Freitag, 18. September 2020

Wie schwer ist die grosse Glocke von 1843 wirklich?

In WeiachBlog Nr. 1217 (sowie in «ein nöüer Kirchenbauw allhier zu Weyach». 300 Jahre Kirche Weiach, 1706 – 2006, S. 41) wird basierend auf Zollinger 1972 (S. 52) das Gewicht der grossen Glocke (der sog. Mittagsglocke) mit 690 kg angegeben, das der mittleren Glocke (Betzeitglocke) mit 340 kg und das der kleinen Glocke (Totenglöcklein) mit 195 kg. (O-Ton Zollinger: «Die Glocken wiegen etwa 12 1/2 Zentner (390 Pfund, 680 Pfund, 1380 Pfund.») Zollingers Zahlen würden gesamthaft exakt 12 1/4 Zentnern, d.h. 1225 kg entsprechen.

Zollinger selber hat offensichtlich die Zahlen für die einzelnen Glocken dem Protokoll der Kirchenpflege vom 8. Mai 1843 entnommen. Dieser Eintrag vermerkt nämlich die genauen Gewichte in Pfund und notiert für die Mittagsglocke 1380 Lb, sowie ein Gesamtgewicht von «24 1/2 Ctr.» (vgl. WeiachBlog Nr. 1579, Abschnitt: Der Glockengiesser erhält seinen Lohn):


Das Turmkugeldokument Nr. 8 vom 20. August 1855 vermerkt keine individuellen Angaben, lediglich ein «Totalgewicht von 24 ½ Centner», was ebenfalls offensichtlich auf dem obgenannten Protokolleintrag der Kirchenpflege basiert. 

Das Jubiläumsbuch des Sigristen-Kantonalverbands von 1975 schliesslich folgt ebenfalls Zollinger, wenn auch in Kilogramm umgerechnet und verbunden mit den Tonhöhen: «as 690 kg, c’’ 340 kg und es’’ 195 kg». 

Differenz: 50 Pfund!

Vergleicht man diese Angaben nun mit dem mutmasslich 1881 erstellten Verzeichnis der von der Giesserei Jakob Keller in Unterstrass angefertigten Glocken, so ergibt sich eine auffällige Differenz:


Vgl. S. 4:


Glocke Nr. 48 (die grosse Weiacher Glocke) wiegt nach dieser Aufstellung 1330 Pfund, Glocke Nr. 49 bringt 680 Pfund auf die Waage und die kleinste Weiacher Glocke (Opus 50) immerhin noch 390 Pfund. Rechnet man das auf Kilogramm um (d.h. mit Faktor 0.5) dann ergeben sich die Werte 665 kg, 340 kg und 195 kg.

Die Memorabilia Tigurina von 1853 redet von «3 Glocken, im Gewicht von 24 Zentner». Emil Maurer übernimmt 1965 in seiner Schrift Die Kirche zu Weiach diese Sichtweise, indem er schreibt: «Das Gesamtgewicht beträgt 1200 kg» (S. 11). Das sind 2400 Pfund à 500g, was exakt der Summe von 1330+680+390 entspricht. 

Beide Gewichtsangaben in Vögelins Glockenbuch!

Diese Differenz von 50 Pfund (d.h. 25 kg) findet man auch in dem auf Salomon Vögelin (1774-1849) zurückgehenden Glockenbuch (Signatur ZBZ Ms. J 432) auf Seite 296 sogar gleich nebeneinander dargestellt. Die Angabe von «13 Ctr. 80» (d.h. 1380 Pfund) ist hier gestrichen und bei der Angabe 1330 Pfund die Differenz durch Unterstreichung sogar noch hervorgehoben. Auch einem der Bearbeiter dieses Werks ist also diese Diskrepanz aufgefallen:


Leider hatte ich nur die Gelegenheit den Mikrofilm zu konsultieren (das Original ist aus konservatorischen Gründen für die Benutzung gesperrt). Es ist daher nicht klar, welche Tintenfarbtöne die jeweiligen Einträge haben. Die von anderer Hand eingefügte Notiz betr. Glockengiesser, Ort und Gussjahr zeigen offensichtlich eine andere Farbe, bei der Streichung des Eintrags «13 Ctr. 80» ist dies nicht so klar.

Zwei weitere Glockenbücher im Bestand der Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek Zürich haben sich auf die Angabe 1330 Pfund festgelegt: 

So das in Mikroschrift verfasste Büchlein Die Kirchengeläute im Canton Zürich von Pfarrer Leonhard Stierlin, das überdies das Gesamtgewicht von 2400 Pfund nennt (ZBZ Ms. P 6047 – S. 99).

