Umso wichtiger ist es nun, die Hintergründe aufzuarbeiten und die Motivlage des Souveräns abzuklären. Denn es ist durchaus möglich, dass in diesem Fall viele Hunde des Hasen Tod waren. Sprich: Unterschiedlichste Gründe zu einem Nein geführt haben.
Ein wesentlicher Faktor dürfte eine nicht wegzudiskutierende Unsicherheit gewesen sein. Mit absehbaren Folgen, getreu dem aus den USA bekannten Motto: «Confused? Many are. When in doubt, play safe, vote NO!» (frei übersetzt: Sie sind verwirrt? So geht es vielen. Wenn Sie Zweifel haben, gehen Sie auf Nummer sicher. Stimmen Sie mit NEIN.)
Kommentar WeiachBlog
Wie ist es zu diesem Ergebnis gekommen? Nachstehend ein Versuch, es einzuordnen. Aus der Perspektive eines langjährigen ehemaligen Einwohners der Gemeinde – und nicht unbedingt der eines Neuzuzügers.
Der 2015 gefällte Entscheid, die Kaiserstuhler und Fisibacher Kinder in Weiach aufzunehmen, ist damals in seiner Tragweite offensichtlich nicht richtig erfasst worden.
Bei genauem Hinsehen und -hören kann das wenig verwundern. Denn die mentale Disposition vieler Weiacherinnen und Weiacher ist immer noch die der Bewohner eines kleinen Dorfes, das nur für sich selber verantwortlich ist, mit seinen Nachbarn auf Augenhöhe streitet und sich so mit ihnen einigt, dass die eigenen Interessen maximiert werden.
Das war auch lange Zeit völlig ausreichend. Über Jahrhunderte hinweg wurde in Kaiserstuhl massgeblich über die Geschicke der Gemeinde Weiach mitentschieden. Dort sass auf dem nördlichen Brückenkopf (auf Rötteln) der fürstbischöflich-konstanzische Obervogt. Und aus Kaiserstuhl kam in dessen Auftrag bis 1798 der Vorsitzende des Weiacher Dorfgerichts. Kaiserstuhl hatte sozusagen die Führung. Das war auch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht anders, als die Weiacher Sekundarschüler die Bezirksschule in Kaiserstuhl besuchten (vgl. WeiachBlog Nr. 1522)
Heute aber, 765 Jahre nach der Gründung von Kaiserstuhl, finden sich die Hiesigen plötzlich in eine völlig ungewohnte Führungsrolle hineinversetzt. Die Gemeinde Weiach zählt 2000 Einwohner, Kaiserstuhl und Fisibach zusammen nicht einmal die Hälfte. Und seit dem Entscheid von 2015 ist man nun auch für deren Kindergarten- und Primarschüler mitverantwortlich.
Von der Entwicklung überrollt
Ebenfalls zu wenig erfasst in seiner Tragweite ist der Entscheid für die Bewilligung der Quartierpläne See/Winkel und Bedmen (vgl. WeiachBlog Nr. 221). Um Max Frisch in abgewandelter Form zu zitieren: Wir setzten auf Bauentwicklung und es kamen Menschen mit Kindern.
Die Implikationen der eigentlich völlig logisch ableitbaren künftigen Verschiebung der Gleichgewichte im Aussenverhältnis (zu den Nachbargemeinden), aber auch der relativen Bevölkerungsexplosion im Binnenverhältnis (Stichwort: zu viele Neuzuzüger in zu kurzer Zeit) sind bei den politisch Verantwortlichen noch nicht angekommen – nicht bei allen jedenfalls.
Einige scheinen irgendwie noch nicht wirklich realisiert zu haben, dass Weiach nicht mehr wie früher in der Regel nur 600-700 Einwohner hat, die Vereine aber praktisch gleich viele Mitglieder zählen wie anno dazumal, was z.B. bedeutet, dass nicht mehr jede(r) jede(n) kennt. Folglich hätten die Behörden viel stärker auf elektronische Partizipation setzen müssen. Vornehmlich amtlich zwingend vorgeschriebene Publikationen auf der Gemeindewebsite zu veröffentlichen, das reicht nicht.
