Sonntag, 14. August 2016

Mehr «Vereinsmeierei»! Ansprache zur Bundesfeier von Béatrice Wertli

Aussergewöhnlich. Mit diesem Prädikat kann man die diesjährige Ansprache zum 1. August in Weiach am besten charakterisieren. Sie ist es gleich in mehrfacher Hinsicht.

Frauenpower

Zum einen stand - wohl erst zum zweiten Mal - eine Frau am Rednerpult. Politikerinnen sind in Weiach so selten wie Einhörner. Es gibt sie schlicht nicht. Zumindest im Gemeinderat hat noch nie eine Frau Einsitz genommen. Frauen gibt es nur in der Kirchenpflege oder der Schulpflege.

CVP

Zum zweiten ist die Festrednerin für eine Partei tätig, welche in hiesiger Gemeinde gemessen an den Wahlresultaten eine verschwindend kleine Rolle spielt. Und die ist in den letzten Jahren sogar noch kleiner geworden, zumindest wenn die Resultate der Nationalratswahlen herangezogen werden: 2003 waren es 4.5%, 2007 4.7%, 2011 3.7% und 2015 erfolgte ein Einbruch auf lediglich 2.0%.

Bundesbern

Drittens ist der Umstand ungewöhnlich, dass ein schweizweit bekannter Chefbeamter der Bundesverwaltung den Anlass mit seiner Anwesenheit beehrt. Stefan Meierhans, der Ehemann der Festrednerin, führt als «Monsieur Prix» zwar nur ein ganz kleines «Bundesamt» (25 Mitarbeiter), seine Medienpräsenz ist dafür umso grösser.

Social Media

Viertens ist es für Weiach ein Novum, dass Personen des öffentlichen Lebens über einen Anlass in Echtzeit twittern und gegenseitig aufeinander Bezug nehmen. Einige Muster dieser öffentlichen Konversation auf Social Media sowie Bilder, die via Twitter gepostet wurden illustrieren diesen Beitrag.

Originalton

Und fünftens ist es für WeiachBlog das erste Mal, dass die abgedruckten Reden dem tatsächlich Gesprochenen entsprechen. Bislang habe ich die mir von den Rednern zugesandten Texte (auf Wunsch redigiert) abgedruckt. Auch wenn da schwarz auf weiss «Es gilt das gesprochene Wort» drüberstand (wie bei Regierungsrat Kägi im Jahre 2007). Dem Umstand, dass ich selbst zugegen war und die Erlaubnis für Tonaufnahmen erhalten habe, ist es geschuldet, dass diese unten abgedruckten Reden des Gemeindepräsidenten und der Festrednerin ein wortgetreues Transkript sind - lediglich allfällige Äähs wurden weggelassen. Bei Frau Wertli entspricht alles dem Originalton.

Nun aber medias in res! Es sei lediglich noch darauf hingewiesen, dass auch dieses Jahr die Reden im Dialekt gehalten, zwecks grösserer Reichweite und besserer Lesbarkeit aber in Hochdeutsch transkribiert wurden. Bemerkungen in eckigen Klammern beziehen sich auf Reaktionen aus dem Publikum. Auf Zwischentitel als redaktionelle Zugaben von WeiachBlog wurde verzichtet, dafür wurden aus Sicht der Redaktion prägende Sätze und Stichworte fett gesetzt.


Es folgt die Kurzansprache des Gemeindepräsidenten (rechts im Bild):

«Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger! Geschätzte Einwohnerinnen und Einwohner! Liebe Gäste!

Ganz speziell willkommen heissen möchte ich Frau Beatrice Wertli, Generalsekretärin CVP Schweiz und Herr Stefan Meierhans, Eidgenössischer Preisüberwacher.

Als Gemeindepräsident heisse ich Sie ganz herzlich willkommen zur 1.-August-Feier.

Sie, liebe Anwesende, haben sich heute Abend hier zusammengefunden, um zusammen den Geburtstag der Schweiz zu feiern. Wir besinnen uns auf das, was uns eint, nämlich Schweizer zu sein oder in der Schweiz zuhause zu sein. Ganz unabhängig davon, was das für jeden von uns persönlich genau bedeuten mag. Wir besinnen uns heute Abend auf das was uns einigt und nicht das, was uns trennt, sei es politisch, sei es beruflich, sei es in der Art und Weise wie wir das Leben leben. Es freut mich sehr, dass wir heute Abend Gelegenheit haben, uns gemeinsam Gedanken zu den Werten zu machen, Werte, die unser Vaterland seit mehr als 7 Jahrhunderten zusammenhalten. Wir feiern heute den 1. August, den Nationalfeiertag der Schweiz, wir denken an unsere Heimat, an das Gründungsjahr der Alten Eidgenossenschaft im 1291, die allerdings noch keine Demokratie gewesen ist, sondern unterteilt in Herrschaft und Untertanengebiet, wo nicht alle Menschen in Freiheit gelebt haben. Freiheit und Demokratie kann leider auch im Jahre 2016 noch nicht weltweit erlebt werden.

