In diesen Zeiten des helvetischen Gouvernantenstaats, der mittels «ausserordentlicher Lage» nach Art. 7 des Epidemiegesetzes regiert, da möchte man eines nicht sein: Jurist im Rechtsdienst des Bundesamts für Gesundheit (BAG).
Diese armen Tröpfe müssen nämlich seit einigen Wochen die COVID-19-Verordnung 2 kuratieren (von kurieren kann keine Rede sein). Der genannte, schon in WeiachBlog Nr. 1485 als «Sumpfblüte» bezeichnete Erlass wuchert aufgrund der fast täglichen magistralen Bocksprünge fröhlich vor sich hin. Mit mittlerweile 14 in Kraft gesetzten und noch zwei weiteren geplanten Novellierungen. Da findet man dann zum Beispiel Art. 4h bis oder Art. 4n Abs. 3 ter und andere verschachtelte Ungetüme.
Bibliotheken und Archive sind nicht systemrelevant
Es würde mich nicht wundern, wenn die Verantwortlichen seit Wochen neben dem Computer campieren. Da können einem schon mal die Kategorien und Prioritäten durcheinander kommen.
Beispiel gefällig? Noch vor wenigen Tagen stand auf der BAG-Seite «Neues Coronavirus: Massnahmen, Verordnung und Erläuterungen»:
«Der Bundesrat verbietet weiterhin öffentliche und private Veranstaltungen».
Darunter fallen u.a.: «Unterhaltungs- und Freizeitbetriebe, namentlich Museen, Bibliotheken, Kinos, Konzerthäuser, Theater, Casinos, Sportzentren, Fitnesszentren, Schwimmbäder, Wellnesszentren und Skigebiete, botanische und zoologische Gärten und Tierparks.» Dieser Text entspricht inhaltlich 1:1 dem Art. 6 Abs. 2 Bst. d der Verordnung.
Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Bibliotheken sind also aus der Sicht der Beamten zu Bundesbern «Unterhaltungs- und Freizeitbetriebe»!! Als ob die Lesesäle von grossen Bibliotheken in Universitätsstädten von sich verlustierenden Studierenden bevölkert würden. Man kann sich über so viel Ignoranz nur wundern. Zumal diejenigen, die solches verfasst haben, samt und sonders Hochschulabsolventen sind. Zur Ehrenrettung nehmen wir jetzt einmal Übermüdung und daraus abzuleitende Zuordnungsfehler an.
Archive dürfen öffnen und bleiben doch geschlossen
Gewisse Zweifel am Verstand dieser Bundesbediensteten kommen dann allerdings auf, wenn man den aktuellen Stand an selbiger Stelle oben zitierter BAG-Seite liest:
«Ab 11. Mai 2020 dürfen gewisse Einrichtungen unter strengen Vorgaben wieder öffnen. Bedingung ist ein Konzept, mit dem die Öffentlichkeit [...] vor einer Ansteckung geschützt sind. Die Betreiber [...] sind für deren Schutz verantwortlich.»
Unter diese Einrichtungen fallen jetzt plötzlich auch «Museen, Bibliotheken, Archive (ohne Lesesäle)». [Vgl. Nachtrag vom 7. Mai 2020 unten]
Der grosse Fortschritt: erstmals überhaupt werden Archive explizit erwähnt. Faktisch ist das aber ein Verbot bis auf Weiteres. Denn wenn Archive ihre Lesesäle nicht öffnen können, was bringt das dann? Rein gar nichts! Archivalien dürfen nun einmal aus gutem Grund nur in Lesesälen konsultiert werden.
Wie man die Öffnung von Archiven erlauben kann und gleichzeitig auf den völlig abstrusen Klammerzusatz kommt, die Öffnung von Lesesälen zu verbieten, das ist wohl nur Gott bekannt.
Lieber Bundesrat! Sonst wird überall gesunder Menschenverstand angemahnt. Sonst setzt man bei allen Betrieben auf deren Eigenverantwortung und auf von ihnen massgeschneiderte Schutzkonzepte. Weshalb galoppiert hier der Amtsschimmel? Kann ja wohl nicht wahr sein.
Ideale Opfer
Aber so kommt das offensichtlich heraus, wenn Magistraten die ordre herausgeben, möglichst viel Kontakt zu verhindern und doch nicht alles zusperren können.
Museen, Archive und Bibliotheken sind die idealen Opfer. Die generieren keine Steuereinnahmen (jedenfalls keine direkt zuschreibbaren) und hängen zu fast 100% von der öffentlichen Hand ab. Da wird sich garantiert kein Widerstand regen.
Und die kleine Minderheit an Wissenschaftern, die für ihre Arbeit auf Archive zwingend angewiesen ist, die ist sowieso quantité négligeable.
N.B.: Angehörige der ETH Zürich erhalten von der ETH-Bibliothek die benötigte Literatur kostenlos zugestellt. Alle anderen müssen mit Ausleihen warten, bis die Bibliothek wieder aufgeht. Eine Unterscheidung, die irgendwie an WeiachBlog Nr. 499 erinnert.
Nachtrag vom 7. Mai 2020
Wie obrigkeitsstaatlich der Rechtsdienst des BAG offensichtlich tickt, das sieht man auch an den gestern veröffentlichten «Erläuterungen zur Verordnung 2 vom 13. März 2020 über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (COVID-19-Verordnung 2), Fassung vom 29. April 2020. Version vom 6. Mai 2020, 14:00 Uhr / Gültig ab 11. Mai 2020, 0:00 Uhr» zum ab dann geltenden Art. 6 Abs. 3 Bst. e:
«Bst. e: Ab dem 11. Mai dürfen neu auch Museen sowie Bibliotheken und Archive geöffnet werden. Ausgenommen sind Lesesäle, da diese zu einem unerwünschten Personenaufkommen führen können.» (S. 20; Hervorhebung: WeiachBlog)
Für wie unfähig hält man in Bundesbern die Manager grösserer Bibliotheken (und an die wurde hier ja offensichtlich gedacht), dass man ihnen nicht zutraut, den Zutritt zu und die Nutzung ihrer Lesesäle so zu regeln, dass die Vorgaben des Bundes zu Social Distancing etc. eingehalten werden können?
Gouvernantenstaat. Q.E.D.
P.S. Und auch hier wurden die Archive, die ohne Lesesäle nun einmal nicht funktionieren, wieder nicht berücksichtigt. Das Staatsarchiv des Kantons Zürich hat aber offenbar doch eine Lösung für das Problem gefunden, die ab dem 26. Mai für die Wiederaufnahme des Publikumsbetriebs umgesetzt wird:
Konsultation von Unterlagen ab 26. Mai in eingeschränktem Rahmen möglich
06.05.2020 - Mitteilung
«Ab Dienstag, 26. Mai 2020, besteht für Kundinnen und Kunden die Möglichkeit, auf Voranmeldung Unterlagen im Staatsarchiv zu konsultieren. Die Zahl der dafür zur Verfügung stehenden Arbeitsplätze ist gemäss den Auflagen des Bundes beschränkt. Teilen Sie uns deshalb bitte vorgängig ihre Ankunfts- und voraussichtliche Aufenthaltszeit mit. Sie erhalten eine Rückmeldung, ob Ihr gewünschter Besuchstermin möglich ist. Als Depot für den Tages-Badge müssen Sie Ihre Identitätskarte hinterlegen (kein Bargeld).
Die Konsultation von Unterlagen ist während der regulären Öffnungszeiten möglich. Für Akten-Bestellungen benutzen Sie bitte unseren Online-Bestellschalter; vor Ort sind nach Absprache weitere Bestellungen möglich.»
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