Montag, 8. Juni 2020

Zurzach ante portas. Der Niedergang eines Städtchens.

Bisher grenzte Weiach ja nur an den Bezirk Zurzach. Ab dem 1. Januar 2022 wird es aber die Gemeinde Zurzach sein, die eine gemeinsame Grenze mit Weiach (und dem Kanton Zürich) hat. Die Zurzacher stehen buchstäblich vor den Toren von Weiach.

Denn im September letzten Jahres hat sich das kleine Städtchen Kaiserstuhl definitiv für eine Fusion mit sieben weiteren Studenländer Gemeinden entschieden. Fisibach und Siglistorf sind schon früher aus dem Fusionsprozess ausgestiegen. Mellikon hat sich an der Volksabstimmung vom 8. September 2019 mit nur sechs Stimmen Unterschied gegen die Aufgabe der Eigenständigkeit ausgesprochen (vgl. für Details zur neuen Fusionsgemeinde den Wikipedia-Artikel Zurzach).

Somit wird – Bestätigung durch den Aargauer Grossen Rat vorbehalten – bereits in anderthalb Jahren auch für Weiach etliches ändern.

Zurzach auch auf der Ortstafel

Neu wird auf der Ortseingangstafel nicht mehr wie heute an der Kreiselausfahrt beim Hotel-Restaurant zum Kreuz ein verschämtes weisses Täfelchen mit der Aufschrift «Kaiserstuhl AG» stehen, sondern wohl eins mit dem Text «Kaiserstuhl (Gde. Zurzach)» oder ähnlichem.

Der territoriale Flickenteppich, der durch diese Fusion entsteht, mutet schon etwas seltsam an. Die neue Gemeinde Zurzach (so hiess das neue Gemeindezentrum Bad Zurzach bis 2006 selber noch) erstreckt sich dem Rhein entlang bis fast bis zur Aaremündung bei Koblenz.

Westlichster Teil wird Rietheim sein, gefolgt von Bad Zurzach und Rekingen. Dann steigt das Territorium auf die Hügel des Studenlandes, umfasst dort Baldingen, Böbikon und Wislikofen und kommt schliesslich mit Rümikon wieder ans Rheinufer.

Die territorialen Auffälligkeiten sind Mellikon (bis auf die Landesgrenze vollständig umschlossen von der neuen Gemeinde) sowie das neu zur 32 Hektar grossen Exklave mutierte Kaiserstuhl.

Und unsere Ansprechpartner sitzen nicht ein paar hundert Meter von uns entfernt. Nein, sie sind im über 15 km entfernten Bad Zurzach zu finden.

Der weitere Niedergang eines Städtchens

Der definitive Verlust der Autonomie ist ein neuer Tiefpunkt in der Geschichte der Kleinstadt mit dem Dreiecksgrundriss.

Noch anfangs des 15. Jahrhunderts hatte sie den Griff nach den Niedergerichtsrechten des fürstbischöflich-konstanzischen Amtes Kaiserstuhl mit Sitz auf dem Schloss Rötelen geprobt, wurde auch zu diesem Zweck 1402 für kurze Zeit habsburgisch und wollte das Badener Stadtrecht einführen. Dieser Emanzipationsversuch scheiterte aber und das Fürstbistum restituierte seine Machtposition.

Danach wurde Kaiserstuhl immer mehr an den Rand gedrängt, wirtschaftlich wie politisch. Die Rückkehr des Fürstbischofs (spätestens 1406) hat zwar lokal eine gewisse Machtstellung ermöglicht. Aber wirtschaftlich waren da enge Grenzen gesetzt. Dafür sorgten die acht Alten Orte der Eidgenossenschaft (ab 1415 die Herren in der Grafschaft Baden), der Stadtstaat Zürich (der seinen 1496 erworbenen Rheinübergang bei Eglisau protegierte) genauso wie der jeweilige Bischof, der sich kein Powerplay erlauben konnte.

Die Neuordnung der Helvetik ab 1798 erhöhte das Gewicht der Hochgerichtsgrenze am Rhein. Wie Eglisau, so hatte auch Kaiserstuhl auf beiden Seiten des Flusses Hoheitsrechte, aber eben untergeordnete. Noch dazu das Pech, dass hüben und drüben unterschiedliche Herren das Sagen hatten (und nicht wie in Eglisau nur die Zürcher). Der Verlust der Rheinbrücke (abgebrannt 1799 im Zweiten Koalitionskrieg) hat bis zum Neubau durch Blasius Balteschwiler 1823 die Wirtschaftsbeziehungen weiter beschädigt, was sich auch in der baulichen Substanz der Stadt massiv niederschlug.

So ist Kaiserstuhl heute vor allem eine gut konservierte historische Hülle. Grosse Teile der Verwaltung sind schon seit Jahren ausgelagert (Projekt Verwaltung 2000). Nun wird es bald auch politisch völlig obsolet und ist nur noch ein weitab gelegenes Verwaltungsgebiet der Zurzacher – soweit mir bekannt ohne jegliche Eigenständigkeit.

Was wäre gewesen, wenn?

Ein paar kontrafaktische Geschichtsschreibungs-Gedanken kann sich der Autor dieses Beitrags aber doch nicht verkneifen.

Hätte Kaiserstuhl bereits nach seiner Gründung (um 1254/55 mit den Freiherren von Regensberg als mächtigstem Partner des Gründerkonsortiums) die Handelsströme von Augsburg nach Lyon an sich ziehen können, hätte ab dem Beginn des 15. Jahrhunderts das Ziehen der habsburgischen Karte durch den Kaiserstuhler Bürgermeister Erfolg gezeitigt oder wären spätestens der damals amtierende Fürstbischof Marquard und seine Nachfolger Albrecht Blarer und Otto von Hachberg merkantil und machtpolitisch derart auf Zack gewesen, dass sie den Zürchern Paroli hätten bieten können, dann wäre die Geschichte möglicherweise anders gelaufen.

Selbst die mächtigen Habsburger waren aber (ebenfalls anfangs des 15. Jahrhunderts) in ihrem ehemaligen Stammland so schwach auf der Brust, dass sie einerseits 1415 den gesamten Aargau (insbesondere Stadt und Grafschaft Baden) an die Eidgenossen verloren. Ausserdem brauchten sie Geld, weshalb sie sich mit dem Zürcher Rat kurz darauf (1424) auf pfandweise Übergabe der Grafschaft Kyburg einigten. Damit ging auch die hochgerichtliche Herrschaft über Weiach an Zürich.

Dieser Vorstoss nicht nur an den Rhein, sondern bis an die östliche Stadtmauer von Kaiserstuhl (dort verlief die Hochgerichtsgrenze), ja sogar bis in die Stadt hinein (Zürich hatte Anspruch auf Teile der Erbschaftssteuer), hat die Weiterentwicklung verhindert.

Wäre die Geschäftsidee der adeligen Kaiserstuhler Stadtgründer aus der Mitte des 13. Jahrhunderts hingegen voll aufgegangen, dann wären Weiach, Fisibach und Hohentengen heute vielleicht nur noch Quartiere einer beidseits des Rheins prosperierenden Stadt Kaiserstuhl.

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