Sicher gibt es Dutzende Gründe warum sie heute da sind. Sie geniessen die vertraute Gesellschaft und den feierlichen Anlass, sie schätzen die Tradition oder sind sogar Mitglied in einem der zahlreichen Vereine im Dorf. Oder sie sind einfach nur neugierig wie diese Feier heute hier abläuft und besuchen sie zum ersten Mal. Vielleicht sind Sie sogar extra wegen der Gastrednerin gekommen.

Je vielfältiger die Antworten auch ausfallen, desto offensichtlicher ist es, dass da Menschen mit unterschiedlichsten Hintergründen und Meinungen zusammenfinden, um friedlich den 1. August zu feiern. Auf das können und sollten wir stolz sein. Diese Vielfalt ist typisch für unser Land. Ich finde es eine schöne Tradition, dass unsere Gemeinde jedes Jahr Rednerinnen und Redner mit unterschiedlichsten Hintergründen und Meinungen zu uns einlädt und es erfüllt mich mit Stolz, dass wir heute in diesem Jahr mit Béatrice Wertli die Generalsekretärin der CVP Schweiz in Weiach begrüssen dürfen.
»


«Bevor wir aber Béatrice Wertli ganz offiziell begrüssen und ihr das Wort übergeben, lassen Sie mich noch zwei, drei Sachen zum weiteren Programm sagen. Direkt im Anschluss an meine kurze Ansprache singen wir gemeinsam die Nationalhymne. Nach der Nationalhymne – es ist übrigens die alte Version, also keine Angst, Sie singen nicht die neuste Version – freuen wir uns auf den Auftritt unserer Gastrednerin.

Nach der Ansprache unserer Gastrednerin Béatrice Wertli wird uns die Band Country Stew musikalisch unterhalten und um zehn Uhr wird das Höhenfeuer entfacht. Für diejenigen, die Feuerwerk mitgebracht haben noch eine Bitte seitens der Organisatoren. Es ist auf der Wiese unten zulässig, Feuerwerk zu zünden, es hat auch extra ein Brett, auf dem Vulkane gezündet werden können. Wir appellieren einfach an die entsprechende Sicherheit und Sorgfalt im Umgang mit dem Feuerwerk.

Nun wünsche ich, liebe Festgemeinde, einen ganz schönen Abend, geselliges Beisammensein und ganz viele gute Gespräche. Besten Dank!
»


Dem Applaus für die einleitenden Worte folgte programmgemäss die Nationalhymne. Auch der herkömmliche Text ist den meisten nicht geläufig, so dass es gut war, dass die vier Strophen auf den Tischen gedruckt bereitlagen (vgl. WeiachBlog-Beitrag vom 1. August mit dem Bild von Stefan Meierhans im Nachtrag).

Gemeindepräsident Arnold: «Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, heissen Sie nun mit mir Béatrice Wertli im schönen Züri-Unterland ganz herzlich willkommen!» [Applaus]

Festansprache von Béatrice Wertli, Generalsekretärin CVP Schweiz

«Sehr geehrter Herr Gemeindepräsident, lieber Stefan,
liebe Mitglieder der Gemeindsbehörden,
liebe Weiacher, meine Damen und Herren, liebe Kinder!

Habe ich noch selten erlebt, so einen Tanz zur Schweizer Nationalhymne, habt ihr super gemacht. Ich habe selber zwei Kinder, die sind sechs und sieben Jahre alt und hätten wohl etwa dasselbe gemacht heute Abend – schön, dass ich heute hier sein darf.

1985 war es – im Hallenbad Telli in Aarau. Ein 8-jähriges blondes Mädchen stand am Bassin-Rand und schaute denen zu, die im Bassin schwammen. Lange hat es zugeschaut und plötzlich den langen Mann der am Bassinrand stand, gefragt: "Was muss ich machen, damit ich da mitschwimmen darf?" Und der lange Mann sagte: "Spring einmal hinein und schwimm zwei Längen – dann wollen wir schauen". Das habe ich getan. Denn das blonde Mädchen war ich. Und seither war ich Aarefischli, ein Mitglied des Schwimmclubs Aarefisch. Was hat der Schwimmclub Aarefisch mit meiner Einladung heute Abend nach Weiach zu tun? Gehen wir dem einmal auf den Grund.

Nach sechs Jahren im Schwimmclub Aarefisch – unterdessen war ich etwa 15 Jahre alt – habe ich gemerkt, dass ich im Schwimmen zwar motiviert, aber leistungsmässig eher durchschnittlich geblieben war. Also habe ich neue Sachen gesucht und einen neuer Sport hat sich damals wie eine Welle in die Schweiz und sogar bis nach Aarau ausgebreitet: und zwar Triathlon. Man hat das am Anfang den Sport der Spinner genannt. Das sind nämlich die, welche zuerst Schwimmen gehen, dann auf ein Velo sitzen – immer noch im Badkleid – und nachher noch umherrennen, wohl weil sie kalt hatten. Schwimmen, Radfahren, Laufen. Und diese drei Bewegungsarten kannte ich alle und so habe ich 1991 an meinem ersten Triathlon mitgemacht. Es war ein "Plausch-Triathlon" in Aarau, organisiert von "Aarau eusi gsund Stadt". Ich lieh mir das Velo eines Kollegen aus, weil ich kein eigenes hatte, machte den Plauschtriathlon mit und dachte mir: "Jetzt machst Du gleich noch einen!" Weil es so toll war, startete deshalb bei den Jugend-Schweizermeisterschaften in Spiez. Dort gewann ich prompt eine Medaille - was nicht so schwierig war, da wir nur etwa drei waren in meiner Kategorie
[Heiterkeit]. Ich habe danach stolz den Titel als Schweizer Meisterin in der Jugendkategorie Triathlon getragen. Und der dritte Triathlon, den ich dann gemacht habe in meinem Leben, waren die Jugend-Europameisterschaften in Holland. Ich musste wieder ein Velo ausleihen, das war dann nicht mehr so gross wie das bei den Schweizermeisterschaften, dafür war das Badekleid der Schweizer Nationalmannschaft viel zu gross. Ich musste das dann hinten mit einer Sicherheitsnadel zusammenstecken, was bei Frauen etwas problematisch ist, wenn es zu gross ist, aber es hat irgendwie geklappt. Jedenfalls wurde ich Teil der Junioren-Nationalmannschaft bei SwissTri, habe tolle Typen kennengelernt, Frauen, Männer und einer von den Jungs war der "Nöldi". Ein Typ, der mich beeindruckte, weil er bereits einen eigenen Sponsor hatte, und zwar "Stimorol" (dä Chätschgummi).

Und dieser "Nöldi" von damals ist heute Euer Gemeindepräsident, Stefan Arnold.
[Heiterkeit] So haben wir uns kennengelernt, beide im Badkleid, aber eben aus sportlichen Gründen. Wir haben dann zusammen viele Laufkilometer absolviert; ich durfte damals ins Trainingslager der Junioren mit nach Bagnoles, wo wir ganz viel trainiert haben – auch [Heiterkeit] – und so habe ich den Stefan Arnold kennengelernt.

Vielen Dank, Nöldi, für die Einladung. Schön, dass wir nach all den Jahren wieder eine neue Disziplin entdeckt haben, die uns zusammengeführt hat. Heute machen wir einen Vierkampf: Familie – Beruf – Sport – Politik. Danke Weiach, für die Einladung zum 1. August (ihr wisst nicht worauf ihr euch da eingelassen habt), zur Geburtstagsfeier unseres Landes, unserer Schweiz.



Und was ist unsere Schweiz?

Die Schweiz ist ein Erfolgsmodell. Uns geht es in diesem Land gut. Es gibt unzählige Statistiken, welche dies immer wieder belegen. Wir haben Lebensqualität, wir haben eine ganz tiefe Arbeitslosigkeit, wir haben gutes Einkommen, wir haben Sicherheit, die Schweiz ist wirtschaftlich erfolgreich.

Die Schweiz ist gescheit! Wir haben ein gutes Bildungssystem, bei uns können alle in die Schule. Und alle, die in die Schule gegangen sind, können sich weiterbilden –nach der Lehre und während der Lehre. Wir haben einen guten Arbeitsmarkt, wo die Leute auch eine Arbeit finden.

Die Schweiz ist sicher – und das ist gerade in der heutigen Zeit ein ganz, ganz wichtiger Wert, wo sich viele Menschen unsicher fühlen. Wir sind einerseits sicher gegen äussere Feinde, aber auch abgesichert gegen die sozialen Risiken: Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Alter. Die innere und äussere Sicherheit sind eine der Grundlagen für das Wohlbefinden unserer Bevölkerung.

Und ich kann ihnen sagen, ich habe heute eine Tour gemacht von Aarau, wo meine Eltern wohnen und unsere Kinder heute Abend sind, bin von Aarau hierher gefahren. Wir haben uns irgendwie durch dieses Baden durchgemurkst – und sind ganz woanders durchgekommen, als wir gedacht haben – sind dann über Land gefahren und ich habe zu meinem Mann immer wieder gesagt: "Lueg, das isch der Aargau". Der Aargau hat einen schlechteren Ruf als was er ist – zumindest im Kanton Zürich.
[Heiterkeit] – Für viele, die die Schweiz nicht kennen oder die das erste Mal in der Schweiz sind ist das fast wie ein Film, es ist fast nicht wahr – und für uns ist das der Alltag. Die Sicherheit, die Schönheit, überall ist es grün – und dann komme ich nach Weiach und alle Leute mit denen ich im Dorf heute Abend bis jetzt zu tun hatte, sind sehr freundlich gewesen mit mir – bis jetzt [Heiterkeit] – das ist das Gefühl, das uns die Schweiz gibt.

Die Schweiz ist demokratisch! Unsere direkte Demokratie ist einmalig. Wie nirgends auf der Welt können wir Stimmbürger und Stimmbürgerinnen mitentscheiden, wie es laufen soll mit unserem Land. Und ich habe früher im Ausland gearbeitet bei Internationalen Organisationen, habe Freunde gehabt aus dem Ausland, England, Australien, und wenn ich denen jeweils erklärt habe, worüber wir hier abstimmen, haben die gedacht, wir sind nicht ganz normal: "Möchten Sie mehr Kehrichtsackgebühren zahlen, Ja oder Nein?" - "Wollen Sie sechs Wochen Ferien oder fünf? Ja oder Nein?" - Bis hin zu komplizierten Fragen, die zum Teil selbst diejenigen, die sie geschrieben haben, offenbar nicht ganz verstehen
[Heiterkeit] - Wir werden sehr viel gefragt, was wir meinen.

Fakt ist, dass sich meistens weniger als die Hälfte derjenigen Leute, die abstimmen könnten in unserem Land, auch wirklich bis zur Urne bewegen oder eine Briefmarke finden in der Schublade. Es gehen meines Erachtens zu wenige Leute abstimmen!!! Zu wenige Leute beteiligen sich dort, wo ganz, ganz ein wichtiger Wert unserer Schweiz zu finden ist. Warum ist das so? Ist es Bequemlichkeit? So schwierig es ja nicht, man bekommt die Unterlagen ja nach Hause geschickt, man muss es nicht einmal bestellen, dieses Couvert.

Tatsache ist, dass wir ein Milizsystem haben, dass also – das habe ich grad vorhin diskutieren dürfen mit Ihren Behördenmitgliedern – dass diejenigen Leute bei uns Politik machen, die noch im wirklichen Leben stehen mit dem anderen Fuss, vielleicht ausgenommen Regierungsräte und Bundesräte, das ist klar, dass die hauptberuflich Politik machen sollen. Aber sonst haben wir ein Milizsystem, das heisst, die Leute haben einen Beruf, kommen aus dem Leben und machen daneben Politik.

Unsere Exekutiven (Gemeinderat, Regierungsrat, Bundesrat), die müssen das umsetzen, was das Volk beschliesst und das heisst – ich schaue jetzt mal zu diesen Exekutivmitgliedern hinüber – auch oft, Kompromisse zu finden, man muss sich am Schluss irgendwo einig sein, über Parteigrenzen hinweg, über andere Grenzen hinweg. Und das ist anspruchsvoll, es verlangt einen grossen Einsatz, das ist ganz ein wichtiger Wert und wir dürfen stolz sein, dass uns das immer und immer wieder gelingt.

Wir müssen wachsam sein, kritisch sein, damit wir nicht stehenbleiben, müssen aber auch sehen, was sich weiterentwickelt, was gut ist und was nicht. Das heisst aber nicht, dass wir die Schweiz und alles wir in der Schweiz haben, schlechtreden dürfen. Und in dem Job in dem ich tätig bin fällt mir häufig auf, dass das Leute immer wieder machen, dass sie das Schlechte suchen, dass sie schauen wo sind Gefahren, ob das dann wirklich Gefahren sind oder nicht, ob das wirklich die grössten Probleme sind oder nicht. Auf komplizierte Fragen mit ganz simplen Antworten kommen und so auch ein Klima schüren in der Schweiz, das ich nicht gut finde.

Stolz sein heisst nicht, dass man gleichzeitig Angst machen muss! Wir können es uns nämlich nicht leisten, dass wir die Schweiz schlecht reden und dass wir uns noch weitere Sorgen machen als die, die wir schon haben. Die grössten Herausforderungen sind meines Erachtens in unserem Landes und unserer Gesellschaft und von uns allen sind die, dass wir die Renten sichern können, dass wir auch morgen noch wissen, dass die Altersvorsorge sicher ist, dass wir die Migration und die Herausforderungen, die sie bringt, bewältigen können, Arbeitsplätze sichern können und auch unseren Platz in Europa festigen können. Wir wollen nicht in die Europäische Union, wir wollen ein eigenständiges Land, aber wir müssen wissen wo unser Land ist.

