Montag, 24. Mai 2021

Pfingsten 1871 in Weyach, gesehen mit Kinderaugen

Und? Wie haben Sie Pfingsten verbracht? Wenn Sie jetzt morgen in der Schule einen Aufsatz darüber schreiben müssten, was würde dann drin stehen?

In den Beiträgen WeiachBlog Nr. 1651 und 1654 haben wir bereits Auszüge aus Tagebucheinträgen des Hörbehinderten Jakob Meyerhofer (1860-1920) gebracht. 

Jakobs Aufsatz über Pfingsten vor genau 150 Jahren, geschrieben am Dienstag, 30. Mai 1871, enthält keine speziellen Informationen (wie bspw. über den Eisenbahnbau oder Schloss Schwarzwasserstelz). Aber gerade durch seine unspektakuläre Beschreibung von Alltäglichkeiten, wie sie um einem wichtigen Termin im Kirchenjahr herum halt eben auch stattgefunden haben, sind seine Zeilen ein Zeitdokument, das man sonst so nicht findet. Denn Hand aufs Herz: Wer schreibt schon solche Banalitäten auf, wie sie einem selbst und den Zeitgenossen eben völlig normal erscheinen.

«Am letzten Freitag vor dem Mittagessen ist mein Vater gekommen. Der Vater hat mich abgeholt. Ich durfte über das Pfingstfest nach Hause gehen. Ich anzog die Sonntagskleider. Mein Vater ass bei uns zu Mittag. Dann grüsste ich die Lehrerschaft. Dann gingen der Vater u. ich auf den Bahnhof. Der Vater kaufte ein Billet. Wir fuhren auf der Eisenbahn nach Niederglatt. Wir gingen in das Wirtshaus, u. tranken Wein u. assen Weggli. Dann sind wir zu Fuss nach Weyach gegangen. Der Vater sah meine Mutter auf dem Weinberg. Ich grüsste die Mutter. Die Mutter arbeitete auf dem Weinberg. Ich grüsste die Schwestern Elise u. Albertina. Sie waren auf der Strasse. Der Vater u. ich u. die Schwestern gingen in das Wohnhaus. Ich grüsste den Bruder Johannes. Der Vater u. ich assen Suppe u. Fleisch u. Kartoffeln u. Salat. Der Vater trank den rothen Wein. Dann hat der Vater aufgeladen auf den Wagen das Heu. Ich u. ein Mann rechten das Heu mit dem Rechen. Der Wagen fuhr in die Scheune. Dann hat ein Mann gefüttert das Vieh mit Gras. Dann haben die Eltern u. die Geschwister u. ich Kaffe getrunken u. haben geessen Bauernbrod.

Am Sonntag Morgen [gemeint ist der Samstagmorgen] backte die Mutter 3 Wähen. Die Eltern u. die Geschwister u. ich u. ein mann u. eine Frau assen die Wähen u. tranken Kaffe. Dann backte die Mutter Bauernbrod. Dann kämmte ich dem Johannes die Haare mit dem Kamm. Der Bruder Johannes u. die Schwester Elise gingen in die Schule bis um 10 Uhr. Die Frau ging auf den Weinberg. Die Frau arbeitete auf dem Weinberg. Ein Mann ablud das Heu in der Scheune. Dann fuhr ich in den Wald auf dem Wagen. Ein Mann trieb die Kühe an dem Wagen mit der Peitsche. Ein Mann stellte viele Stämme an den Wagen. Der Vater legte die Stämme auf den Wagen. Ich anzog den Rock des Vaters, weil es regnete. Dann gingen ich u. der Vater u. ein mann nach Hause. Wir assen Wähen u. Brod u. tranken den Wein. Der Mann warf die Stämme auf die Strasse. Ich u. der Mann trugen die Stämme. Der Vater sägte das Holz mit der Säge. Ich spaltete das Holz mit der Gertel. Der Mann mähte den Klee mit der Sense. Ich u. die Schwester Elise rechten den Klee mit dem Rechen. Der Mann u. der Bruder aufluden den Klee mit der Heugabel. Nach dem Mittagessen die Mutter u. die Frau gingen auf den Weinberg. Sie arbeiteten auf dem Weinberg bis um 5 Uhr. Der Vater u. der Mann u. der Bruder Johannes u. ich gingen in den Wald u. holten wieder Stämme. Die Mutter gab mir u. den Schwestern am Abend das Butterbrod. Ein Mann fütterte das Vieh mit Gras. Das Vieh frass gern das Gras. Meine Eltern u. meine Geschwister u. der Mann u. die Frau tranken später Kaffe u. assen Bauernbrod u. Kartoffeln.

