumgartner kennen, der als Notar in Zürich arbeitete und jeweils am Wochenende in seine alte Heimat fuhr.
1949 heirateten die beiden, doch schon 15 Monate später erlag Ernst den Folgen einer Leukämie-Erkrankung. Diese harte Prüfung bestärkte «Tante Ruth» in ihrem seit dem 16. Lebensjahr mit evangelikalem Gedankengut durchwirkten christlichen Leben. Sie blieb von da an zeitlebens Witwe.
Eigene Kinder blieben ihr versagt, dafür nahm sie sich umso mehr ihrer Gottenkinder und der Dorfjugend an. Ihr Talent als Lehrerin setzte sie auch in jahrelangem Einsatz für die Sonntagsschule um. Und Geschichten erzählen konnte sie wie kaum eine zweite.
Reisen um den ganzen Erdball
Manch einer mochte sie für etwas verschroben oder hilflos gehalten haben, aber das täuschte. «Tante Ruth» war sprachgewandt, wusste sich zu helfen und ihre Reisen führten sie um den ganzen Erdball, bis nach Japan und Australien. Hedi Markwalder erwähnte in ihrer Abdankungsrede, die Todesanzeigen seien an Adressen in 20 Ländern gegangen.
Besonders enge Kontakte hatte sie zu den Baumgardner (auch Bombgardner) in den USA, einer weitverzweigten Gruppe von Amerikanern, die von ausgewanderten Weiacher Baumgartnern abstammen und sich seit 1966 regelmässig treffen. Meist finden diese Treffen in den USA selber statt, am 2. Juli 1998 aber konnte «Tante Ruth» 35 Nachfahren von ennet dem grossen Teich im Dorf ihrer Ahnen begrüssen (US-Webpage mit Bild von «Tante Ruth»).
Möge ihr Wunsch in Erfüllung gehen und sie diejenigen Gnaden erleben, von denen sie uns jahrzehntelang erzählte.
Literatur
- International Baumgardner Reunion & Switzerland Trip, June-July 1998
- Ruth Baumgartner-Jucker: Mein Lebenslauf. [Umschlagtitel: Erinnerungen und Bilder aus dem reichen und erfüllten Leben von Ruth Baumgartner-Jucker]. Oberglatt, Herbst 1999. [Selbstverlag, 40 Seiten]
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