Dann müssen wir ein wenig neu verhandeln. Wir haben die Einwanderungsinitiative angenommen, was uns jetzt vor Herausforderungen stellt, aber wir dürfen es uns nicht verspielen mit Europa. Stolz auf das Land sein, das wir sind, aber auch wissen, dass wir angewiesen sind auf die anderen Länder und auf das Ausland. Weil sonst haben wir eine Unsicherheit, eine Rechtsunsicherheit, die auch kleine Unternehmen und die grossen betrifft. Jeden zweiten Franken verdienen wir im Ausland und müssen deshalb ein gutes Verhältnis haben. Ich bin der Meinung, wir müssen die bilaterale Situation, die Bilateralen Verträge weiterhin sichern, damit wir Arbeitsplätze und den Wohlstand im Land bewahren können. Und wir dürfen nicht zulassen, dass man die Schweiz schlechtredet – nicht von aussen und auch nicht von innen.

Wir leben nämlich wirklich in einem der schönsten Länder dieses Planeten – ich habe es vorhin erwähnt, die schöne Fahrt hierher nach Weiach aber auch nach Mürren im Berner Oberland, wo wir unsere Ferienwohnung haben – ich weiss nicht, wie viele Fotos pro Tag geknipst werden von irgendwelchen Leuten die dorthin kommen und dieses Land anschauen, fast wie wenn es eine Spieldose wäre – aber es ist eben echt. Und es ist gut. Wir leben in einem der schönsten Länder auf diesem Planet, aber wir haben eine Verantwortung gegenüber unseren Kindern, den kommenden Generationen, dass dieses Land so schön bleibt, wie es ist.

Herausforderungen müssen wir meistern, ich habe es erwähnt: Altersvorsorge sichern, Arbeitsplätze sichern, Migration und ihre Herausforderungen.

Migration und die Herausforderungen die sie bringt, die fordert uns. Das ist das Thema Nummer 1 auf dem Sorgenbarometer – seit Jahren! Wir haben Sportler und Models mit Namen Džemaili, Xhaka, Wawrinka, Tchoumitcheva und haben uns irgendwie an diese Namen gewöhnt. In unseren Gemeinden, in den Schulen, am Arbeitsplatz und im Freizeitbereich braucht es aber noch Anstrengungen, damit diejenigen, die es nötig haben, bei ihrer Integration unterstützt werden können.

Gleichzeitig müssen wir in der Integration aber auch klare Forderungen stellen: die Sprache müssen alle beherrschen, die Werte leben und unsere Kultur kennen, bis zur 1. August-Feier in Weiach. Den Handschlag zu verweigern ist ein "No Go" und zur Schulpflicht gehört auch, dass man am Schwimmunterricht teilnimmt und ins Skilager geht. Das sind unsere Werte! Wir bieten viel, wir dürfen etwas fordern – und wir sollen die unterstützen, die da auch mitmachen wollen.

Es gibt wahrscheinlich kein Wundermittel, keine Sofort-Medizin wie man diese Integration, die Migration bewältigen kann.

Es gibt aber ein Instrument, welches viele von diesen Herausforderungen anpackt und positiv beeinflusst. Es gibt nämlich noch einen wichtigen, weiteren Faktor von diesem Erfolgsmodell Schweiz:

Die Schweiz ist ein Vereinsland! Ein Land mit einem enormen Kapital an gesellschaftlichem Engagement! Das wird oft vergessen. Es ist der Trumpf-Buur, den wir stärken müssen und noch viel häufiger spielen müssen.

Als ich gesehen habe, wie viele Vereine in Weiach engagiert sind, die auch heute Abend mitgeholfen haben, dass diese Feier so toll unterwegs ist – es klappt bis zum letzten Detail, habe ich echt Freude gehabt.

Die Schweiz ist ein Vereinsland. Und das ist ganz viel wert. Es gehört nämlich zu unserer Kultur. Es gehört auch zu Weiach: vom Turnverein zur Pfadi, über den Schützenverein zum Singkreis – das ist Tradition, das sind Werte, das ist meine Schweiz.

Das sage ich als eine, die im Schwimmclub Aarefisch hat gross werden dürfen, und im Blauring Aarau erlebt hat, was eben Vereinsleben ist. Es ist ein Kapital, das wir haben und es ist Gold wert – tonnenweise Gold wert. Wisst Ihr wie viel Wert eigentlich dieses gesellschaftliche Freiwilligen-Engagement in der Schweiz hat? Es sind 20 Milliarden Franken pro Jahr, weil jeder und jede von uns praktisch seinen Beitrag leistet in einem Verein, in einer Partei, in einem Pflegeheim, in der Familie. Das Freiwilligen-Engagement ist etwas vom Wichtigsten, das unser Land besitzt.

