Mittwoch, 27. Mai 2020

Der Zollinger'sche Heumonat – dem Klimawandel geschuldet?

«Wissen Sie, welcher Monat mit dem Heumonat gemeint ist?» Mit dieser Frage beginnt der meistgeklickte Beitrag auf WeiachBlog: die Nr. 459 mit dem Titel «Alte Monatsnamen».

Nach Johann Heinrich Bluntschlis zweiter Auflage des Zürcher Lexikons «Memorabilia Tigurina» von 1711 wird der Juli im allgemeinen Sprachgebrauch seiner Zeit als «Heumonat» bezeichnet.

Der «Zedler», das zwischen 1731 und 1754 in Halle und Leipzig gedruckte Universallexikon des 18. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum par excellence, sieht dies genauso (Total ca. 63'000 Seiten in 64 Bänden, vgl. Artikel in Band 24 über das Neuamt in WeiachBlog Nr. 9).

Und auch aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert gibt es Belege für die offizielle Bezeichnung des Juli als Heumonat (vgl. WeiachBlog Nr. 819 für eine Urteils-Publikation über einen Weiacher Bürger im Amtsblatt des Kantons Zürich in der zweiten Jahreshälfte 1868).

Das sei so, doziert die Wikipedia, weil «im Juli die erste Heu-Mahd eingebracht wird».

Juni: der «eigentliche Heumonat»

Walter Zollinger, ab 1919 Primarschullehrer in Weiach und dieser Gemeinde bis Mitte der 1960er-Jahre treu, war da etwas anderer Meinung, wie man seinen Jahreschroniken entnehmen kann. Wenn Sie die Wetterartikel der letzten Jahre gelesen haben, dann ist Ihnen vielleicht aufgefallen, dass Zollinger in diesen Typoskripten für die Nachwelt (vgl. WeiachBlog Nr. 761) nicht den Juli, sondern den Juni als Heumonat bezeichnet.

Bereits im zweiten Band über das Jahr 1954 findet man die Formulierung «Der ganze Juni, seines Zeichens doch der "Heumonat"» (G-Ch Weiach 1954, S. 2). Was damit gemeint war erläutert die übernächste Chronik: «Der Juni, als eigentlicher Heumonat für unsere Bauern» (G-Ch Weiach 1956, vgl. WeiachBlog Nr. 220).

Diese Umdeutung nimmt Zollinger in der Folge immer selbstverständlicher vor – allerdings lediglich in seinen Jahreschroniken, die ja überhaupt erst ein Vierteljahrhundert nach Ablieferung in der Zürcher Zentralbibliothek von Dritten gelesen werden konnten.

So in der Jahreschronik 1961: «Juni. Die ersten zwei Wochen des sogenannten Heumonates [...]» (WeiachBlog Nr. 1013) oder noch kürzer: «Juni. "Heumonat"!» (G-Ch Weiach 1962, WeiachBlog Nr. 1107). Im Jahr darauf verwendet der Chronist nicht einmal mehr Anführungszeichen: «Juni: Der Heumonat lässt sich gut an [...]» (WeiachBlog Nr. 1140).

1964 schliesslich wird der Heuet in der Zollinger'schen Jahreschronik bereits im Monat Mai erwähnt.

Auswirkung eines Klimawandels?

Dieselben Beobachtungen macht der Schreibende im 21. Jahrhundert auf seinem eigenen Betrieb. Selbst auf Höhenstufen, die weit über den in Weiach anzutreffenden liegen (900-1000 Meter über Meer) wird das erste Heu regelmässig bereits im Mai eingebracht. Den ersten Schnitt im Juni oder gar Juli erfahren in der Regel nur noch Wiesen, die sogenannte Ökoqualitätsbeiträge im Rahmen der Direktzahlungen von Bund und Kanton auslösen können. Sonst wird wesentlich früher gemäht. Bei Fettwiesen stehen im Verlauf des Jahres noch drei bis fünf weitere Schnitte an.

Da stellt sich dann doch die Frage, ob das nur so ist, weil die heutigen Landwirtschaftsbetriebe für das Raufutter in der Regel über Heubelüftungen verfügen und daher Futter einbringen können, das auf dem Heustock noch nachtrocknen muss. Eine solche Praktik hätte in früheren Zeiten unweigerlich zu Heustocküberhitzung und daraus entstehenden Bränden geführt.

Oder hat es tatsächlich (auch) damit zu tun, dass wir uns immer weiter von der kleinen Eiszeit entfernen? Die hat ja vom Anfang des 15. bis ins 19. Jahrhundert hinein gedauert. Das damals relativ kühle Klima hat sicher auch dazu beigetragen, dass erst der Juli der Heumonat war. Und nicht schon der Juni (wie bei Zollinger die Regel) – oder gar der Mai (wie das heutzutage festgestellt werden kann).

[Veröffentlicht am 28. Mai 2020 um 00:38 MESZ]

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