Wie der Titel schon sagt, enthält dieses Blatt einen bunten Strauss an für die Leser der Limmatstadt interessanten Themen. Eine kritische Würdigung dieser Publikation gibt ein Artikel im Wochenblatt für die vier löblichen Kantone, Ury, Schwytz, Unterwalden und Zug vom 21. Juni 1817.
Auf S. 66 der Mai-Ausgabe 1752 findet sich die folgende, mit «P.S.» eingeleitete Kurznotiz:
«Den 30. Mey ward in dem Emdinger Wald ein Burger von Zürich, Namens Heinrich Kambli, von einem Strassenräuber, der dato in Baden soll gefangen seyn, erschossen. Mehrere Umständ darvon sollen in dem Nächsten Monat nachgebracht werden.»
Das dauerte dann doch etwas länger. In der Ausgabe Heumonat M DCC LII, also derjenigen über den Juli 1752, ist auf den Seiten 79-91 ein längerer Beitrag mit dem Titel «Merkwürdigkeiten von Räubern und Strolchen-Gesind» abgedruckt, der sich wie der Ermittlungsbericht einer Kriminalpolizei-Behörde liest.
In diesem Fall stammt er offenbar aus der Kanzlei des Landvogtes der Gemeinen Herrschaft Baden, die in diesen Jahren von den Siegern des Zweiten Villmergerkriegs von 1712 geführt wurde, d.h. im Wesentlichen von Zürich und Bern. Im Jahre 1752 war ein Berner Patrizier aus dem Geschlecht der von Grafenried als Landvogt im Amt.
Verbrecherbanden treiben im In- und Ausland ihr Unwesen
Der vom Herausgeber vorangestellte Text referiert zuerst die Ausgangslage, nämlich Verunsicherung der Bevölkerung durch mehrere dreiste Raubmorde und etliche Diebstähle:
«Man hat seit geraumer Zeit von allerhand Diebs-Geschichten, wie aussert Lands, also in der Schweiz, so viel gehört, daß wann man alles erzehlen wollte, man nicht wüßte, wo anzufangen, wo zu enden; Wobey es dennoch auch vielfaltig an zuverläßigen Nachrichten gemangelt.»
Als Reaktion auf diese Taten wurden gezielte Verhaftungsaktionen vorgenommen, sogenannte Bettel-Jagden, bei denen die Festgenommenen erkennungsdienstlich behandelt und (sofern nicht zur Fahndung ausgeschrieben) ins Ausland abgeschoben wurden. Weiter wurden die Wachen verstärkt und gesetzgeberische Massnahmen ergriffen, die das Untertauchen dieser zwielichtigen Gestalten verhindern oder doch zumindest erschweren sollten. Landvogt von Grafenried hatte eigens ein Mandat für die Grafschaft Baden erlassen, dessen Bestimmungen Ziegler zitiert und dann fortfährt:
«So nothwendig dergleichen Vorsorgen sind, so klug und vortrefflich sind sie, zumal ohne Zweifel vielem Unheil dadurch vorgebogen werden kan. Doch bleibt es auch dießfalls bey dem Ausspruch des Psalmisten: Wannn [sic!] der Herr die Stadt (und einen jeden Menschen) nicht behütet, so wachet der Wächter umsonst.»
Mord im Endinger Wald
«Ein bey Anlaß des leztern Zurzacher Pfingst-Markts geschehener Mord ist davon ein Beweißthum. Der allererste von Baden hierüber erhaltene Bericht lautet von Wort zu Wort also:»
[Ab hier ist also der Wortlaut der Kanzlei der Gemeinen Herrschaft Baden wiedergegeben]
«Den 1. Brachm. [Juni] um den Mittag bekame Tit. [ein Platzhalter für Titulatur; hier würden alle Ehrentitel des Erwähnten folgen] Herr Landvogt in Baden die Nachricht, daß in dem Emdinger Wald eine Manns-Person tod zur Erden lige. Diese unvermuthete Zeitung [damals das Wort für Nachricht] bewoge Hoch-Denselben alsobald, den Herrn Graffschaffts-Untervogt samt dem Medico und Chirurgo abzuordnen, sich eilends an den bedeuteten Ort hinzubegeben, um ein Visum repertum einzuhollen, da dann nach eingenommenem Augenschein, und Zufolg der hinter dem entseelten gefundenen Schrifften, sich dieses geäussert hat, daß es Heinrich Kambli, Burger von Zürich seye, der mit einem Knaben von Weyach auf Zurzach, und von daselbst auf Baden zureisen Willens gewesen.»