Am Sonntag Morgens tranken meine Eltern u. meine Geschwister u. ein Mann den Kaffe u. assen Bauernbrod u. gebratene Kartoffeln. Ich trank die Milch auf dem Bett. Ich aufstand um 8 Uhr. Ich trank den Kaffe u. ass gebratene Kartoffeln u. Bauernbrod. Die Mutter wischte den Boden mit dem Besen. Der Vater u. der Mann barbierten den Bart mit dem Barbiermesser. Der Vater anzog die schwarzen Kleider. Der Mann anzog die Sonntagskleider. Mein Vater u. der Mann gingen in die Kirche. Sie kamen wieder um 10 Uhr. Die Geschwister u. ich anzogen die Sonntagskleider. Nach dem Mittagessen besuchten ich u. der Vater u. der Bruder die Frau Elisabetha Meierhofer. Ich u. der Bruder Johannes assen das Butterbrod mit Honig u. tranken Wein. Frau Meierhofer gab mir ein Geldstück. Der Vater u. ich u. der Bruder Johannes gingen nach Hause. Die Mutter u. die Geschwister u. ich gingen in die Kirche. Die Leute haben gesungen. Der Pfarrer predigte laut [Weiacher Pfarrer war zu dieser Zeit Pfr. Johannes Stünzi]. Nach der Kirche die Mutter gab mir u. den Geschwistern Aepfel u. Eier. Ich fütterte das Vieh mit Gras. Meine Eltern u. meine Geschwister u. ich tranken Kaffe u. assen Bauernbrod u. Kartoffeln.

Am Montag Morgens aufstanden wir um 6 Uhr. Wir tranken Kaffe u. assen gebratene Kartoffeln u. Bauernbrod. Der Vater wischt den Boden. Ich u. der Bruder schauckelten auf dem Brett. Nach dem Mittagessen sagte ich Adiö zu dem Vater u. den Geschwistern. Die Mutter u. ich gingen zu Fuss nach Bülach. Wir besuchten die Base. Wir assen Aepfel u. Fleisch u. Brod u. tranken Wein. Wir gingen in ein anderes Haus. Wir assen Bauernbrod u. tranken Wein. Wir gingen in den Garten an dem Wirtshaus. Die Mutter u. die Base tranken Wein u. assen Weggli. Ich ass auch Weggli. Ich trank nicht den Wein. Ich sagte Adiö zu der Mutter. Ich fuhr auf der Eisenbahn nach Zürich. Ich kam um halb 8 Uhr wieder in die Anstalt u. grüsste die Lehrerschaft u. die Zöglinge.»

Dem Speiseplan, in dem praktisch überall Kartoffeln vorkommen, kann man unschwer entnehmen, dass die Familie von Jakob Meyerhofer nicht zu den Wohlhabenden gehört hat. In seinen Aufzeichnungen, so Wyrsch-Ineichen, finde man denn auch keinerlei Beschreibung von teuren Reisen und anderen Aktivitäten, die man nur Internats-Zöglingen mit wohlbetuchten Eltern angedeihen lassen konnte. Dafür diese Zeitbilder aus einem einfachen Weiacher Bauernhaushalt.

Verwendete Quellen und weiterführende Literatur

  • Tagebücher 1871, 1873 und 1875/76 von Jakob Meyerhofer von Weiach (ZH), 1868-1876 Schüler an der Blinden- und Taubstummenanstalt Zürich. Mit einer Einleitung von G. Ringli und G. Wyrsch-Ineichen. Hrsg.: Kantonale Gehörlosenschule, Zürich 2004. Fundstelle: 1871 – S. 20-21.

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