Aber – insgesamt ist dieses Freiwilligen-Engagement in den letzten Jahre zurückgegangen und vor allem bei der Generation der 18- bis 35-jährigen. Das ist eine Tatsache und das ist etwas was mir selber Sorgen macht. Einerseits weil ich selber in Vereinen gross werden durfte, aber auch darum weil ich in meinem Job, in der Parteiarbeit natürlich darauf angewiesen bin, dass sich Leute engagieren in der Politik. Die Mitwirkung in der Partei, das gesellschaftliche Engagement speziell in der Partei war für mich immer die Möglichkeit, dort etwas zu bewirken wo die Rahmenbedingungen ungenügend sind, seien das Familienangebote in der Stadt, Sicherung, Sicherheit auf dem Schulweg oder Sportinfrastruktur; Politik fängt vor der Haustüre an und ich kann mir manchmal gar nicht erklären warum sich die Leute nicht darum reissen, mitzumachen. Es muss nicht zwingend in meiner Partei sei, das wäre natürlich der Idealfall
[Heiterkeit]. Aber wie vorhin jemand an meinem Tisch gesagt hat: "Mich ärgern die, die sagen: mich stört das, wir haben keinen Nachtbus in mein Dorf, man sollte den Verkehr, die Quartierstrasse verkehrsberuhigen und wir zahlen zu hohe Abfallsackgebühren – und dann nichts machen!". Das sind genau die Fragen, die man, indem man sich engagiert, eben auch lösen kann. Das wäre jetzt Engagement in einer Partei. Also grundsätzlich ist Engagement in einem Verein deshalb gut für die, die mitmachen aber auch für die ganze Gemeinschaft.

Es ist aber auch so, dass viele Vereine Mühe haben, eben Nachwuchs zu generieren, vor allem in der Agglomeration und den Städten. In der Generation der 18- bis 35-Jährigen, der sogenannten Generation Y, hapert es. Und ich glaube, es ist ein bisschen das Phänomen einer Gesellschaft in der man sich nicht mehr verpflichten will, die sogenannte "No-commitment-Generation": "Ich bin ein bisschen dabei, aber nicht richtig"! Und diesen Trend, den müssen wir umkehren. Wir müssen irgendwie die Jungen wieder wegbringen vom Pokémon und vom iPhone
[Heiterkeit] und hin in einen anderen Bereich und es muss auch nicht zwingend nur die Partei sein – aber auch. Unsere Vereinskultur, das Freiwilligen-Engagement, das Engagement für unsere Gesellschaft heisst Integration, heisst Gesundheitsprävention, heisst Gewaltprävention – gerade in Zeiten, wo Sicherheit ein grosses und ein wichtiges Thema ist. Wo sind unsere Leute, wo finden wir uns zusammen?

Und ich glaube es gibt drei Wege, die wir beschreiten müssen, um eben den Trend umzukehren, und das gesellschaftliche und Freiwilligen-Engagement in der Schweiz hochleben zu lassen und zu stärken.

Das erste ist: Vereine stärken! Das setzt meistens an bei der Infrastruktur. In der Stadt Bern zum Beispiel haben wir zu wenig Wasser, zu wenig Rasen und zu wenig Eis, so dass die kleinen Hockeyspieler bereits am Morgen um halb sieben trainieren gehen müssen, weil sie sonst keinen Platz haben auf dem Eis. Also: geben wir den Vereinen die notwendige Infrastruktur, die sie brauchen. Das ist eine Frage, die die Gemeinden lösen können.

Das zweite – und ich glaube das ist ein ganz wichtiger Punkt – Akzeptanz schaffen in der Arbeitswelt. Ich habe auf jeden Fall noch nie ein Stelleninserat gelesen, wo drin gestanden ist: „Manager gesucht mit gesellschaftlichem Engagement“. Ich glaube in der Arbeitswelt wird wirklich erwartet, dass man 150% da ist und Gas gibt für die Firma und den Job bei dem man ist. Viele von uns sind schon sehr gefordert, wenn wir versuchen, Arbeit im Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen. Zusätzliches Engagement liegt dann einfach nicht mehr drin. Auf jeden Fall habe ich schon sehr oft erfahren, dass, wenn wir Kandidatinnen und Kandidaten gesucht haben oder auch Leute, die eine Charge im Verein übernehmen würden, dass sie abgesagt haben – und zwar nicht, weil es sie nicht interessiert hätte – sondern schlicht aus Mangel an Zeit.

