Freitag, 24. Juli 2020

Der Weiacher Chuchichäschtli-Test

Rechtschreibreformen sind dafür verantwortlich, dass man heute anhand der Aussprache recht genau unterscheiden kann, ob jemand schon länger in Weiach wohnt, bzw. von dort (und der näheren Umgebung) herkommt oder aber ein komplett Fremder ist und nicht dazugehört.

Fremde erkennen im Alten Testament

Es ist schon fast so etwas wie ein lokaler Chuchichäschtli-Test. Ausserhalb der Deutschschweiz (und anderen Gebieten, wo unser Dialekt wegen dem kratzenden «ch» als Halskrankheit empfunden wird) ist dieses Prinzip als Schibboleth bekannt, vgl. Richter 12 Verse 5-6 im Alten Testament der Bibel:

«5 Und Gilead besetzte die Furten des Jordan vor den Efraimiten. Und wenn ein Flüchtling von den Efraimiten sprach: Ich will hinüber!, sagten die Männer des Gilead zu ihm: Bist du Efraimit? Sagte er dann: Nein!, 6 so sagten sie zu ihm: Sag Schibbolet. Sagte er dann Sibbolet, weil er es nicht so aussprechen konnte, ergriffen sie ihn und machten ihn nieder an den Furten des Jordan.» (Zürcher Bibel, nach https://www.bibleserver.com/de/verse/Richter12,5 [Abgerufen am 24.7.2020])

Die Übersetzer der Zürcher Bibel merken zu Vers 6 an: «In diesem Vers zeigen sich Ausspracheunterschiede im Hebräischen der damaligen Zeit. Schibbolet bedeutet «Flut» oder «Ähre».» 

Der Weiacher Schibboleth ist der Name des Ortes selber. Und wird glücklicherweise nicht so radikal für die Freund/Feind-Erkennung eingesetzt, wie es hier Gilead zugeschrieben wird.

Die Schreibweise «Weiach» (mit «i») setzte sich bis Ende des 19. Jahrhunderts gegen die Schreibung mit y («Weyach») durch. Die Progressiven schrieben schon in den 1830er-Jahren konsequent «ei» (vgl. Ignaz Thomas Scherr in WeiachBlog Nr. 1538). Eine solche Schreibung wird wie in «Vogel-Ei» ausgesprochen. Und nicht mit einer Art implizitem Trema als «ey». 

Fehlendes Trema und trotzdem ein Spray 

In manchen älteren Texten wird dieses sogenannte diakritische Zeichen durchaus verwendet. Da steht dann «Weÿach» (vgl. Bild: Weisses Register, 1717 erstellt), was den Leser dazu anleitet, die Buchstaben e und y (oder halt «i») nicht als Standard-Diphthong ei, ai, ey, ay ​(Aussprache: [⁠aɪ̯⁠] wie​ in Leim, Mais, Speyer, Mayer) zu verstehen, sondern eben als dialektalen Diphthong [ɛɪ̯], der nur in der lexikalischen Peripherie existiere (wie sich die Wikipedia ausdrückt) und wie in «Spray» ausgesprochen werde.

StAZH KAT 38. Grösseres Kanzleiregister oder Weisses Register bis 1739, Band XVI: Trucken 462-497 - S. 35

Die Schreibweise «Weïach» wäre eigentlich im 19. Jahrhundert noch möglich gewesen (und hätte den Schibboleth verhindert). Aber schon nach der Reform von 1902 und spätestens seit der neuesten Reform 1996 wäre das Problem dann doch entstanden:

«Im Deutschen wird das Trema heute nicht mehr in seinem ursprünglichen Sinne zur Kennzeichnung einer abweichenden Aussprache im Lautzusammenhang verwendet. Während bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts Tremata in der deutschen Schrift nur gesetzt werden sollten, um in einzelnen Fällen Missverständnisse auszuschließen, rieten die deutschen Rechtschreibregeln von 1902 bis 1996 von der Nutzung des Tremas generell ab. So sollte statt des französischen „Zaïre“ das Wort „Zaire“ geschrieben werden (siehe Das Trema in der deutschen Rechtschreibung im 19. Jahrhundert). Die aktuellen Regeln seit der Rechtschreibreform von 1996 befassen sich gar nicht mehr mit dem Trema.» (Auszug aus dem Wikipedia-Artikel «Trema», Version v. 3. April 2020)

Dass das Trema wegfallen musste, ist auch der immer weiteren Verbreitung der Schreibmaschine geschuldet. Die hatte nun einmal einen begrenzten Satz von Typenhebeln. Was zu regionalen Unterschieden führte. Auf der Deutschschweizer Tastatur fehlt ja bis heute der Buchstabe ß (Eszett), der hierzulande in Druckerzeugnissen noch lange üblich war, wie man sich auch auf e-newspaperarchives.ch oder in WeiachBlog Nr. 1539 (für Liechtenstein) überzeugen kann. Und das obwohl in den 1930er-Jahren beschlossen wurde, das Eszett in der Schule nicht mehr zu lehren, womit für die Schweiz und Liechtenstein ein Sonderweg begann.

Frühere Erklärungsversuche...

Wollen Sie den Test bestehen? Ein paar zusätzliche Details geben ein Artikel und eine Audio-Datei, beide schon ziemlich älteren Datums:
  • Brandenberger, U.: Wîach Wijach Wygach Wyach Weyach Weych Weiach. ei oder ey ? – Wie es zur Schreibweise «Weiach» kam. Weiacher Geschichte(n) Nr. 2. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, Januar 2000 – S. 16.
  • Brandenberger, U.: «Weyach, nicht Weiach...» (Besonderheiten, historische Anekdoten, Mentalität der Bewohner. Tonbandinterview für die Datenbank Onoma anlässlich der Expo.02.) In: Interview des Tages. Schweizer und Schweizerinnen stellen ihre Gemeinden vor, 12.10.2002, Weiach (ZH). Yverdon 2002.

...und die Wÿach-Frage

Die Frage, wie es von den alten Schreibweisen «Wiach» oder «Wyach» zu «Weyach» gekommen ist, die ist nach wie vor ungeklärt. Diese Änderung ist möglicherweise dem Versuch geschuldet, das in der lokalen Mundart verwendete, zerquetschte «e» vor dem «i» irgendwie in der Schrift abzubilden. Ein möglicher Ansatz liegt in der manchmal beobachteten Schreibweise «Wÿach», wo man die Punkte über dem y auch als über den Buchstaben gestelltes kleines «e» deuten könnte (in Frakturschrift vereinfacht mit Strichen oder Punkten dargestellt), das hier aber VOR dem i stehen würde und nicht danach wie bei ä, ö oder ü.

Aber das sind vorerst wilde Spekulationen ohne wirkliche Beherrschung des linguistischen Werkzeugkoffers. Konzediert der Autor dieser Zeilen und freut sich über fachliche Einlassungen auch zum oben Aufgeführten, sollte es da Fehler drin haben.

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