Montag, 21. September 2020

An welchen Tagen fanden 1843 Glockenaufzug und -weihe statt?

Am 2. Mai 1843 wurde im Rahmen der Sitzung der Weiacher Kirchenpflege bekanntgegeben, dass die neuen Glocken fertiggestellt und abholbereit seien. Die Pflege  (damals noch häufig «Stillstand» genannt) beschloss daraufhin, bereits am darauffolgenden Sonntag zur feierlichen Glockenweihe zu schreiten (vgl. WeiachBlog Nr. 1579 für den vollen Wortlaut).

Die Chronisten sind sich nicht einig

In der Literatur über die Ereignisse dieser Tage vom 2. Mai bis zur Glockenweihe gibt es verschiedene Angaben:

Pfarrer Konrad Hirzel war für den Inhalt des sog. Turmkugeldokuments Nr. 8 vom 20. August 1855 (KTD-8) verantwortlich, Lehrer Jakob Morf für die Niederschrift:

«Am 4ten Mai [1843] wurden die neuen Glocken unter grossem Jubel von Jung und Alt glücklich auf den Thurm gebracht und zum ersten Mal geläutet. Sonntags den 6ten war feierlicher Gottesdienst zur Glockenweihe.»

Abgesehen davon, dass bereits in den Sätzen davor irrtümlich die Jahreszahl 1842 genannt wird, so ergeben sich zu den späteren Chronisten Datierungsunterschiede:

Emil Maurer (Die Kirche zu Weiach, 1965) schreibt: «Der Guss der Glocken war am 2. Mai 1843 fertig. Am 4. Mai wurden die Glocken [...] abgeholt. Glockenaufzug am 5. Mai 1843. Glockenweihe am 7. Mai 1843.»

Woher Maurer das exakte Datum für den Glockenaufzug hat, ist unklar. Aus dem Protokoll der Kirchenpflege geht nicht hervor, an welchem Tag er stattfand.

Walter Zollinger (Aus der Vergangenheit des Dorfes Weiach, 1972) stützt sich (wie wir bereits in WeiachBlog Nr. 1583 bei der Frage nach den Glockengewichten gesehen haben) direkt auf das Kirchenpflegeprotokoll und erwähnt keinen Glockenaufzug: «Am 7. Mai 1843 konnten die Weiacher Kirchgenossen ein neues Geläute einweihen.»

Fand die Beteiligung der Schüler am Glockenaufzug Niederschlag in anderen Protokollen?

Die erste Diskrepanz betrifft also den Aufzug: Hirzel/Morf: 4. Mai; Maurer: 5. Mai. Hirzel/Morf können rein mit den vorliegenden Angaben aus dem Kirchenpflegeprotokoll (Signatur: ERKGA Weiach, IV.B.6.2) nicht widerlegt werden. 

Es bleibt also offen, ob der Aufzug unter Beteiligung der Schulkinder am 4., 5. oder 6. Mai stattfand, bis allfällige sich in den Akten der Primarschulpflege oder der Politischen Gemeinde findende Einträge genaueren Aufschluss zur Datierung ergeben. Zu konsultieren wären:
  • PGA Weiach IV.B.02.04 Protokoll des Gemeindraths, 1839-1850
  • SGA Weiach IV.B.2.a Protokoll der Schulpflege, 1831-1852

Glockenweihe: War der 7. Mai 1843 ein Sonntag?

Die zweite Diskrepanz betrifft die Glockenweihe: 6. oder 7. Mai? Gemäss der Website ewigerkalender.de war der 7. Mai 1843 ein Sonntag. Wenn dieser nach dem Osteralgorithmus des Mathematikers C.F. Gauss berechnete Gregorianische Kalender nicht ausgerechnet hier fehlerhaft ist, dann haben sich Hirzel bzw. Morf bezüglich Datum nicht aber bezüglich Wochentag geirrt. 

Und dem ist auch so. Der Protokolleintrag vom 2. Mai 1843 ist da eindeutig: «Die Glockenweihe soll nächsten Sonntag den 7. May statt finden» (ERKGA Weiach, IV.B.6.2., pag. 54). Der Umstand, dass am Montag, 8. Mai bereits die Abrechnung mit dem Glockengiesser gehalten wurde, zeigt, dass dieser feierliche Gottesdienst wohl auch wie geplant durchgeführt wurde.

Welcher Pfarrer weihte die neuen Glocken?

«Die Glockenweihe soll nächsten Sonntag den 7. May statt finden, es wird an diesem Tage nur ein Gottesdienst gehalten, der morgens um 10 Uhr beginnt, die nähere Anordnung wird dem Hrn. Pfr. überlassen.» (Stillstand Weiach, Achte Sitzung den 2. Mai 1843)

Die Frage ist also: Um welchen Pfarrer handelt es sich im Mai 1843? Noch um Pfr. Keller, schon um Pfr. Hirzel, oder um einen Vikar, dessen Namen wir bislang nicht kennen?

Kaspar Wirz listete in seinem Etat des Zürcher Ministeriums nach Pfr. Joh. Heinrich Keller auf: «1843. Hs. Konrad Hirzel, [...] - 43 wurden unter ihm alle drei Glocken umgegossen».

Gemäss Protokolleintrag des Regierungsrates vom 25. April 1843 wurde Keller am 17. April zum Pfarrer von Mönchaltorf gewählt (vgl. StAZH MM 2.76 RRB 1843/0664). Aus dem Protokolleintrag vom 21. Juli 1843 geht hervor, dass Hans Conrad Hirzel am 9. Juli zum neuen Weiacher Pfarrer gewählt worden war.

Fazit: Wirz irrt hier ganz klar. Der Guss und die Glockenweihe fallen eindeutig noch in die Amtszeit von Keller. Wir müssen auch annehmen, dass Pfr. Keller den Weihegottesdienst hielt. Sein Name wird im Protokoll zwar nicht explizit genannt. Aber es kann wohl nur der amtierende Pfarrer gemeint sein. Denn auch für die letzte Sitzung (vom 10. Juni 1843) vor der Wahl und dem Amtsantritt von Hirzel ist im Stillstandsprotokoll Kellers Handschrift festzustellen.

Folgt man den Protokollen des Regierungsrates und berücksichtigt die eben erwähnte Handschriftenanalyse, so kann Hirzel im Mai 1843 kaum schon Vikar gewesen sein. Obwohl Pfr. Keller allen Grund gehabt hätte, schnell von Weyach wegzukommen, steht doch unter dem Namen Kellers bei Wirz: «Er hatte hier viel Verdruß durchzumachen und folgte daher gerne einem Rufe nach Mönchaltorf». Und im Pfarrerbuch 1952: «Wegen vieler Verdrießlichkeiten ließ er sich 1843 nach Mönchaltorf wählen».

Machtkampf zwischen Pfarrer und Dorfaristokratie

Dass da einiges im Argen lag, zeigt sich nur schon daran, dass das Protokollbuch der Kirchenpflege in den späteren Jahren seiner Amtszeit (1837-1843) teilweise für Monate beim Bezirksgericht oder gar beim Obergericht des Kantons Zürich lag, da es von diesen zwecks Beweisaufnahme eingefordert worden war. 

Die Probleme hatten sich schon früh abgezeichnet. Im Stillstandsprotokoll wird bereits unter dem Palmsonntag 1838 (vgl. pag. 2 des Protokolls) über einen Machtkampf zwischen Pfr. Keller (als Präsident des Stillstandes und der Schulpflege) und der Dorfaristokratie (vertreten durch den Gemeinderatspräsidenten und den Gemeindeammann) berichtet. Die Auseinandersetzung entbrannte ob der Frage, wer befugt sei, einem hiesigen Gesangsverein das Benützen der Kirche zu gestatten, der Stillstand als Gesamtgremium oder der Pfarrer (aufgrund seiner Amtsbefugnisse oder als Präsident des Stillstandes).

Irgendwie bezeichnend, dass unter Keller auch noch die grosse Glocke von 1682 gesprungen ist. Denn die stammte aus einer Zeit, als die Pfarrer noch von der Hohen Obrigkeit zu Zürich ausgewählt und nach Weiach entsandt wurden. Die Stellung des Pfarrers war eine weitaus stärkere als kurz nach der liberalen Staatsumwälzung. Keller hatte das Pech, der erste von den Weiachern selbst gewählte Seelsorger zu sein.

Quellen und Literatur
  • Protocoll der Kirchenpflege Weÿach, 1838-1884, pag. 54. (Signatur: ERKGA Weiach, IV.B.6.2)
  • Anerkennung der Wahl des Hrn. H. Keller bisher Pfarrer in Weiach zum Pfarrer in Mönchaltorf. Regierungsratsbeschluss vom 25.04.1843 (Signatur: StAZH MM 2.76 RRB 1843/0664)
  • Anerkennung der Wahl des Hrn. Hs. Conrad Hirzel aus Zürich als Pfarrer in Weiach. Regierungsratsbeschluss vom 21.07.1843 (Signatur: StAZH MM 2.78 RRB 1843/1295)
  • Wirz, K.: Etat des Zürcher Ministeriums von der Reformation bis zur Gegenwart. Aus gedruckten und ungedruckten Quellen zusammengestellt und nach Kirchgemeinden geordnet, Zürich 1890
  • Brandenberger, U.: Wie die Weiacher Glocken in den Dachreiter kamen. WeiachBlog Nr. 1579 vom 14. September 2020.
  • Brandenberger, U.: Wie schwer ist die grosse Glocke von 1843 wirklich? WeiachBlog Nr. 1583 vom 18. September 2020.

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