Aber wir haben ein Milizsystem und wir sind ein Vereinsland. Und die Firmen und Arbeitgeber in der Schweiz müssen sich dazu bekennen und wissen, dass sie damit einen Beitrag leisten zur Zukunft unseres Landes – auch zur wirtschaftlichen Zukunft unseres Landes! Freiwilliges Engagement sollte eigentlich eine Zusatzqualifikation sein im Arbeitsleben.

Und das Dritte, der dritte Punkt ist: Es braucht Vorbilder, auf englisch: role models. Der Chef, der selber noch in der Turnhalle steht und die Handball-Juniorinnen trainiert; eine Vorgesetzte, die im Elternrat sitzt oder der leitende Angestellte, der für den Kantonsrat kandidiert – sie alle! Das sind Vorbilder und haben eine Wirkung auf die anderen Mitarbeitenden und auf die Firmenkultur.

Und das ist unser Auftrag! Und ich weiss, dass da drin ganz viele solche Vorbilder sitzen, die selber in einem Verein tätig sind und die am Abend statt die Füsse hochzulagern eben noch in die Turnhalle gehen, oder noch einmal die Kasse anschauen, weil sie verantwortlich sind für die Finanzen eines Vereins: Ihr macht das super! Und das ist die Schweiz. Und das müssen wir stärken. Das ist unser Auftrag – das wünsche ich mir zum 1. August, und zwar sozusagen als Geburtstagsgeschenk für unsere Schweiz.

Stärken wir unsere Schweiz als Vereinsland: Vereinsmeierei als neuer Slogan für unsere Schweiz! Und interessant ist, wenn man ins Bundeshaus hineinkommt, man oben das Motto sieht, beim Wappen, dort steht: "Einer für alle, alle für einen." – Dieser Slogan, das ist das was man lebt in einem Verein und ich glaube, den können wir stärken und den müssen wir stärken.

In diesem Sinne danke ich euch allen, liebe Weiacherinnen, liebe Weiacher, lieber Nöldi speziell, für die Einladung und die Gelegenheit, dass ich hier in Weiach sein darf. Ich habe einen Zipfel der Schweiz kennengelernt, den ich glaub erst einmal gesehen habe, als ich mich mit dem Velo verfahren hatte
[Heiterkeit]. Das kann ich eigentlich für sämtliche Gebiete hier sagen.

Sie, ihr, ich – wir alle zusammen, wir können tagtäglich etwas für das Erfolgsmodell Schweiz tun, wir können es stärken und wir können es weitertragen! Vielen, vielen Dank für Euer Engagement, das ihr tagtäglich leistet! Danke für die Einladung – einen superschönen Abend, ich komme gern wieder. Merci villmol!
» [Applaus]

Ein Pocket-Böögg als Präsent

Gemeindepräsident Arnold: «So, geschätzte Gäste, ich bin froh, dass jetzt alle wissen, dass wir uns in Badehosen kennengelernt haben. [Heiterkeit] Spass beiseite – ich möchte an dieser Stelle Béatrice Wertli ganz herzlich danken, dass sie heute vorbeigekommen ist. Es ist nicht selbstverständlich, dass eine Person aus der Politik, aus Bundesbern, nach Weiach reist und die Ansprache hält.

Wir würden gern zwei Präsente übergeben, das erste ist ein Blumenstrauss
[Applaus] – und dann haben wir noch etwas Zweites – und zwar ist das ein sogenannter Pocket-Böögg. Zu einem Traditionsanlass gehört auch ein Traditionsgeschenk und das ist ein Böögg, den man – wir kennen ihn vom Sechseläuten auf dem Sechseläutenplatz – den kann man zuhause auf der Terrasse aufbauen, den kann man auch anzünden und dann «chlöpft» er am Schluss [Heiterkeit]. Es soll ihr einfach ein bisschen Zürich mitgegeben werden auf den Heimweg nach Bern.» [Heiterkeit, Applaus]


«Das wäre es gewesen von Seiten Ansprachen – ich übergebe gern der Musik, danke vielmals und einen ganz schönen Abend –– Entschuldigung, ich habe noch etwas. Jetzt wollte ich es etwas schnell machen, tut mir leid.

Also, den ersten Dank habe ich ausgesprochen. Der zweite Dank ist das, was Béatrice Wertli auch schon bereits erwähnt hat, mit den Vereinen. Ich möchte auch ganz herzlich der Männerriege danken für die Organisation des heutigen Anlasses. Ohne einen solchen Verein wären wir nicht in der Lage ein solch schönes Fest zu feiern. Also ganz herzlichen Dank für's Organisieren.[Applaus] Ebenfalls danken möchte ich allen die ich jetzt namentlich nicht erwähnen konnte. Es gibt immer wieder ganz viele nebst den Vereinen, die hinter den Kulissen auch ihren Beitrag leisten, auch denen ganz herzlichen Dank.

