Vor 1848 waren die Kantone noch weitgehend eigenständige Staaten. Kaiserstuhl war somit von Zürich aus gesehen Ausland. Das am Südufer des Rheins klebende Dreiecksstädtchen machte nach 1800 eine schwere Zeit durch (u.a. wegen dem Verlust praktisch des gesamten Gemeindegebietes, das auf dem Nordufer gelegen war und nun zum Grossherzogtum Baden gehörte).
Auch sonst lief in der auf Handelsverkehr spekulierend geplanten und 1255 von einem Adeligen-Konsortium gegründeten Stadt nicht mehr allzu viel, ja es kam sogar so weit, dass der Weiacher Ziegeleibetreiber in den 1820er-Jahren in der Stadt Häuser abzubrechen und aus den Steinen Kalk zu brennen begann.
Noch weniger Geld in der Stadtkasse?
Umso erboster war der Stadtrat daher, dass ein Raater Unternehmer auf die Idee gekommen war, Kaiserstuhl rechts liegenzulassen. Sie beschwerten sich bei ihrem Bezirkstatthalter in Zurzach, der die Klage seinem Amtskollegen auf Schloss Regensberg zukommen liess. Von dort gelangte sie an den Zürcher Regierungsrat, der sie am 26. Mai 1831 auf der Traktandenliste hatte (RRB 1831/0483):
«Das L. Oberamt Regensperg übermacht dem Regierungsrathe
- eine vom Oberamte Zurzach für den Stadtrath in Kaiserstuhl eingelegte Klage gegen Conrad Walder, Ladenhändler, von Raad der Gemeinde Stadel, daß er mit seinen aus dem Schwarzwalde bezogenen Laden den Ausladungsplatz von Kaiserstuhl übergehe und dieselben erst im sogenannten Griesgraben, der Gemeinde Weyach, auslade;
- sodann eine auf Aufforderung des Oberamtes Regensperg von Jacob Kunz von Raad, in deßen Auftrag der beklagte Conrad Walder handelt, eingegebene Beantwortungsschrift, in welcher derselbe die Prätension des Stadtrathes Kaiserstuhl, daß er Kunz oder der bey ihm angestellte Walder die Laden, die er aus dem Schwarzwalde beziehe, in Kaiserstuhl abladen und daselbst ein Stappelgeld bezahlen müße, bestreitet.
Der Regierungsrath übermacht diese Acten dem Finanzrathe zur Prüfung und Begutachtung.»
Bereits zu Brettern geschnittenes Holz aus dem Schwarzwald wurde also rheinaufwärts transportiert und am Standort des Weiacher Rheinhofs, wo der Griesgraben an den Rhein stösst, umgeladen.
Im Ortslexikon des Kantons Zürich von Friedrich Vogel aus dem Jahre 1835 hiess die Ansiedlung «Am Rhein» und umfasste zwei Wohngebäude. Auf der zwischen 1843 und 1851 entstandenen Topographischen Karte des Kantons Zürich, der sogenannten Wild-Karte (Bild unten), heisst der Hof «Griesgraben». Wie auch immer man ihn genannt hat: strassentechnisch ist er natürlich nicht ansatzweise so gut erschlossen wie das Städtchen.
Ausladen im Griesgraben aus Zürcher Sicht erlaubt
Der Finanzrat holte im Juni die nötigen Informationen ein, sodass der Regierungsrat bereits weniger als zwei Monate nach dem ersten Beschluss am 23. Juli 1831 einen zweiten fasste (RRB 1831/0804; vgl. Bild unten):
«Da im Monath May d. J. das L. Oberamt Regensberg der Regierung den Bericht erstattet hat, daß das Oberamt Zurzach Nahmens des Stadtrathes Kaiserstuhl eine Klage über Conrad Walder, Ladenhändler von Raat eingelegt, weil derselbe die in Kadelburg gekauften und Rheinaufwärts transportirten Bretter nicht an der Schifflände zu Kaiserstuhl, sondern in dem sogenannten Griesgraben zu Weyach auslade, so hat der Regierungsrath, nach Anhörung eines dießfalls von dem L. Finanzrathe mit Weisung d. d. 8. hujus [im aktuellen Monat; d.h. 8. Juli 1831] hinterbrachten Berichtes über die dießfalls vorgenommene nähere Untersuchung, woraus sich auch der wesentliche Umstand ergeben, daß der Walder die Entrichtung des Waßerzolles keineswegs in Widerspruch legt, hingegen das freye Ausladungsrecht in Anspruch nimmt, erkennt, da keine den freyen Paß und Handel hemmende Verträge zwischen den Ständen Zürich und Aargau rücksichtlich des Waarentransportes Rheinaufwärts bestehen, so seye auch kein Grund vorhanden, dem Walder die Ausladung im Griesgraben zu untersagen, wenn derselbe den Waßerzoll in Kaiserstuhl entrichte.»
Eines muss man der Zürcher Staatskanzlei lassen. Der hier Schreibende war Meister im Verfassen ellenlanger Sätze, in denen von der Vorgeschichte bis zum Fazit der berichterstattenden Verwaltungsstelle sämtliche Erwägungen Platz haben. Man bekommt kaum Luft vor lauter Kommata.
Der eigentliche Entscheid gibt den Ball dann wieder zurück in den Bezirk: «Hiervon wird dem Statthalteramte Regensberg mit dem Auftrage Kenntniß gegeben, dem Oberamt Zurzach in diesem Sinne Bescheid auf seine Beschwerde zu geben.»
Offenbar scheint der Aargauer Regierungsrat in der Folge entweder nicht angerufen worden zu sein, oder er hat es nicht für nötig angesehen, sich in dieser Angelegenheit mit den Zürcher Kollegen zu streiten. Das in der Nähe von Zurzach aufgeladene Holz aus deutschen Landen liess also kein Stapelgeld in die Kaiserstuhler Stadtkasse fliessen.
Unbekannt ist auch, ob in der Folge weitere findige Geschäftsleute den Umladeplatz Griesgraben genutzt haben. Wenn dem so war, dann müsste dort mindestens ein fester Steg errichtet worden sein. Sonst wird das mit dem Ausladen etwas gar mühsam.
Dass der Raater Holzhändler seine Laden ausgerechnet über den Verladepunkt Kadelburg zu sich holte, ist übrigens geschichtlich interessant, war doch Kadelburg eine der wenigen Gemeinden im heutigen Landkreis Waldshut, die nach der Reformation zum neuen Glauben wechselte und trotz Druck standhaft bei diesem Entscheid blieb, sodass auch immer wieder Kadelburger in Gemeinden des reformierten Zürich einheirateten (oder umgekehrt).
Quellen
- Beschwerde des Stadtrathes Kaiserstuhl gegen den Ladenhändler Conrad Walder von Raad der Gemeinde Stadel, wegen Übergehung des Ausladungsplatzes in Kaiserstuhl. Regierungsratsbeschluss vom 26. Mai 1831. S. 250-251. Signatur: StAZH MM 2.1 RRB 1831/0483
- Beschluß, betreffend die Beschwerde des Oberamtes Zurzach, daß Conrad Walder von Raat seine Rheinaufwärts geführten Laden zu Weyach und nicht zu Kaiserstuhl auslade. Regierungsratsbeschluss vom 23. Juli 1831. S. 279-280. Signatur: StAZH MM 2.2 RRB 1831/0804
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