Sonntag, 17. September 2023

Dreiste Politiker – ein Glücksfall?

«Frächheit gwünnt!», sagte sich der Hochadelige Lütold VII., Freiherr von Regensberg, im Jahre 1254 und wies seine Leute an, innerhalb des neu definierten Stadtbezirks von Kaiserstuhl von einem dort bereits vorher bestehenden Landwirtschaftsbetrieb die Steuern einzukassieren. 

Mit dem Städtegründen hatten die Regensberger in dieser Zeit Erfahrung: Glanzenberg an der Limmat, Kaiserstuhl am Rhein und eben Regensberg auf dem Lägernsporn – alles hauseigene Projekte und alle im gleichen Jahrzehnt durchgezogen.

Das Problem: Lütold hatte damit einem anderen in die Tasche gegriffen. Und das war dann auch noch ausgerechnet eine derjenigen Institutionen, zu deren Schutz sich sein Haus verpflichtet hatte: das Kloster St. Blasien im Schwarzwald.

Selbstbedienungsladen?

Was die Position als Schirmvogt oder Kastvogt «beim Adel so begehrt machte, war die Möglichkeit, über deren Kompetenzen die Wirtschaft der reichen Klöster und Stifte zu kontrollieren sowie (z.B. bei Abtwahlen) auf die Klosterpolitik Einfluss zu nehmen. Die Klöster versuchten auf verschiedenen Wegen, sich vor Übergriffen des Adels zu sichern: Sie fixierten vertraglich die jährlichen Einkünfte des Vogts und seinen Teil an Gerichtsbussen und Konfiskationen.» (Quelle: e-HLS Kastvogtei)

Diese Art von Machtmissbrauch, der Versuch, sich auf Kosten des Beschirmten Rechte zuzuschanzen, war also keineswegs ein Einzelfall. Damit war Lütold beim Abt von St. Blasien allerdings an den Falschen geraten. Spätestens als dessen Leute bei oben erwähntem Landwirt die Steuern eintreiben wollten, hat sich der natürlich gewehrt (wer will schon doppelt Steuern zahlen), womit die Sache aufgeflogen ist.

Zur Rückzahlung verpflichtet

«Gaats no???», empörte sich der Abt und reichte beim Bischof von Konstanz eine Klage ein. Worauf das bischöfliche Schiedsgericht den Freiherrn Lütold zur Rückzahlung von zwei Jahren widerrechtlich bezogenen Steuern verdonnerte.

Im von Karl Schib vorbereiteten und durch Paul Kläui finalisierten Aargauer Urkundenbuch Bd. XIII über die Urkunden im Stadtarchiv Kaiserstuhl liest sich das in der geschichtlichen Einleitung wie folgt:

«Freiherr Lütold VI. von Regensberg hat von etwa 1254 an das Städtchen errichtet und die Gründung jedenfalls bis zum Herbst 1255 zu einem entscheidenden Abschluß gebracht. Dabei hatte er keine Rücksicht auf die dort liegenden Güter des Klosters St. Blasien, dessen Vogt er war, genommen und mußte vom Bischof von Konstanz zur Wiedergutmachung gezwungen werden.» (Kläui 1955, S. 9)

Die Lütold-Zählung VII. (vgl. den ersten Absatz des Artikels) stammt von der Kaiserstuhl-Expertin Franziska Wenzinger Plüss (e-HLS-Artikel Kaiserstuhl) sowie von Johann Wilhelm Braun (Bearbeiter Urkundenbuch des Klosters Sankt Blasien im Schwarzwald v. 2003, S. 463 u. 471) und entspricht dem aktuellen Forschungsstand. Das nur der Vollständigkeit halber. Ob es Lütold VI. oder sein Sohn Lütold VII. war, das spielt für die Zwecke dieses Beitrags keine Rolle.

Datierungstechnisch eine Punktlandung

Was damals schriftliche Unterlagen zu einem Gerichtsverfahren hat entstehen lassen, das ist für heutige Historiker ein Glücksfall. Weil wir nämlich sonst nicht fast aufs Jahr genau sagen könnten, wann das Hochadeligen-Konsortium, bestehend aus den Freiherren von Kaiserstuhl (mit Sitz auf dem heutigen Schloss Röteln am Nordufer, Gde. Hohentengen am Hochrhein) und der mit ihnen verwandten Freiherren von Wart und eben den Regensbergern, sich angeschickt hat, die auffällige Dreiecksform der Umfassungsmauer des Städtchens an die Rheinhalde bauen zu lassen. Sonst wäre es wie beim Kaiserstuhler Rheinübergang, von dem wir nicht so genau wissen, wann dort die erste Brücke errichtet worden ist.

Fazit: Manchmal sind dreiste Abzocker in Führungspositionen und ein daraus entstehendes Gerichtsverfahren nach Jahrhunderten doch noch ganz nützlich. Hätte der Herr Adelige nämlich reumütig und auf erste Aufforderung die zu Unrecht kassierten Einkünfte dem Kloster übergeben lassen, dann wäre spätestens nach ein paar Jahrzehnten Gras über die Sache gewachsen. Hat er nicht. Und deshalb sind die Prozessunterlagen sorgfältig aufbewahrt worden, falls wieder einer auf die Idee komme, diese Masche durchziehen zu wollen.

Kaiserstuhl belastet die natürlichen Ressourcen

Für die Weiacher war diese Gründung nicht unbedingt ein Glücksfall. Für sie bedeutete die Entscheidung der Adelsfamilien, mit dem Bau von Kaiserstuhl den Versuch zu wagen, die Handelsströme dort durchzuleiten, nämlich, dass sie nun ihre Weidegebiete nördlich des Dorfes und im Hasli mit den Kaiserstuhlern teilen mussten. Das mag Mitte des 13. Jahrhunderts noch kein Problem gewesen sein. Spätestens im 16. Jahrhundert war es aber durch den Bevölkerungsdruck eines geworden.

Das Kalkül der Adeligen war nämlich nicht aufgegangen. Bereits 1267 gerieten die Regensberger in einen erbitterten Kleinkrieg (sog. Regensbergerfehde) mit der Stadt Zürich und ihrem Verbündeten, dem Grafen Rudolf von Habsburg, denen diese Städtegründungen überhaupt nicht gefielen. Von diesem Kampf erholten sich die Regensberger nie mehr. Und auch ihre Allianzpartner (die von Kaiserstuhl und von Wart) mussten die Segel streichen und ihre Besitztümer verscherbeln. 

So ging Weiach 1295 an den Fürstbischof von Konstanz, der damals gerade seine Territorialherrschaft ausbaute. Damit fungierte Kaiserstuhl zwar zwischen 1294 und 1798 als lokales Verwaltungszentrum. Doch aus dem von den Gründern erhofften grossen Reibach dank Handelsverkehrsaufkommen wurde nichts. Was letztlich der Grund dafür ist, dass die Kaiserstuhler – von wenigen Ausnahmen abgesehen – nur dank einer Erwerbskombination aus Handwerk und Kleinlandwirtschaft überleben konnten. Und die ging zu Lasten der Fisibacher, Hohentengemer und Weiacher (vgl. den Weidgangsstreit von 1594, AU XIII Nr. 287; WeiachBlog Nr. 1353, Stand 2019).

Keine Kommentare: