Wissen Sie, was ein «Gschnurpf» ist? Das Wort kommt von «schnurpfe» und steht für «unsorgfältige, unsachgemässe, rasch hingeschmissene usw. Näharbeit oder Flickerei». (Quelle: berndeutsch.ch)
Die Bezeichnung «Schnurpfgotte» für die in früherer Zeit noch als Arbeitslehrerinnen benannte Berufsgruppe spricht also nicht gerade für hohe Wertschätzung der von ihnen vermittelten Fähigkeiten. Oder ist damit eher die mangelnde Leistungsbereitschaft der mit Nähen und Flicken zwangsbeglückten Mädchen gemeint?
Wie dem auch immer sei: Was diese Handarbeitslehrerinnen vor etwas mehr als einem Jahrhundert ihren Schützlingen beibringen mussten, das steht en détail und auf die einzelnen Ausbildungsjahre heruntergebrochen im Lehrplan für die Arbeitsschulen des Kantons Zürich vom 7. März 1894. Der hat in die kantonale Gesetzessammlung Eingang gefunden und ist heute unter der Signatur StAZH OS 23 (S. 463-468) elektronisch abrufbar.
Für die Qualitätssicherung sorgten übrigens auch lokale Kräfte. Die hiesige Arbeitslehrerin wurde nämlich von Vorläuferorganisationen des heutigen Frauenvereins Weiach unterstützt, ab 1908 Frauenverein der Arbeitschule Weiach genannt (vgl. WeiachBlog Nr. 1529 für dessen Statuten; darin Links auf weiterführende Beiträge).
Aus Gesundheitsrücksichten aus dem Schuldienst entlassen
Heute vor 100 Jahren hat eine Wachtablösung auf der Position der Weiacher Arbeitslehrerin im Protokoll der Zürcher Regierung ihren Niederschlag gefunden (RRB 1921/1621):
«Der Regierungsrat,
nach Entgegennahme eines Antrages der Erziehungsdirektion und des Erziehungsrates,
beschließt:
I. Anna Baumgartner, Arbeitslehrerin in Weiach, geboren 1858, die vom Erziehungsrat aus Gesundheitsrücksichten auf ihr Gesuch hin auf 30. April 1921 von ihrer Lehrstelle und aus dem zürcherischen Schuldienst entlassen wurde, erhält mit Rücksicht auf das Alter (62), die Zahl der Dienstjahre (37) und die Zahl der von ihr wöchentlich erteilten Unterrichtsstunden (12) ein jährliches Ruhegehalt von Fr. 1400, das vom 1. Mai 1921 an zur Ausrichtung gelangt.
II. Mitteilung an die Gesuchstellerin, die Schulpflege Weiach, sowie die Direktionen der Finanzen und des Erziehungswesens.»
Ob Anna Baumgartner eine gebürtige Weiacherin war, oder eingeheiratet hat und ob sie während ihrer ganzen Dienstzeit in Weiach tätig war, also von 1884 bis 1921, das müssen vertiefende Abklärungen (z.B. im Archiv der Primarschule Weiach) zu ergründen versuchen.
Ruhegehalt wurde regelmässig überprüft
Bekanntlich gibt es die AHV erst seit der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Das heisst also: hier hat der Staat dafür gesorgt, dass seine Lehrkräfte nach vielen Dienstjahren finanziell nicht ins Bodenlose fallen. Das vom Regierungsrat gesprochene Ruhegehalt war nämlich nicht etwa ein Einzelfall oder ein Almosen in einem besonderen Fall. Nein, da gab es eine gesetzliche Grundlage: die Verordnung betreffend die Leistungen des Staates für das Volksschulwesen vom 31. Juli 1906 (StAZH OS 27 (S. 455-475))
«§ 30. Lehrer, welche nach wenigstens dreißigjährigem Schuldienst aus Alters- oder Gesundheitsrücksichten mit Bewilligung des Erziehungsrates freiwillig in den Ruhestand treten, haben Anspruch auf einen lebenslänglichen, vom Staate zu verabreichenden Ruhegehalt, welcher wenigstens die Hälfte ihrer bisherigen Barbesoldung betragen soll (§ 313 des Unterrichtsgesetzes).»
Die Höhe dieses Ruhegehalts war nicht nur vom bisherigen Lohn abhängig, sondern auch von den Vermögensverhältnissen, weshalb immer im Einzelfall entschieden wurde. Und: nach jeweils drei Jahren wurde überprüft, ob die Voraussetzungen zur Auszahlung des Ruhegehalts noch gegeben waren. Das war also nicht eine Pension, die man so oder so hatte (wie heutzutage eine AHV-Rente).
Sind 1400 Franken viel Geld?
Das vom Regierungsrat genehmigte Ruhegehalt ist nach dem Historischen Lohnindex (HLI) von Swistoval in heutigen Geldwerten (Basis 2009) auf ca. 18350 Franken zu veranschlagen. Nach der Verordnung von 1906 müsste das also mehr als 50% des letzten Lohnes ausmachen.
In einer Novellierung dieser Verordnung betreffend die Leistungen des Staates für das Volksschulwesen vom 28. November 1913 (StAZH OS 29 (S. 649-673)) ist in § 20 der Mindestlohn festgelegt:
«Die Jahresbesoldung der Arbeitslehrerinnen beträgt für die wöchentliche Stunde mindestens Fr. 45.»
Dazu kam eine vom Dienstalter abhängige Zulage pro Wochenstunde. Bei mehr als 19 Dienstjahren hatte man den Plafonds von Fr. 30 erreicht. Mit anderen Worten: Anna Baumgartner verdiente also ab 1913 mindestens 900 Franken pro Jahr. Umgerechnet nach dem HLI sind das rund 29900 Franken Jahreslohn.
Dann kam der Erste Weltkrieg und mit ihm eine enorme Teuerung. Wie stark die war, das kann man erahnen, wenn man sich § 11 im Gesetz über die Leistungen des Staates für das Volksschulwesen und die Besoldungen der Lehrer (keine Verordnung mehr: jetzt also durch den Kantonsrat verabschiedet; vgl. StAZH OS 31 (S. 274-283)) vom 2. Februar 1919 ansieht:
«Die Arbeits- und Haushaltungslehrerinnen beziehen einen [sic!] Grundgehalt von 120 Fr. für die wöchentliche Jahresstunde. [...] Der Staat richtet den Arbeits- und Haushaltungslehrerinnen Dienstalterszulagen aus von 5–50 Fr., beginnend mit dem zweiten Dienstjahr und mit jährlicher Steigerung um 5 Fr. für die wöchentliche Jahresstunde.»
Im Jahre 1920 hatte Anna Baumgartner also einen Jahreslohn von 2040 Franken. Umgerechnet mit dem HLI ergibt das 31150 Franken. Das heisst: Ihr Ruhegehalt betrug gerade knapp unter 60% des letzten Lohnes. Grosse Sprünge konnte man da nicht mehr machen.
Quelle
- Arbeitslehrerin (Ruhegehalt). Regierungsratsbeschluss vom 21. Mai 1921. Signatur: StAZH MM 3.35 RRB 1921/1621
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen