Wie schwer es die Zürcher getroffen hat, das zeigt die folgende Passage aus der 3. Auflage der Memorabilia Tigurina von 1742:
«An. 1628 und folgendem Jahr erzeigten sich gar schwere Sterbens-Läuff in den Eydgenössischen Landen, dardurch in der Stadt und Landschafft Zürich über 7000 Personen gestorben.» (S. 446)
Dass dieser Aderlass ein beträchtlicher war, kann man erahnen, wenn man einem Beitrag von Meinrad Suter im Historischen Lexikon der Schweiz das Folgende entnimmt:
«Das nach den spätmittelalterlichen Krisen einsetzende Wachstum dauerte bis um 1570. Damals zählte der Kanton rund 80'000 Einwohner. Die erneute Verknappung der Nahrungsmittel und klimabedingte Missernten bis 1590 sowie die Pestzüge von 1611, 1629 und 1635 führten zu starken Bevölkerungschwankungen [sic!] mit Verlusten bis zu 40% und insgesamt zur Stagnation.»
Im Amt seuchenbedingt verstorben ist u.a. Pfarrer Nummer 70 nach der Weiacher Pfarrerzählung (WPZ). Die WPZ ist eine konsolidierte Liste nach allen verfügbaren Quellen, die sämtliche namentlich bekannten Seelsorger ab 1520 verzeichnet, d.h. inklusive Kaplane nach katholischem Ritus vor der Reformation.
Ein Leben zwischen Bodensee und Toggenburg
Nummer 70, das war Hans Jakob Böschenstein. Fast alles, was wir über ihn wissen, findet man in geraffter Form im «Zürcher Pfarrerbuch 1519-1952» von Dejung/Wuhrmann, erschienen 1953:
«Böschenstein, Hans Jakob, von Stein a. Rh. (+1629). Ord. 1598, schon 1595 Pfr. in Mogelsberg (Toggenburg), 1600 in Mammern, 1606 in Helfenschwil, 1612 in Wattwil, dann in Lichtensteig (Toggenburg), wo er wegen seiner Aussprache nicht beliebt war. Er kam 1624 als Diakon nach Bülach, 1628 als Pfr. nach Weiach, starb an der Pest.
Lit.: H. G. Sulzberger, Evang. Geistliche des Kts. Thurgau, 1863, S. 131.»
Wann dieser Mann geboren wurde, wissen wir leider nicht. Es dürfte aber vor 1575 gewesen sein, denn in der Regel musste man schon über 20 Jahre alt sein, um als Pfarrer arbeiten zu können. Zumal bei der offiziellen Ordination, die er im Jahre 1598 in Zürich erhielt. Weshalb Böschenstein im bereits fortgeschrittenen Alter in den Zürcher Herrschaftsbereich wechselte, ist bisher nicht geklärt. Es ist gut möglich, dass dieser Umzug nicht ganz freiwillig erfolgt ist.
Was Sulzberger und Boesch berichten
Die im Pfarrerbuch zuletzt genannte Literaturstelle in H[uldreich] Gustav Sulzbergers Verzeichnis der reformierten Pfarrer des Thurgaus ist unter der Pfarrei Mammern eingereiht und lautet wie folgt:
In Paul Boeschs Beitrag von 1932 über die Beziehungen des Toggenburgs zu Zürich finden sich weitere Hinweise auf diesen Pfarrer:
«Hans Jakob Böschenstein von Stein am Rhein, in Zürich examiniert 1598; im gleichen Jahr nach Mogelsberg, 1606 nach Helfenschwil, 1607 nach Mammern, 1612 nach Wattwil; bis 1624.»
Da es sich hierbei um ein «Verzeichnis der evangelischen Geistlichen, die im 16. Jahrhundert von Zürich ins Toggenburg kamen» handelt, ist nur das Jahr des Wegzugs aus dem Toggenburg vermerkt. Man beachte, dass Boesch die Zeit Böschensteins in Mammern nach der Pfarrei in Helfenschwil einordnet und nicht vorher (wie Sulzberger und das Zürcher Pfarrerbuch).
Wattwil und Lichtensteig wurden vom gleichen Pfarrer betreut
Auf S. 340 bringt Boesch einen weiteren Hinweis auf Böschenstein. Er steht im Zusammenhang mit dem Skandal-Pfarrer Zacharias Schörli (der nach seiner Ordination im Jahr 1589 für einige Monate Weiacher Pfarrer war, siehe WPZ 62). Schörli wurde 1612 Pfarrer von Mogelsberg (also ein Amtsnachfolger Böschensteins, der dort ab 1595 als Pfarrer gearbeitet hatte, vgl. oben). Boeschs Fussnote 97 erwähnt, dass «Pfarrer Böschenstein in Wattwil» in einem Schreiben vom 25. Juni 1615 an die Zürcher über das als skandalös empfundene Verhalten Schörlis informiert habe.
Daraus könnte man nun ableiten, dass Böschenstein frühestens im Herbst 1615 nach Lichtensteig gewechselt habe, einem Engagement, das nur von Dejung/Wuhrmann explizit erwähnt wird. Ebenfalls bei Boesch findet man aber auf S. 319 den Hinweis, dass Böschensteins Vorgänger Conrad Emisegger, der am 14. September 1611 an der Pest starb, «seinen beiden Gemeinden Wattwil und Lichtensteig» während 36 Jahren und 7 Monaten treu gedient habe. Wattwil war also wohl der Amtssitz des reformierten Pfarrers und Lichtensteig wurde von dort aus mitbetreut.
Verloren gegangene Chronik
Böschenstein hat sich offenbar in grösserem Umfang als Chronist betätigt. Seine diesbezüglichen Arbeiten sind aber gemäss Boesch nicht im Original erhalten. Wir kennen sie nur indirekt, indem der Toggenburger Chronist des 18. Jahrhunderts, Hans Jacob Ambühl (1699-1773), Schulmeister in Wattwil, im 2. Band seiner «Schauplatz Helvetisch und Eidgnössischen Geschichten etc.» betitelten Chronik mehrfach Auszüge aus Böschensteins Arbeit bringe, so beispielsweise ein Schmachgedicht in 18 Strophen über das Jahr 1599 (vgl. Boesch a.a.O., S. 326-327).
Er scheint auch sonst ein Mann gewesen zu sein, der Aufzeichnungen einen hohen Wert beimass. Er war es nämlich, der das Tauf- und Ehebuch der evangelisch-reformierten Kirchgemeinde Wattwil begründete. Gemäss einer Festschrift von 1998 beginnt dieses Verzeichnis bereits im Jahre 1611. Also im Jahr vor dem offiziell vermeldeten Amtsantritt, vgl. oben. Interessant ist, dass erst sein Nachfolger Adam Kübler ab 1624 das Wattwiler Sterbebuch führte.
Mehrmals verheiratet
Pfarrer Böschenstein dürfte mindestens zweimal verheiratet gewesen sein.
Aus der Ehedatenbank des Staatsarchivs des Kantons Zürich geht hervor, dass ein Herr Hans Jakob Böschenstein am 21. November 1611 im Zürcher Grossmünster mit einer Barbara Sprüngli getraut wurde (EDB 1045; StAZH TAI 1.737; StadtAZH VIII.C. 3). Diese Frau muss wenige Jahre später gestorben sein (vielleicht an Kindbettfieber).
Im Online-Archivkatalog des Staatsarchiv des Kantons St. Gallen wird nämlich eine «Barbara Frei (1617) Gemahlin des Pfarrers Hans Jakob Böschenstein in Wattwil» erwähnt.
Quellen und Literatur
- Sulzberger, H. G.: Biographisches Verzeichniss der Geistlichen aller evangelischen Gemeinden des Kantons Thurgau von der frühesten Zeit bis auf die Gegenwart. Frauenfeld 1863 – S. 131.
- Boesch, P.: Die Beziehungen zwischen dem Toggenburg und Zürich seit der Reformation bis zum Ende des 17. Jahrhunderts. In: Zeitschrift für schweizerische Geschichte, 12 (1932), Heft 3 – S. 309, 319, 326-327, 340.
- Dejung, E.; Wuhrmann, W.: Zürcher Pfarrerbuch 1519-1952, Zürich 1953.
- Staatsarchiv des Kantons St. Gallen: Wappen Frei, Wappen Frey. In: Kartei Familienwappen.
Sammlung Staatsarchivar Schönenberger, ca. 1940-1957. Signatur: StASG ZFD 2/0573. - Grünenwald, E.; Hartung, K.: Im Wandel der Zeit 1848-1998. Wattwil 1998 [Hrsg. Evang.-ref. Kirchgemeinde Wattwil] – S. 8
- Brandenberger, U.: Weiacher Pfarrerzählung (WPZ). Kombinierte Liste nach allen Quellen. (Ab 1520, d.h. inklusive Kaplane nach katholischem Ritus vor der Reformation). Unveröffentlicht, erstellt Oktober 2018.
- Staatsarchiv Zürich (Hrsg.): Zürcher Ehedaten 16.–17. Jahrhundert geordnet nach Familienname des Mannes (A–F), Stand 15. März 2019, Zürich 2019 – S. 579.
[Überarbeitete, wesentlich vermehrte Version vom 3. Mai 2020]
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