So, das ist es jetzt wirklich gewesen von meiner Seite. Ich wünsche Ihnen einen ganz schönen Abend, geniesst es und habt gute Gespräche miteinander. Danke vielmal für's Vorbeikommen!»

Kommentar zur Rede von Béatrice Wertli

Die Rednerin hat sich wirklich gut geschlagen. Sie hat ihren persönlichen Werdegang, ihre berufliche Praxis und ihre Lebenserfahrungen zu einer staatsmännischen Rede verwoben.

Die Ansprache kommt ganz ohne gelehrte Verweise aus. So ist zum Beispiel das Motto unter der Bundeshauskuppel in lateinischer Sprache geschrieben - und bevorzugt damit in unserem offiziell viersprachigen Land keine Sprachgruppe. Das kann man erwähnen. Muss man aber nicht - es wirkt wohl besser an einem solchen Anlass. Das sind ja nicht alles Hobby-Historiker.

Mit den persönlichen Bezügen und etlichen gut verpackten Seitenhieben ist es ihr auch gelungen, spontane Heiterkeit zu erzeugen, was bei einer staatstragenden Rede nicht unbedingt Standard ist. Der Hinweis auf Abstimmungen zu «komplizierten Fragen, die zum Teil selbst diejenigen, die sie geschrieben haben, offenbar nicht ganz verstehen» nimmt Bezug auf politische Ereignisse der jüngeren Zeit und ist wohl auf die eidgenössische Volksabstimmung zum Bedingungslosen Grundeinkommen gemünzt, wo sich der Wortführer der Initianten selber wenig überzeugt von der Vorlage gezeigt hat. Die Lacher, die Wertli geerntet hat, sprechen für die Qualität der Rede.

Die staatstragende Grundhaltung zeigt sich vor allem im gut verpackten Grundthema der Rede - mit dem postulierten neuen Motto von der Rednerin selber scherzhaft «Vereinsmeierei» genannt. Die Forderung, dies solle der neue Slogan der Schweiz werden, ist zwar fast Wasser in den Rhein getragen. Und trotzdem muss man immer wieder auf diese Grundlage unserer Willensnation hinweisen. Wertli hat am eigenen Beispiel aufgezeigt, wie Vereine wirken. Nämlich durch ihre Menschen vernetzende, den Diskurs tragende Institutionen.

Natürlich sind nicht alle Vereine staatstragend in diesem Sinne. Aber es ist auch aus historischer Sicht richtig, darauf hinzuweisen, dass es ohne die Tätigkeit vieler Vereine in diesem Land nicht dazu gekommen wäre, dass die Schweiz heute das ist, was sie ist. Ohne die Schützengesellschaften und ihre das Zusammengehörigkeitsgefühl fördernden Schützenfeste - um nur ein Beispiel zu nennen - hätte der lockere Staatenbund an mehreren historischen Bruchstellen eine andere Richtung eingeschlagen. Ja, es gäbe die Schweiz womöglich überhaupt nicht mehr.

Auch die Nationalhymne mit dem Text des reformierten Zürchers Leonhard Widmer zu einer Melodie eines römisch-katholischen Urners (Alberik Zwyssig) wäre ohne einen Verein (den «Unterhaltungszirkel zur Biene») wohl nie entstanden. Der 1840 entstandene Urtext des Schweizerpsalms ist Ausdruck der Sehnsucht nach einem geeinten Land, die kurz vor der - nach einem Bürgerkrieg erfolgten - Gründung des Bundesstaates seine Wortform gefunden hat (Details vgl. Wikipedia-Artikel zu Leonhard Widmer).

Zum Abschluss sei noch erwähnt, dass dieser WeiachBlog-Beitrag die Nr. 1291 trägt - passend zum offiziell immer wieder erwähnten «Gründungsjahr» der Eidgenossenschaft.

Ansprachen früherer Jahre
  • Regierungsrat Markus Kägi zum 1. August 2007
  • EVP-Bezirkspräsident Daniel Elsener zum 1. August 2008
  • Kantonsrätin Barbara Steinemann zum 1. August 2009
  • Gemeindepräsident Paul Willi zum 1. August 2010
  • Gemeinderat Thomas Steinmann zum 1. August 2011
  • 2012er-Rede ausgefallen (vorgesehen war NR Natalie Rickli)
  • Heinz Eberhard, VRP Weiacher Kies AG zum 1. August 2013
  • Nationalrat Ernst Schibli zum 1. August 2014
  • Gemeinderat Thomas Steinmann zum 1. August 2015



  • Nachtrag vom 15. August 2016

    Wenige Stunden nach Veröffentlichung folgt - wie könnte es anders sein bei einer Social-Media-versierten Politikerin - der Tweet zu diesem Beitrag, vgl. https://twitter.com/bwertli/status/765192899202023424

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