Nicht genügend breit abgestützter Meinungsbildungsprozess
Nur so ist es zu erklären, dass Gemeinderat und Schulpflege allen Ernstes geglaubt haben, ein paar Projektpräsentationen am Modell im Gemeindehaus, sowie eine Videopräsentation ohne hochauflösende Pläne im Internet, eine Informationsveranstaltung in der Turnhalle, verbunden mit einem in geschönte Beschwichtigungen verpackten Beleuchtenden Bericht (Stichwort: Finanzielle Tragbarkeit), seien ausreichend, um eine solch grosse Kiste wie die Abstimmung zum Projekt «Balance» den Stimmberechtigten zu unterbreiten. Unter denen gibt es auch viele, die es kaum je an eine Gemeindeversammlung oder Informationsveranstaltung schaffen, weil ihre Arbeit so etwas nicht erlaubt. Und trotzdem sind sie Weiacher Stimmbürger und haben dieselbe Stimmkraft. Und: dasselbe Recht auf sachdienliche, umfassende und gebündelte Information, die man sich nicht überall zusammensuchen muss.
Nur so ist es zu erklären, dass teilweise Leserbriefe an den Zürcher Unterländer geschickt wurden (vgl. WeiachBlog Nr. 1525), ohne dass man seine aktuellen und/oder früheren Amtsfunktionen offenlegt. Das gilt sowohl für Gegner wie Befürworter des Projekts «Balance». Wer ausser den Alteingesessenen weiss schon, dass Werner Ebnöther einst Weiacher Gemeindepräsident war (und u.a. für den Bau des heutigen Gemeindesaals im Jahre 1995 verantwortlich)? Wer ausser denjenigen, die in den letzten Jahren die Gemeindepolitik verfolgt haben, weiss, dass Heidi Meier aktuell in der Rechnungsprüfungskommission Weiach sitzt und Maya Bütler von 2003 bis 2015 Mitglied der Primarschulpflege Weiach gewesen ist (vgl. MGW, Mai 2015, S. 10). Für Neu-Weiacher wären das wichtige Informationen zur Einordnung ihrer Voten gewesen.
Feuer im Dach
Ein Bauprojekt für CHF 19.7 Mio mit Abriss des 1974 bis 1976 gebauten Mehrzweckbaus mitten im Dorf, Ersatzbau und einem zusätzlichen Kindergarten sorgt unter den propagandistisch als alternativlos dargestellten Umständen natürlich für signifikante Unruhe in der Gemeinde.
Unter anderem auch, weil der Vorwurf (aufgebracht vom oben erwähnten W. Ebnöther) nach wie vor im Raum steht, die Kaiserstuhler und Fisibacher würden für ihre Kinder (die seit einigen Jahren in Weiach zur Schule gehen) massiv zu wenig zahlen. Oder anders formuliert: dass die Weiacher auswärtige Schulkinder dadurch schon heute im Umfang von mehreren Steuerprozenten subventionieren. Überzeugend widerlegt werden konnte diese Aufrechnung nämlich bisher nicht. Weder durch den Gemeindepräsidenten noch durch den Präsidenten der Schulpflege.
Diese Gemengelage ergab eine erhitzte Debatte, bei der schnell Feuer im Dach ist. Metaphorisch passt der Dachstockbrand der Liegenschaft Müliweg 4 am 25./26. Juni 2020 (das ehemalige Wohnhaus von Walter Zollinger-Funk, dem langjährigen Dorfschullehrer und Ortschronisten) da ganz gut ins Bild.
Das Kind nicht mit dem Bade ausschütten
Nach diesem Abstimmungskampf gilt es nun, wieder aufeinander zuzugehen. Befürworter und Gegner der Vorlage müssen sich zusammenraufen. Denn dass es eine Lösung für die offensichtlichen Probleme braucht, das ist wohl unbestritten. Nur nicht, welche.
Die zu diskutierende Hauptfrage lautet: Wo soll es hingehen? Was will diese Gemeinde wirklich? Dazu muss man aber eine Mehrheit der Stimmberechtigten auf die Reise mitnehmen können und wollen. Die Art und Weise, wie man nun vorgeht, die muss folglich wesentlich breiter abgestützt und mit kleinen Schritten vorangeführt werden. Gemeinderat und Schulpflege sollen nach einem vom Souverän genehmigten Masterplan vorgehen können. Nur dann haben sie genügend Rückendeckung.
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