Und so ebenso die Handschrift ZBZ Ms. Ρ 6313 – S. 425-427, die denselben Titel wie Ms. J 432 trägt und wahrscheinlich eine Abschrift derselben darstellt und eindeutig nach 1843 erstellt worden sein muss (denn für Weiach ist eine von Beginn weg klare Aufteilung in altes und neues Geläute erkennbar).

Was ist da passiert?

Vor dem Auffinden der beiden Angaben (wovon die höhere gestrichen) in Vögelins Glockenbuch Ms. J 432 und vor allem der eindeutigen Angabe im Protokoll der Kirchenpflege hätte man noch einen Lesefehler beim Setzen des Kellerschen Glockenverzeichnisses annehmen können. Jetzt aber stehen zwei gleichwertige Angaben unversöhnlich im Raum.

Die in den Firmenunterlagen der Glockengiesserei Keller mutmasslich richtig abgeschriebene Zahl 1330 Lb und die Angabe von 1380 Lb im Kirchenprotokoll. Beide Werte haben hohe Glaubwürdigkeit: Wie WeiachBlog Nr. 1579 (Abschnitt: Glocken abholen, aufziehen und einweihen) entnommen werden kann, hat die Kirchenpflege ja eigens einen oder mehrere Vertreter nach Unterstrass entsandt, der oder die nicht nur den Transport überwachen, sondern auch beim Wägen dabei sein sollte(n)! Denn nach dem Gewicht des Glockenmetalls wurde offensichtlich auch massgeblich abgerechnet.

Haben die Weiacher beim Wägen geschlafen? Oder hat die Glockengiesserei der Kirchenpflege 50 Pfund Glockenmetall zu viel verrechnet?

Da es gemäss handschriftlichen Einträgen in diesem Verzeichnis von 1881 (vgl. S. 9 und 11 im e-rara-Exemplar der ZBZ) ein älteres Verzeichnis gibt, das die Glocken bis 1863 umfasst, könnte dort das Gewicht der Weiacher Glocken ebenfalls verzeichnet sein. Ein Quervergleich dürfte sich lohnen.

Offene Fragen: Hat das Verzeichnis etwas mit Stierlin zu tun? Wo findet man dieses Verzeichnis? Im Bestand Glockengiesserei Jakob Keller in Unterstrass bei Zürich (Stadtarchiv Zürich, Signatur StArZH VII.479)? Affaire à suivre.

Quellen und Literatur
  • Protocoll der Kirchenpflege Weÿach, 1838-1884, pag. 54. Signatur: ERKGA Weiach, IV.B.6.2
  • Vögelin, S.: Gloken-Buch oder Verzeichniß aller in den Kirchen des Cantons Zürich theils ehemals theils jezt befindlichen Gloken und derselben Inschriften. (o.J.; Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek Zürich, Signatur: Ms. J 432) – S. 296.
  • Vogel, F.: Memorabilia Tigurina oder Chronik der Denkwürdigkeiten des Kantons Zürich 1840 bis 1850. Zürich 1853. Verfügbar als e-rara 26754
  • Verzeichniß der Glocken aus der Gießerei von Jakob Keller in Unterstraß bei Zürich. Zürich [1881] – S. 4. Verfügbar als e-rara 62253
  • Zollinger, W.: Aus der Vergangenheit des Dorfes Weiach. (Chronik Weiach. 1271-1971). 1. Aufl. 1972 – S. 52. (PDF, 4639 KB)
  • Zürcher Kirchen. Verzeichnis der evangelisch-reformierten Kirchen des Kantons Zürich. Erschienen im Eigenverlag des Sigristen-Kantonalverbandes Zürich zum Jubiläum seines 50-jährigen Bestehens im September 1975 – S. 136.
  • Brandenberger, U.: «ein nöüer Kirchenbauw allhier zu Weyach». 300 Jahre Kirche Weiach, 1706 – 2006. Herausgegeben von der Evangelisch-reformierten Kirchgemeinde Weiach und der Ortsmuseumskommission Weiach. Weiach 2006 – S. 41. (Online-Ausgabe 2007, PDF, 17156 KB)
  • Brandenberger, U.: Was auf den Weiacher Glocken wirklich draufsteht. WeiachBlog Nr. 1217 vom 22. Juni 2015.
  • Brandenberger, U.: Wie die Weiacher Glocken in den Dachreiter kamen. WeiachBlog Nr. 1579 vom 14. September 2020.

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