Der Landvogt hat also drei Beamte aus seiner Verwaltung an den Fundort im Endinger Wald abkommandiert, die dort die kriminaltechnische Spurensicherung vornehmen mussten. Ein Visum repertum ist gemäss Brockhaus von 1841 ein Obduktionsbericht.
Dilettantische Ausführung. Weyacher hatte grosses Glück
Der Ermordete, ein Zürcher Bürger namens Heinrich Kambli, hatte auf seiner Reise über Zurzach nach Baden einen aus Weyach stammenden Gehilfen bei sich, der namentlich (möglicherweise aus Zeugenschutzgründen) nicht genannt wird, aber als Augenzeuge von grosser Bedeutung gewesen ist, wie man nachstehend sieht:
«Unterwegs am Fuß Zurzacher Bergs sind zwey fremde Kerls zu ihnen gestossen, deren der einte mit ihnen bis auf Emdingen in das so genante Wirthshaus zur Bettlerweid gegangen, der andere aber dorthin nachgekommen; allwo der Kambli nach Aussag des Wirths, eine halbe Maaß Wein begehrt, die er mit dem Knaben, der ihme den Rok [Jacke, vgl. den früheren Begriff «Waffenrock» für die Uniformjacke in der Schweizer Armee] getragen, aussert dem Haus, der andere Kerl, der mit ihnen kommen, 2 Schoppen nach einander unter der Hausthür, der lezte aber, der nachkommen, einen Schoppen darinnen im Haus getrunken, worauf alle 3 und der Knab den Weg weiter fortgesezt haben bis in den Emdinger-Wald, allwo, ungefehr in der Mitte desselben, besagter Knab, des Kamblis Rok auf der Schulter tragend, und voraus gehend, einen Schuß gehört, zurukschauend aber gesehen, daß Kambli etliche Schritte auf die Seite gesprungen, den Degen gezogen, zugelich aber zu Boden gefallen seye, und sich nicht mehr gereget habe, der von Statur längere habe den Schuß gethan, und einen grossen Sekel mit Geldt dem Todten aus dem Hosensak genommen, und seye schnell darvon geloffen, überdas habe der einte von diesen beyden ihm Knaben den Rok vom Arm genommen, und ihne durchsucht, darinn aber nichts als Schrifften gefunden, die er dann weggeworfen; Und solches ist die Erzehlung dieses Knaben.»
Der abgegebene Schuss muss Kambli gemäss dieser Zeugenaussage schwer verletzt und kurz darauf getötet haben. Der wohl noch jüngere und ledige Weyacher ist jedoch aufgrund der dilettantischen Ausführung dieses Raubmordes mit dem Leben davongekommen und wurde dadurch zu einem der beiden Kronzeugen im nachfolgenden Verfahren gegen den Haupttäter.
Was der Tote bei sich trug
Nachfolgend die kriminaltechnische Beschreibung der bei Kamblis Leiche vorgefundenen Gegenstände:
«Bey dem entseelten Körper fande man noch den Degen von Composition linker Seiten nebet ihm ligen, beyde Handschuh an den Händen, auf dem Leib zwey Hemder von Leinwand, zwüschen welchen ein lederner Sekel, darinn 133 neue Louis-d'ors gefunden worden, fehrner ware noch vorhanden, ein silber bordierter Hut, silberne Schuh-Schnallen, ein Stok mit Gmünder Silber beschlagen, inden Säken ware befindllich ein Sak-Kalender, (in welchem NB. dieseres unter anderm soll marquiert gewesen seyn; "Damit man wüsse, wer ich seye, so heisse ich Heinrich Kambli, bin Burger zu Zürich, habe so und so viel an Duplonen bey mir sc. Gott bewahre mich vor einem grossen Unglük.") Ferner eine Tabak-Tosen du Papier maché, eine Schild-Krottene, silberne, und möschene Dito, ein hölzern Trüklein, darin 3 Ring und 2 verguldte Medaillen, mehr ein Culant von Silber samt Ohren-Gehäng, auch ein Bürdelein Schlüssel, welche wie die Schrifften weisen, zu Coffres, die er an einem Ort ligen hatte, dienen mögen, ein Schermesser, samt andern Kleinigkeiten, nebst einigen Schillingen Münz.»
Man sieht hier deutlich, dass die Täter wohl spontan und überstürzt vorgegangen sind. Sonst hätten sie die 133 Goldmünzen auf dem Körper des Opfers gefunden und an sich genommen. Aber da war halt noch der Begleiter aus Weiach, den die Täter am Leben liessen. Deshalb musste es wohl schnell gehen.
Ein Bremgartner Wirt als Mitglied einer internationalen Räuberbande
Die nachfolgenden Ermittlungen ergaben Erstaunliches. Der Täter war nicht etwa ein Kriminaltourist:
«Man hatte bald genugsame Merkmahle, daß der Thäter seye Joseph Simoneng, von Giromeni aus dem Obern Elsaß gebürtig, seiner Profession ein Sekler, seit ein Par Jahren aber Adler-Wirth zu Bremgarten. Er ist deßwegen aufgesucht, im Canton Bern festgemacht, und zu Schenkenberg eingestekt, von dannen aber den 17. Brachmonat Abend um halb fünf Uhr wol verwahret gen Baden geliefert worden.
Zur Verwillkommung ward ihm der spannische Mantel angelegt, welcher also aussihet; er hat zwey Band jedes einer Hand breit, und ungefehr eines halben Zolls dik, eines um den Leib, das ander um den Hals, welche beyde hinten mit Ringgen, dardurch ein diker Stab gestossen, mit Schlossen verwahrt, darzu noch an Händen und Füssen geschlossen.
Als Dienstags darauf ihm sollte zu Mittag gebracht werden, hatte er alle Band entzwey, wie auch den Stab, mit welchem er schon ein grosses Loch in der Thüren gemacht.»
Dieser Ausbruchsversuch führte dazu, dass man den dringend der Tat Verdächtigen mit einem grossen Polizeiaufgebot bewachen und auf dem Weg aus dem Kerker zur peinlichen Befragung und zurück begleiten liess.
Peinliche Befragung
Simoneng wurde unter der Folter befragt, leugnete aber alles, selbst als er mit seinem Lehrling und Verwandten konfrontiert wurde. Dem waren die Gaunereien seines Chefs schon lange nicht mehr geheuer und er war offenbar froh, dass alles endlich ans Tageslicht kam. Als Mittäter wurde ein Berner namens Christian Schaller, von Beruf Schreiner und ca. 25-jährig identifziert, der in Zurzach arbeitete und nach der Tat dort nicht mehr auftauchte.
Die nachfolgenden Seiten lesen sich wie ein Fahndungsjournal mit Pseudonymen, Signalementen und Beschreibung der diesen Personen zugeschriebenen Taten sowie ihrem mutmasslichen Aufenthaltsort.
Nach den Erkenntnissen der Ermittlungsbehörden gehörten Simoneng und Schaller zu einer 32-köpfigen Bande von Männern und Frauen aus halb Europa, deren Chef ein aus der Provence stammender Schuhmacher sei. Darunter auch ein sich als Adeliger ausgebender Hochstapler, der aber seit einem Jahr auf eigene Rechnung arbeite und Geschäftsleute und hochgestellte Personen ausnehme (vgl. Nr. 12 auf S. 84).
Einige der zu dieser Bande gehörenden Personen hätten zu einer noch grösseren 58-köpfigen Bande gehört, deren Anführer mit dem Spitznamen Grand Louis bereits früher gefasst und in Bremgarten hingerichtet worden war. Dann folgen sämtliche Beschreibungen all derjenigen Personen, die diesem Verbund zugeordnet wurden.
Exekution in Baden
Anschliessend an die kaum endenwollende Liste findet sich die Exekutionsmeldung:
«Dienstags den 8. Augstmonat ist der gewesne Adlerwirth von Bremgarten wegen seiner an dem Glaser Kambli begangenen Mordthat und anderen Uebelthaten zu Baden im Aergäu durch das Rad vom Leben zum Tod hingerichtet worden, daß er den Herzstoß zuerst bekommen.»
Aus diesen letzten Worten kann man entnehmen, dass die mit Juli bezeichnete Ausgabe anscheinend erst gegen Mitte August erschienen sein kann. Sonst hätte man den Hinrichtungstag und den Ablauf der Exekution nicht schon beschreiben können.
Quelle
- Ziegler, J. K. (Hrsg.): Monatliche Nachrichten einicher Merkwürdigkeiten, in Zürich gesammlet, und herausgegeben, vom Jahre MDCCLII. [Hier: Heumonat MDCCLII, Zürich 1752] – S. 79-91 (Weyach erwähnt auf S. 80).
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